BT-Drucksache 18/9905

Zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt älterer Menschen

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9905
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Nicole Gohlke, Katja Kipping,
Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold (Havelland),
Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt älterer Menschen

Die jüngst vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Publikation „Ältere
Menschen in Deutschland und der EU“ (Wiesbaden, 2016) ist eine interessante
Zusammenstellung, auch im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse. Die Situation
von älteren Lesben, Schwulen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen
(LSBTTI) bleibt indes nicht berücksichtigt.
Der Interessensverband „Lesben und Alter“ beschreibt: „In der Regel sind die
Interessen von Frauen kaum und von älteren Lesben gar nicht berücksichtigt“
(www.lesbenundalter.de/verband.html). Auch die Bundesinteressenvertretung
schwuler Senioren e. V. (BISS) konstatiert: „die Angebote der offenen Altenhilfe
als auch die ambulanten und stationären Angebote der Altenpflege sind weitest-
gehend nicht oder nicht ausreichend für die Lebenswelten schwuler Männer sen-
sibilisiert“ (http://schwuleundalter.de/pflege-und-versorgung). Der Berliner Se-
nat sieht ebenfalls Defizite in diesem Bereich und schreibt, „dass der bereits be-
gonnene Prozess der Sensibilisierung der Gesellschaft, der Einrichtungen der Al-
tenhilfe und ihrer Fachkräfte sowie aller an der Versorgung und Begleitung älterer
und alter Menschen Beteiligter weiterhin befördert wird“ (www.berlin.de/sen/
soziales/themen/seniorinnen-und-senioren/leitlinien-seniorenpolitik/lsbti).
Vielen älteren LSBTTI ist noch die strafrechtliche Verfolgung schwuler Männer
insbesondere in den 1950er Jahren in beiden deutschen Staaten gegenwärtig. Be-
reits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens konnte einen Karriereknick oder
gar eine Entlassung bedeuten, wenn Arbeitgeber davon erfuhren. Dies hatte dann
eine geringe Einzahlung in die Rentenversicherung und später geringere Leis-
tungsbezüge zur Folge. Auch wenn sie nicht direkt von strafrechtlicher Verfol-
gung betroffen waren, so nahmen sie zur Kenntnis, dass das Recht sich gegen
einige von ihnen richtete. In dieser Personengruppe dürften die heutigen rechtli-
chen Möglichkeiten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) kaum
bekannt sein.
Die HIV-Infektion ist heute nur noch selten tödlich und der Pflegebedarf für HIV-
Positive ist zum Glück deutlich gesunken. Dies hat jedoch zur Folge, dass spezi-
elle Angebote der ambulanten und stationären Pflege für HIV-Positive abgebaut
wurden. Dies könnte zur Folge haben, dass Fachkompetenz im Umgang mit
LSBTTI verloren geht, es könnte aber umgekehrt speziell diese Fachkompetenz
genutzt werden.

Drucksache 18/9905 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

In den letzten zehn Jahren gab es insbesondere im Bereich der Altenpflege posi-
tive Initiativen und Veränderungen zugunsten von älteren LSBTTI. Es entstanden
Projekte des Zusammenlebens, wie z. B. der 2012 eröffnete „Lebensort Vielfalt“
in Berlin. Diese Leuchtturmprojekte sind gerade auch deshalb so notwendig, da
das Gros der in den 1950er Jahren sozialisierten Menschen nur eine geringe Sen-
sibilität gegenüber LSBTTI-Lebensweisen ausbilden konnte.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche nationalen und internationalen Studien zur Situation von LSBTTI im

Alter sind der Bundesregierung bekannt?
Welchen Forschungsbedarf sieht die Bundesregierung, und was plant sie zu
dem Thema?

2. Welche Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung von älteren LSBTTI
unterstützt die Bundesregierung?

3. Durch welche Maßnahmen werden älteren LSBTTI die rechtlichen Möglich-
keiten des AGG vermittelt?
Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung an dieser Stelle?

4. Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung, um Träger der ambulanten
und stationären Alten- und Krankenpflege dahingehend zu unterstützen, dass
Fachkräfte hinreichend für die Situation von LSBTTI sensibilisiert werden?
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um eine kultursensible Pflege auch
hinsichtlich der Diversität von Menschen mit queeren Lebensformen und
Identitäten bereits in der Ausbildung zu vermitteln?
Welche Formen der Fort- und Weiterbildung gibt es zu dem Thema?

5. Sind der Bundesregierung Fälle von Ablehnung der Betreuung oder Pflege
von LSBTTI aus religiösen Gründen bekannt?
Welche Formen der Diskriminierung von LSBTTI in der medizinischen und
pflegerischen Versorgung sind der Bundesregierung zudem bekannt?

6. Inwiefern sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf zur Novellierung des
AGG, da kirchliche Träger von Einrichtungen oder Diensten durch die kon-
fessionellen Ausnahmeregelungen im AGG jederzeit das Recht hätten,
LSBTTI- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zu entlassen?

7. Welchen Schutz vor Diskriminierung sollen ältere Menschen mit transsexu-
eller, intersexueller oder transgender Identität in Einrichtungen der Alten-
pflege erhalten, und wie können dazu praktikable Konzepte erarbeitet, um-
gesetzt und evaluiert werden?

8. Welche Projekte für ältere LSBTTI (z. B. Seniorenheime, Teilhabeprojekte)
sind der Bundesregierung bekannt, und welche werden durch Mittel des Bun-
des oder der Länder gefördert (bitte nach Bundesländern, Förderhöhe, För-
derdauer, geförderten Projekten sowie in Jahresscheiben seit 1990 aufschlüs-
seln)?

9. Sind der Bundesregierung Einrichtungen bekannt, die einen speziellen Fokus
auf die Bedürfnisse von LSBTTI legen, und welche Konzepte werden dort
umgesetzt?

10. Inwieweit fördert die Bundesregierung Projekte und Initiativen, die bedarfs-
gerechte Wohnmöglichkeiten für ältere LSBTTI ermöglichen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9905

11. Welche Bemühungen werden unternommen, um das Thema der kultur-

sensiblen Pflege auch im Hinblick auf die Sensibilisierung für gleichge-
schlechtliche Lebensweisen und unterschiedliche sexuelle Identitäten in ein
bundesweites Curriculum für die Alten- und Krankenpflege als Querschnitts-
thema aufzunehmen?
Welche Rolle wird das Thema der kultursensiblen Pflege in der Ausbildungs-
und Prüfungsverordnung zum Pflegeberufereformgesetz einnehmen?

Berlin, den 30. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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