BT-Drucksache 18/9901

Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9901
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz,
Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring,
Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer, Britta Haßelmann und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Nachdem die Europäische Kommission das Leistungsschutzrecht für Pressever-
lage mit eigenen Vorschlägen nun auf europäischer Ebene realisieren möchte
(Artikel 11 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the
Council on copyright in the Digital Single Market – COM(2016) 593 final;
https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-european-
parliament-and-council-copyright-digital-single-market), ist die Frage umso
dringender, wie der Stand in den Mitgliedstaaten aussieht. Das diesbezügliche
Vorgehen der Bundesregierung ist aus Sicht der Fragesteller weiter unklar. Nach-
dem man im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD angekündigt hat,
das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ergebnisoffen evaluieren zu wollen,
steht eine solche Evaluierung noch immer aus. Auf eine Kleine Anfrage, die die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 18/2058) im
Juli 2014 an die Bundesregierung richtete, sowie im Rahmen einer Fragestunde
im November 2015 (vgl. Antwort zu Frage 30 in der Fragestunde des Deutschen
Bundestages am 11. November 2015) entschuldigte die Bundesregierung die bis-
her nicht erfolgte Evaluierung unter anderem mit fehlenden praktischen Erfah-
rungen in der Anwendung des Leistungsschutzrechts. Auch auf eine weitere
Kleine Anfrage, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestags-
drucksache 18/6853) im November 2015 stellte, antwortete die Bundesregierung,
dass bislang unklar sei, wann eine solche Evaluierung vorgenommen werde. Ein
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom
30. März 2015 kommt zu dem Schluss, dass das Leistungsschutzrecht zwar in
Geltung steht, aber nicht angewendet werden darf, da es unter Verstoß gegen die
Richtlinie 98/34/EG zustande gekommen ist. Zu entscheiden sei dies letztlich, so
der Wissenschaftliche Dienst, vom Europäischen Gerichtshof (vgl. www.spiegel.
de/netzwelt/netzpolitik/leistungsschutzrecht-beamte-warnten-bundesregierung-
vor-blamage-a-1043053.html).
Die Rechtslage bezüglich des im März 2013 verabschiedeten und stark umstritte-
nen Leistungsschutzrechts für Presseverleger ist somit weiterhin äußerst unklar.
Die Gerichte müssen sich auf einiges einstellen: Bereits jetzt streiten Pressever-
leger und betroffene Diensteanbieter, allen voran Suchmaschinenbetreiber, um
die Anwendbarkeit des Gesetzes und die Höhe möglicher Zahlungen – während
die positiven Effekte mangels Zahlungen ausbleiben.

Drucksache 18/9901 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Insgesamt scheint aus heutiger Perspektive mehr als fraglich, ob das Leistungs-
schutzrecht für Presseverleger, das ursprünglich anvisierte Ziel zu erreichen, noch
im Stande ist oder ob es nicht vielmehr so ist, dass sich die mit der Einführung
verbundenen Risiken, vor denen auch im Rahmen einer Anhörung des Rechtsau-
schusses des Deutschen Bundestages eindringlich gewarnt wurde, bewahrheitet
haben.
Umso erstaunlicher ist es vor diesem Hintergrund, dass der EU-Kommissar für
Digitalwirtschaft, Günther Oettinger, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger
in der jüngsten EU-Urheberrechtsreform weiter vorantreibt. Eine ausführliche
Prüfung, ob das Leistungsschutzrecht für Presseverleger die anvisierten Ziele
überhaupt noch erreichen kann, erscheint überfällig. Nach jüngsten Meldungen
(zum Beispiel: https://irights.info/2016/07/08/drei-jahre-leistungsschutzrecht-
715-000-euro-einnahmen-werden-fuer-rechtsstreits-verwendet/27653), nach de-
nen die Verlage sogar ein Verlustgeschäft mit dem Leistungsschutzrecht für Pres-
severleger machen, ihm gleichzeitig aber verschiedene negative Wirkungen, bei-
spielsweise auf innovative Geschäftsmodelle, zugeschrieben werden, erscheint
aus heutiger Perspektive dringender denn je.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die wiederholt angekündigte (vgl.

beispielsweise die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksachen
18/7095 und 18/2172 und Antwort zu Frage 30 in der Fragestunde des Deut-
schen Bundestages am 11. November 2015), aber bislang nicht erfolgte, er-
gebnisoffene Evaluierung, vor dem Hintergrund einer aus Sicht der Frage-
steller ganz offensichtlichen Nicht-Erreichung der formulierten Ziele des Ge-
setzentwurfs und eines absehbar noch Monate andauernden Rechtsstreits,
konkret vorzulegen?

