BT-Drucksache 18/9882

Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung und Entschädigung der in den beiden deutschen Staaten wegen homosexueller Handlungen Verurteilten (RehaEntschG-175 StGB)

Vom 30. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9882
18. Wahlperiode 30.09.2016

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak, Frank
Tempel, Matthias W. Birkwald, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung und Entschädigung
der in den beiden deutschen Staaten wegen homosexueller
Handlungen Verurteilten
(RehaEntschG-175 StGB)

A. Problem
Bis 1969 sind in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und bis 1968 in der ehe-
maligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sexuelle Handlungen zwi-
schen erwachsenen Männern ohne Berücksichtigung weiterer Umstände, wie
z. B. das Alter der Beteiligten, bestraft worden. Allein in der BRD wurden
dadurch zwischen 1945 und 1969 bis zu 50.000 Männer allein wegen ihrer sexu-
ellen Orientierung strafrechtlich verurteilt. Diese Verurteilten sind durch die Ver-
folgung und Verurteilung im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden.
Denn § 175 des Strafgesetzbuches (StGB) stellte einen grob unverhältnismäßigen
Eingriff in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung des allge-
meinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1
Grundgesetz (GG) dar (siehe auch: Prof. Dr. Martin Burgi: Rehabilitierung der
nach § 175 verurteilten homosexuellen Männer: Auftrag, Optionen und verfas-
sungsrechtlicher Rahmen. Rechtsgutachten im Auftrag der Antidiskriminierungs-
stelle des Bundes, 10.5.2016). Für die Betroffenen hatte die Verurteilung oft weit-
reichende Konsequenzen.

Die BRD übernahm die einschlägigen Paragraphen aus der Zeit der nationalsozi-
alistischen Gewaltherrschaft, die gegenüber den Regelungen des § 175 Reichs-
strafgesetzbuches (RStGB) der Weimarer Republik deutlich verschärft worden
waren. Mit der Strafrechtsreform 1969 (1. StRG) wurde zwar die Strafbarkeit ho-
mosexueller Handlungen Erwachsener abgeschafft. Als Sonderregelung blieben
aber u. a. homosexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Männern unter 21 Jah-
ren strafbar. Mit der Strafrechtsreform von 1973 waren dann nur noch homosexu-
elle Handlungen Erwachsener mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren straf-
bar.

In der ehemaligen DDR galt zunächst § 175 RStGB und für „erschwerte Fälle“
der § 175a RStGB in der Fassung aus der Zeit der Weimarer Republik auch für

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Erwachsene weiter. Gleichzeitig war auch die Verfolgungsintensität fünf Mal ge-
ringer als in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Berndl/Kruber, Jahrbuch für
die Geschichte der Homosexualitäten, 12 (2010), S. 58 (87 f.). Verfolgungsinten-
sität meint in diesem Fall die relative Zahl der Verurteilten, bezogen auf die straf-
mündige, männliche Bevölkerung in beiden deutschen Staaten unter Berücksich-
tigung der damals unterschiedlichen Volljährigkeitsgrenzen. Bereits 1957 wurde
das Strafrecht so reformiert, dass eine Strafbarkeit praktisch wegen Geringfügig-
keit weitgehend außer Kraft gesetzt wurde. Ab 1968 wurden nach § 151 StGB der
DDR nur noch gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter
18 Jahren bestraft.1988 wurde in der DDR § 151 StGB der DDR ersatzlos gestri-
chen.

Nach der deutschen Wiedervereinigung trat das StGB zwar auch in den ostdeut-
schen Bundesländern in Kraft, allerdings mit der Maßgabe, dass § 175 dort nicht
anzuwenden sei. Mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz wurde § 175 StGB er-
satzlos gestrichen.

1998 entschied sich der Gesetzgeber dazu, mit dem Gesetz zur Aufhebung natio-
nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) vom
26. August 1998 alle nicht eindeutig bereits aufgehobenen NS-Unrechtsurteile der
Strafjustiz ohne Einzelfallprüfung durch Bundesgesetz aufzuheben. Zu dieser Zeit
waren die §§ 175 und § 175a RStGB noch nicht von der Regelung erfasst. Dies
wurde aber im Jahr 2002 nachgeholt. Damit waren alle Verurteilungen bis 1945
aufgehoben.

