Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2003, Az. 4 StR 272/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2003, 1564

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[X.] StR 272/03vom23. September 2003in der Strafsachegegenwegen [X.] des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 23. September 2003 gemäß § 349Abs. 2 und 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] Halle vom 11. Oktober 2002 im [X.] mit den Feststellungen - einschließlichderjenigen zu den Trinkmengen - aufgehoben.2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere als Schwurgericht zustän-dige Strafkammer des [X.] Die weiter gehende Revision wird verworfen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebens-langen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Re-vision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.Das Rechtsmittel ist - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens [X.] des Verteidigers vom 12. September 2003 - unbegründet im Sinnedes § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet; [X.] hat es jedoch Erfolg, weil die Beurteilung der [X.] -fähigkeit durch das [X.] der sachlich-rechtlichen Überprüfung nichtstandhält.1. [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:Beim Angeklagten liegt eine angeborene pathologische Intelligenzmin-derung ([X.]: 55) vor. Er trinkt seit seinem achten Lebensjahr Alkohol und ist al-koholabhängig. Seine im Jahre 1996 gemäß § 64 StGB angeordnete Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt mußte wegen Aussichtslosigkeit abgebro-chen werden. Die der Anordnung damals zugrundeliegende Straftat (Körper-verletzung mit Todesfolge) beging der Angeklagte im Zustand erheblich ver-minderter Steuerungsfähigkeit; sein Blutalkoholgehalt zur Tatzeit betrug 2,5 bis3 ›.Bei der in dem angefochtenen Urteil abgeurteilten Tat betrug die maxi-male Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten "um 3 ›" ([X.]). In diesemZustand mißhandelte der Angeklagte den ihm körperlich unterlegenen [X.] , mit dem er häufig gemeinsam Alkohol trank, mit bedingtemTötungsvorsatz durch Schläge und Tritte, um von [X.]unberechtigt Geld zuerlangen. Dieser verstarb an den Folgen der Gewalteinwirkung.2. Das [X.] hat eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit des [X.] zur Tatzeit angenommen und sich hierbei auf das Gutachten des inder Hauptverhandlung vernommenen psychiatrischen Sachverständigen ge-stützt. Dieser hat u.a. ausgeführt, die Alkoholabhängigkeit des Angeklagtenhabe sich auf dessen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht ausgewirkt.Ebenso habe die festgestellte maximale Blutalkoholkonzentration für sich ge-- 4 -nommen bei dem alkoholgewöhnten Angeklagten zu keiner erheblichen Ver-minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt. Dagegen [X.] zielgerichtete, kognitive Handeln sowie das "psychomotorische Erschei-nungsbild" des Angeklagten vor, bei, während und nach der Tat. Auch die pa-thologische Intelligenzminderung habe weder für sich genommen noch im Zu-sammenhang mit der Alkoholisierung zu einer erheblichen Verminderung derSchuldfähigkeit geführt; denn fidie Intelligenzminderung, die die Kriterien [X.] erfülle, sei für die Tat nicht determinierend gewesen. Hierbei seizu beachten, daß es der Angeklagte infolge jahrelanger Übung verstehe, [X.] seines Milieus, in dem sich die Tat auch abgespielt habe, zu [X.]" ([X.] Diese Würdigung, der sich das [X.] ohne weitere Erörterungangeschlossen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweisebeeinträchtigender Faktoren - hier: der Intelligenzminderung des Angeklagtenin Verbindung mit seiner Alkoholabhängigkeit und einer hohen Alkoholisierungbei der Tat - bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung(vgl. [X.], 330, 331; BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5,6, 7, 9). Nach den Feststellungen weist der Angeklagte im Zusammenhang mitseiner Minderbegabung einen Persönlichkeitszug mit geringer Frustrationstole-ranz und hoher Gewaltbereitschaft auf; er zeigt eine nur geringe Bereitschaft,Gesetze und [X.] Normen zu achten ([X.]), und hat vor der [X.] in drei, im einzelnen im Urteil festgestellten Fällen unter [X.] an-dere Personen "seines Milieus" massiv mißhandelt ([X.] bis 19).- 5 -Insgesamt liegt es nach den Feststellungen nahe, daß das [X.] des Angeklagten bei Begehung der Tat in rechtlich relevanter Weisebeeinträchtigt war, weil seine Fähigkeit, den [X.] in der konkreten [X.] zu widerstehen und sich normgemäß zu verhalten [X.] im Vergleich mitder eines [X.], also voll schuldfähigen Menschen [X.] aufgrundseiner psychischen Verfassung in erheblichem Maße verringert war (vgl. [X.], 485, 486; 2000, 469, 470 und 585 f.; Streng in [X.] zum StGB [2003] § 21 Rdn. 17; Tröndle/[X.], StGB 51. Aufl.§ 21 Rdn. 6, 8 jeweils m.w.N.). Die Begründung für den Ausschluß erheblichverminderter Schuldfähigkeit im Hinblick auf die "[X.]" [X.] und Alkoholbeeinträchtigung, der Angeklagte [X.], sich innerhalb seines Milieus zu bewegen, ist unter den gegebenen Um-ständen unzureichend und für den Senat auch nicht nachvollziehbar.Darin liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Rechtsfolgenaus-spruchs führen muß. Der Senat hebt ausdrücklich auch die Feststellungen zuden Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung derVoraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen (zur tatrichterlichen Bewer-tung von unterschiedlichen Trinkmengenangaben [s. [X.] ff.] vgl. [X.] § 21 Blutalkoholkonzentration 22, 29).Da nach den - insbesondere im Hinblick auf das Leistungsverhalten [X.] bei der Tat getroffenen - Feststellungen auszuschließen ist, daßder Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war (§ 20 StGB), kann der Schuld-spruch bestehen bleiben.4. Für das weitere Verfahren weist der Senat noch auf folgendes hin:- 6 -Falls eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21StGB) zur Tatzeit zweifelsfrei festzustellen sein sollte, kommt [X.] neben der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - auch eine Unter-bringung gemäß § 63 StGB in Betracht (vgl. hierzu BGHSt 44, 338 ff.). In [X.] ist nach § 72 Abs. 1 StGB der Maßregel der Vorzug zu geben, die [X.] am wenigsten beschwert (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3).Tepperwien Maatz Kuckein [X.]

Meta

4 StR 272/03

23.09.2003

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2003, Az. 4 StR 272/03 (REWIS RS 2003, 1564)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1564

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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