Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. XII ZB 213/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 532

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Gegenstand

Beschwerde in einer Betreuungssache: Gebotene persönliche Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht trotz erfolgter Anhörung im Abhilfeverfahren


Leitsatz

Wird in einem Betreuungsverfahren die nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG zwingend erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren durchgeführt, darf das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. September 2021 - XII ZB 93/21, juris).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des [X.] vom 12. April 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 3 wendet sich gegen die für die Betroffene eingerichtete Betreuung.

2

Die Betroffene, die an einer mittelgradigen bis schwer ausgeprägten Demenz leidet, erteilte am 27. November 2018 dem Beteiligten zu 3, ihrem Lebensgefährten, eine Vorsorgevollmacht. Nach einer am 3. November 2020 durchgeführten Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. November 2020 den [X.] der Betroffenen zum vorläufigen Betreuer bestellt.

3

Am 13. November 2020 hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen in Auftrag gegeben, welches am 30. November 2020 bei Gericht eingegangen ist.

4

Mit Beschluss vom 21. Dezember 2020 hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1 zum Berufsbetreuer bestellt und ihm den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Heimangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Sozialversicherungsträgern und Krankenkassen sowie Postangelegenheiten übertragen. Gegen diese Entscheidung hat der Beteiligte zu 3 Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat die Betroffene im [X.] angehört.

5

Das [X.] hat die Beschwerde ohne erneute Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3 mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

7

1. Die Rechtsbeschwerde rügt im Ergebnis zu Recht, dass das Beschwerdegericht unter Verstoß gegen §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG ohne persönliche Anhörung der Betroffenen über die Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 21. Dezember 2020 entschieden hat.

8

a) Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind ([X.]sbeschluss vom 4. Dezember 2019 - [X.] 392/19 - NJW 2020, 852 Rn. 5 mwN).

9

b) Danach durfte das Beschwerdegericht nicht ohne persönliche Anhörung der Betroffenen über die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21. Dezember 2020 entscheiden. Denn das vom Amtsgericht durchgeführte Verfahren war fehlerhaft, weil es die Betroffene zu einem Zeitpunkt angehört hat, als das Sachverständigengutachten noch nicht erstattet war und auch die spätere Anhörung im [X.] diesen Verfahrensfehler nicht mehr heilen konnte.

aa) Zwar regelt § 278 Abs. 1 FamFG nicht, zu welchem Zeitpunkt die Anhörung des Betroffenen zu erfolgen hat. Daher steht es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, wann es den Betroffenen anhört. Der [X.] hat jedoch bereits entschieden, dass die nach § 278 Abs. 1 FamFG zwingend erforderliche Anhörung des Betroffenen regelmäßig erst nach Eingang des Sachverständigengutachtens durchgeführt werden muss. Denn sonst kann die Anhörung weder die Funktion erfüllen, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu dem Sachverständigengutachten und den sich daraus ergebenden neuen Umständen zu äußern, noch kann das Betreuungsgericht die im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) gebotene kritische Überprüfung des Gutachtens anhand des in einer Anhörung gewonnenen persönlichen Eindrucks vornehmen (vgl. [X.]sbeschluss vom 27. Februar 2019 - [X.] 44/18 - [X.], 392 Rn. 9 mwN).

bb) Zudem hat der [X.] nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden, dass eine fehlerhafte oder unterbliebene erstinstanzliche Anhörung eines Betroffenen in einem Betreuungsverfahren im [X.] regelmäßig weder geheilt noch nachgeholt werden kann ([X.]sbeschluss vom 22. September 2021 - [X.] 93/21 - juris Rn. 14 ff.).

cc) Dem wird das amtsgerichtliche Verfahren nicht gerecht.

(1) Das Amtsgericht hat die Betroffene nur am 3. November 2020 im Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers und damit zu einem Zeitpunkt angehört, als das Sachverständigengutachten, auf das das Amtsgericht seine Entscheidung gestützt hat, noch nicht bei Gericht eingegangen war.

(2) Die im Hauptsacheverfahren verfahrensfehlerhaft unterlassene Anhörung konnte auch nicht durch die erneute Anhörung der Betroffenen im [X.], bei der das Sachverständigengutachten vorgelegen hat, geheilt werden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 213/21

08.12.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Duisburg, 12. April 2021, Az: 12 T 38/21

§ 68 Abs 1 S 1 FamFG, § 68 Abs 3 FamFG, § 278 Abs 1 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. XII ZB 213/21 (REWIS RS 2021, 532)

Papier­fundstellen: MDR 2022, 590-591 REWIS RS 2021, 532


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XII ZB 213/21

Bundesgerichtshof, XII ZB 213/21, 08.12.2021.


Az. 12 T 38/21

Landgericht Duisburg, 12 T 38/21, 12.04.2021.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 118/21

Zitiert

XII ZB 392/19

XII ZB 93/21

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