Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.11.2019, Az. 1 C 22/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 1398

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Gegenstand

Ausschluss der Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG für Schengen-Visa


Leitsatz

1. Die Regelungen zur Fiktionswirkung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG stehen in einem sich ausschließenden Alternativverhältnis.

2. Auch von anderen Schengen-Staaten ausgestellte Schengen-Visa (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sind Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG, für die die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen ist.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 [X.].

2

Der ... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er ist mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet, der im [X.] die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde und die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 [X.] ist. Das Ehepaar hat zwei gemeinsame Kinder, die im [X.] geboren worden sind.

3

Der Kläger, der mit von verschiedenen [X.] ausgestellten [X.] bereits mehrfach nach [X.] gereist war, reiste zuletzt am 23. November 2015 mit einem von der [X.] Botschaft in [X.] ausgestellten, vom 23. November 2015 bis zum 17. Dezember 2015 gültigen [X.] in das [X.] ein.

4

Im November 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Zugleich beantragte er, ihm eine Bescheinigung über den Eintritt einer Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 [X.] auszustellen.

5

Mit Schreiben vom Dezember 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, das ihm durch die [X.] Botschaft erteilte [X.] zu annullieren, die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und der Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung abzulehnen sowie den Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus dem [X.] aufzufordern.

6

Am 23. Dezember 2015 hat der Kläger Klage auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] erhoben.

7

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] sei nicht anwendbar, weil der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung einen Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) besessen habe. Auch das durch einen anderen Mitgliedstaat der [X.] erteilte [X.] stelle einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] dar, so dass sich die [X.] allenfalls aus § 81 Abs. 4 [X.] ergeben könne. Der Gesetzgeber habe sich mit der Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] klar gegen eine [X.] von [X.] ausgesprochen.

8

Auf die Berufung des [X.] hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 6. April 2018 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Bescheinigung über eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] auszustellen. Der Kläger habe einen Anspruch auf Ausstellung der begehrten Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 [X.]. Das dem Kläger von der [X.] Botschaft in [X.] ausgestellte [X.] sei kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.], habe jedoch nach Art. 19 Abs. 1 des [X.] (ABl. 2000 L 239 S. 19) - [X.] - die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im [X.] begründet. Es werde nicht der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung gefolgt, wonach ein solches Visum nur eine Fiktion nach § 81 Abs. 4 [X.] vermitteln könne mit der Folge, dass der in § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] vorgenommene Ausschluss des [X.]s generell den Eintritt einer Fiktion auch nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausschlösse. Ein [X.] eines anderen Mitgliedstaates führe zu einer Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.], weil es sich hierbei nicht um einen "Aufenthaltstitel" im Sinne der Vorschrift handele. Es entspreche auch allgemeiner Meinung, dass der Besitz eines nationalen Titels eines anderen [X.] (vgl. Art. 21 Abs. 1 und 2a [X.]) allein auf § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] und nicht auf § 81 Abs. 4 [X.] hinführe. Dieser Auffassung liege die Vorstellung zugrunde, dass derartige behördliche Erlaubnisse eines anderen [X.] keine Aufenthaltstitel im Sinne des Absatz 3 Satz 1 sein können und hier - in Abgrenzung zu Absatz 4 Satz 1 - mit Aufenthaltstitel nur ein solcher gemeint sein könne, der nach den Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes von einer [X.] Ausländerbehörde oder Auslandsvertretung erteilt worden sei. Von diesem Verständnis gingen im Übrigen auch die Regelungen des § 39 Nr. 3 und 6 [X.] aus, die nur verständlich seien, wenn die Möglichkeit der Beantragung des Titels vom [X.] aus an die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts aufgrund eines Aufenthaltstitels eines anderen [X.] oder aufgrund eines durch das Unionsrecht unmittelbar vermittelten Befreiungstatbestandes anknüpfe. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber von einem anderen Verständnis ausgegangen sei. Dies könne aber nichts daran ändern, dass der Gesetzgeber, wenn er jegliche [X.] hätte ausschließen wollen, gerade auch bei § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] hätte ansetzen müssen. Die historische Auslegung könne daher nicht gegen den Wortlaut und die eindeutige Systematik ins Feld geführt werden. Der knappen Formulierung in § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] ("Dies gilt nicht ...") lasse sich nicht entnehmen, dass der Besitzer eines [X.]s, gleich von welchem Staat ausgestellt, keinerlei Status haben solle, nicht einmal einen fingierten erlaubten Aufenthalt. Denn die Konsequenz der vom Verwaltungsgericht vertretenen strikten Auffassung wäre, dass sich der Betroffene während des gesamten Verwaltungsverfahrens unerlaubt im [X.] aufhielte und die Strafbarkeit (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c [X.]) nur durch Erteilung einer Duldung abgewendet werden könnte.

