Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.07.2023, Az. III ZR 303/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5418

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des [X.] vom 22. September 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des [X.] betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des in seinem Berufungsantrag zu 1 näher bezeichneten Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 22. Dezember 2015 von der Beklagten ein von ihr hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug vom Typ [X.] [X.]. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 des [X.] und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen ([X.] und [X.]) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ([X.] L 171 vom 29. Juni 2007, S. 1; im Folgenden: VO [[X.]] Nr. 715/2007) mit der Schadstoffklasse [X.] erteilt. Die Abgasrückführung erfolgt in Abhängigkeit von der Lufttemperatur ([X.]).

3

Der Kläger macht geltend, bei dem in seinem Fahrzeug verbauten [X.] handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Mit seiner im April 2018 erhobenen Klage hat er die Beklagte erstens unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und zweitens unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs auf Zahlung in Höhe von 25.867 € nebst [X.] um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nach teilweiser Rücknahme des Rechtsmittels vor der mündlichen Revisionsverhandlung seine Klageanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

4

Die wirksam beschränkte (vgl. [X.], Urteile vom 24. April 2023 - [X.], [X.], 1122 Rn. 4 ff. und vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, juris Rn. 8 f) Revision des [X.] hat Erfolg. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB. Der von ihm vorgetragene Gesichtspunkt, dass im Fahrzeug die Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen reduziert werde, begründe keinen Sittenwidrigkeitsvorwurf. Der [X.] könne keine in der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung liegende unzulässige Abschalteinrichtung feststellen, da die für das Fahrzeug erteilte bestandskräftige Typgenehmigung [X.] dahingehend entfalte, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des sogenannten [X.]s der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen sei. Die Beklagte habe im Rahmen des Typgenehmigungsantrags gegenüber dem [X.] angegeben, dass die Abgasrückführungsmenge unter anderem durch die Lufttemperatur gesteuert werde. Die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung werde daher von der Typgenehmigung umfasst.

7

Dem Kläger sei zwar insoweit zu folgen, als dass trotz der [X.] der Typgenehmigung deliktische Ansprüche wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung grundsätzlich denkbar seien, wenn feststehe, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden sei, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden müsse. Vorliegend sei jedoch gerade nicht festzustellen, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller erschlichen worden sei. Solches wäre nur der Fall, wenn die Beklagte wissentlich ein gänzlich unvertretbares [X.] dergestalt programmiert hätte, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des [X.] stattfinde, und das [X.] über dieses vorsätzlich im Unklaren gelassen hätte. Dies habe der Kläger zwar erstinstanzlich behauptet. Er sei für diese Behauptung jedoch beweisfällig geblieben.

II.

8

Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden. Zudem hat das Berufungsgericht übersehen, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zustehen kann.

9

1. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagten im Verhältnis zum Kläger wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einem [X.] kein [X.] Verhalten vorzuwerfen sei.

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das [X.] aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das [X.], sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des [X.] unterliegt (st. Rspr., zB [X.], Urteil vom 4. August 2022 - [X.]/20, [X.], 2181 Rn. 13; [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.]/20, [X.], 2108 Rn. 13 f; jew. mwN).

b) Das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Kraftfahrzeugs durch einen Fahrzeughersteller ist nicht schon wegen des darin liegenden Gesetzesverstoßes als [X.] Verhalten gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs anzusehen. Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung des Fahrzeugherstellers wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auslösen kann, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] weitere Umstände hinzutreten, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen ([X.], Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - [X.], juris Rn. 17 mwN und vom 5. September 2022 - [X.] 51/21, juris Rn. 10; vgl. auch [X.], Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.], [X.], 354 Rn. 13 ff mwN).

Einen derartigen Umstand kann es darstellen, dass die Abschalteinrichtung danach unterscheidet, ob das Kraftfahrzeug auf einem Prüfstand dem [X.] unterzogen wird oder sich im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei der Prüfstandbezogenheit handelt es sich um eines der wesentlichen Merkmale, nach denen die den sogenannten Abgasskandal auslösende, von der [X.] im Motortyp [X.] verwendete [X.] nicht nur eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern die deutlich höheren Anforderungen an eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfüllt hat. Die Tatsache, dass eine [X.] ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ([X.], Beschlüsse vom 4. Mai 2022 aaO Rn. 18, vom 5. September 2022 aaO und vom 10. Januar 2023 - [X.], [X.] 2023, 989 Rn. 28 mwN).