Die Verurteilungen aus der Zeit nach 1945 wurden zwar offiziell vom Bundestag
„bedauert“ (vgl. Plenarprotokoll 14/140, Bundestagsdrucksache 14/4894), jedoch
nie aufgehoben. In dem Beschluss vom 6. Dezember 2000 (Bundestagsdrucksa-
che 14/4894) konstatierte der Deutsche Bundestag nahezu einstimmig, dass die
Verfolgung von einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen erwachsenen
Menschen „gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und nach heuti-
gem Verständnis auch gegen das freiheitliche Menschenbild des Grundgesetzes
verstößt“. Des Weiteren bekräftigte „der Deutsche Bundestag, dass die Ehre der
homosexuellen Opfer des NS-Regimes wiederhergestellt werden muss“ (ebenda).
Wenn aber – basierend auf diesem Beschluss – für die Zeit des NS-Regimes von
1935 bis 1945 den Betroffenen Rehabilitation erteilt wurde, ist kein vernünftiger
Grund ersichtlich, weshalb für die Zeit nach 1945 von Rehabilitation abzusehen
sein soll. Die Aufhebung der Urteile zur Wiederherstellung der Menschenwürde
der Betroffenen muss daher auch für die Zeit nach 1945 erfolgen, da der mit der
strafrechtlichen Verfolgung einvernehmlicher sexueller Handlungen erwachsener
Menschen einhergehende Verstoß gegen die Menschenwürde derselbe bleibt.

Die Betroffenen stehen bis heute unter dem Stigma der Verurteilung, obwohl
diese unumstritten nicht zu rechtfertigendes Unrecht darstellt. Der Bundesrat hat
sich inzwischen mehrfach, zuletzt mit Beschluss vom 10. Juli 2015, für die Auf-
hebung der Urteile aufgrund der §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 StGB und § 151
StGB der DDR ausgesprochen. Des Weiteren hat sich der Münchner Staatsrecht-
ler Martin Burgi in einem Gutachten neben einer kollektiven Rehabilitierung auch
für eine Entschädigung über einen Fonds ausgesprochen. Das Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz hat in seinem am 1. Juli 2016 veröffentlich-
ten Eckpunktepapier zur Rehabilitierung der nach 1945 in beiden deutschen Staa-
ten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten neben einer
Kollektiventschädigung auch eine Individualentschädigung sowie die Einrichtung
eines Entschädigungsfonds für Härtefälle vorgeschlagen.

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B. Lösung
Durch ein generalkassierendes Gesetz werden alle Verurteilungen der beiden
deutschen Staaten, die auf den §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches
und auf § 151 des Strafgesetzbuches der DDR beruhen und nach dem 8. Mai 1945
und dem 10. Juni 1994 getroffen wurden, aufgehoben. Des Weiteren wird es eine
kollektive und individuelle Entschädigung für die Betroffenen geben und es wird
ein Entschädigungsfonds für Härtefälle eingerichtet.

Dem stehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Vielmehr
spricht der weiterhin bestehende Strafmakel dafür, dass der Staat Rehabilitations-
maßnahmen ergreifen sollte. Grundlage sind die grundrechtlichen Schutzpflichten
sowie das Rechts- und Sozialstaatsprinzip.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Die Kosten werden vom Bund getragen. Sie belaufen sich für die Kollektivent-
schädigung und den Härtefonds auf ca. 60 Mio. Euro. Die Kosten für die Indivi-
dualentschädigung können derzeit nicht genau abgeschätzt werden, es wird ein
Betrag von maximal 5 Mio. Euro veranschlagt.

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Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung und Entschädigung
der in den beiden deutschen Staaten wegen homosexueller

Handlungen Verurteilten

(RehaEntschG-175 StGB)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1

(1) Durch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die auf Grundlage des
§ 175 StGB oder § 151 StGB-DDR ergangen sind, aufgehoben. Die den Entscheidungen zugrundeliegenden Ver-
fahren werden eingestellt.

(2) Ist die Verurteilung wegen § 175 StGB oder § 151 StGB-DDR wegen tateinheitlicher Verwirklichung
auch weiterer Straftatbestände erfolgt, wird die Verurteilung insgesamt aufgehoben; ist die Verurteilung wegen
tatmehrheitlicher Verwirklichung weiterer Straftatbestände erfolgt, wird die Entscheidung nur hinsichtlich des
den § 175 StGB oder § 151 StGB-DDR betreffenden Teils aufgehoben.

§ 2

(1) Auf Antrag stellt die Staatsanwaltschaft fest, ob ein Urteil aufgehoben ist; hierüber erteilt sie eine Be-
scheinigung.