9

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine fehlerhafte Auslegung von § 81 Abs. 3 und 4 [X.]. Grundsätzlich stelle das durch einen anderen Mitgliedstaat erteilte [X.] einen Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 Satz 1 [X.] dar. Bereits aus diesem Grund entfalle eine [X.] nach § 81 Abs. 3 [X.], weil § 81 Abs. 3 und 4 [X.] nach dem Wortlaut und der Systematik nur alternativ anwendbar seien. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, die Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] dahin auszulegen, dass sie allein auf durch [X.] Behörden erteilte [X.] beschränkt sei. Dies hätte zur Folge, dass durch [X.] Behörden erteilte [X.] keinerlei [X.] auslösen könnten, während [X.] anderer Mitgliedstaaten zumindest die [X.] des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] bewirken könnten.

Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, nach der der Aufenthaltserlaubnisantrag eines Ausländers, der mit einem Schengen-Visum eines anderen [X.] nach [X.] eingereist ist und nach Einreise die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem dauerhaften Aufenthalt beantragt hat, die [X.] des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] auslöst, verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen.

1. Der Verwaltungsgerichtshof ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 [X.] als allgemeine Leistungsklage statthaft ist. Bei der Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 [X.] handelt es sich nicht um einen feststellenden oder rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, sondern lediglich um eine Bescheinigung, die nicht hindert, auf die wahre, durch das Gesetz bestimmte Rechtslage zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 - [X.] 402.240 § 18 AuslG 1990 Nr. 1 S. 7; Beschluss vom 21. Januar 2010 - 1 [X.] - [X.] 402.242 § 84 [X.] Nr. 1 Rn. 7; [X.], in: [X.]/[X.], VwVfG 20. Aufl. 2019, § 35 Rn. 92b). Sie hat lediglich deklaratorische Wirkung und vermag nicht konstitutiv einen bestimmten Rechtsstatus zu begründen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Begründetheit der erhobenen Leistungsklage ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beziehungsweise der Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das [X.] - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 13.14 - BVerwGE 151, 228 Rn. 23). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im [X.] ([X.] - [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch das [X.] zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 ([X.] S. 1294).

2. Bundesrecht verletzt indessen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass ein Schengen-Visum eines anderen [X.] eine [X.] nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] herbeizuführen vermag, weil es sich hierbei nicht um einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] handele und der in § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] geregelte Ausschluss der [X.] nur auf von [X.] Behörden erteilte [X.] anwendbar sei.

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar zunächst im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass für die Anwendung der Absätze 3 und 4 des § 81 [X.] entscheidend darauf abzustellen ist, ob die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durch den Besitz eines Aufenthaltstitels oder durch einen rechtmäßigen Aufenthalt im [X.] ohne Aufenthaltstitel vermittelt wird. Denn die Absätze 3 und 4 des § 81 [X.], die die Wirkungen eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels regeln, stehen in einem sich ausschließenden Alternativverhältnis. Gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] gilt der Aufenthalt derjenigen Ausländer, die sich rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik [X.] aufhalten, nach der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt und bei verspäteter Antragstellung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 [X.] als geduldet. Ihr Aufenthaltsstatus wird als weiterbestehend fingiert, bis die Ausländerbehörde über ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entschieden hat ([X.]). Von der Regelung des § 81 Abs. 4 [X.] werden Ausländer erfasst, die sich bereits mit einem Aufenthaltstitel rechtmäßig im [X.] aufhalten. In diesen Fällen gilt der Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den [X.] oder Verlängerungsantrag als fortbestehend ([X.]). Mit der [X.] in § 81 Abs. 4 [X.] hat der Gesetzgeber ein neues Rechtsinstitut geschaffen, das über eine bloße [X.] hinausgeht. Mit der fingierten Fortgeltung des bisherigen Titels wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Aufenthaltstitel nach dem [X.] gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt regeln, und erreicht, dass die Beschäftigung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde im bisherigen Umfang erlaubt bleibt (vgl. [X.]. 15/420 S. 96). § 81 Abs. 4 [X.] entfaltet mithin nicht nur verfahrensrechtliche Wirkungen, ohne allein deswegen konstitutiv einen auch materiell rechtmäßigen Aufenthalt zu bewirken oder zu einem "Besitz" eines Aufenthaltstitels zu führen (BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 <217 f.>).

