Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2016, Az. IV ZR 205/15

4. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 10945

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Gegenstand

Ehegattentestament: Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten


Leitsatz

Die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten wird nicht in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB beschränkt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 19. März 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Alleinerbenstellung nach ihrer verstorbenen Mutter.

2

Die Klägerin und die Beklagte sind die beiden leiblichen Töchter des Ehepaares M.       . Die Eltern der Parteien errichteten am 7. April 1977 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten die Klägerin zur Erbin des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten die Beklagte und entzogen ihr den Pflichtteil.

3

Der Vater der Parteien verfasste außerdem im Jahr 1985 ein [X.], in dem er seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Nach seinem Tod im Jahr 1995 lag dem Nachlassgericht nur dieses von der Mutter abgelieferte [X.] vor.

4

Die Mutter verstarb am 22. Januar 2012. Das Nachlassgericht erteilte einen Erbschein, der die Parteien je zur Hälfte als ihre Erben auswies.

5

Nachdem die Klägerin am 15. Juli 2013 das [X.] im [X.] des Elternhauses gefunden hatte, lieferte sie es beim Nachlassgericht ab und beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin der Mutter. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 27. Juli 2013 gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des Testaments wegen eines [X.] ihrer Eltern. Diese seien damals wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem erfolgreich auf Unterhaltsleistung verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sich ihre Eltern jedoch wieder mit ihr versöhnt.

6

Das [X.] hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren Revision, mit der sie weiter die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in [X.] 2015, 476 (mit Anmerkung [X.]) abgedruckt ist, hat ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund des [X.] vom 7. April 1977 Alleinerbin der Mutter geworden, da das Testament weder wirksam widerrufen noch angefochten worden sei. Die Verfügungen der Ehegatten zur [X.] der Klägerin seien wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe die Verfügung der Mutter zur [X.] gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten können, da die Mutter als letztverstorbener Ehegatte ihr Recht zur [X.] der wechselbezüglichen Verfügung bereits durch Fristablauf verloren gehabt habe. Die Jahresfrist des § 2283 BGB habe mit dem Tod des [X.] zu laufen begonnen, da die Mutter nach dem Vortrag der Beklagten zu diesem [X.]punkt bereits Kenntnis von dem behaupteten [X.] gehabt habe. Den Fragen, ob ein [X.] vorgelegen habe und ob der Vater ggf. einen Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens dieses Irrtums bewusst unterlassen habe, müsse nicht nachgegangen werden. Entgegen der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht sei auch eine Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten durch einen [X.] gemäß § 2285 BGB analog ausgeschlossen. Andernfalls würde man der Beklagten ein Recht einräumen, das zum Nachteil des überlebenden Ehegatten zu dem gleichen Ergebnis führte wie das Recht zum Widerruf, von dem der Vater aber trotz Kenntnis des "[X.]" keinen Gebrauch gemacht habe. Hätte der Vater zu Lebzeiten seine wechselbezügliche Verfügung widerrufen, hätte die Mutter darauf durch eine eigene letztwillige Verfügung angemessen reagieren können. Wenn man nun der Beklagten nach dem Tod der Eltern ein Anfechtungsrecht hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügung des erstverstorbenen [X.] zubilligte, verletzte man die durch § 2271 Abs. 1 BGB geschützten Interessen der Mutter.

9

Das Gericht halte außerdem dafür, dass die Eltern durch die Beibehaltung des [X.] eine Bestätigung vorgenommen hätten oder der behauptete [X.] nicht kausal geworden sei. Auch aus diesem Grund sei eine Anfechtung nicht möglich.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Verfügungen zur [X.] der Klägerin durch beide Ehegatten in dem [X.] wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB. Eine wirksame Anfechtung der Verfügung des [X.] zur [X.] hätte daher gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung der Mutter zur Folge.

