Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2008, Az. 4 StR 542/07

4. Strafsenat | REWIS RS 2008, 5938

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 24. Januar 2008 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 24. Januar 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2007 mit den Fest-stellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - mit Ausnahme derjenigen zur [X.] durch den Angeklagten - bleiben jedoch be-stehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zustän-dige [X.] des [X.] zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner hierge-gen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und ma-teriellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Wesentlichen Erfolg; die Verfahrensrügen versagen dagegen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen. 1 1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und sei-ner Ehefrau kurz vor Mitternacht zu einer verbalen Auseinandersetzung. [X.] - 3 - nach versetzte der Angeklagte seinem körperlich deutlich unterlegenen Opfer bis gegen 4.00 Uhr morgens eine Vielzahl massiver Schläge, die unter anderem zu Lungen- und Leberverletzungen sowie zahlreichen Rippenbrüchen führten. Sodann legte er die Schwerverletzte in ihr Bett, deckte sie zu und kümmerte sich nicht mehr um sie. Die Ehefrau verstarb an ihren unbehandelten inneren Verletzungen, die sie etwa eine Stunde überlebt hatte. Gegen 15.50 Uhr rief der Angeklagte im Treppenhaus um Hilfe. Gegen-über der kurz darauf eintreffenden Polizei räumte er seine Täterschaft spontan ein; auf den Notarzt wirkte er intoxikiert, aber gewahrsamsfähig. Die [X.] der ihm um 18.00 bzw. 18.30 Uhr entnommenen Blutproben ergab Blutal-koholkonzentrationen von 2,03 bzw. 1,95 ›. Am folgenden Tag musste der Angeklagte wegen einer [X.]vergiftung einer stationären Behandlung zugeführt werden. Zu Gunsten des Angeklagten ist die [X.] davon ausgegangen, dass dieser den gesamten Alkohol - nach seinen Angaben 2 Liter Bier und einen halben Liter selbst gebrannten [X.] Schnaps - be-reits während des verbalen Streits und vor Beginn des eigentlichen [X.] zu sich genommen hatte. Unter Zugrundelegung dieser Alkoholmenge hat das [X.] nach der [X.] eine [X.] von 3,29 › errechnet; der gehörte Sachverständige hat - ausgehend von dem Wert der um 18.00 Uhr entnommenen Blutprobe - rein rechnerisch eine solche von 3,5 › für möglich gehalten. Hiervon ausgehend und unter Berücksichti-gung der Art des konsumierten [X.] vermochte der Sachverständige aus psychiatrischer Sicht eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Ange-klagten zur Tatzeit nicht auszuschließen. Das [X.] hat dagegen nur eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen; eine Schuld-unfähigkeit (§ 20 StGB) hat es unter Hinweis auf das Leistungsvermögen und 3 - 4 - die zumindest kurz nach der Tat vorhandene konkrete Erinnerung des Ange-klagten an das Geschehen verneint. 2. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die [X.] begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 4 a) Das [X.] war zwar nicht gehindert, von dem Gutachten des vernommenen Sachverständigen abzuweichen; denn dieses kann stets nur ei-ne Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Auch muss der Tatrichter nicht in jedem Fall, in dem er von dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen abweichen will, einen weiteren Sachverständigen hinzuziehen. Voraussetzung ist aber, dass er die für die abweichende Beurteilung erforderliche Sachkunde besitzt, selbst wenn er erst durch das Gutachten genügend sachkundig gewor-den ist, um die Beweisfrage beurteilen zu können (vgl. [X.], 437; vgl. auch [X.] 50. Aufl. § 244 Rdn. 75 m.w.N.). 5 Außerdem muss der Tatrichter, wenn er eine Frage, für die er geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, nicht nur die maßgeblichen Darlegungen des Sachver-ständigen wiedergeben, sondern auch seine Gegenansicht unter Auseinander-setzung mit diesen begründen (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Sachverstän-diger 1; [X.], 172). Das ist hier nicht in ausreichendem Maße geschehen. 