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die von anderen [X.] erteilten [X.] keine Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 [X.] sind und der in § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] geregelte Ausschluss der [X.] nicht auf von anderen [X.] erteilte [X.] anwendbar ist.

2.2.1. Nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 Satz 1 [X.] knüpft die [X.] an den Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des [X.]es an. [X.] nach dieser Bestimmung sind mithin grundsätzlich alle in § 4 Abs. 1 Satz 2 [X.] genannten Aufenthaltstitel. Hierzu zählt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] auch ein Schengen-Visum; dass dessen Erteilungsvoraussetzungen, Inhalt und Dauer unionsrechtlich abschließend geregelt sind, sperrt nicht dessen Einordnung als nationaler Aufenthaltstitel für unionsrechtlich nicht geregelte Fragen des nationalen Rechts. § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] bestimmt indes einschränkend, dass die [X.] nicht für ein "Visum nach § 6 Absatz 1" [X.] - also insbesondere ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] - gilt. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] auf von [X.] Behörden ausgestellte [X.] lässt sich mit dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmungen nicht vereinbaren. Denn die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] unter Verweis auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] genannten [X.] werden nach Maßgabe der Verordnung ([X.]) Nr. 810/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der [X.] (Visakodex) ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch Verordnung ([X.]) 2019/1155 vom 20. Juni 2019 ([X.] [X.] S. 25), erteilt, also nach dem einheitlichen, in allen [X.] gleich anwendbarem Regime des [X.]. Diese Verordnung regelt die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittausländern, die sich nicht länger als drei Monate im [X.] aufhalten wollen. Zu diesem Zweck wird dem Drittausländer von den Mitgliedstaaten ein für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültiges einheitliches Visum (Art. 2 Nr. 3, Art. 24 Visakodex), das sogenannte Schengen-Visum, erteilt. Inhaber eines solchen Visums können sich während dessen [X.] frei in dem Hoheitsgebiet aller [X.] bewegen (Art. 19 [X.]).

Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nur ein von einer [X.] Auslandsvertretung erteiltes Schengen-Visum ein Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sein könne, ist mit der europarechtlichen Konstruktion des [X.] und der Systematik des [X.]es, nach der ein Schengen-Visum nach nationalem Recht einen Aufenthaltstitel (vgl. [X.]. 15/420 S. 69) darstellt, nicht zu vereinbaren. Dass es kein "[X.] Schengen-Visum" im Sinne der vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung gibt, wird zudem dadurch bestätigt, dass nach Art. 33 Abs. 1, 4 Visakodex auch ein von einem anderen Schengen-Staat erteiltes Visum durch denjenigen Vertragsstaat verlängert werden kann, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlängerung aufhält. Umgekehrt unterstreicht die Regelung des Art. 34 Visakodex zur Annullierung und Aufhebung eines [X.], dass das durch ein nicht annulliertes oder aufgehobenes Schengen-Visum unionsrechtlich vermittelte Einreise- und Aufenthaltsrecht nicht - wie bei der durch Art. 21 [X.] bei einem durch einen anderen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitel unter bestimmten Voraussetzungen vermittelten Bewegungsfreiheit - die (fortdauernde) materielle Rechtmäßigkeit voraussetzt (zur materiellen Rechtmäßigkeit von Einreise und Aufenthalt auf der Grundlage des Art. 21 [X.] als Voraussetzungen der Anwendung des § 81 Abs. 3 [X.] s. OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Juni 2018 - 1 [X.]/17 - [X.] 2018, 400; [X.], Beschluss vom 28. Februar 2019 - OVG 11 S 21.18 - juris; s.a. [X.], Beschluss vom 4. Juni 2014 - 3 [X.]/14 - [X.] 2014, 435).

