BT-Drucksache 18/9715

Internationale verdeckte Ermittlungen der Bundespolizei

Vom 16. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9715
18. Wahlperiode 16.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Jan van Aken, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Harald Petzold (Havelland), Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Internationale verdeckte Ermittlungen der Bundespolizei

Auch die Bundespolizei darf zukünftig verdeckte Ermittler führen (Bundestags-
drucksache 18/8917). In der Diskussion um den Gesetzentwurf begründete der
Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann, den Bedarf nach gefah-
renabwehrenden gesetzlichen Befugnissen zum Einsatz verdeckter Ermittler mit
dem Phänomen der „illegalen Migration“ (Stellungnahme Dieter Romann vom
21. Juni 2016). Dem Bundespolizeipräsidenten zufolge hat seine Behörde bereits
in größerem Umfang von der Führung von Vertrauenspersonen Gebrauch ge-
macht. Einsätze erfolgten demnach anläßlich „wiederholter Schiffsschleusungen
von der Türkei (Mersin) nach Italien“. Durch die verdeckt gewonnenen Erkennt-
nisse wurden drei voll besetzte Schiffe aufgebracht und beschlagnahmt, 1 100
Personen dadurch an der vergleichsweise sicheren Überfahrt in die Europäische
Union gehindert.
Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst ist mit der Aufklärung von internatio-
naler „Schleusungskriminalität“ befasst. Der Präsident des Bundesnachrichten-
dienstes (BND), Gerhard Schindler, warnte vor einem „internationalen Schlep-
pernetzwerk“, das demzufolge „über die Türkei bis nach Griechenland, Italien
und Frankreich reicht“ (ZEIT ONLINE vom 4. November 2015). Es ist unklar,
woher diese Informationen stammen. Möglich wäre die mittlerweile umstruktu-
rierte „Hauptstelle für Befragungswesen“ des BND, deren Mitarbeiter Flücht-
linge und Asylbewerber befragten und ihre Zugehörigkeit zum Geheimdienst da-
bei verschwiegen (Bundestagsdrucksache 12/3326).
Viele der grenzüberschreitenden Maßnahmen gegen „Schleusernetzwerke“ wer-
den von der EU-Polizeiagentur Europol koordiniert. Zuletzt führten die unter Lei-
tung der italienischen Polizei, Europols und der Agentur der Europäischen Union
für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) durchgeführte Razzien
am 6. September 2016 zu 16 Verhafteten. Europol hilft auch bei Ermittlungen
gegen mutmaßliche „Schleuser“ im Ausland. Internationale gemeinsame Ermitt-
lungen unter Einsatz verdeckter Ermittler der Bundespolizei könnten auch über
neue Einrichtungen auf Ebene der Europäischen Union erfolgen (Bundestags-
drucksachen 18/8669, 18/6859). Die Bundespolizei arbeitet mit dem bei Europol
im Februar 2016 gestarteten „Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Mig-
rantenschleusung“ (EMSC) zusammen. Auch an dem eng mit dem EMSC koope-
rierenden und ebenfalls zu Europol gehörenden „Joint Operational Office against
Human Smuggling Networks“ (JOO) in Wien ist die Bundespolizei beteiligt.
Ebenfalls zur grenzüberschreitenden Bekämpfung von „Schleusungskriminalität“
wurde das Deutsch-österreichische „Polizeikooperationszentrum“ in Passau ein-

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gerichtet, zu dem die Bundespolizei und die bayerische Polizei Verbindungsbe-
amte entsenden. Die Verbesserung der grenzüberschreitenden verdeckten Obser-
vation wird auf Ebene der Europäischen Union in der „Cross-Border Surveillance
Working Group“ (Bundestagsdrucksache 17/5133), im Rahmen des „Internatio-
nal Specialist Law Enforcement“ und mit der „Europol Platform for Experts“ ent-
wickelt (Bundestagsdrucksachen 18/7698, 18/7466). Bislang arbeitet dort aus
Deutschland das Bundeskriminalamt (BKA) am grenzüberschreitenden Einsatz
von Peilsendern oder anderen Überwachungsmaßnahmen mit. Die Bundespolizei
könnte sich in diesen Arbeitsgruppen ebenfalls zu technischen Fragen verdeckter
Ermittlungen austauschen.
Das BKA und das Zollkriminalamt sind außerdem Mitglied einer weltweiten so-
wie einer europäischen Arbeitsgruppe zu verdeckten Ermittlungen (siehe „Inter-
national im Verborgenen agierende Polizeinetzwerke“ in der Zeitschrift Bürger-
rechte & Polizei/Cilip 101-102). Treffen der International Working Group on
Police Undercover Activities (IWG) und European Cooperation Group on Under-
cover Activities (ECG) befassen sich unter anderem mit der „regelmäßige[n] Dar-
stellung der aktuellen nationalen Situation“ sowie der „Erörterung von Aspekten
der internationalen Zusammenarbeit anhand von Fallbeispielen“. Denkbar ist,
dass auch die Bundespolizei zukünftig an den Arbeitsgruppen teilnimmt oder sich
dort durch das BKA und das Zollkriminalamt vertreten lässt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchen Fällen ist das Bundeskriminalamt (BKA) für „Schleusungsver-

fahren“ in Deutschland zuständig, und wie wird diese Zuständigkeit von der
Bundespolizei abgegrenzt?

