Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.11.2012, Az. I B 28/12

1. Senat | REWIS RS 2012, 1729

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Gegenstand

Grundsätzlich keine Vorlagepflicht an den EuGH für ein FG


Leitsatz

NV: Eine Vorlagepflicht an den EuGH kann zwar auch für ein FG bestehen, wenn es um die Frage der Umsetzung zwingenden Unionsrechts in nationales Recht geht. Diese Konstellation besteht aber für die Änderungen der §§ 2a, 32b EStG 2002 durch das JStG 2009 nicht.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) verpflichtet ist, in den [[X.].] erzielte Einkünfte (Tätigkeit als Belastingadviseur), die bisher in den [[X.].] der Streitjahre (2002 bis 2006) im Rahmen des [[X.].] (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG 2002--) erfasst worden waren, unberücksichtigt zu lassen.

2

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden in den Streitjahren als unbeschränkt steuerpflichtige Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war u.a. in [X.] ([X.]) als [X.] tätig; dabei handelt es sich um ein Einzelunternehmen und um eine aktive wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des § 8 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen.

3

Der Einkommensteuerbescheid 2002, der gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung ([[X.].]) vorläufig hinsichtlich der in den [[X.].] erzielten Einkünfte erging, da deren Höhe noch nicht bekannt sei, erfasste diese Einkünfte (in Höhe von 1 €) im Rahmen des [[X.].]. Für 2003 kam es --unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 [[X.].])-- zu einer Festsetzung von 0 €; die ausländischen Einkünfte waren vom Kläger mit 1 € angegeben worden. Der Bescheid erging im Übrigen gemäß § 165 Abs. 1 [[X.].] vorläufig hinsichtlich der ausländischen Einkünfte (Progressionsvorbehalt). Für 2004 wurden die ausländischen Einkünfte in Höhe von ca. 30.000 € (erstmalig wurde eine entsprechende Gewinnermittlung eingereicht) erklärungsgemäß --und ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 [[X.].])-- dem Progressionsvorbehalt unterworfen; ein Vorläufigkeitsvermerk wurde nicht beigefügt. Für 2005 veranlagte das [X.] entsprechend der in der Anlage [X.] bezifferten Einkünfte aus den [[X.].] in Höhe von ca. 29.000 € unter Ansatz eines [[X.].]. Alle Festsetzungen wurden formell bestandskräftig.

4

Die Steuererklärung 2006 wies die ausländischen Einkünfte nicht aus. Die Kläger beantragten, jene [X.] wie die in den Vorjahren (2002 bis 2005) erzielten [X.] nicht zu erfassen, da die gesetzliche Regelung des [[X.].] unionsrechtswidrig sei (Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs --jetzt Gerichtshof der [X.] [[X.]] vom 29. März 2007 [X.]/04, Slg. 2007, [X.] "Rewe Zentralfinanz"). Das [X.] lehnte eine Änderung der Veranlagungen der Streitjahre 2002 bis 2005 ab; darüber hinaus erfasste es ausländische Einkünfte in einer geschätzten Höhe (Progressionsvorbehalt) im Rahmen der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Festsetzung für 2006.

5

Die gegen die Ablehnung der beantragten Änderungen (2002 bis 2005) und gegen die Festsetzung 2006 gerichtete Klage, mit der auch eine Feststellung der Nichtigkeit der Festsetzungen begehrt wurde, war erfolglos (Finanzgericht --[X.]-- Köln, Urteil vom 25. Januar 2012  9 K 2563/09). In der mündlichen Verhandlung, zu der trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschienen war, war vom [X.] der Hinweis erteilt worden, dass die Klage auch bei einer Anwendung des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. Satz 2 EStG 2002 in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 ([X.], 2794, [X.], 74) keinen Erfolg haben dürfte, weil nach dieser Regelung nur passive gewerbliche Einkünfte nicht dem Progressionsvorbehalt unterfallen würden.

6

Die Kläger beantragen unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), die Revision zuzulassen.

7

Das [X.] hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die von den Klägern angeführten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

9

1. Die Rüge, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um ein Überraschungsurteil (Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs), weil das [X.] nicht vorab auf die im Urteil herausgestellten [X.] hingewiesen habe, ist jedenfalls nicht ausreichend substantiiert.

Zwar kann sich aus § 76 Abs. 2 [X.]O und aus dem Recht der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --[X.]--, § 96 Abs. 2 [X.]O) die Verpflichtung des [X.] zu Hinweisen an die Beteiligten ergeben. Es besteht aber keine Pflicht des Gerichts, die dem [X.] eigene abschließende Würdigung des Sachvortrags in richterlichen Hinweisen vorwegzunehmen.