2.2.2. Aus den [X.] geht zudem eindeutig der Wille des Gesetzgebers hervor, die [X.] auszuschließen, wenn der Ausländer "nur" mit einem Schengen-Visum in die Bundesrepublik [X.] eingereist ist, ohne dass insoweit nach dem ausstellenden Staat unterschieden wird. Mit der Einfügung des Satzes 2 in § 81 Abs. 4 [X.] durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29. August 2013 ([X.] S. 3484) wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass - entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die ein durch [X.] Behörden ausgestelltes Schengen-Visum betrag ([X.], Beschluss vom 31. Oktober 2011 - 11 [X.]/11 - [X.] 2012, 70) - ein Schengen-Visum die [X.] nicht auszulösen vermag. Lediglich für nationale Visa nach § 6 Abs. 3 [X.] - wie auch in der [X.] zum [X.] vom 26. Oktober 2009 (GMBl S. 878) zum Ausdruck gebracht ist (Ziffer 81.4.0) - wollte er die Fortgeltungswirkung anerkennen (vgl. [X.]. 17/13022 S. 30, [X.]. 17/13536 [X.]). Dem Gesetzgeber ging es folglich bei der Einfügung des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] gerade darum, die Fiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 [X.] bei [X.] generell auszuschließen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese [X.] nur bei von [X.] Behörden erteilten [X.] zum Tragen kommen lassen wollte. Bei Anwendung des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] auf die Fälle der Einreise mit einem von einem anderen Schengen-Staat erteilten Schengen-Visum würde diese gesetzliche Ausschlussregelung weitgehend obsolet. Diese hätte überdies eine gleichheitssatzwidrige Benachteiligung der Besitzer von [X.], die von [X.] Behörden erteilt wurden, zur Folge, weil diesen [X.] gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] keine [X.] zugutekommen würde, der Besitz "ausländischer [X.]" indes die [X.] nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] bewirken könnte. Eine analoge Anwendung des § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] scheidet bereits mangels einer planwidrigen Regelungslücke aus. Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept für den Fall der Einreise mit einem Schengen-Visum verdeutlicht, indem er die für andere Aufenthaltstitel mögliche [X.] ausdrücklich ausgeschlossen hat.

2.2.3. Systematische und teleologische Gründe sprechen ebenfalls gegen die Annahme eines verfahrensrechtlichen Bleiberechts, wenn der Ausländer zunächst mit einem Schengen-Visum in die Bundesrepublik [X.] eingereist ist und nach Einreise einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Daueraufenthalt stellt.

Systematisch spricht für die Einordnung von [X.] anderer Mitgliedstaaten als Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 und 4 [X.], dass die Rechtswirkungen des § 81 Abs. 4 [X.] (anders als die des § 81 Abs. 3 [X.]) nicht nur bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, sondern auch bei Anträgen auf Verlängerung des Aufenthaltstitels eintreten. Denn auch ein von einem anderen Schengen-Staat erteiltes Schengen-Visum kann nach Art. 33 Abs. 1 bis 3 Visakodex durch den Mitgliedstaat verlängert werden, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlängerung aufhält (Art. 33 Abs. 4 Visakodex). Würde auf ein solches Visum nicht § 81 Abs. 4 [X.], sondern § 81 Abs. 3 [X.] angewendet, käme bei einem Verlängerungsantrag keine der vorgesehenen Fiktionen zum Tragen, weil der Fall des [X.] in § 81 Abs. 3 [X.] nicht geregelt ist.

Bereits die Rechtsnatur des [X.], das durch eine begrenzte Geltungsdauer und eingeschränkte Zwecksetzung sowie durch eine unionsweit einheitliche Ausgestaltung charakterisiert ist, steht der Annahme einer fiktiven Fortgeltung als Schengen-Visum entgegen. Aber auch eine Fortgeltung als nationales Aufenthaltsrecht widerspräche der aufenthaltsrechtlichen Konzeption, wonach Aufenthaltstitel für einen Daueraufenthalt grundsätzlich vor der Einreise beantragt werden müssen (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 2 [X.], vgl. [X.], Ausländerrecht, Stand April 2019, § 81 [X.] Rn. 33 f.). Nach der [X.] in § 81 Abs. 3 und 4 [X.] ist ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, [X.] oder [X.] nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen. Es wird lediglich die Erhaltung eines aufenthaltsrechtlichen Status, nicht aber die Herbeiführung eines neuen Aufenthaltsstatus ermöglicht.