2. Welche Abteilungen der Bundespolizei sind für Schleusungsverfahren zu-
ständig, und wie viele dieser Verfahren werden in den einzelnen Abteilungen
jeweils geführt?

3. Ab wann will die Bundespolizei über die Möglichkeit zum Einsatz verdeck-
ter Ermittler verfügen, bzw. inwieweit wird dies bis zum Aufbau eigener Ka-
pazitäten in Amtshilfe durch andere Behörden übernommen?
a) Inwiefern soll der Einsatz verdeckter Ermittler auf das Phänomen der „il-

legalen Migration“ beschränkt sein, bzw. gegen welche weitere Krimina-
litätsbereiche könnte dieser erfolgen?

b) Was ist damit gemeint, wenn der Bundespolizeipräsident „Initiativermitt-
lungen“ ankündigt, und inwiefern erfolgen diese bereits im Bereich der
„illegalen Migration“?

4. Mittels welcher herausragenden Beispiele kann die Bundesregierung die
Aussage des Bundespolizeipräsidenten belegen, durch „Schleuser“ würden
Zeugen und Opfer regelmäßig „mit Gewalt eingeschüchtert oder zu Falsch-
aussagen genötigt“?

5. Welche Ermittlungskommissionen hat die Bundespolizei bereits im Bereich
der „illegalen Migration“ eingerichtet, und welche weiteren Behörden gehö-
ren diesen jeweils an?

6. Seit wann und in welchem zahlenmäßigen Umfang hat die Bundespolizei
von der Führung von Vertrauenspersonen Gebrauch gemacht?

7. Inwiefern werden Vertrauenspersonen der Bundespolizei auch grenzüber-
schreitend eingesetzt, und welche rechtlichen Bestimmungen sind dafür
maßgeblich?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9715
8. Welche der vom Bundespolizeipräsidenten geschilderten Einsätze von Ver-
trauenspersonen erfolgten unter Führung der Bundespolizei, und welche
wurden von ausländischen Behörden verantwortet?
a) In welchem Umfang setzen Bundesbehörden im Rahmen der Zusammen-

arbeit mit türkischen Behörden Vertrauenspersonen ein, und in welchen
dieser Einsätze operierten türkische Vertrauenspersonen in Deutschland?

b) Über welche Meldewege werden Einsätze von Vertrauenspersonen türki-
scher Behörden in Deutschland angekündigt?

9. Inwiefern wurden die von der Bundespolizei angeworbenen Vertrauensper-
sonen unter Geflüchteten rekrutiert, und inwiefern waren andere Bundesbe-
hörden dabei behilflich?

10. Wie viele „bevorstehende Schiffsschleusungen“ wurden durch den Einsatz
der Vertrauenspersonen verhindert?
a) Welche türkischen Sicherheitsbehörden haben hierfür die verdeckt durch

Vertrauenspersonen der Bundespolizei erlangten Informationen über wel-
chen Kanal der internationalen Rechtshilfe erhalten?

b) In welchen Fällen haben ausländische Vertrauenspersonen oder verdeckte
Ermittler nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangenheit in
Deutschland Straftaten begangen, und welche dieser Fälle wurden vor Ge-
richt gebracht?

11. Welche größeren Durchsuchungen oder Verhaftungen hat die Bundespolizei
im Rahmen gemeinsamer grenzüberschreitender Ermittlungen mit Behörden
anderer EU-Mitgliedstaaten oder der Türkei durchgeführt, und an welchen
dieser Maßnahmen war die Polizeiagentur Europol beteiligt?

12. Auf welche Weise ist der BND mit der Aufklärung von „Schleusungskrimi-
nalität“ befasst?

13. Inwiefern bedient sich der BND bei den verwendeten Informationen aus der
mittlerweile umstrukturierten „Hauptstelle für Befragungswesen“ (HBW)
des BND bzw. der Organisationseinheiten innerhalb des Beschaffungswe-
sens, die die Aufgaben der HBW übernommen haben?

14. Inwieweit werden im Beschaffungswesen des BND weiterhin die Methoden
der aufgelösten HBW, wie sie in Kleinen Anfragen (Bundestagsdruck-
sache 12/3326) und in Befragungen des 1. Untersuchungsausschusses der
18. Wahlperiode (NSA-Untersuchungsausschuss, 64. Sitzung) offenbar wur-
den, angewandt (Befragung unter Legende, Beisein der Vertreter öffentlicher
Stellen von Drittstaaten etc.)?

