BT-Drucksache 18/9708

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/8579, 18/8964, 18/9129 Nr. 1.1, 18/9699 - Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe

Vom 21. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9708
18. Wahlperiode 21.09.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Hans-Christian Ströbele, Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, Ulle Schauws,
Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Renate Künast,
Dr. Konstantin von Notz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/8579, 18/8964, 18/9129 Nr. 1.1, 18/9699 –

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung
neuer psychoaktiver Stoffe

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Neue psychoaktive Stoffe, auch bekannt unter den Bezeichnungen „Legal Highs“
oder „Research Chemicals“, sind Substanzen, die chemisch nicht unter das Betäu-
bungsmittelgesetz (BtMG) fallen. Häufig nehmen die Hersteller nur leichte moleku-
lare Veränderungen an den Substanzen vor, sobald ein Wirkstoff dem BtMG unter-
stellt wird, um so das gesetzliche Verbot zu umgehen. Die Europäische Beobach-
tungsstelle für Drogen und Drogensucht registrierte 98 Substanzen im Jahr 2015 und
verzeichnet damit insgesamt 560 neue psychoaktive Substanzen, davon 380 allein in
den letzten fünf Jahren (vgl. Europäischer Drogenbericht, Trends und Entwicklun-
gen 2016).
Neue psychoaktive Stoffe werden als legale Alternative zu natürlichem Cannabis
oder Ecstasy vor allem im Onlinehandel angeboten. Der Erkenntnisstand zu vielen
neuen psychoaktiven Substanzen ist unzureichend, so dass eine abschließende Be-
wertung über Risiken nicht immer möglich ist (vgl. Morgenstern 2014, in: Alterna-
tiver Drogen- und Suchtbericht 2014). Der Konsum von neuen psychoaktiven Sub-
stanzen ist nicht harmlos: Wirkstoffgehalt und Zusammensetzung der neuen psycho-
aktiven Substanzen sind intransparent, so dass der Konsum, der als Räuchermi-
schungen oder Badesalze angebotenen Substanzen, mit unabsehbaren gesundheitli-
chen Risiken einhergehen kann (vgl. Egger, Werse 2015, in: Alternativer Drogen-
und Suchtbericht 2015).
Dies ist vor allem deshalb problematisch, weil der größte Teil der Konsumentinnen
und Konsumenten auf diese Substanzen ausweicht, um das Verbot illegaler Drogen,

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insbesondere das derzeitige Cannabis-Verbot, zu umgehen. Untersuchungen haben
gezeigt, dass ein Großteil der Konsumierenden natürliches Cannabis bevorzugt, je-
doch vor der Beschaffung auf dem Schwarzmarkt, der Nachweisbarkeit der natürli-
chen Cannabisstoffe in Drogentests und dem Verlust des Führerscheins zurück-
schreckt (vgl. Werse 2016, Stellungnahme zur Anhörung Gesetzentwurf NpSG).
Das jetzige restriktive Betäubungsmittelrecht ist somit ein wesentlicher Grund dafür,
warum neue psychoaktive Stoffe auf dem Markt sind.
Die Bundesregierung schlägt in ihrem Gesetzentwurf ein Stoffgruppenverbot vor,
das den Umgang mit ganzen Substanzgruppen verbietet. Abgesehen davon, dass der
Gesetzentwurf mit seinem Formelanhang nur für Fachchemikerinnen und Fachche-
miker les- und verstehbar ist, verfehlt der Gesetzentwurf darüber hinaus gleich mehr-
fach sein Ziel.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen,

1. der ein Regulierungsmodell für neue psychoaktive Substanzen enthält, das ba-
sierend auf einer wissenschaftlichen Risikobewertung der Substanzen den Rah-
men zum erlaubten Umgang mit neuen psychoaktiven Substanzen, insbeson-
dere in der Medizin, Wissenschaft und Forschung sowie Industrie, klarstellt und
Rechtssicherheit für Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch für Wis-
senschaft und Forschung, Medizin und Industrie schafft;

2. der suchtpräventive Maßnahmen etabliert, um (potentielle) Konsumentinnen
und Konsumenten über die Risiken des Konsums neuer psychoaktiver Substan-
zen wirksam aufzuklären, Maßnahmen zur Schadensminderung zulässt (u. a.
die Einführung von Drug Checking-Projekten) sowie den Zugang zu Hilfs- und
Unterstützungsangeboten bei einem problematischen Konsumverhalten sicher-
stellt;

3. die Cannabis-Prohibition zu beenden und ein Regulierungssystem für eine
staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis zu schaffen, das einen wirksamen
Jugend- und Verbraucherschutz sowie glaubhafte Suchtprävention sicherstellt
und den derzeitigen Schwarzmarkt austrocknet (vgl. Entwurf eines Cannabis-
kontrollgesetzes, Bundestagsdrucksache 18/4204);

sowie darüber hinaus,

4. Forschungsvorhaben zu neuen psychoaktiven Substanzen zu fördern, um den
Erkenntnisgewinn über die jeweiligen Substanzen zu erhöhen, eine Bewertung
des Gefährlichkeitspotenzials zu ermöglichen, Substanzanalyseverfahren zu
entwickeln und zu verbessern, sowie medizinische und therapeutische Leitli-
nien zur Behandlung von Konsumierenden im Notfall sowie bei Abhängig-
keitserkrankungen zu erarbeiten;

5. eine externe wissenschaftliche Evaluierung der Auswirkungen der Verbotspo-
litik für illegalisierte Betäubungsmittel zu initiieren und dem Bundestag zeitnah
einen Bericht über die Ergebnisse vorzulegen (vgl. Bundestagsdrucksa-
che 18/1613).