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Verfügung der Mutter zur [X.] gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten konnte. Nach dieser Regelung kann ein Dritter vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag nicht mehr auf Grund der §§ 2078, 2079 BGB anfechten, wenn das Recht des Erblassers, die Verfügung aus demselben Grund anzufechten, zur [X.] des Erbfalls erloschen ist. Die erbvertragliche Vorschrift des § 2285 BGB ist auf die wechselbezüglichen Verfügungen des [X.] Ehegatten im [X.] entsprechend anwendbar (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2010 - [X.], [X.] 2010, 364 Rn. 7; Senatsurteile vom 15. Mai 1985 - [X.], [X.], 1123 unter [X.]; vom 18. Januar 1956 - [X.], [X.], 83, 84). Die entsprechende Anwendung folgt aus der engen Verwandtschaft und völligen Gleichheit der Rechtslage, die gegenüber dem durch Erbvertrag gebundenen Erblasser und dem überlebenden Ehegatten besteht, soweit jener das ihm wechselbezüglich [X.] nicht ausgeschlagen hat ([X.], 165, 167 f.). Das Recht zum Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erlischt gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten, so dass der überlebende Ehegatte von diesem [X.]punkt an wie der Erblasser beim Erbvertrag grundsätzlich an seine Verfügung gebunden ist. Es gibt daher keinen Grund, den anfechtungsberechtigten [X.] gegenüber dem [X.] besser zu stellen und den überlebenden, gebundenen Ehegatten nicht ebenso wie den [X.] in die Lage zu versetzen, durch das Unterlassen der Anfechtung nach freiem Belieben das Anfechtungsrecht des [X.] zu zerstören (vgl. [X.] aaO S. 169).

Im vorliegenden Fall war die Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB für eine [X.] durch die Mutter zur [X.] des Erbfalls bereits abgelaufen, da sie nach dem [X.] den behaupteten [X.] als Anfechtungsgrund bereits bei ihrer Versöhnung mit der Beklagten etwa ein Jahr nach Verfassen des [X.] erkannt hatte, so dass die Anfechtungsfrist mit dem Tod des [X.] im Jahr 1995 als frühestmöglichem Anfechtungszeitpunkt zu laufen begonnen hätte.

3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber angenommen, auf einen [X.] des [X.] komme es nicht an, weil auch die Anfechtung der Verfügung des [X.] zur [X.] durch die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB ausgeschlossen sei. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Drittanfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten im [X.] kommt nicht in Betracht. Es fehlt an der vergleichbaren Interessenlage, die für eine Analogie neben einer planwidrigen Regelungslücke erforderlich ist.

a) Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass § 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch Dritte - vor oder nach dem Tod des Überlebenden - nicht entsprechend angewendet werden kann, weil dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht (vgl. [X.]/[X.], [X.]. § 2271 Rn. 31; [X.]/[X.], 6. Aufl. § 2271 Rn. 43; [X.]/[X.], BGB Bearbeitung 2014 § 2271 Rn. 67; Soergel/Wolf, [X.]. § 2271 Rn. 38; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Testament und Erbvertrag 6. Aufl. § 2271 BGB Rn. 91; BeckOGK[X.], BGB Stand: 4. Januar 2016 § 2271 Rn. 145; Klessinger in [X.]/[X.], Praxiskommentar Erbrecht 3. Aufl. § 2271 Rn. 102; [X.]/[X.], 4. Aufl. § 2271 Rn. 100 f.; Litzenburger in [X.]/[X.], [X.]. § 2271 Rn. 39; [X.]/S. u. T. Kappler, [X.]. § 2271 Rn. 23; Muscheler, [X.] Rn. 2171; a.A. LG Karlsruhe NJW 1958, 714; in einem obiter dictum an der h.M. zweifelnd auch BayObLG [X.] 2004, 152, 153). Diese Ansicht ist zutreffend.

b) Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Widerrufsrechts des erstversterbenden Ehegatten und des beim Erbvertrag bestehenden Anfechtungsrechts ist weder § 2285 BGB zur entsprechenden Anwendung auf die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden Ehegatten geeignet noch ist diese Analogie angesichts der dort bestehenden Interessenlage erforderlich.