(2) Antragsberechtigt ist der Verurteilte. Im Falle seines Todes sind antragsberechtigt

1. dessen Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie,

2. seine Geschwister,

3. der Ehegatte, der Lebenspartner und der Verlobte,

4. diejenige Person, die in einer lebenspartnerschaftsähnlichen Weise mit dem Verurteilten zusammengelebt
hat, sofern der Verurteilte vor dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes gestorben ist.

Sind alle Antragsberechtigten verstorben oder ist ihr Aufenthalt unbekannt, so hat die Staatsanwaltschaft die Fest-
stellung von Amts wegen zu treffen, wenn dafür ein berechtigtes Interesse dargetan wird.

(3) Zuständig ist die Staatsanwaltschaft, die das Verfahren eingeleitet hat, das der in § 1 genannten Ent-
scheidung vorausgegangen ist. Wird am Sitz dieser Staatsanwaltschaft keine deutsche Gerichtsbarkeit mehr aus-
geübt oder lässt sich die Staatsanwaltschaft nicht bestimmen, so ist die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren
Bezirk der Betroffene zum Zeitpunkt der Tatbegehung seinen Wohnsitz hatte. Wird auch am Sitz dieser Staats-
anwaltschaft keine deutsche Gerichtsbarkeit mehr ausgeübt oder lässt sich diese Staatsanwaltschaft aus anderen
Gründen nicht bestimmen, so wird die zuständige Staatsanwaltschaft durch den Bundesgerichtshof bestimmt.

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§ 3

Die Aufhebung des Urteils umfasst auch alle Nebenstrafen und Nebenfolgen.

§ 4

Eintragungen im Bundeszentralregister über Urteile, die gemäß § 1 aufgehoben sind, sind auf Antrag des
Betroffenen zu tilgen.

§ 5

(1) Die durch dieses Gesetz Rehabilitierten erhalten eine individuelle Entschädigung. Diese richtet sich
nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG).

(2) Der Bund errichtet einen Entschädigungsfonds mit dem Ziel, in Härtefallsituationen bestehende nega-
tive Auswirkungen der Strafverfolgung für die nach diesem Gesetz Rehabilitierten abzumildern. Er stellt hierfür
einmalig Haushaltsmittel in Höhe von 5 Mio. Euro zur Verfügung.

(3) Als kollektive Entschädigung der durch dieses Gesetz Rehabilitierten errichtet der Bund einen bei der
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld angesiedelten und mit einer Summe von 60 Mio. Euro ausgestatteten kol-
lektiven Entschädigungsfonds zur Finanzierung von Projekten zur Erforschung, Aufarbeitung und Dokumentie-
rung von Auswirkungen des § 175 StGB und § 151 StGB-DDR auf das gesellschaftliche Zusammenleben und
Lebensschicksale, die unter § 175 StGB und § 151 StGB-DDR gelitten haben, sowie zur Durchführung von Bil-
dungsmaßnahmen;

1. aus dem darüber hinaus Projekte finanziert werden, die den älteren Generationen homosexueller Männer zu
Gute kommen, z. B. durch umfassende Konzepte für eine zielgruppenspezifische Versorgung, Pflege und
Begleitung von älteren Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern, Integration dieser Konzepte in die
Aus- und Weiterbildung sowie Organisations- und Personalentwicklung in der Altenarbeit und Altenpflege;

2. aus dem darüber hinaus die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Schwulenberatung finanzielle Unterstützung
für die psychosoziale und rechtliche Beratung der Opfer nach § 175 StGB erhält.

(4) Näheres zu § 5 regelt ein Bundesgesetz.

§ 6

Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 30. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/9882
Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Entwurfs

In dem traurigen Kapitel der Verfolgung und Unterdrückung gleichgeschlechtlichen Begehrens in Deutschland
stellt die strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen volljährigen Männern in
der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eine
besonders düstere Episode der Nachkriegsgeschichte dar. Es dauerte in der Deutschen Demokratischen Republik
bis 1968 und in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969, bis einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen
erwachsenen Männern straffrei wurden. Die unterschiedlichen Schutzaltersgrenzen für Homo- und Heterosexua-
lität bestanden in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1988, in der Bundesrepublik Deutschland sogar
bis 1994 fort.

Mit der Bezeichnung und Verurteilung gleichgeschlechtlichen Begehrens durch die Medizin, die Psychiatrie und
später das Rechtswesen im 19. Jahrhundert wurde dieses pathologisiert. Homosexuelle wurden zu einer „Spezies“,
die von der als normal geltenden Heterosexualität abgegrenzt und kriminalisiert wurde. Erst hiermit wurden die
Homosexuellen zu einer (kriminalisierbaren) gesellschaftlichen Gruppe (Michel Foucault, Der Wille zum Wissen,
Sexualität und Wahrheit, Band 1, Frankfurt a. M. 1977, S. 58). 1871 wurde § 175 ins Strafgesetzbuch des Deut-
schen Reiches aufgenommen, der „widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts
oder von Menschen mit Thieren begangen wird“, mit Gefängnis bedrohte.