2. Welche Beurteilungen, Evaluationen, Analysen des Leistungsschutzrechts
für Presseverleger liegen der Bundesregierung oder einzelnen Bundesmini-
sterien nunmehr vor, oder von welchen hat sie Kenntnis (bitte nach Verfas-
serin bzw. Verfasser, Auftraggeberin bzw. Auftraggeber, Untersuchungsge-
genstand, ggf. Untersuchungszeitraum, Veröffentlichungsort und Ergebnis
aufschlüsseln)?

3. Welche – inklusive geplanter oder noch laufender – Beurteilungen, Evalua-
tionen, Analysen haben die Bundesregierung oder einzelne Bundesministe-
rien gefördert, in Auftrag gegeben, finanziert, angestoßen oder in anderer
Weise unterstützt, die das Leistungsschutzrecht für Presseverleger zum Ge-
genstand haben (bitte nach Verfasserin bzw. Verfasser, Auftraggeberin
bzw. Auftraggeber, Untersuchungsstand, ggf. Untersuchungszeitraum, und
Ergebnis aufschlüsseln)?

4. Welche Kosten sind nach Kenntnis der Bundesregierung für die im Zusam-
menhang mit einer Evaluierung durchgeführten Untersuchungen entstanden,
und durch wen wurden diese Kosten jeweils getragen (bitte nach Untersu-
chung aufschlüsseln)?

5. Wenn bislang keine Evaluierung erfolgt ist, wie rechtfertigt die Bundesre-
gierung dies vor dem Hintergrund der Ankündigung im Koalitionsvertrag,
eine Evaluierung durchführen zu wollen, und wann und nach welchen Krite-
rien denkt die Bundesregierung, dass ein „geeigneter Zeitpunkt“ für die in
Aussicht gestellte Evaluierung gegeben ist (vgl. Antwort zu den Fragen 1
und 2 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/7095) bzw. „hin-
reichende Erfahrungen“ dazu vorliegen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9901
6. Welche Runden haben bislang mit welchen Vertreterinnen und Vertretern
der Bundesregierung stattgefunden, in denen darüber diskutiert wurde, ob
und wann eine solche Evaluierung vorgelegt werden wird (bitte möglichst
genau aufschlüsseln)?

7. Welchen Gegenstand und aktuellen Stand haben die rechtlichen Auseinan-
dersetzungen im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht für Presse-
verleger (siehe etwa diejenigen aus der Antwort zu den Fragen 8 und 9 auf
Bundestagsdrucksache 18/7095) nach Kenntnis der Bundesregierung?

8. Wie schätzt die Bundesregierung die Wirksamkeit eines Gesetzes ein, wenn
laut VG Media – Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungs-
schutzrechte von Medienunternehmen mbH, https://irights.info/2016/
07/08/drei-jahre-leistungsschutzrecht-715-000-euro-einnahmen-werden-fuer-
rechtsstreits-verwendet/27653, seit Einführung des Leistungsschutzrechts
insgesamt 714 540 Euro eingenommen wurden, allerdings 3,3 Mio. Euro
Rechtskosten angefallen sind und somit nicht nur keine Ausschüttungen
stattfanden, sondern die Verlage auch noch dazuzahlen müssen?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung selbst über die Einnahmen
und Kosten der Verlage im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht,
etwa ob und wie viel an Urheberinnen und Urheber aufgrund des Leistungs-
schutzrechts gemäß ihrem Beteiligungsanspruch aus § 87h des Urheber-
rechtsgesetzes ausgeschüttet wurden?

