Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2021, Az. 4 StR 1/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5991

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Gegenstand

Strafzumessung bei Verurteilung wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und Herstellens kinderpornographischer Schriften: Berücksichtigung des Wertes eines als Tatmittel eingezogenen Mobiltelefons


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Juni 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über

a) die Einzelstrafe im Fall [X.] der Urteilsgründe,

b) die Gesamtstrafe sowie

c) die Einziehung.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] und mit Herstellen kinderpornographischer Schriften sowie wegen [X.] einer kinderpornographischen Schrift zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung eines Mobiltelefons und eines Laptops angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

3

a) Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in drei Fällen (Fälle [X.] bis 3.d der Urteilsgründe, begangen zum Nachteil seiner Stiefenkelin jeweils zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 25. Oktober 2014 und Februar 2018) verurteilt worden ist, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.

4

Zwar hat das [X.] die (tateinheitliche) Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in drei Fällen rechtsfehlerhaft auf die Vorschrift des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB (leiblicher Abkömmling des Ehegatten, also auch dessen gemäß § 1589 Satz 1 BGB in gerader Linie verwandte Enkelin, vgl. [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 [X.] Rn. 5) in der Fassung vom 21. Januar 2015 gestützt. In Anwendung des [X.] (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 17. Dezember 2020 – 4 [X.]; vom 15. Februar 2018 ‒ 4 StR 594/17, NStZ-RR 2018, 172 und vom 8. Juli 2014 ‒ 1 [X.], [X.], 486) ist allerdings zugunsten des Angeklagten von den [X.] auszugehen, die vor Inkrafttreten dieser Regelung am 27. Januar 2015 liegen. Da § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nF den Anwendungsbereich auf Abkömmlinge von Ehegatten oder Lebenspartnern gegenüber der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung erweiterte, war gemäß § 2 Abs. 3 StGB die für den Angeklagten günstigere frühere Fassung des § 174 StGB (Fassung vom 27. Dezember 2003) anzuwenden, die eine entsprechende Regelung nicht enthielt. Die Feststellungen ergeben aber, dass der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (zur Erziehung und Betreuung in der Lebensführung anvertraut) in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 27. Dezember 2003 erfüllt ist.

5

b) Der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] und mit Herstellen kinderpornographischer Schriften ([X.] der Urteilsgründe, begangen am 9. Dezember 2017) begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Soweit der [X.] mit Blick auf eine vom [X.] vorgenommene Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO beantragt hat, den Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte nur des [X.] kinderpornographischer Schriften schuldig ist, vermag der [X.] dem nicht zu folgen.

6

aa) Nach dem Vorbringen des [X.]s hat das [X.] hinsichtlich dieser Tat „die Verfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf das Herstellen von kinderpornographischen Schriften in 14 tateinheitlich begangenen Taten beschränkt, da die übrigen abtrennbaren Teile dieser Tat bei der Findung einer gegebenenfalls zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden.“ Diese Verfahrensbeschränkung führt nicht zu der beantragten Änderung des Schuldspruchs.

7

(1) Eine Überprüfung des Urteils mit Blick auf eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO kann im Revisionsverfahren nicht auf die allein erhobene Sachrüge erfolgen. Anders als eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO (vgl. hierzu: [X.], Beschluss vom 7. April 2020 – 4 StR 622/19 mwN) führt eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis herbei, da eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO nur dazu führt, dass der Angeklagte während ihrer Dauer wegen der ausgeschiedenen Tatteile strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 12. August 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 315, 316), aber nicht die Frage betrifft, ob diese Tat überhaupt abgeurteilt werden darf. Zudem bleibt die Wirkung einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO auch deshalb deutlich hinter derjenigen nach § 154 StPO zurück, weil die Anforderungen an eine Wiedereinbeziehung des abgetrennten Teils bei § 154a StPO geringer sind. So kann gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO eine Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens ohne einen – wie in § 154 Abs. 5 StPO vorgesehenen – Gerichtsbeschluss erfolgen. Etwaige Fehler im Verfahren über die Wiedereinbeziehung, wie ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juni 1972 – 2 [X.]; Beschluss vom 26. Mai 1992 – 1 [X.], [X.], 452), müssen demnach mit einer – hier nicht erhobenen – Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 1992 – 1 [X.], [X.], 452).