Die Kläger rügen insoweit ohne Erfolg die Formulierungen auf [X.]. 13 des angefochtenen Urteils (dort handelt es sich um eine abstrakte Darstellung von Tatbestandsvoraussetzungen) und [X.]. 16 (dort handelt es sich um eine dem rechtlichen Obersatz zugeordnete Mitteilung des vom [X.] gefundenen Subsumtionsergebnisses, dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind). Allerdings ist, worauf die Kläger ebenfalls verweisen, auf [X.]. 14 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Kläger nicht schlüssig dargetan hätten, dass die Einbeziehung der ausländischen Einkünfte in die Berechnung des Steuersatzes (hier Streitjahr 2002: Ansatz von 1 €) als "wesentlicher Teil" der Steuerfestsetzung zu einer Gesamtnichtigkeit des Bescheids führen sollte, und auf [X.]. 15, dass bisher nicht schlüssig dargetan sei, dass ein berechtigtes Nichtigkeitsfeststellungsinteresse an einer auf 0 € lautenden Steuerfestsetzung bestehe.

Zu diesen beiden Gesichtspunkten fehlt aber für eine substantiierte Rüge eines Verfahrensmangels (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) schon eine Darlegung der Kläger, was diese (auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.]) zu ihren Gunsten noch vorgetragen hätten, wenn sie vom [X.] im Verfahren auf weiteren Darlegungsbedarf hingewiesen worden wären. Im Übrigen steht einer erfolgreichen Rüge der nicht ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs auch entgegen, dass die Kläger die Möglichkeit einer Erörterung der Sach- und Rechtslage durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht wahrgenommen haben.

2. Das angefochtene Urteil ist auch nicht aus dem Grund verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das [X.] gegen eine Pflicht zur Vorlage an den [X.] (Vorabentscheidungsersuchen) verstoßen hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 [X.]O). Denn eine solche Pflicht folgt weder aus dem Wortlaut des Art. 267 des [X.] Arbeitsweise der [X.] in der Fassung des [X.] zur Änderung des [X.] [X.] ([X.]) und des [X.] [X.] --A[X.]V-- (Amtsblatt der [X.] 2008, Nr. 115, 47) noch kann sie --was allein Gegenstand der Rüge der Kläger [X.] der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) entnommen werden.

Zwar hat das [X.] in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2011 1 [X.] ([X.]E 129, 186) entschieden, dass die Normenkontrollvorlage eines Gesetzes, das Recht der [X.] umsetzt, unzulässig ist, wenn das vorlegende Gericht nicht geklärt hat, ob das von ihm als verfassungswidrig beurteilte Gesetz in Umsetzung eines dem nationalen Gesetzgeber durch das Unionsrecht verbleibenden Gestaltungsspielraums ergangen ist. Insoweit muss das Gericht hierfür gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren zum [X.] nach Art. 267 Abs. 1 A[X.]V einleiten, unabhängig davon, ob es ein letztinstanzliches Gericht ist.

Diese Entscheidung bezieht sich aber auf die Situation, dass eine (nationale) Norm in Umsetzung von Rechtsakten der [X.] ergangen ist, und beruht dabei darauf, dass das [X.] seine Prüfung von Unionsrecht und von zwingendem Unionsrecht umsetzendem nationalem Recht am Maßstab des [X.] insoweit zurückgenommen hat (s. [X.]-Beschluss in [X.]E 129, 186). Dies gilt auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 [X.] nicht nur für ([X.]-)Verordnungen, sondern auch für Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 A[X.]V und an die [X.] gerichtete Beschlüsse der [X.] nach Art. 288 Abs. 4 A[X.]V ([X.]-Beschluss in [X.]E 129, 186). Eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in [X.] Recht umsetzt, wird insoweit nicht an den Grundrechten des [X.] gemessen, als das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht ([X.]-Beschluss in [X.]E 129, 186). Eine solche Konstellation besteht im Streitfall nicht; der Gesetzgeber war bei seiner Neugestaltung des [X.] im Zuge des Jahressteuergesetzes 2009, mit der er die unionsrechtlich infolge der Rechtsprechung des [X.] erforderliche Neuregelung des § 2a EStG 2002 lediglich ergänzen wollte (BTDrucks 16/10189, S. 46, 53), nicht in vergleichbarer Weise durch zwingendes Unionsrecht gebunden.

3. Soweit die Kläger rügen, das [X.] sei im angefochtenen Urteil ohne Grund (und ohne vorherigen Hinweis) von dem schriftsätzlich vorgetragenen Antrag auf Vorlage an den [X.] inhaltlich abgewichen, ist mit [X.]ick auf 2. der [X.] schon nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil auf der Grundlage dieses Vorbringens auf einem entsprechenden Verfahrensmangel beruhen könnte.

4. Soweit die Kläger unter Hinweis auf einen nicht näher substantiierten "Widerstreit zu den benannten Urteilen des [X.]" bzw. auf "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache im [X.] materiell-rechtliche Rechtsfehler (Zirkelschluss; Verstoß gegen Denkgesetze) bzw. unrichtige Rechtsanwendung im angefochtenen Urteil rügen, kann darauf eine Zulassung der Revision nicht beruhen.

5. Der Senat sieht von einer weitergehenden Begründung des Beschlusses ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

I B 28/12

06.11.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 25. Januar 2012, Az: 9 K 2563/09, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 267 Abs 1 AEUV, § 2a EStG 2002 vom 19.12.2008, § 32b EStG 2002 vom 19.12.2008, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.11.2012, Az. I B 28/12 (REWIS RS 2012, 1729)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1729

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