Trotz aller Bemühungen in der Weimarer Republik, die maßgeblich vom Institut für Sexualwissenschaft um den
Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld ausgingen, gelang es nicht, den § 175 RStGB bis zur Machtübergabe
an die Nationalsozialisten zu Fall zu bringen. 1935 verschärften die Nationalsozialisten § 175 RStGB: Dies führte
in der Praxis zu einer Erhöhung des Strafmaßes.

Die DDR kehrte bereits 1950 mit einem Urteil des Kammergerichts Berlin zur Weimarer Fassung des § 175
RStGB zurück, behielt allerdings § 175a RStGB in der Fassung von 1935 bei. Mit dem Strafrechtsänderungsge-
setz von 1957 wurde die Möglichkeit geschaffen, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn eine gesetzwidrige
Handlung mangels schädigender Folgen keine Gefahr für die sozialistische Gesellschaft darstellte. 1968 wurden
mit der Einführung des § 151 im neuen Strafgesetzbuch einvernehmliche Handlungen zwischen Erwachsenen bei
Beibehaltung unterschiedlicher Jugendschutzgrenzen für hetero- und homosexuelle Kontakte legalisiert. Es wird
geschätzt, dass mehr als 3 000 Schwule nach § 175 StGB bzw. § 151 StGB-DDR verurteilt wurden (nachgewiesen
sind ca. 1 300 Verurteilungen).

In der Bundesrepublik Deutschland wurde § 175 StGB bis 1969 unverändert in der nationalsozialistischen Fas-
sung angewandt. Allein in den ersten 15 Jahren ihrer Existenz wurden somit über 100.000 Ermittlungsverfahren
nach § 175 StGB eingeleitet, über 50.000 homosexuelle Männer wurden von 1950 bis zur Entschärfung des § 175
StGB 1969 verurteilt. Auch Menschen, die als Männer galten, sich aber wie Frauen fühlten bzw. diese Ge-
schlechtsidentität beanspruchten, wurden nach § 175 StGB verfolgt.

Erst 1994 wurde der Paragraph 175 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

Auf Initiative der damaligen Koalitionsfraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschloss der Deutsche
Bundestag am 17. Mai 2002 das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-
rechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG). Damit wurden die §§ 175 und 175a Nummer 4 des
Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) in die Liste der Gesetze aufgenommen, auf deren Grundlage Urteile „unter Ver-
stoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit […] zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des national-
sozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen
Gründen ergangen sind“, und pauschal aufgehoben.

Drucksache 18/9882 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist anerkannt, dass eine
strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Männern menschenrechtswid-
rig ist. Erstmals 1981 (Dudgeon gegen Vereinigtes Königreich, EGMR, NJW 1984, 541) und seither in ständiger
Rechtsprechung (u. a. Norris gegen Irland, EuGRZ 1992, 477; Modinos gegen Zypern, ÖJZ 1993, 821) hat der
EGMR festgestellt, dass eine Strafbedrohung einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Erwachse-
nen die seit 1952 gültige Europäische Menschenrechtskonvention, insbesondere das in Artikel 8 garantierte Recht
auf Achtung des Privatlebens, verletzt.

Dem Gesetzgeber kann es schon im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Auslegung
durch den EGMR nicht versagt sein, eine pauschale Aufhebung der auf § 175 StGB beruhenden Urteile zu be-
schließen. Den Verurteilten sind aufgrund des erlittenen Unrechts schwere physische, psychische und Vermö-
gensschäden entstanden. Dies rechtfertigt es, den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu leisten. Der
EGMR hat regelmäßig Länder wegen der Verfolgung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen zwi-
schen Männern zu Entschädigungen verurteilt und dies auch „nur“ bei Vorliegen einer unterschiedlichen Schutz-
altersgrenze bei homo- und hetero- sexuellen Sexualkontakten (L. und V. gegen Österreich, nos. 39392/98 und
39829/98 (Sect. 1) (bil.), ECHR 2003-I – (9. Januar 2003); Woditschka und Wilfling gegen Österreich, nos.
69756/01 und 6306/02 (Sect. 1) (Eng) – (21. Oktober 2004); H. G. und G. B. gegen Österreich, nos. 11084/02
und 15306/02 (Sect. 1) (Eng) – (2. Juni 2005); F. L. gegen Österreich 2005). Je nach Schwere der Beeinträchtigung
durch das Strafrecht bewegten sich die Entschädigungssummen zwischen 5.000 und 75.000 Euro.