8

(2) Im Übrigen teilt der [X.] nicht die Auffassung, dass das [X.] mit dem vorgenannten Beschluss die tateinheitlich angeklagten Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von [X.] von der Verfolgung ausgeschieden hat. Vielmehr ergibt die Auslegung dieses Beschlusses unter ergänzender Heranziehung der Anklageschrift, dass eine Verfahrensbeschränkung nur insoweit erfolgen sollte, als sich die Verfolgung wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts des [X.] von kinderpornographischen Schriften statt auf die angeklagten 28 Fotos nunmehr nur noch auf 14 Fotos beziehen sollte (vgl. zur Auslegung von Beschlüssen zur Verfahrenseinstellung: [X.], Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14 Rn. 15).

9

bb) Die vom [X.] beantragte Schuldspruchänderung hindert den [X.] nicht, die Revision insoweit durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. November 2019 – 4 StR 158/19 mwN).

2. Die Einzelstrafe von einem Jahr im [X.] der Urteilsgründe kann hingegen nicht bestehen bleiben. Denn das [X.] hat nicht erkennbar berücksichtigt, dass dem Angeklagten mit der Einziehung des Mobiltelefons [X.] möglicherweise ein ihm gehörender Gegenstand von erheblichem Wert entzogen worden ist und dies bei Festsetzung der Einzelstrafe strafmildernd zu berücksichtigen ist.

Eine Einziehungsentscheidung nach § 74 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine [X.] dar (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. Oktober 2020 – 4 [X.]; vom 21. November 2018 ‒ 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88; vom 3. Mai 2018 ‒ 3 StR 8/18, [X.], 526 und vom 12. März 2013 ‒ 2 StR 43/13, [X.], 565). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege der Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 11. Februar 2020 ‒ 4 StR 525/19, [X.], 407, 408; vom 5. November 2019 ‒ 2 StR 447/19, [X.], 232; vom 3. Mai 2018 ‒ 3 StR 8/18, [X.], 526).

Es kann vorliegend offenbleiben, ob auch eine zwingende Einziehungsentscheidung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB – wie sie hier erfolgt ist – im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, sofern ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert betroffen ist. Denn [X.] im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB ist lediglich das im Mobiltelefon verbaute und zur Bildspeicherung genutzte Speichermedium (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – 2 StR 448/19; vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18); das [X.] hat jedoch das gesamte Mobiltelefon eingezogen. Die Einziehungsentscheidung geht damit über den Umfang des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB hinaus und fällt insoweit in den Anwendungsbereich von § 74 Abs. 1 StGB. Der [X.] kann unter den hier gegebenen besonderen Umständen nicht gänzlich ausschließen, dass das [X.] bei Beachtung der vorbenannten Grundsätze die Einzelstrafe im [X.] der Urteilsgründe milder bemessen hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

3. Soweit das [X.] in Fall II.3.a der Urteilsgründe die angeordnete Einziehung des Laptops, auf dem das zur Begehung der Tat gefertigte Foto abgespeichert ist, ebenfalls nicht im Rahmen der Strafzumessung gewürdigt hat, kann der [X.] allerdings angesichts der die Mindeststrafe von drei Monaten nur geringfügig übersteigenden Einzelstrafe von sechs Monaten ausschließen, dass diese Strafe auf dem Rechtsfehler beruht.

4. Die vom [X.] nicht begründete Entscheidung über die Einziehung des Mobiltelefons und des Laptops unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Es ist zu besorgen, dass das [X.] verkannt hat, dass [X.] im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB nicht das (gesamte) Mobiltelefon und der (gesamte) Laptop sind, sondern nur die in ihnen verbauten und zur Bildspeicherung genutzten Speichermedien (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – 2 StR 448/19; vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18).

5. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Einziehung der Geräte erwägen, wird er zu prüfen haben, ob es technisch möglich ist, die Fotos in einer Weise zu löschen, dass sie nicht mehr wiederhergestellt werden können. Sowohl für die Anordnung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB als auch für eine solche nach § 74 Abs. 1 StGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 74f StGB), so dass gegebenenfalls von den Möglichkeiten des § 74f Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht werden muss. Danach können [X.] zunächst vorbehalten bleiben und weniger einschneidende Maßnahmen anzuordnen sein, wenn auch auf diese Weise der [X.] erreicht werden kann. Dies kann bei einer Speicherung von Bilddateien durch deren endgültige Löschung geschehen ([X.], Beschluss vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18).

Sost-Scheible     

      

Quentin     

      

Bartel

      

Sturm     

      

Lutz     

      

Meta

4 StR 1/21

11.05.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 23. Juni 2020, Az: 5 KLs 36 Js 131/18

§ 74 Abs 1 StGB, § 176 StGB, § 184b Abs 6 S 1 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2021, Az. 4 StR 1/21 (REWIS RS 2021, 5991)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5991

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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