Sofern die verwendete Abschalteinrichtung demgegenüber auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, ist darauf abzustellen, ob die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 26; Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 24). Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt in einem solchen Fall jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. [X.], Urteil vom 2. Juni 2022 aaO Rn. 19 mwN; [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 16; Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 19).

c) Diese Grundsätze gelten unabhängig von der Erteilung einer [X.]-Typ-genehmigung für den jeweiligen Fahrzeugtyp. Die [X.] einer [X.]-Typgenehmigung kann einem Schadensersatzanspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller aus §§ 826, 31 BGB wegen des Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs nicht entgegengehalten werden ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, juris Rn. 10 ff, zur [X.] bestimmt in [X.]Z). Die durch Verwaltungsakt festgestellte Rechtmäßigkeit eines beschriebenen Fahrzeugtyps ist für eine tatbestandliche Schädigung unerheblich ([X.] aaO Rn. 14). Daran vermag auch eine zur [X.]-Typgenehmigung hinzutretende Übereinstimmungsbescheinigung nichts zu ändern. Insbesondere kann sie nicht die Wirkung des in einer [X.]-Typgenehmigung liegenden Verwaltungsakts über seinen Gegenstand hinaus auf das konkrete Fahrzeug in der Weise erstrecken, dass eine Haftung des Herstellers von der Rücknahme der [X.]-Typgenehmigung abhängig ist ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 15).

d) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es sich bei dem im Fahrzeug des [X.] implementierten [X.] um keine Abschalteinrichtung handelt, die danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Dagegen bringt die Revision auch nichts vor. Es hat nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze aber rechtsfehlerhaft angenommen, dass wegen der grundsätzlichen Angabe der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im [X.] ein [X.] Verhalten der Beklagten nur "denkbar" sei, wenn sie - im Sinne des Erschleichens einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung - wissentlich ein gänzlich unvertretbares [X.] dergestalt programmiert hätte, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des [X.] stattfinde, und das [X.] darüber vorsätzlich im Unklaren gelassen hätte. Dabei kann auf sich beruhen, dass die Abhängigkeit der Abgasrückführung von der Lufttemperatur allein nicht dazu führen kann, dass eine bestimmte Abgasrückführung nur innerhalb des [X.] stattfindet, weil entsprechende Temperaturen auch im normalen Fahrbetrieb herrschen. Die Angabe der Beklagten im [X.], dass die Abgasrückführung durch die Lufttemperatur gesteuert werde, kann zwar für die tatrichterliche Würdigung des Verhaltens der für sie handelnden Personen von Bedeutung sein (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2022 - [X.]/20, juris Rn. 22; [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 26 mwN). Sie führt jedoch nicht dazu, dass ein [X.] Verhalten der Beklagten aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, sofern die Abgasrückführung nicht ausschließlich unter den Temperaturbedingungen des [X.] aktiviert wird. Gleiches gilt für die Erteilung der [X.]-Typgenehmigung. Ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zusteht, ist ungeachtet einer erteilten [X.]-Typ-genehmigung nach den vom [X.] geklärten Maßstäben zu beurteilen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 48 mwN). Eine entsprechende Prüfung wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.

2. Zudem hat das Berufungsgericht übersehen, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden nach Maßgabe der [X.], also ein [X.], entstanden ist. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines solchen Anspruchs dem Grunde nach sind mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zu unterstellen.

a) Der Regelung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV lässt sich zwar kein Anspruch auf Gewähr "großen" Schadensersatzes entnehmen, weil der durch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV i.V.m. Art. 5 VO ([X.]) Nr. 715/2007 begründete Schutz des Vertrauens des Käufers auf die Übereinstimmung des Kraftfahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf sich nicht auf das Interesse des Käufers erstreckt, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden ([X.] aaO Rn. 19 ff). Geschützt wird dadurch aber nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden ([X.] aaO Rn. 28 ff). Mit [X.]surteil vom heutigen Tag ([X.], unter [X.] 2 a, zur [X.] bestimmt) hat der [X.] sich der entsprechenden Rechtsprechung des [X.]. Zivilsenats des Bundesgerichthofs angeschlossen.

b) [X.] ist mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des [X.] zu unterstellen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV erfüllt sind.

aa) Zu unterstellen ist, dass die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt hat.

