BT-Drucksache 18/9613

Fahndungs- und Auslieferungsersuchen der Türkei

Vom 8. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9613
18. Wahlperiode 08.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Kersten Steinke, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Fahndungs- und Auslieferungsersuchen der Türkei

Am 25. Juli 2016 strahlte der „Bayerische Rundfunk“ ein 30-minütiges Exklu-
siv-Interview mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan aus. Darin
erklärte Recep Tayyip Erdoǧan, sein Land kämpfe seit 40 Jahren gegen den
Terror und „ein Großteil dieser Terroristen werden aber auch in Deutschland
unterstützt und genährt und Deutschland unterstützt diese auch“. Weiter erklärte
Recep Tayyip Erdoǧan, er habe der Bundeskanzlerin „4 000 Akten zu den Per-
sonen gegeben, übermittelt, von Namen her gesehen“. Auf die Frage, was damit
geschehe, habe ihm die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gesagt, der Jus-
tizprozess gehe weiter und es seien mittlerweile schon 4 500 Akten. Die von
der Türkei Gesuchten leben laut Recep Tayyip Erdoǧan heute in Frankreich,
Belgien, Deutschland und Holland. Obwohl die Türkei nachrichtendienstliche
Informationen übermittelt habe, würden diese „Terroristen“ nicht ausgeliefert.
(www.br.de/mediathek/video/sendungen/nachrichten/interview-gottlieb-erdogan-
100.html; deutsche Transkription des Interviews unter: www.tkpml-prozess-
129b.de/de/sigmund-gottlieb-br-chefredakteur-und-istanbul-korrespondent-
michael-schramm-fuehren-ein-30-minuetiges-exklusiv-interview-mit-dem-
tuerkischen-praesidenten-recep-tayyip-erdogan/).
Auf die Schriftliche Frage 17 des Abgeordneten Andrej Hunko auf Bundestags-
drucksache 18/9390 nach den von Recep Tayyip Erdoǧan genannten 4 000 Akten,
bestätigte die Bundesregierung lediglich, dass türkische Behörden der Bundesre-
gierung regelmäßig Informationen und Hinweise im Rahmen des Vorgehens ge-
gen mutmaßliche Terroristinnen und Terroristen sowie ihre Unterstützerinnen
und Unterstützer übermitteln. Diese würde von den zuständigen deutschen Be-
hörden auf ihre Sicherheitsfragen betreffende und strafrechtliche Relevanz ge-
prüft und gegebenenfalls zum Anknüpfungspunkt für weitergehende eigene Er-
mittlungen und Maßnahmen gemacht.
Nach Einschätzung der Fragesteller handelt es sich bei den von der Türkei ge-
suchten mutmaßlichen „Terroristen“ mehrheitlich um Anhängerinnen und Anhä-
nger linker und kurdischer Vereinigungen aus der Türkei. Nach dem Putschver-
such vom 15. Juli 2016 in der Türkei forderte die türkische Regierung von
Deutschland auch die Auslieferung von Anhängern der Gülen-Bewegung, die sie
für die Militärrevolte verantwortlich macht, welche über 250 Menschenleben
kostete. Der türkische Europaminister Ömer Celik verlangte von Berlin die Aus-
weisung von Predigern, die Mitglieder der Gülen-Bewegung sind, in die Türkei
(www.tagesschau.de/ausland/guelen-auslieferung-101.html). Presseberichten zu-

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folge schickten türkische Behörden seit Mitte Juli 2016 40 Fahndungs- und Aus-
lieferungsersuchen bezüglich in Deutschland lebender oder dorthin geflohener
Gülen-Anhänger an die Bundesregierung. Dabei soll der türkische Geheim-
dienst an den Bundesnachrichtendienst herangetreten sein, um Deutschland für
einen harten Kurs gegen die Gülen-Bewegung zu gewinnen (www.dw.com/de/
bericht-t%C3%BCrkei-fordert-bnd-unterst%C3%BCtzung-im-kampf-gegen-
g%C3%BClen/a-19489465).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Aussage des türki-

schen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan aus einem am 25. Juli 2016 vom
„Bayerischen Rundfunk“ ausgestrahlten Interview zu, dass türkische Behör-
den der Bundesregierung oder deutschen Behörden rund 4 000 Akten von
der türkischen Justiz als Terroristen eingestuften Personen übergeben haben?
a) Wie viele derartige Akten wurden welchen deutschen Behörden wann und

in welchem Zeitraum durch welche türkischen Regierungsstellen oder Be-
hörden übergeben?

b) Um welche Art von Akten handelt es sich dabei?
c) Inwieweit handelt es sich bei den genannten Akten um Fahndungs- oder

Auslieferungsersuchen der türkischen Justiz?
d) Mit welcher konkreten Maßgabe oder Handlungserwartung von türki-

scher Seite aus wurden diese Akten nach Kenntnis der Bundesregierung
an deutsche Behörden übergeben, bzw. welche etwaigen diesbezüglichen
Zusagen gab es seitens deutscher Behörden?

e) Welche der deutschen Behörden im Einzelnen haben nach Kenntnis der
Bundesregierung auf diese Akten oder – etwa im Rahmen von Verbund-
dateien – Zugriff erhalten?

f) Welche europäischen Behörden bzw. Behörden im EU-Ausland haben
nach Kenntnis der Bundesregierung vermittelt über deutsche Behörden
oder Verbunddateien Zugriff auf diese Akten bekommen?