In einem langwierigen Prozess hat der Deutsche Bundestag Stück für Stück eingestanden, dass die Verfolgung
und Unterdrückung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen ein Unrecht und eine Verletzung grund-
legender Menschenrechte waren. Der EGMR bestätigte, dass bereits die Anwendung unterschiedlicher Schutzal-
ter für homo- und heterosexuelle Kontakte menschenrechtswidrig ist. Als Rechtsprinzip gilt: Im Nachhinein wird
grundsätzlich keine Rehabilitierung und Entschädigung für Verurteilungen gewährt, nur weil aus geänderter Er-
kenntnis die Strafbarkeit beseitigt wird. Dies kann aber hier nicht gelten, weil ein Grundrecht entzogen wurde und
die Betroffenen bei einer Verletzung des Gesetzes bestraft wurden. Auch ein Verweis darauf, dass das Bundes-
verfassungsgericht 1957 die strafrechtliche Verfolgung männlicher Homosexualität für rechtens erklärte und es
dem Gesetzgeber nicht obliege, dem zu widersprechen, ist unzureichend. Das BVerfG hat seine Entscheidung von
1957 selbst revidiert, da es homosexuelle Lebensgemeinschaften unter den Schutz von Artikel 2 Absatz 1 GG
stellte (BVerfG 47, 46, 73), was seitdem ständige Rechtsprechung ist (vgl. Manfred Bruns, Die strafrechtliche
Verfolgung homosexueller Männer in der BRD nach 1945, in: Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration
und Frauen (Hg.), Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation 28, Berlin 2012, S. 42) Zudem kommt die Exper-
tise von Prof. Dr. Dr. Hans- Joachim Mengel (Februar 2012), die der Berliner Senat in Auftrag gegeben hat, zu
dem Ergebnis: „Der § 31 Abs. 1 BVerfGG steht einer Aufhebung der Urteile und einer Rehabilitierung der Be-
troffenen nicht entgegen. Die Schwere der Verletzung seiner Pflichten durch das BVerfG rechtfertigt vielmehr
die nachträgliche Aufhebung der Strafgerichtsurteile. Eine Aufhebung des Urteils des BVerfG zu den §§ 175 ist
nicht erforderlich“ (www.berlin.de/imperia/md/content/lb_ads/gglw/veroeffentlichungen/doku29____175_men-
gel_bf.pdf?download. html).

Der Bundesrat hatte schon im vergangenen Jahr in einer Entschließung dies Bundesregierung aufgefordert, die
verurteilten Homosexuellen zu rehabilitieren und die Aufhebung der Urteile als vorrangige Maßnahme verlangt
(Bundesratsdrucksache 189/15 (Beschluss)).

Nach einem Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) (http://www.antidiskriminie-
rungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Rechtsgutachten/Rechtsgutachten-Burgi-Rehabilitie-
rung-175.pdf?__blob=publicationFile&v=4) vom 11. Mai 2016 ist der Gesetzgeber verpflichtet, in der Bundesre-
publik wegen ihrer Homosexualität nach § 175 StGB verurteilte Männer zu rehabilitieren. Die ADS hat den
Münchner Staatsrechtler Marin Burgi mit einem Rechtsgutachten beauftragt, in dem mögliche rechtliche Hinder-
nisse gegen eine Aufhebung der Urteile, die auf der Grundlage des § 175 StGB beruhen, geprüft werden sollten.
Professor Burgi untersuchte die bisherigen Bedenken, die bislang gegen eine kollektive Aufhebung der Urteile
vorgebracht wurden und räumte sie in seinem Gutachten aus. Es wird hinsichtlich der Einzelheiten an dieser Stelle
auf die Ausführungen in der Begründung zu § 1 verwiesen.

Das Rechtsgutachten empfiehlt in aller Deutlichkeit die kollektive Rehabilitierung der Betroffenen durch ein Auf-
hebungsgesetz. Dieses wäre angesichts des schweren Grundrechtsverstoßes verfassungsrechtlich geboten und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/9882
korrigiert das in der Vergangenheit begangene Unrecht in einem Akt. Zudem würde es den Opfern Einzelfallprü-
fungen und eine damit erneute entwürdigende Verletzungen ihrer Intimsphäre ersparen. Aus demselben Grund
spricht sich das Gutachten auch für eine kollektive Entschädigungsleistung in Form eines Fonds aus, der bei-
spielsweise durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld verwaltet werden und für Aufklärungsprojekte, Erinne-
rungs- und Bildungsveranstaltungen eingesetzt werden kann.