(1) Der [X.]. Zivilsenat hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass eine Übereinstimmungsbescheinigung unzutreffend ist, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, ohne dass es dabei auf den Inhalt der zugrundeliegenden [X.]-Typgenehmigung ankommt ([X.] aaO Rn. 34). Ausreichend sei, dass die Bescheinigung in einem solchen Fall eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausweise. Der [X.] habe das Vorliegen einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ausschließlich vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 abhängig gemacht und sei nicht näher auf den Inhalt der [X.]-Typgenehmigung sowie die dafür maßgebende Beschreibung des genehmigten Fahrzeugtyps eingegangen (siehe dazu auch [X.] aaO Rn. 29 unter Hinweis auf [X.], Urteil vom 21. März 2023 - [X.]/21, NJW 2023, 1111 Rn. 79). Die Übereinstimmungsbescheinigung weise danach gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den [X.] nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweise nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorlägen.

Dieser Rechtsprechung hat sich der [X.] mit [X.]surteil vom heutigen Tag ([X.], unter [X.] 2 b) angeschlossen. Die von der Revisionserwiderung erhobenen Einwendungen führen zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere ist eine Vorlage an den [X.] zur Klärung der Frage, ob der [X.]-Typgenehmigung eine unionsrechtliche Bindungswirkung zukomme und wie weit diese reiche, nicht veranlasst. Der erkennende [X.] teilt die Auffassung des [X.]. Zivilsenats, dass diese Frage in Bezug auf Schadensersatzansprüche eines [X.] gegen den Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit der Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung geklärt ist (vgl. [X.] aaO).

(2) Die Feststellungen des Berufungsgerichts gestatten nicht die Prüfung, mit welchen das Emissionskontrollsystem betreffenden Vorrichtungen das Fahrzeug des [X.] ausgerüstet ist und ob die vorhandenen Vorrichtungen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 für eine unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen. In Bezug auf das im Fahrzeug des [X.] implementierte [X.] hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 maßgebenden Umständen und zu einer ausnahmsweisen Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 getroffen.

bb) Außerdem ist zugunsten des [X.] mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die Beklagte schuldhaft, nämlich mindestens leicht fahrlässig (vgl. hierzu [X.] aaO Rn. 35), gehandelt hat. Da § 37 Abs. 1 [X.]-FGV den vorsätzlichen und fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.]-FGV als Ordnungswidrigkeit behandelt, genügt für eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB der fahrlässige Verstoß gegen die [X.]-Fahrzeuggenehmigungsverordnung im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dem Berufungsurteil lassen sich Feststellungen nicht entnehmen, die ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten ausschlössen (vgl. [X.] aaO Rn. 62 ff zur Bedeutung der [X.]-Typgenehmigung für die Frage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums).

cc) Schließlich ist aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass der Kläger, weil die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV revisionsrechtlich zu unterstellen sind, einen Vermögensschaden im Sinne der [X.] erlitten hat (vgl. [X.] aaO Rn. 39 ff). Der Kläger hat ein Kraftfahrzeug erworben, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dient. Da ihm infolge der revisionsrechtlich zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtung Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung durch die Zulassungsbehörde gemäß § 5 Abs. 1 [X.] drohen (vgl. [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 19 ff), steht die zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Fahrzeugs in Frage. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Fahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der [X.] als solcher ein geldwerter Vorteil liegt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 aaO Rn. 41).

Anders als die Revisionserwiderung (Hinweis auf [X.], Urteil vom 9. Juli 1986 - [X.], [X.]Z 98, 212) meint, steht der Annahme eines Vermögensschadens die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Nutzungsentschädigung beim deliktisch bedingten Entzug von Sachen nicht entgegen. Diese Rechtsprechung betrifft die Voraussetzungen, unter denen ein zeitweiser Verlust des [X.] einer Sache einen ersatzfähigen Vermögensschaden begründen kann, obwohl dieser Verlust selbst in einer am Vermögensbestand ausgerichteten Differenzrechnung nicht ausgewiesen ist (vgl. [X.] aaO S. 216 ff). Darum geht es hier nicht. Der Vermögensschaden des [X.] beruht auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihm erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 aaO).