15. An welchen Gemeinsamen Ermittlungsgruppen (JIT) auf Ebene der Europä-
ischen Union waren das BKA und die Bundespolizei in den Jahren 2014,
2015 und 2016 beteiligt (http://statewatch.org/news/2016/jul/europol-policy-
cycle-illegal-immigration-report-09931-16.pdf)?
a) Inwiefern könnten gemeinsame Ermittlungen unter Einsatz verdeckter Er-

mittler der Bundespolizei auch über das bei Europol im Februar 2016 ge-
startete „Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleu-
sung“ (EMSC) erfolgen bzw. dort koordiniert werden?

b) Inwiefern könnten gemeinsame Ermittlungen unter Einsatz verdeckter Er-
mittler der Bundespolizei auch über das mit dem EMSC kooperierenden
und ebenfalls zu Europol gehörende Internationale Ermittlungsbüro ge-
gen Schlepperei (JOO) in Wien erfolgen bzw. dort koordiniert werden?

c) Inwiefern könnten gemeinsame Ermittlungen unter Einsatz verdeckter Er-
mittler der Bundespolizei auch über das deutsch-österreichische „Polizei-
kooperationszentrum“ in Passau erfolgen bzw. dort koordiniert werden?

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16. Inwiefern plant die Bundespolizei die Verbesserung ihrer Fähigkeiten zur

grenzüberschreitenden verdeckten Observation, und inwiefern ist hierfür die
Mitarbeit in der „Cross-Border Surveillance Working Group“, der Gruppe
„International Specialist Law Enforcement“ oder mit der „Europol Platform
for Experts“ geplant?

17. Inwiefern tauscht sich die Bundespolizei schon jetzt mit dem BKA oder dem
Zollkriminalamt über die Arbeit und die Ergebnisse der genannten EU-Ar-
beitsgruppen aus, bzw. welche Planungen existieren hierzu?

18. Inwiefern plant die Bundespolizei eine Mitarbeit in der IWG oder der ECG?
a) Inwiefern tauscht sich die Bundespolizei schon jetzt mit dem BKA oder

dem Zollkriminalamt über die Arbeit und die Ergebnisse der IWG und
ECG aus, bzw. welche Planungen existieren hierzu (Bundestagsdrucksa-
chen 17/9844, 17/5736)?

b) Inwiefern wurden die Erfahrungen aus den Fällen aufgeflogener verdeck-
ter Ermittlerinnen des Hamburger Landeskriminalamtes (Tarnnamen „Iris
Schneider“, „Maria Block“, „Astrid Schütt“) nach Kenntnis der Bundes-
regierung in der ECG oder der IWG thematisiert, bzw. inwiefern ist dies
beabsichtigt (vgl. taz.de vom 18. Mai 2016)?

19. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die IWG oder die
ECG technische Infrastruktur der Polizeiagentur Europol nutzen?

20. Inwiefern ist nach der Änderung des „Gesetzes zum besseren Informations-
austausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ auch ge-
plant, dass die Bundespolizei die Führung verdeckt eingesetzter ausländi-
scher Polizeibeamter in Deutschland beaufsichtigt bzw. als Kontaktstelle für
die Anmeldung solcher Einsätze fungiert?
a) Inwiefern wurde die Handlungsanleitung zur „Führung verdeckt einge-

setzter ausländischer Polizeibeamter“ nunmehr auch der Bundespolizei
zugänglich gemacht (Bundestagsdrucksache 18/3754)?

b) Im Rahmen welcher Zusammenarbeitsformen tauscht sich die Bundespo-
lizei über taktische oder rechtliche Fragen des grenzüberschreitenden Ein-
satzes verdeckter Ermittler mit Behörden der Türkei aus?

21. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, wie viele Internetauftritte von
„Schleusern“ durch die „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol festge-
stellt und bei den Providern zur Entfernung gemeldet wurden?
a) Wo werden die zur Entfernung gemeldeten Inhalte oder Accounts bei Eu-

ropol gespeichert?
b) Von welcher Stelle wurden die Nutzerdaten ermittelt, und inwiefern ha-

ben Bundesbehörden hieran mitgearbeitet?
22. Inwiefern war die „Meldestelle“ auch in operative Ermittlungen im Bereich

„illegaler Migration“ unter Koordination von Europol eingebunden, an de-
nen das BKA oder die Bundespolizei beteiligt war?

23. In welchem Umfang hat die Bundespolizei bereits Mittel zur Quellen-Tele-
kommunikationsüberwachung („Staats-Trojaner“) eingesetzt?

24. Wie erklärt die Bundespolizei die Verdoppelung der Nutzung von Stillen
SMS bei der Bundespolizei im ersten Halbjahr 2016 (Bundestagsdrucksache
18/9366), und inwiefern steht dies im Zusammenhang mit der Verfolgung
internationaler „Schleusungskriminalität“?

25. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in der
Europol-Datei „Checkpoint“ als Verdächtigte oder Kontaktpersonen gespei-
chert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9715

26. Was ist der Bundesregierung über Zeitpunkt und Teilnehmende (auch Agen-

turen oder private Dienstleister) an diesjährigen polizeilichen „Gemeinsa-
men Aktionstagen“ („Joint Action Days“, JAD, „Large Scale Joint Action
Days“, LSJAD) der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten bekannt,
und welche Fluggesellschaften haben im Jahr 2016 bereits abgehaltenen oder
geplanten „Gemeinsamen Aktionstagen“ teilgenommen (bitte dazu die je-
weiligen JADs zuordnen)?

Berlin, den 16. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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