§ 2285 BGB ergänzt das [X.]srecht, das dem Erblasser beim Erbvertrag gemäß § 2281 BGB und in entsprechender Anwendung auch dem überlebenden Ehegatten beim [X.] ([X.], Urteile vom 3. November 1969 - [X.], [X.], 79 unter [X.]; vom 4. Juli 1962 - [X.], [X.]Z 37, 331 unter 1) hinsichtlich seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Die [X.] erfordert dieselben Anfechtungsgründe im Sinne von §§ 2078, 2079 BGB wie die Anfechtung durch einen [X.] und kann gemäß § 2283 Abs. 1, 2 BGB nur innerhalb eines Jahres ab Kenntnis vom Anfechtungsgrund oder Beendigung der Zwangslage erklärt werden. Falls das Anfechtungsrecht des Erblassers durch Ablauf der Anfechtungsfrist oder durch Bestätigung, § 2284 BGB, beim Erbfall bereits erloschen ist, ist daher gemäß § 2285 BGB auch eine Anfechtung durch einen [X.], die auf denselben Anfechtungsgrund gestützt werden soll, ausgeschlossen. Hat der Erblasser dagegen keine Kenntnis vom Anfechtungsgrund, beginnt auch die Anfechtungsfrist für ihn nicht zu laufen, so dass sein Anfechtungsrecht beim Erbfall nicht erloschen sein kann und eine Drittanfechtung daher möglich bleibt.

Dieser besondere Schutz des Willens des Erblassers durch die Beschränkung der Drittanfechtung nach § 2285 BGB folgt aus der Bindung des [X.]s an seine eigene Verfügung, der er bereits zu Lebzeiten unterliegt. § 2285 BGB bringt den allgemeinen Gedanken zum Ausdruck, dass stets der Wille des Erblassers dafür maßgebend bleibt, ob ein Dritter seinerseits den Bestand der letztwilligen Verfügung angreifen darf oder nicht ([X.], 165, 170). Wenn sich der gebundene Erblasser durch Bestätigung seiner Verfügung oder Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist dafür entscheidet, die anfechtbare Verfügung trotz Kenntnis des [X.] gelten zu lassen, sollen an diese Entscheidung auch seine (potentiellen) Erben gebunden sein und nicht auf Grund eines eigenen Anfechtungsrechts eine dem Willen des Erblassers nicht entsprechende Korrektur seiner Nachlassregelung vornehmen können ([X.]/[X.], aaO § 2285 Rn. 1; vgl. auch [X.] aaO § 2285 Rn. 7).

Dagegen ist der erstversterbende Ehegatte beim [X.] nicht an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und auf ein Anfechtungsrecht beschränkt. Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann jeder von ihnen seine wechselbezüglichen Verfügungen gemäß § 2271 Abs. 1 BGB widerrufen und hat dabei nur die Vorschriften über Form und Zugang der Widerrufserklärung nach § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB zu beachten. Anders als die Anfechtung erfordert der Widerruf weder einen Grund noch besteht für ihn eine dem § 2283 Abs. 1 BGB vergleichbare Frist. Das Anfechtungsrecht eines [X.] reicht von vornherein nicht über dieses Recht des Erblassers, sich von seiner Verfügung zu lösen, hinaus, ohne dass es dazu einer Beschränkung der Drittanfechtung durch § 2285 BGB bedarf. Das Widerrufsrecht des erstversterbenden Ehegatten kann auch nicht "zur [X.] des Erbfalls" im Sinne von § 2285 BGB bereits erloschen sein, sondern es erlischt mit seinem Tod. Eine uneingeschränkte analoge Anwendung von § 2285 BGB auf das Erlöschen des Widerrufsrechts durch den Erbfall hätte daher zur Folge, dass eine Anfechtung durch Dritte immer und unabhängig davon ausgeschlossen wäre, ob der Erblasser Kenntnis von Tatsachen hatte, die ein Anfechtungsrecht begründen. Damit wäre es nicht mehr möglich, dem wahren Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Für einen solch umfassenden Ausschluss der Drittanfechtung bei wechselbezüglichen Verfügungen im [X.] lässt sich dem Gesetz jedoch nichts entnehmen.