Da § 175 StGB bis in die 1970er Jahre die öffentliche Förderung von Projekten schwuler Männer verhinderte,
muss sich eine kollektive Entschädigung an den Ausgaben der Bundesregierung für heutige Projekte für Lesben,
Schwule, Bi-, Trans* und Intersexuelle (LSBTI) bemessen, die bis in die 1970er Jahre durch die grundgesetzwid-
rige Verfolgung nach § 175 den Projekten für schwule Männer entgangen sind. Dies fordert auch Georg Härpfer,
Vorstand der Bundesinteressensvertretung schwuler Senioren (BISS). „Wir schlagen daher vor, die Ausgaben
aller Projekte gegen Homophobie im Jahr der kommenden gesetzlichen Rehabilitierung als Maßstab zu verwen-
den und um die 20 Jahre von 1949 bis 1969 – dem Jahr der ersten großen Entschärfung des § 175 StGB – zu
multiplizieren.“

Im Jahr 2015 betrugen die Ausgaben der Bundesregierung für LSBTI-Projekte rund 3,3 Mio. Euro. Dies geht aus
einer Antwort der Bundesregierung vom 24.06.2016 auf eine Schriftliche Frage des Abgeordneten Harald Petzold
vom 16.06.2016 BuReg (Arbeitsnummer 6/108 und 6/109) hervor. Entsprechend dem Vorschlag der Bundesinte-
ressensvertretung schwuler Senioren (BISS) beläuft sich die Summe für die Kollektiventschädigung demnach auf
65 Mio. Euro.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat in seinem am 1. Juli 2016 veröffentlichten Eck-
punktepapier zur Rehabilitierung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexu-
eller Handlungen Verurteilten neben einer Kollektiventschädigung auch eine Individualentschädigung sowie die
Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Härtefälle vorgeschlagen. Laut dieses Eckpunktepapiers ist die Indi-
vidualentschädigung aus verfassungsrechtlicher Sicht die einzig mögliche Konsequenz aus der Aufhebung der
Urteile und wird dementsprechend auch in diesem Gesetzesentwurf gefordert. Was die Errichtung eines Entschä-
digungsfonds für Härtefälle anbelangt, so soll dieser laut dem Eckpunktepapier des BMJV ähnlich dem Härte-
fonds für Opfer extremistischer Übergriffe ausgestaltet sein und in Härtesituationen bestehende negative Auswir-
kungen der Strafverfolgung für die Betroffenen abmildern, falls die für eine Individualentschädigung notwendi-
gen Nachweise nicht erbracht werden können. Von den 65 Mio. Euro, die der Bund an kollektiven Entschädi-
gungsleistungen bereitstellt, sind 5 Mio. Euro für den Härtefond zu verwenden, so dass noch 60 Mio. Euro für
den bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld angesiedelten kollektiven Entschädigungsfonds zur Verfügung
stehen.

Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, dieser Pflicht zur Rehabilitierung und Entschädigung nachzukommen und die
Strafurteile, die nach 1945 ergangen sind, aufzuheben, da die Verletzung der Menschenrechte evident ist. Der
Gesetzgeber vermeidet mit dem vorliegenden Gesetz zur kollektiven Rehabilitation unnötigen, Einzelfall bezo-
genen bürokratischen Aufwand. „Aus dem Opferdiskurs könnte mithin auch ein gesellschaftlicher Kommunika-
tionsprozess entstehen, der versucht, das, was Verfolgung und Diskriminierung gesellschaftlich an Schaden an-
gerichtet haben, ebenso ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und damit Prozesse gesellschaftlicher Veränderung
in Gang zu setzen“ (Andreas Pretzel, Wiedergutmachung unter Vorbehalt, in: Volker Weiß, Andreas Pretzel,
Ohnmacht und Aufbegehren, Hamburg 2010). Die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf wäre ein deutliches
Signal für Gegenwart und Zukunft.

II. Alternativen

Keine.

III. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Die strafrechtliche Verfolgung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen unter Erwachsenen verstößt
gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention. Bereits 1981 hat der Europäische Gerichtshof für Men-
schenrechte festgestellt, dass entsprechende Strafnormen das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskon-
vention garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens verletzen (Dudgeon v. Northern Ireland, no. 752/76, vgl.
NJW 1984, 541). Der Europäische Gerichtshof hat diese Feststellung in ständiger Rechtsprechung wiederholt.

