Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2015, Az. 1 StR 39/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 13585

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Gegenstand

Strafurteil: Erneute Anordnung der Unterbringung eines bereits Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Begleitstrafe


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 31. Oktober 2014, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wie auch den nicht revidierenden Mitangeklagten als Mittäter derselben Tat, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

2

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s fiel der Angeklagte, bei dem es 1998 infolge eines Verkehrsunfalles zu einem Frontalhirnsyndrom nach schwerem Schädelhirntrauma mit Kontusionsblutung gekommen war, seit dem [X.] durch die Begehung von Straftaten auf. Zuletzt wurde er von dem [X.] Hof am 19. November 2010 wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, zugleich ordnete das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Diese Taten waren sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte gemeinsam mit seiner Freundin, einer [X.] Prostituierten, Überfälle auf andere [X.] Prostituierte beging, die Angehörige der ethnischen Minderheit [X.] waren. Durch diese Überfälle wollte der Angeklagte seinen bereits langjährig sehr ausgeprägten Rassenhass durch körperliche Misshandlungen und Demütigungen seiner Opfer ausleben und die Gewaltanwendung zugleich ausnutzen, um diesen mitgeführtes Bargeld abzunehmen und für sich zu behalten. Die Misshandlungen der Geschädigten gipfelten in einem Fall darin, dass der Angeklagte und seine Freundin die Geschädigte mit verbundenen Augen im Kofferraum eines Pkws in ein abgelegenes Waldstück verbrachten, ihr über zwei Stunden hinweg Schläge mit Fäusten sowie einer Metallstange und Fußtritte verabreichten, ihr das lange Haar abschnitten und sie dann ihres mitgeführten Bargelds beraubten. Die [X.] war dabei davon überzeugt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den [X.] jeweils aufgrund einer gravierenden hirnorganisch bedingten Persönlichkeitsstörung im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war.

4

In der Folgezeit befand sich der Angeklagte in der [X.]klinik in [X.]. Dort lernte er im Dezember 2011 den ebenfalls im Maßregelvollzug befindlichen nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.]     kennen, mit dem er ab Juli 2013 Fluchtpläne entwickelte.

5

Gemeinsam mit dem Mitangeklagten [X.]     entschloss sich der Angeklagte, einen als Lockerungsmaßnahme durchgeführten begleiteten Fahrradausflug in das örtliche Freibad am 5. September 2013 zum Entweichen aus dem Maßregelvollzug zu nutzen. In Ausführung des gefassten Tatplans ließen sich die Angeklagten auf ihren Fahrrädern während der Rückfahrt durch das Stadtgebiet [X.] an das Ende der Kolonne zurückfallen und bogen an geeigneter Stelle unbemerkt in eine Seitenstraße ab. In einer nahegelegenen Tiefgarage zwangen die Angeklagten einen Passanten unter Verwendung eines zuvor eigens für die Tatausführung entwendeten und angeschliffenen [X.] und unter Einsatz erheblicher körperlicher Gewalt zur Herausgabe seines Pkws. Die anschließende Verfolgungsjagd mit Beamten des [X.] durch das Stadtgebiet endete nach einem Unfall der Angeklagten mit ihrer Festnahme.

6

2. Sachverständig beraten (§ 246a Abs. 1 Satz 1 StPO) ist das [X.] rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner zur Tatzeit fortbestehenden organischen Persönlichkeitsstörung sicher erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben war, so dass die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben waren und auch die Eingangsvoraussetzungen für eine erneute Unterbringung nach § 63 StGB dem Grunde nach vorliegen.

7

Die [X.] hat gleichwohl davon abgesehen, den Angeklagten erneut nach § 63 StGB unterzubringen. Die erneute Anordnung sei nicht verhältnismäßig (§ 62 StGB), weil sie angesichts der bereits bestehenden Anordnung zur besseren Erreichung des Maßregelzieles weder geeignet noch erforderlich sei. Insbesondere werde der Ablauf des derzeitigen [X.] und dessen Ausgestaltung nicht von einer erneuten Verhängung der Maßregel beeinflusst werden.

8

3. Die Entscheidung der [X.], von der erneuten Anordnung der Unterbringung abzusehen, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Entscheidung liegt insoweit ein fehlerhaftes Verständnis der damit verbundenen Rechtsfolgen zugrunde.

9

a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist die [X.] davon ausgegangen, dass die wiederholte Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB gegenüber einem bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, der nochmalige [X.] jedoch voraussetzt, dass dieser in besonderer Weise gemäß § 62 StGB mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2005 - 3 [X.], [X.]St 50, 199, 201 mwN).