c) Die analoge Anwendung des § 2285 BGB kann aber auch nicht auf Fälle beschränkt werden, in denen der erstversterbende Ehegatte seine Verfügung trotz Kenntnis der später zur Begründung der Anfechtung angeführten Gründe nicht widerruft. Auch in diesen Fällen fehlt es mangels materieller Bindung des Erstversterbenden an einer Vergleichbarkeit mit dem in den §§ 2281, 2285 BGB geregelten Fall (vgl. BeckOGK[X.] aaO). Der erstversterbende Ehegatte befindet sich anders als der Letztversterbende trotz Kenntnis von einem möglichen Anfechtungsgrund nicht in der Situation, fristgebunden entscheiden zu müssen, ob er die Verfügung anfechten oder andernfalls eine grundsätzlich nicht mehr zu beseitigende Bindung eingehen will. Bleibt er untätig, kann dieses Unterlassen allein daher nicht als Verstreichenlassen einer - fiktiven - Anfechtungsfrist mit entsprechenden Rechtsfolgen gedeutet werden. Seinem Willen wird vielmehr ausschließlich durch die Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Drittanfechtungsrechtes vorliegen, Geltung verschafft, ohne diese Anfechtung von vornherein durch § 2285 BGB zu beschränken. Entscheidend ist insoweit stets der Wille des Erblassers. Über dessen Recht, sich von seiner Verfügung zu lösen, geht das Drittanfechtungsrecht nicht hinaus.

d) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine entsprechende Anwendung von § 2285 BGB auf die Verfügung des erstversterbenden Ehegatten nicht mit den Interessen des [X.] Ehegatten, der auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut hat, begründet werden. § 2285 BGB dient nicht dem Schutz des [X.] oder des [X.] Ehegatten beim [X.]. Der Gesetzgeber begründete die Vorschrift allein damit, dass anderen Personen ein Anfechtungsrecht nicht in größerem Umfang zugestanden werden könne als dem Erblasser selbst (Motive [X.]). Geschützt wird daher das Interesse des Erblassers daran, dass sich sein - frei von Irrtum oder Drohung im Sinne von § 2078 BGB gebildeter - Wille durchsetzt ([X.]/[X.] aaO). Wenn aber durch die erfolgreiche Anfechtung seiner Verfügung die dazu wechselbezügliche Verfügung des anderen Ehegatten gemäß § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam wird, so entspricht dies gerade dem die Wechselbezüglichkeit begründenden Willen der Ehegatten, dass ihre Verfügungen miteinander stehen oder fallen sollen.

Auch der Verweis des Berufungsgerichts auf den Schutz des Ehegatten durch die Empfangsbedürftigkeit des Widerrufs gemäß § 2271 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB (ebenso BayObLG [X.] 2004, 152, 153) vermag eine Beschränkung der Drittanfechtung nicht zu begründen. Bei einem Widerruf zu Lebzeiten beider Ehegatten wird der andere Ehegatte durch den Zugang der Widerrufserklärung in die Lage versetzt, darauf durch eine neue letztwillige Verfügung zu reagieren. Im Regelfall wird er diese Möglichkeit auch bei einer Drittanfechtung nach dem ersten Erbfall haben, da die fristgebundene (§ 2082 BGB) Anfechtung noch zu seinen Lebzeiten erfolgen und das Nachlassgericht ihm die Anfechtungserklärung mitteilen wird, § 2081 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Begründung des Berufungsgerichts für eine Analogie bezieht sich daher allein auf den hier vorliegenden Sonderfall, in dem das [X.] dem Nachlassgericht nach dem ersten Erbfall nicht vorlag und daher eine Drittanfechtung nicht zu Lebzeiten des [X.] Ehegatten erfolgen konnte. Doch ein allgemeiner Grundsatz, dass die Ehegatten auf den Bestand der eigenen wechselbezüglichen Verfügungen nach ihrem Tod vertrauen können, besteht beim [X.] nicht. Das Interesse eines Ehegatten an der Wirksamkeit der eigenen Verfügungen tritt auch in anderen Konstellationen unabhängig davon zurück, ob er noch mit einer neuen Verfügung auf eine Veränderung reagieren kann (vgl. [X.], [X.] 2015, 480, 481; BeckOGK[X.], aaO Rn. 145.1). So kann auch das Recht des überlebenden Ehegatten, sich durch Ausschlagung gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB von dem [X.] zu lösen, nicht abbedungen werden (Senatsurteil vom 12. Januar 2011 - [X.]/09, NJW 2011, 1353 Rn. 11). [X.] er anschließend die eigenen Verfügungen auf, hat dies gemäß § 2270 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Unwirksamkeit der damit wechselbezüglich verbundenen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten zur Folge (Senatsurteil aaO Rn. 15).