2.2.4. Es ergibt sich auch bei Verneinung eines verfahrensabhängigen Bleiberechts jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation kein - unauflösbarer - Wertungswiderspruch, der eine entsprechende Anwendung von § 81 Abs. 3 [X.] erforderte, zu § 39 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 [X.]. Nach dieser Regelung kann ein sogenannter Negativstaater (Anhang I der Verordnung <[X.]> Nr. 539/2001), der ein gültiges Schengen-Visum besitzt, einen Aufenthaltstitel im [X.] einholen und verlängern lassen, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Die Ermöglichung einer Antragstellung im Inland erfordert indes aufgrund der unterschiedlichen Anwendungsbereiche von § 39 [X.] und § 81 Abs. 3 [X.] und der lediglich besitzstandswahrenden Funktion von § 81 Abs. 3 und 4 [X.] noch keine Fiktion eines erlaubten Aufenthalts bzw. [X.]. § 39 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 [X.] hat auch ohne eine solche Fiktion einen eigenständigen Anwendungsbereich jedenfalls in den Fällen, in denen der Aufenthaltstitel so rechtzeitig beantragt wird, dass dessen Erteilung noch vor Auslaufen des [X.] erwartet werden kann. Soweit § 39 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 [X.] bei rechtzeitiger Antragstellung eine Entscheidung auch nach Ablauf des [X.] umfasst, kann dem ebenfalls entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ohne eine Erlaubnis- oder [X.] nach § 81 [X.] Rechnung getragen werden, etwa durch eine Duldung auf der Grundlage von § 60a Abs. 2 Satz 3 [X.], welche eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ausschließt, und bei der eine Reduktion des [X.] jedenfalls dann nahe liegt, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (voraussichtlich) vorliegen. Bei dem Kläger scheidet dies schon deswegen aus, weil die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor dem insoweit maßgeblichen (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 Rn. 24 ff.) Zeitpunkt der Einreise entstanden waren; bereits dem Grunde nach besteht hier mithin schon kein Wertungswiderspruch des § 39 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 [X.] zu den Regelungen des § 81 Abs. 3 und 4 [X.].

Die Einordnung eines durch einen Drittstaat ausgestellten [X.] als Aufenthaltstitel im Sinne (auch) des § 81 Abs. 3 und 4 [X.] durch das nationale Recht sperrt den Rückgriff auf Absatz 3 auch unabhängig davon, ob - was hier tatrichterlich nicht festgestellt ist - bereits bei der Ausstellung des [X.] und seiner Nutzung ein Daueraufenthalt beabsichtigt war, mithin unionsrechtlich Gründe für eine Annullierung oder Aufhebung des Visums im Sinne des Art. 34 Visakodex vorlagen und die Einreise mit dem formell gültigen, nicht annullierten oder aufgehobenen Schengen-Visum materiell rechtswidrig war.

2.2.5. Der im Ansatz zutreffende Hinweis des Berufungsgerichts, dass im Falle eines Aufenthalts mit einem nationalen Aufenthaltstitel eines anderen [X.] (Art. 21 Abs. 2a [X.]) die Beantragung eines Aufenthaltstitels zum Entstehen der [X.] nach § 81 Abs. 3 Satz 1 [X.] führt, ändert nichts daran, dass das für einen kurzfristigen Aufenthalt bis zu 90 Tagen nach unionsweit geltenden Regelungen ausgestellte Schengen-Visum nach [X.] eindeutig als Aufenthaltstitel von § 81 Abs. 4 [X.] erfasst wird. Nach [X.] und Regelungsstruktur sind [X.] und nationale Visa zudem nicht vergleichbar, auch wenn sie jeweils eine Einreise und Aufenthalt ermöglichen; es liegt mithin auch keine gleichheitswidrige Benachteiligung der Inhaber von [X.], die durch einen anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sind, durch § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] vor, die eine (entsprechende) Anwendung des § 81 Abs. 3 [X.] geböte.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 22/18

19.11.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 6. April 2018, Az: 11 S 2583/17, Urteil

§ 81 Abs 4 AufenthG, § 81 Abs 3 AufenthG, Art 2 EGV 810/2009, Art 2 Nr 3 EGV 810/2009, Art 24 EGV 810/2009, Art 3 EGV 810/2009, Art 33 Abs 1 EGV 810/2009, Art 4 EGV 810/2009, Art 19 SchÜbkDÜbk, Art 21 SchÜbkDÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.11.2019, Az. 1 C 22/18 (REWIS RS 2019, 1398)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1398

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