10. Unterstützt die Bundesregierung die Pläne von EU-Digitalkommissar Gün-
ther Oettinger, ein EU-weit geltendes Leistungsschutzrecht mit einer Schutz-
frist von 20 Jahren einzuführen (Artikel 11 Proposal for a Directive of the
European Parliament and of the Council on copyright in the Digital Single
Market – COM(2016) 593 final; https://ec.europa.eu/digital-single-market/
en/news/proposal-directive-european-parliament-and-council-copyright-
digital-single-market)?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit
des Leistungsschutzrechts für Presseverleger angesichts etlicher Gerichtsver-
fahren (siehe auch Antwort zu den Fragen 8 und 9 auf Bundestagsdrucksache
18/7095), die in diesem Zusammenhang laufen?

12. Welche faktischen Argumente hat die Bundesregierung nunmehr der Be-
fürchtung der Fragesteller entgegenzusetzen, dass durch die im Zuge der
Schaffung des Leistungsschutzrechts entstandene Rechtsunsicherheit Inno-
vationen und Gründungen neuer Dienste im Internet negativ beeinträchtigt
werden könnten?

13. Inwieweit ist die Bundesregierung zum heutigen Stand der Meinung, dass
das Gesetzesvorhaben dem erklärten Ziel der Bundesregierung, den Quali-
tätsjournalismus zu befördern, tatsächlich gerecht wird?

14. Sieht die Bundesregierung nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes
(EuGH C-466/12, „Svensson“-Urteil vom 13. Februar 2014) einen gesetzge-
berischen Klärungs- oder sonstigen Änderungsbedarf dahingehend, dass
keine Handlung der öffentlichen Wiedergabe im Sinne des Urheberrechts
vorliegt, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu urheberrechtli-
chen Werken bereitgestellt werden, die auf einer anderen Internetseite frei
zugänglich sind?

15. Sieht die Bundesregierung den Bedarf, einen weiterreichenden Schutz für die
Inhaber eines Urheberrechts vorzusehen, als dies in Artikel 3 Absatz 1 der
Richtlinie 2001/29/EG vorgesehen ist?

Drucksache 18/9901 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
16. Wie schätzt die Bundesregierung die Verwendung des Leistungsschutzrechts
für Presseverleger als Abwehrstrategie gegen urheberrechtliche Abmahnun-
gen ein, wie sie im Januar 2015 erfolgreich angewandt wurde (Urteil vom
6. Januar 2015, LG Berlin, Az.: 15 O 412/14)?

17. Wann beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der angekündigten, aber
bisher nicht umgesetzten Evaluierung des Leistungsschutzrechts, Informati-
onen über den Marktanteil von Google News und seine Entwicklung seit der
Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger einzuholen?

18. Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Auswirkungen der von der VG
Media erteilten Gratislizenz an Google News auf andere Suchmaschinen,
etwa auf deren Marktanteil oder Marktstellung, empirisch zu bewerten und
zu beurteilen?

19. Wie schätzt die Bundesregierung die Ansicht von Gerichten ein, für die ge-
naue Definition, was „kleinste Textausschnitte“ genau bedeuten, nicht zu-
ständig zu sein, sondern hier vielmehr den Gesetzgeber in der Pflicht zu sehen,
www.zeit.de/digital/internet/2016-07/leistungsschutzrecht-presseverleger-
sueddeutsche-zeitung-ubermetrics-snippet-prozess/komplettansicht?

20. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Deutschen Patent- und Marken-
amtes aus dem (noch nicht rechtskräftigen) Bescheid vom 4. April 2015 an
die VG Media, dass die VG Media mit der unentgeltlichen Lizenzierung le-
diglich an Google eine Vorrangstellung gegenüber anderen Nutzern im Sinne
des Leistungsschutzrechts einräume, denen sie in diesem Fall weiterhin ein
Entgelt abverlangt?

21. Hätte das Leistungsschutzrecht vor seiner Verabschiedung nach Auffassung
der Bundesregierung nach der Richtlinie 98/34/EG bei der Europäischen
Kommission notifiziert werden müssen?

22. Ist das Leistungsschutzrecht nach Auffassung der Bundesregierung derzeit
trotz der nicht erfolgten Notifizierung anwendbar?

23. Welche rechtlichen und finanziellen Folgen können sich nach Auffassung
der Bundesregierung aus der nicht erfolgten Notifizierung und der damit
möglicherweise verbundenen Unanwendbarkeit für die Bundesrepublik
Deutschland ergeben (insbesondere Staatshaftungsansprüche)?

Berlin, den 28. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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