Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2015, Az. 1 StR 142/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 3187

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
142/15

vom
28. Oktober
2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 28. Oktober 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Raum,

der
Richter am [X.]
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am [X.]
Cirener,
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am [X.]
Dr. [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 11. November 2014 wird [X.].

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der [X.] in einem
psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge ge-stützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.
I. Das
[X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
Dem Beschuldigten war die Geschädigte bereits seit etwa 20 Jahren vom Sehen und von flüchtigen Gesprächen bekannt. Im [X.] 2013 kam es zum Ausbruch einer psychotischen Erkrankung beim Beschuldigten, in deren 1
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Zuge er einen auf die Geschädigte bezogenen Liebeswahn entwickelte. Im [X.] 2013 kam es zu einem Treffen zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten in einem Café, bei dem sie ihm erklärte, nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Dies konnte der Beschuldigte nicht akzeptieren. An einem Tag im September 2013 packte er die Geschädigte mit schmerzhaften Folgen am Handgelenk, um mit ihr reden zu können. In der Folgezeit passte er sie [X.] an ihrer Arbeitsstelle

die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag

oder auf ihrem Nachhauseweg ab. Deswegen beantragte die Geschädigte im Februar 2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 1 GewSchG, die am 10.
Februar 2014 erging. Mit diesem dem Beschuldigten am 13. Februar
2014 zugestellten Beschluss des [X.] wurde ihm untersagt, mit der Geschädigten Kontakt aufzunehmen.
Der Beschuldigte suchte in 14 Fällen zur Geschädigten Kontakt, indem er sie an ihrer Arbeitsstelle aufsuchte oder sie dort anzurufen versuchte. Zehn dieser
Fälle ereigneten sich nach dem 13. Februar 2014, wobei er trotz Kennt-nis des Beschlusses des [X.] vom 10. Februar 2014 handel-te. In dem letzten dieser Fälle versuchte er am 26. Februar 2014,

t-

sie als Arzthelferin arbeitete. Die [X.] versetzte dem Beschuldigten eine Ohrfeige. Sie selber erlitt dabei Schmerzen.
Die Geschädigte ist aufgrund dieser Vorfälle psychisch stark angeschla-gen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Angstzu-ständen.
Der Beschuldigte litt zu den [X.] an einer paranoiden Schizo-phrenie, was zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung des [X.] führte und die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB 4
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aufhob. Nachdem während der vorläufigen Unterbringung der Beschuldigte erstmals auf ein geeignetes Medikament eingestellt worden war, zeigte er sich behandlungseinsichtig und erschüttert über die Folgen seines Verhaltens.
[X.] 1. Das [X.] hat die Taten als vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 Fällen der Nachstellung, diese in zehn Fällen jeweils in [X.] mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz,
und in einem Fall weiter in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, §
230 Abs. 1, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2,
Abs. 4, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 4
GewSchG
gewertet, die der Beschuldigte rechtswidrig, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat.
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB zur Unterbringung des Beschul-digten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es nicht angenommen. Zwar gingen die Taten auf einen
dauerhaften Zustand, nämlich die
paranoide Schi-zophrenie,
zurück. Jedoch ergebe die Gefahrenprognose, dass von dem [X.] infolge dieser Erkrankung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien. Hierzu hat es darauf abgestellt, dass der Beschuldigte zwar aufdringlich und lästig gehandelt habe, was zu erheblichen psychischen Folgen bei der Geschädigten geführt habe, jedoch habe er über das beharrliche Nachstellen hinaus keine gesteiger-te kriminelle Energie aufgewandt und keine gesteigerte körperliche Aggressivi-tät gezeigt. Die Schwelle zur Vollendung der Körperverletzungsdelikte sei nur deswegen überschritten worden, weil sich die Geschädigte nachvollziehbarer-weise aus dem Griff
des Beschuldigten
herausgewunden und deswegen Schmerzen erlitten hätte. Selbst die Ohrfeige der Geschädigten habe zu keiner weiteren Gewaltanwendung durch ihn geführt. Unter Berücksichtigung auch weiterer Umstände aus seinem Vorleben könne aus seinem bisherigen Verhal-7
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ten nicht auf die zukünftige Begehung solcher Taten geschlossen werden, die die Grenze zur Erheblichkeit überschreiten.

B.
Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprü-fung stand.
Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn
eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge ha-ben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein-reichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 16.
Juni 2014

4
StR
111/14, [X.], 571; vom 3.
September 2015

1 StR 255/15). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu be-fürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Juni 2014

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StR
111/14, [X.], 571 mwN; Urteil vom 29.
September 2015

1 [X.]). Die sich hieraus ergebenden Darlegungserfordernisse hat das [X.] eingehalten.
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a) Zwar versäumt es, das Eingangsmerkmal des § 20 StGB für den Zu-stand des Beschuldigten ausdrücklich zu benennen, worauf grundsätzlich nicht verzichtet werden kann ([X.], Urteil vom 29. September 2015

1 [X.]). Jedoch ist neben der psychiatrischen Diagnose ausführlich dargelegt, dass bei dem Beschuldigten eine dauerhafte Erkrankung vorliegt, wie die daraus [X.] psychischen Symptome sich auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt ha-ben und warum die [X.] auf diesen Zustand zurückzuführen sind. [X.] ist nicht nur hinreichend klar, dass das [X.] vom [X.] der krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist, sondern auch belegt, dass es für die Gefährlichkeitsprognose den Defektzustand des Beschuldigten mit dem angemessenen Gewicht eingestellt hat.
b) Das sachverständig beratene [X.] hat die Gefährlichkeits-prognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände entwickelt (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 12.
Juni 2008

4
StR
140/08, [X.]R StGB §
63 Ge-fährlichkeit
29; Beschluss vom 16.
Juni 2014

4
StR
111/14, [X.], 571). Hierbei hat es keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen oder nur verkürzt in die Würdigung eingestellt.
So hat es den Umstand der nur losen Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer in den Blick genommen, wie die Darstellung der Entwicklung der [X.] zwischen beiden belegt. Auch die zu
befürchtende konkrete Aus-gestaltung der Taten hat es ausreichend dargelegt und erwogen. Hierbei durfte es das konkrete Gewicht und die Besonderheiten der Entwicklung der began-genen Körperverletzungsdelikte berücksichtigen. Es hat dabei auch eine Ver-stärkung der zu erwartenden Aggressivität aufgrund des möglichen Opferver-11
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haltens bedacht, aber im Hinblick auf die Reaktion des Beschuldigten auf die Ohrfeige der Geschädigten nicht für wahrscheinlich gehalten. Die erheblichen psychischen Auswirkungen hat es in die Abwägung eingestellt, die ausführli-chen Darlegungen hierzu lassen nicht besorgen, dass es diese zu gering ge-wichtet haben könnte. Dass das [X.] auf dieser Grundlage keine [X.] Anhaltspunkte für die Erwartung künftiger Taten in ihrer jeweils
für [X.] wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität gefunden hat (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
April 2003

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StR
79/03, [X.], 232; [X.] vom 16.
Juni 2014

4
StR
111/14, [X.], 571),
ist revisionsrecht-lich nicht zu beanstanden.
Raum Jäger Cirener

Mosbacher [X.]

Meta

1 StR 142/15

28.10.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2015, Az. 1 StR 142/15 (REWIS RS 2015, 3187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3187

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 255/15

1 StR 287/15

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