6 b) Nach den bisherigen Feststellungen wäre unter Zugrundelegung der im Urteil mitgeteilten Berechnung des Sachverständigen - ausgehend von den [X.] der etwa 14 Stunden nach der Tat entnommenen Blutproben und 7 - 5 - auszuschließenden Nachtrunks ([X.]) - nicht nur von einer Tatzeitblutalkohol-konzentration von 3,5 › - wie der Sachverständige meint -, sondern von einem noch höheren Wert auszugehen, da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2 › (und nicht von 0,1 ›) und ein Sicherheitszuschlag von 0,2 › zu Grunde zu legen ist [X.] StGB 55. Aufl. § 20 Rdn. 13 m.w.N.). Die von der [X.] selbst errechnete [X.] von 3,29 › ([X.]) beruht auf rei-nen Vermutungen, weil weder der Alkoholgehalt des vom Angeklagten [X.] selbst gebrannten "[X.] [X.]" noch Trinkzeiten feststehen (vgl. [X.]). Allerdings wäre es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn auch bei einem - rückgerechneten - sehr hohen Tatzeitblutalkoholwert dessen indi-ziellem Gewicht für eine Schuldfähigkeitsbeurteilung keine vorrangige Bedeu-tung vor anderen Beweisanzeichen beigemessen würde, weil zwischen der Tat und der Blutentnahme eine lange [X.] lag (vgl. BGHSt 35, 308, 315, 317). Das hat das [X.] auch bedacht und gemeint, dass das vom Angeklagten gezeigte Leistungsverhalten, nämlich dass er "seine Ehefrau über längere [X.] mit erheblichem Kraftaufwand geschlagen, sie danach ins Bett gelegt und zu-gedeckt und sich daraufhin bis zum Nachmittag des [X.] ruhig in der [X.] aufgehalten" und zumindest kurz nach der Tat noch "ein konkretes Erin-nerungsvermögen" gezeigt hat ([X.]), gegen eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit spreche. Hierbei hat die [X.] allerdings verkannt, dass es sich im Wesentlichen um schlichte, für den schon wegen Körperverlet-zung vorbestraften Angeklagten im Hinblick auf das Schlagen auch nicht unge-wöhnliche Verhaltensweisen handelte, nicht aber um aussagekräftige psycho-diagnostische Beweisanzeichen. Als solche sind nur Umstände in Betracht zu ziehen, die Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des 8 - 6 - Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung (wenn auch nur erheblich vermin-dert) erhalten geblieben ist (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 35). Den vom [X.] herangezogenen Umständen kommt jedoch eine solche Aussagekraft weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit zu (vgl. hierzu BGHSt 43, 66, 70 ff.; BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 10, 16, 19; § 21 [X.], 38). 3. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Hierzu wird es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuzie-hen. Dieser wird auch dazu zu befragen sein, in welchem zeitlichen Abstand von der Aufnahme von [X.] mit dem Auftreten von Vergiftungser-scheinungen zu rechnen ist. Außerdem wird zu klären sein, ob Trinkmengen- und Trinkzeitangaben des Angeklagten mit den Auswertungen der entnomme-nen Blutproben in Einklang zu bringen sind und ob gegebenenfalls ein Nach-trunk zu berücksichtigen ist [X.] aaO). 9 Falls das neu entscheidende Tatgericht zu der Annahme kommen sollte, dass der Angeklagte zur Tatzeit nicht ausschließbar schuldunfähig war, wird es eine Strafbarkeit nach § 323 a StGB zu prüfen haben. 10 - 7 - 4. Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - mit Ausnahme derjenigen zur Alkoholaufnahme durch den Angeklagten - rechtsfehlerfrei ge-troffen wurden, können sie aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellun-gen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich. 11 [X.] Athing [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 542/07

24.01.2008

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2008, Az. 4 StR 542/07 (REWIS RS 2008, 5938)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 5938

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 280/23 (Bundesgerichtshof)


1 StR 206/21 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Notwendige Urteilsdarlegungen zur Auswirkung einer psychischen Störung und einer Alkoholisierung …


2 StR 93/13 (Bundesgerichtshof)

Besonders schwere Vergewaltigung: Auswirkungen des Konsums von Kokain und Crack auf die Schuldfähigkeit


4 StR 557/12 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit: Blutalkoholkonzentration über 3 Promille eines alkoholgewöhnten Täters; Rückschluss von der Blutalkoholkonzentration auf die …


2 StR 168/21 (Bundesgerichtshof)

(Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Verminderte Schuld- und Steuerungsfähigkeit bei hoher BAK)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.