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B. Besonderer Teil

Zu § 1
Die Norm regelt die Ex-tunc-Aufhebung der auf Grundlage des § 175 StGB und § 151 StGB-DDR ergangenen
strafrechtlichen Entscheidungen. Die verfassungsrechtliche Legitimation für diese staatliche Rehabilitierungs-
maßnahme ist der gegenwärtige Zustand eines fortbestehenden Strafmakels auf der Grundlage der mit höherran-
gigem Recht unvereinbaren Strafvorschrift des § 175 StGB bzw. § 151 StGB-DDR. So hat das Bundesverfas-
sungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1957-1 BvR 357/52 - ausgeführt, dass es nicht über-
sehen habe, dass unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Gesetze mit einem solchen Maß von Unge-
rechtigkeit und Gemeinschädlichkeit erlassen worden sind, dass ihnen jede Geltung als Recht abgesprochen wer-
den muss. Unter Bezugnahme auf u. a. auf dieses Urteil wurde im Jahre 2002 das NS-AufhG beschlossen (vgl.
BT-Drs. 13/10013), durch welches auch alle auf der Grundlage des § 175 RStGB während der nationalsozialis-
tischen Zeit ergangenen Urteile aufgehoben wurden. § 175 RStGB ist nach der Gründung der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik unverändert in der von den Nationalsozialisten ver-
schärften Fassung im StGB beibehalten worden.

Die Aufhebung der einschlägigen Strafurteile würde auch nicht am Bestehen belastbarer verfassungsrechtlicher
Grenzen scheitern. Insbesondere liegen alle Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Grundsatzes der
Rechtssicherheit vor, da der fortbestehende Strafmakel auf einem klar abgrenzbaren Kreis von persönlich durch
die staatliche Strafverfolgung und die strafrechtlichen Verurteilungen schwer Betroffenen lastet und auf einer
Norm (§ 175 StGB) beruht, die in qualifizierter Weise gegen Verfassungsvorschriften verstößt. Denn § 175 StGB
stellt einen Eingriff in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung des allgemeinen Persönlichkeits-
rechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Jene Voraussetzungen für eine Durchbrechung des
Grundsatzes der Rechtssicherheit knüpfen teilweise an bislang anerkannte Durchbrechungen an, die aber nicht als
abschließend anzusehen sind; der bloße Schluss aus dem Umstand des bisherigen Fehlens eines Aufhebungsge-
setzes innerhalb der zeitlichen Geltung des Grundgesetzes (also ohne einen Systemumbruch) auf dessen Verfas-
sungswidrigkeit greift zu kurz. Auch der (in den Worten des BVerfG) nirgends rein verwirklichte Grundsatz der
Gewaltenteilung kann im hier vorliegenden Falle eines qualifizierten Verfassungsverstoßes der Strafandrohungs-
vorschrift (des § 175 StGB) einerseits, einer kollektiven, klar abgrenzbaren Betroffenheit andererseits durchbro-
chen werden, zumal ein Aufhebungsgesetz lediglich ad personam wirken und primär an die frühere Verantwor-
tung des Gesetzgebers selbst anknüpfen würde. Schließlich würde die Aufhebung der Strafurteile auf der Grund-
lage des § 175 StGB keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf
den gleichzeitigen Fortbestand von Verurteilungen aufgrund eines Verstoßes gegen die seinerzeit bestehenden
Straftatbestände der Kuppelei bzw. des Ehebruchs bewirken. In beiden Fällen liegt kein bzw. ein vergleichsweise
deutlich weniger qualifizierter Verfassungsverstoß vor und bestand eine weniger intensive Verfolgungspraxis so-
wie eine schwächere Betroffenheit. Die Stigmatisierung und die Intensität der gesellschaftlichen Repressionen,
die die von einer Verurteilung nach § 175 StGB Betroffenen überwiegend und typischerweise erlitten haben, sind
insoweit nicht zu vergleichen.