4. Die Hilfserwägung des Berufungsgerichts trägt die angefochtene Entscheidung mit den bisher getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht. Seiner nicht näher begründeten Annahme, die Eltern hätten durch die Beibehaltung des [X.] eine Bestätigung vorgenommen oder der behauptete [X.] sei nicht kausal für ihre Verfügung geworden, fehlt eine ausreichende Tatsachengrundlage.

Zwar kann ein bewusstes Bestehenlassen der letztwilligen Verfügung dafür sprechen, dass der behauptete Irrtum nicht ursächlich für die Verfügung war oder sie jedenfalls zur [X.] des [X.] dem Willen des Erblassers entsprach und eine Anfechtung daher ausgeschlossen ist (BayObLG NJW-RR 1995, 1096, 1098; [X.]/[X.] aaO § 2271 Rn. 43; [X.] aaO § 2271 Rn. 91; [X.]/[X.] aaO § 2078 Rn. 9). Dies setzt aber voraus, dass der Erblasser die Verfügung tatsächlich bewusst beibehält, sich also im Wissen um den Inhalt dieser Verfügung und in Kenntnis des Irrtums dafür entscheidet, daran festzuhalten, und er nicht nur aus Nachlässigkeit, Passivität oder aus sonstigen anderen Gründen eine Abänderung unterlässt (vgl. BayObLG NJW-RR 2002, 367, 370; [X.]/[X.], BGB Bearbeitung 2013 § 2078 Rn. 30; [X.]/[X.], 6. Aufl. § 2078 Rn. 50). Das Berufungsgericht hat jedoch ausdrücklich offengelassen, ob der Vater den Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens des behaupteten [X.]s bewusst unterließ. Damit fehlt es aber auch an der Feststellung, dass er das Testament bewusst bestehen ließ. Ohne solche Feststellungen zum Willen des Erblassers kann allein aus dem Umstand, dass das Testament weiter existierte, nicht geschlossen werden, der Erblasser habe das Testament bestätigt oder der behauptete [X.] sei nicht kausal für seine Verfügung gewesen.

III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Die Mutter der Parteien verfügte in dem [X.] neben der [X.] der Klägerin die Enterbung der Beklagten. Es steht jedoch nicht fest, dass auch im Falle einer Unwirksamkeit der [X.] die Enterbung der Beklagten fortbestünde und daher die gesetzliche Erbfolge zugunsten der Klägerin einträte. Vielmehr deutet das Berufungsgericht an, dass seiner Ansicht nach eine wirksame Anfechtung der [X.] auch die gleichzeitig verfügte Enterbung der Beklagten durch die Mutter entfallen ließe, ohne aber ausdrückliche Feststellungen zum Willen der Erblasserin zu treffen. Dies hätte es im Falle einer wirksamen Anfechtung der [X.] nachzuholen. Andernfalls wäre zu prüfen, ob die Beklagte auch ihre - gemäß § 2270 Abs. 3 BGB nicht wechselbezügliche - Enterbung durch die Mutter wirksam angefochten hat.

IV. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da das Berufungsgericht noch ergänzende Feststellungen zu treffen hat.

[X.]                                  [X.]

               Dr. Brockmöller                      Dr. Bußmann

Meta

IV ZR 205/15

25.05.2016

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 19. März 2015, Az: 19 U 134/14, Urteil

§ 2078 BGB, § 2270 Abs 1 BGB, § 2283 BGB, § 2285 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2016, Az. IV ZR 205/15 (REWIS RS 2016, 10945)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 2566 REWIS RS 2016, 10945


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 205/15

Bundesgerichtshof, IV ZR 205/15, 25.05.2016.


Az. 19 U 134/14

Oberlandesgericht Köln, 19 U 134/14, 13.04.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

IV ZR 205/15

Zitiert

IV ZR 21/09

IV ZR 230/09

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