Der [X.]. Zivilsenat hat am 26. Juni 2023 weiter entschieden, dass bei der Ermittlung der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO festzustellenden Höhe des [X.]s das Schätzungsermessen des Tatrichters aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben innerhalb einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt ist ([X.] aaO Rn. 71 ff). Der [X.] habe festgehalten, dass die vorzusehenden Sanktionen nach Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] und Art. 13 Abs. 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten und dass nationale Vorschriften dem Käufer die Erlangung eines angemessenen Schadensersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften ([X.] aaO Rn. 73 unter Hinweis auf [X.] aaO Rn. 90, 93). Der geschätzte Schaden könne daher aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität nicht geringer sein als 5 % des gezahlten Kaufpreises. Umgekehrt könne ein allein nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV und nicht auch nach §§ 826, 31 BGB geschuldeter Schadensersatz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht höher sein als 15 % des gezahlten Kaufpreises ([X.] aaO Rn. 74 f). Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens sei der Tatrichter bei seiner Schätzung innerhalb dieses Rahmens nicht gehalten ([X.] aaO Rn. 78 u.a. unter Hinweis auf [X.], Urteil vom 23. März 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1534 Rn. 11). Dem hat sich der erkennende [X.] mit Urteil vom heutigen Tag ([X.], unter [X.] b cc) angeschlossen.

c) Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne dem Kläger Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.]s zu berechnen. Denn dem vom Kläger auf §§ 826, 31 BGB gestützten "großen" Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (vgl. [X.] aaO Rn. 45).

III.

Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil der Rechtsstreit nicht endentscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).

Remmert     

  

Arend     

  

Böttcher

  

Herr     

  

Liepin     

  

Meta

III ZR 303/20

20.07.2023

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 2. Dezember 2021, Az: III ZR 303/20, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.07.2023, Az. III ZR 303/20 (REWIS RS 2023, 5418)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5418

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III ZR 221/20 (Bundesgerichtshof)

Haftung eines Fahrzeugherstellers in sog. Dieselfall durch Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung


III ZR 267/20 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen bei einem Kraftfahrzeug


VIa ZR 1283/22 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 1714/22 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 335/21 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzanspruch gegen Fahrzeughersteller bei Kauf eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung


Referenzen
Wird zitiert von

VIa ZR 3/23

VIa ZR 786/22

VIa ZR 902/22

VIa ZR 1005/22

VIa ZR 879/22

VIa ZR 1714/22

VIa ZR 794/22

VIa ZR 214/23

VIa ZR 681/22

VIa ZR 1659/22

VIa ZR 730/22

VIa ZR 736/22

VIa ZR 86/22

VIa ZR 170/21

VIa ZR 370/22

VIa ZR 1300/22

VIa ZR 1682/22

VIa ZR 620/22

VIa ZR 868/22

VIa ZR 1036/22

VIa ZR 1318/22

VIa ZR 692/22

VIa ZR 1622/22

VIa ZR 635/23

VIa ZR 886/22

VIa ZR 1712/22

VIa ZR 4/22

VIa ZR 464/22

VIa ZR 593/22

VIa ZR 744/21

VIa ZR 959/22

VIa ZR 972/22

VIa ZR 329/22

VIa ZR 675/22

VIa ZR 1257/22

VIa ZR 1117/22

VIa ZR 690/22

VIa ZR 636/22

VIa ZR 927/22

VIa ZR 936/22

VIa ZR 1082/22

VIa ZR 1283/22

VIa ZR 1480/22

VIa ZR 770/22

VIa ZR 141/22

VIa ZR 1059/22

VIa ZR 1599/22

VIa ZR 948/22

VIa ZR 949/22

VIa ZR 465/21

VIa ZR 1736/22

VIa ZR 1009/22

VIa ZR 1208/22

VIa ZR 1324/22

VIa ZR 244/22

VIa ZR 479/22

VIa ZR 687/21

VIa ZR 929/22

VIa ZR 1148/22

VIa ZR 238/22

VIa ZR 1589/22

VIa ZR 1015/22

VIa ZR 1214/22

VIa ZR 1356/22

VIa ZR 1513/22

VIa ZR 382/22

VIa ZR 604/22

VIa ZR 682/22

VIa ZR 764/22

VIa ZR 361/22

VIa ZR 944/22

VIa ZR 219/22

VIa ZR 1366/22

VIa ZR 266/22

VIa ZR 727/21

VIa ZR 727/22

VIa ZR 947/22

VIa ZR 623/22

VIa ZR 647/22

VIa ZR 1003/22

VIa ZR 1291/22

VIa ZR 368/22

VIa ZR 971/22

VIa ZR 311/21

VIa ZR 605/22

VIa ZR 612/22

VIa ZR 804/22

VIa ZR 246/23

VIa ZR 578/22

VIa ZR 1284/22

VIa ZR 165/23

VIa ZR 582/21

VIa ZR 743/21

VIa ZR 59/23

VIa ZR 1382/22

VIa ZR 952/22

VIa ZR 106/21

VIa ZR 297/22

VIa ZR 678/21

VIa ZR 1114/22

VIa ZR 1425/22

VIa ZR 578/21

VIa ZR 256/22

VIa ZR 656/21

VIa ZR 896/22

VIa ZR 1646/22

VIa ZR 921/22

VIa ZR 574/22

VIa ZR 680/22

VIa ZR 1136/22

VIa ZR 1062/22

VIa ZR 1083/22

VIa ZR 840/22

VIa ZR 340/22

VIa ZR 1012/22

VIa ZR 1081/22

VIa ZR 323/22

VIa ZR 845/22

VIa ZR 1073/22

VIa ZR 1285/22

VIa ZR 318/22

VIa ZR 367/22

VIa ZR 673/22

VIa ZR 703/22

VIa ZR 1248/22

VIa ZR 303/22

VIa ZR 159/22

VIa ZR 421/22

VIa ZR 689/22

VIa ZR 281/21

VIa ZR 1099/22

VIa ZR 717/22

VIa ZR 1/21

VIa ZR 319/22

VIa ZR 147/21

VIa ZR 397/21

VIa ZR 535/21

VIa ZR 661/21

VIa ZR 445/22

VIa ZR 1065/22

VIa ZR 885/22

VIa ZR 320/22

VIa ZR 255/21

VIa ZR 870/22

VIa ZR 1533/22

III ZR 221/20

VIa ZR 1230/22

VIa ZR 440/22

VIa ZR 530/22

VIa ZR 112/22

VIa ZR 1255/22

VIa ZR 386/22

VIa ZR 186/22

VIa ZR 468/21

VIa ZR 604/21

VIa ZR 644/22

VIa ZR 736/21

VIa ZR 374/22

VIa ZR 14/22

VIa ZR 1643/22

VIa ZR 170/22

VIa ZR 356/22

VIa ZR 460/22

VIa ZR 621/22

VIa ZR 674/21

VIa ZR 476/22

VIa ZR 37/21

VIa ZR 56/22

VIa ZR 1139/22

VIa ZR 1209/22

VIa ZR 26/21

VIa ZR 385/23

VIa ZR 598/22

VIa ZR 446/22

VIa ZR 1/23

VIa ZR 190/22

VIa ZR 338/22

VIa ZR 580/21

VIa ZR 580/22

VIa ZR 1470/22

VIa ZR 92/22

VIa ZR 463/22

VIa ZR 97/22

VIa ZR 1537/22

VIa ZR 1687/22

VIa ZR 1633/22

VIa ZR 632/22

VIa ZR 1501/22

VIa ZR 1652/22

VIa ZR 83/23

VIa ZR 1199/22

VIa ZR 1277/22

VIa ZR 149/23

VIa ZR 1669/22

VIa ZR 1249/22

VIa ZR 45/22

VIa ZR 1689/22

Zitiert

VI ZR 3/20

VI ZR 252/19

III ZR 267/20

III ZR 270/20

VIII ZR 9/21

VI ZR 433/19

VII ZR 190/20

III ZR 230/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.