Zu § 2
Die Norm lehnt sich an die Formulierung in § 5 NS-AufhG an und regelt in Absatz 1 das Feststellungsverfahren.
Danach wird die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur auf Antrag tätig. Die Aufzählung der nach dem Tode des
Verurteilten antragsberechtigten Angehörigen in Absatz 2 lehnt sich an § 11 Abs. 1 Nr. 1a StGB an. Bei der Ab-
lehnung der Feststellung handelt es sich um einen Justizverwaltungsakt, sodass nach § 23 EGGVG der Rechtsweg
zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Nur in den Fällen, in denen alle Antragsberechtigten verstorben oder
unbekannten Aufenthalts sind, hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen tätig zu werden. Hierdurch soll ver-
hindert werden, dass gegen den Willen von Justizopfern ein Feststellungsverfahren durchgeführt wird. Weitere
Voraussetzung hierfür ist aber darüber hinaus die Geltendmachung eines berechtigten Interesses. Der Begriff des
berechtigten Interesses entspricht dem in § 193 StGB. Es liegt vor, wenn ein vom Recht als schutzwürdig aner-
kannter öffentlicher oder privater, ideeller oder materieller Zweck verfolgt wird. Das ist jedenfalls immer dann
gegeben, wenn die Feststellung im Interesse der Allgemeinheit liegt bzw. das Ausmaß der Rechtsverletzung oder
die Stellung des Betroffenen im öffentlichen Leben die Feststellung erforderlich erscheinen lassen. Absatz 3 regelt
die örtliche Zuständigkeit. Wie in den bisherigen Gesetzen und Verordnungen bestimmt sich diese in erster Linie

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/9882
nach dem Sitz der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren eingeleitet hatte und in zweiter Linie nach dem Wohnsitz
des Antragstellers. In den Fällen, in denen der Sitz der Staatsanwaltschaft bzw. der Wohnsitz der Verurteilten
außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes lag, soll die zuständige Staatsanwaltschaft durch den Bundesge-
richtshof bestimmt werden.

Zu § 3
Diese Vorschrift stellt klar, dass die Nebenstrafen und Nebenfolgen im Falle der Urteilsaufhebung ebenfalls auf-
gehoben sind.

Zu § 4
Diese Vorschrift regelt wie bisher die registerrechtliche Behandlung von aufgehobenen Verurteilungen.

Zu § 5
Die Norm stellt in Absatz 1 klar, dass die nach diesem Gesetz Rehabilitierten einen individuellen Entschädigungs-
anspruch haben. Dieser ist, da mit der Urteilsaufhebung die Grundlage für den darin enthaltenen Schuldspruch
und die ausgesprochene Strafe (Freiheits- oder Geldstrafe) beseitigt ist, aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten.
Die Entschädigung erfolgt nach Maßgabe des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
(StrEG).

Die Norm regelt in Absatz 2, dass der Bund einen Entschädigungsfonds mit dem Ziel, in Härtefallsituationen
bestehende negative Auswirkungen der Strafverfolgung für die nach diesem Gesetz Rehabilitierten abzumildern,
errichtet. Es werden hierfür einmalig Bundeshaushaltsmittel in Höhe von 5 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Der
Fonds soll ähnlich dem Härtefonds für Opfer extremistischer Übergriffe ausgestaltet sein.

Die Norm regelt in Absatz 3 die kollektive Entschädigung der durch dieses Gesetz Rehabilitierten durch Errich-
tung einer bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld angesiedelten kollektiven Entschädigungsfonds durch den
Bund. Die Höhe der Kollektiventschädigung beträgt 60 Mio. Euro, was dem Zwanzigfachen der heutigen jährli-
chen Ausgaben des Bundes für heutige LSBTI-Projekte entspricht. Hintergrund hierfür ist, dass aufgrund des
§ 175 StGB in den Jahren 1949 bis 1969 eine Förderung unmöglich war und Projekten für schwule Männer durch
die grundgesetzwidrige Verfolgung nach § 175 StGB zwanzig Jahre lang ein entsprechender Betrag entgangen
ist. Mit dem Entschädigungsbetrag sollen Projekte zur Erforschung und Dokumentierung von Auswirkungen des
§ 175 StGB auf das gesellschaftliche Zusammenleben und Lebensschicksalen, die unter § 175 StGB und § 151
StGB-DDR gelitten haben, und zur Aufklärung sowie für Bildungsmaßnahmen finanziert werden, des Weiteren
Projekte, die älteren Generationen schwuler Männer zu Gute kommen, z. B. durch umfassende Konzepte für eine
kultursensible Versorgung, Pflege und Begleitung von älteren LSBTI, Integration dieser Konzepte in die Aus-
und Weiterbildung sowie Organisations- und Personalentwicklung in der Altenarbeit und Altenpflege. Weiterhin
soll die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Schwulenberatung aus dem Entschädigungsbetrag finanzielle Unter-
stützung für die psychosoziale und rechtliche Beratung der Opfer nach § 175 StGB erhalten.

In Abs. 4 wird klargestellt, dass Näheres ein eigenes Bundesgesetz regelt.

Zu § 6
Die Norm regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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