Indes betreffen die auf die Rechtsprechung des [X.] gestützten Erwägungen, welche das [X.] nachfolgend angestellt hat, die Rechtslage bezüglich einer erneuten [X.] bei [X.] Personen. Bei diesen kommt nur die isolierte Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB in Betracht, die unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit immer - und zugleich nur - dann eine geeignete und erforderliche Maßnahme ist, wenn das erneute Erkenntnis Auswirkungen auf die Ausgestaltung oder die Dauer des [X.] haben kann, die der bisherige Vollzug nicht zeitigt, und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue [X.] sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 3 [X.], [X.]St 50, 199, 205; vom 9. Mai 2006 - 3 [X.], [X.], 8, 9; vom 23. November 2010 - 5 [X.] und vom 17. Juli 2012 - 4 StR 179/12, [X.], 369; Urteile vom 17. September 2009 - 4 [X.], Rn. 8; und vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 329/14, Rn. 8 ff.).

Hat der bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Angeklagte die in dem neuen Verfahren angeklagte Tat hingegen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen (§ 21 StGB), während Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) sicher ausgeschlossen werden kann, und muss daher gegen ihn eine Freiheitsstrafe verhängt werden, so ist der erneute [X.] nach § 63 StGB nicht nur zulässig, sondern geboten, um die Anrechenbarkeit der Zeit des [X.] auf die Strafe zu gewährleisten. [X.] Strafe und Maßregel in demselben Urteil festgesetzt und wird die Unterbringung der gesetzlichen Regel entsprechend vor der Freiheitsstrafe vollzogen (§ 67 Abs. 1 StGB), ist die Zeit des [X.] auf die Strafe anzurechnen, bis diese zu zwei Dritteln erledigt ist (§ 67 Abs. 4 StGB). Wurde der Maßregelvollzug hingegen nicht in demselben Urteil wie die Strafe angeordnet, findet eine Anrechnung auf die isoliert verhängte Freiheitsstrafe nicht statt. Das Absehen von der wiederholten [X.] hat deshalb nicht ausschließbar eine sachlich ungerechtfertigte Benachteiligung des Angeklagten zur Folge (vgl. [X.] 130, 372 ff.; [X.], Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 3 [X.], [X.]St 50, 199, 202; vom 23. November 2010 - 5 [X.] und vom 17. Juli 2012 - 4 StR 179/12, [X.], 369; Urteile vom 17. September 2009 - 4 [X.], Rn. 8; und vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 329/14, Rn. 11), die im vorliegenden konkreten Einzelfall einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten darstellt.

b) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterblieben ist. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da lediglich [X.] bei ansonsten fehlerfrei getroffenen Feststellungen vorliegen. Auch eine mit dem freigesprochenen Angeklagten vergleichbare Konstellation, in der die fehlerfreien Feststellungen aufzuheben sind, weil der freigesprochene Angeklagte das Urteil nicht hätte anfechten können (vgl. [X.], Urteile vom 15. Dezember 1999 - 5 StR 537/99 und vom 18. März 2004 - 4 StR 533/03, [X.], 499; Beschlüsse vom 25. September 2007 - 4 StR 348/07 und vom 23. April 2013 - 4 StR 485/12, [X.], 612), liegt nicht vor. Ohnehin umfasst der Revisionsangriff hier die Feststellungen, soweit sie im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 21 StGB doppelrelevant sind.

Das zur neuen Entscheidung berufene Tatgericht wird unter Anwendung des zutreffenden rechtlichen [X.] über die erneute Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu befinden haben, wobei ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die den bisherigen nicht widersprechen.

4. Die weitergehende Revision des Angeklagten war zu verwerfen; das Urteil erweist sich insoweit, entsprechend der Antragsschrift des [X.], als rechtsfehlerfrei.

5. Eine Erstreckung der Aufhebung auf den Mitangeklagten [X.] gemäß § 357 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht. Zwar liegt dem Absehen von der [X.] dieselbe ihn benachteiligende Gesetzesverletzung zugrunde. Da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB jedoch an höchstpersönliche Charaktermerkmale und Dispositionen des [X.] anknüpft und diese individuellen Wertungsfragen für die Entscheidung bestimmend sind, war keine Erstreckung vorzunehmen (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 29. Juni 1994 - 2 StR 265/94, [X.]R StPO § 357 Erstreckung 4; vom 4. September 1998 - 2 StR 390/98, [X.], 15; vom 16. April 2003 - 2 StR 60/03 [jeweils zu § 64 StGB]; Beschluss vom 24. November 2009 - 4 [X.] [zu § 67 Abs. 2 StGB]; Urteil vom 4. November 2014 - 1 [X.], Rn. 12 [zu § 69 Abs. 1 StGB]).

Rothfuß                              Graf                           Cirener

                   Mosbacher                       Fischer

Meta

1 StR 39/15

24.03.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bayreuth, 31. Oktober 2014, Az: 1 KLs 210 Js 9164/13

§ 62 StGB, § 63 StGB, § 67 Abs 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2015, Az. 1 StR 39/15 (REWIS RS 2015, 13585)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13585

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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