2. Welchen von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen oder
Personenkreise sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die in den Akten
genannten Personen angehören (bitte benennen, wie viele Personen welcher
Organisation oder Personengruppe jeweils zugeordnet werden), und bei wel-
cher dieser Gruppierungen handelt es sich auch nach Auffassung der Bun-
desregierung um terroristische Vereinigungen?

3. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Personen,
die in den von Recep Tayyip Erdoǧan erwähnten Akten genannt werden,
heute in Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien leben?

4. Inwieweit handelt es sich bei den in den Akten genannten Personen um in
der Bundesrepublik Deutschland oder anderen EU-Staaten als politische
Flüchtlinge anerkannte Personen bzw. Personen, die dort Asyl oder Schutz
aufgrund einer Verfolgung in der Türkei erhalten haben oder um Personen,
die die Staatsbürgerschaft der jeweiligen europäischen Länder besitzen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9613
5. Inwieweit trifft es zu, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gegenüber
dem türkischen Präsidenten auf dessen Nachfrage zu den Akten erklärt habe,
der Justizprozess gehe weiter?
a) Falls getätigt, was genau meint die Bundeskanzlerin mit dieser Aussage

bezüglich des Justizprozesses?
b) In wie vielen und welchen Fällen, auf welcher rechtlichen Grundlage und

mit welchem Ergebnis hat sich die deutsche Justiz nach Kenntnis der Bun-
desregierung mit den in den Akten genannten Terrorverdächtigen befasst?

6. In wie vielen und welchen Fällen und auf welcher rechtlichen Grundlage
wurden in diesen Akten genannte Personen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in welchen EU-Ländern in Auslieferungsgewahrsam genommen oder
tatsächlich an die Türkei ausgeliefert?

7. Inwieweit werden in Deutschland lebende Personen, deren Namen in den
Akten aus der Türkei genannt werden, nach Kenntnis der Bundesregierung
von deutschen Behörden darüber in Kenntnis gesetzt?

8. Inwieweit kann die Bundesregierung ein durch die mögliche Einhaltung des
offiziellen Rechtsweges und internationaler rechtlicher Gepflogenheiten er-
kennbares ernsthaftes Bemühen der türkischen Regierung und Justiz erken-
nen, die in den Akten genannten Personen in ihren Einflussbereich zu be-
kommen?

9. Inwieweit entsprechen die von der Türkei deutschen Behörden übergebenen
Akten bezüglich in Europa lebender Terrorverdächtiger internationalen
rechtlichen Standards?

10. Wie viele offizielle Auslieferungsersuchen bezüglich Personen, die von der
türkischen Justiz als Terrorverdächtige eingeschätzt werden, ergingen von
Seiten der türkischen Behörden in den vergangenen fünf Jahren an Deutsch-
land?
a) Um wie viele mutmaßliche Mitglieder oder Anhänger welcher von der

Türkei als terroristisch eingestufter Vereinigungen oder Personengruppen
ging es dabei?

b) Wie viele der Gesuchten lebten nach Kenntnis der Bundesregierung mit
welchem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland?

c) In wie vielen und welchen Fällen wurde türkischen Auslieferungsersu-
chen stattgegeben?

d) In wie vielen und welchen Fällen und mit welcher Begründung wurden
derartige Auslieferungsersuchen abgelehnt oder haben sich auf welche
sonstige Art und Weise erledigt?

e) Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung nach dem geschei-
terten Putsch vom 15. Juli 2016 zu einem Anstieg von offiziellen oder
inoffiziellen Auslieferungsersuchen gegenüber deutschen Behörden und
welche Personengruppen oder Mitglieder welcher Vereinigungen betra-
fen die Auslieferungsersuchen nach dem 15. Juli 2016?

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11. Wie viele offizielle Fahndungs- und Auslieferungsersuchen (bitte jeweils ge-

trennt angeben) bezüglich Anhängerinnen und Anhänger des Predigers
Fethullah Gülen haben türkische Behörden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung an Bundesbehörden oder die Bundesregierung übermittelt?
a) Wie viele dieser Fahndungs- und Auslieferungsersuchen wurden jeweils

in welchem Zeitraum vor dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016
bzw. danach übermittelt (bitte differenziert angeben)?

b) Wie viele sich auf Anhängerinnen und Anhänger der Gülen-Bewegung
beziehende Fahndungs- und Auslieferungsersuchen jeweils vor und nach
dem 15. Juli 2016 betrafen nach Kenntnis der Bundesregierung in
Deutschland lebende türkische Staatsbürger, deutsche Staatsbürger und
mutmaßlich nach Deutschland geflohene oder sich zumindest aus der Tür-
kei angesichts drohender Verfolgung abgesetzter und in Deutschland ver-
mutete türkische Staatsbürger?

12. Inwieweit treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Presseberichte zu, wo-
nach der türkische Geheimdienst an den Bundesnachrichtendienst mit der
Bitte herangetreten ist, deutsche Behörden zu einem härteren Vorgehen ge-
gen die Gülen-Bewegung und die Auslieferung von Gülen-Gefolgsleuten zu
bewegen?

13. Inwieweit folgten auf die Forderung des türkischen Europaministers Ömer
Celik, Deutschland sollte Gülen-Imame in die Türkei ausweisen, offizielle
Ausweisungsbegehren von Seiten der Türkei (www.tagesschau.de/ausland/
guelen-auslieferung-101.html)?

14. Wie gedenkt die Bundesregierung, grundsätzlich mit Fahndungs- und Aus-
lieferungsersuchen der Türkei bezüglich Gülen-Gefolgsleuten umzugehen?

Berlin, den 8. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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