Berlin, den 20. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9708

Begründung

Das Verbot hält – wie jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Betäubungsmittelgesetz gezeigt haben – nicht
vom Konsum ab. Das zeigt auch die Erfahrung aus anderen europäischen Ländern, die Stoffgruppenregelungen
eingeführt haben, und in denen die Nachfrage nach neuen psychoaktiven Substanzen nicht nennenswert redu-
ziert werden konnte (vgl. Werse 2016, Stellungnahme Anhörung zum Gesetzentwurf NpSG). Das Verbot ist
ein Katalysator für die organisierte Kriminalität. Es führt in der Konsequenz zu einem völlig unregulierten
Markt, auf dem es keinen Jugend- und Verbraucherschutz gibt. Zudem werden die gesundheitlichen Risiken
einer Substanz auf dem Schwarzmarkt erfahrungsgemäß größer, denn Zusammensetzung und Wirkstoffgehalt
der Produkte bleiben weiter unklar. Dies reduziert nicht die gesundheitlichen Konsumrisiken für Konsumen-
tinnen und Konsumenten, sondern erhöht sie vielmehr. Der Schutz der Gesundheit, den die Bundesregierung
als Ziel vorgibt, wird somit verfehlt.
Hinzu kommt die verschärfte Marktdynamik aufgrund des Stoffgruppenverbots. Der Online-Handel, der vor
allem aus Asien bedient wird, wird durch das Stoffgruppenverbot nicht eingedämmt werden können, da die
deutschen Strafverfolgungsbehörden allenfalls im Rahmen von Kooperationen mit (EU-)ausländischen Behör-
den zusammen tätig sein kann. Das Stoffgruppenverbot wird auch das Katz- und Mausspiel von Anbietern und
Gesetzgeber nicht verhindern. Die organisierte Kriminalität wird weitere Substanzen auf den Markt bringen,
die weder dem Stoffgruppenverbot noch dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen (vgl. Morgenstern 2014, in:
Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2014). Diese neuen Substanzen können mitunter weitaus gefährlicher
als „klassische“ Substanzen sein, da über ihre Wirkung und mögliche gesundheitliche Risiken aufgrund ihrer
Neuartigkeit wenig bekannt ist (u. a. Dosierung, Folgeschäden etc.). Das Verbot hemmt die Forschung und den
Erkenntnisgewinn über neue psychoaktive Substanzen, der für die medizinische Versorgung sowie Prävention
jedoch dringend erforderlich ist. Denn erst wenn aussagekräftige Ergebnisse zum Risikopotenzial sowie Sub-
stanzanalyseverfahren zur Verfügung stehen, kann eine optimale medizinische Behandlung (insbesondere in
Notfällen und bei problematischem Konsumverhalten) und Beratung über Konsumrisiken erfolgen.
Auch die nötigen verhaltenspräventiven Maßnahmen lässt der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zu.
Vielmehr untergräbt das Verbot Information und Aufklärung, da die neuen psychoaktiven Substanzen in die
Illegalität gedrängt werden. Dabei ist für einen verantwortungsvollen Umgang mit neuen psychoaktiven Sub-
stanzen die Aufklärung über Konsumrisiken und Suchtgefahren unerlässlich. Eine glaubhafte Aufklärung trägt
dazu bei, dass (potentielle) Konsumentinnen und Konsumenten Maßnahmen der Schadensminderung kennen-
lernen oder sogar ganz vom Konsum absehen. Der Gesetzentwurf enthält noch nicht einmal eine Regelung,
durch die die Auswirkungen des einzuführenden Stoffgruppenverbotes überprüft werden.
Ziel einer modernen und am Menschen orientierten Drogenpolitik muss immer sein, die Schäden durch riskan-
ten Drogenkonsum zu reduzieren. Ein regulierter Markt, der sich an dem Gefährlichkeitspotenzial einer Sub-
stanz orientiert und der verhältnispräventive sowie verhaltenspräventive Maßnahmen berücksichtigt, kann den
Jugend- und Verbraucherschutz verbessern sowie deutlich mehr Spielräume für glaubwürdige Suchtprävention
schaffen. Das Verbot und das Strafrecht sind hier der falsche Ansatz und tragen nicht zur Schadensminderung
bei.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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