BT-Drucksache 18/9426

Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Gesetzgebungsverfahren

Vom 18. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9426
18. Wahlperiode 18.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Cornelia Möhring, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Gesetzgebungsverfahren

Im Juli 2014 rief das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die „Arbeits-
gruppe Bundesteilhabegesetz“ ins Leben. Im Rahmen dieses Gremiums berieten
Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sowie der So-
zialversicherungsträger und Sozialpartner über die Ausrichtung eines Gesetzes
zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderun-
gen. Organisationen von Betroffenen wurden in der Minderheit miteinbezogen.
Von insgesamt 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Arbeitsgruppe waren
lediglich 10 Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates (DBR)
(vgl. http://nitsa-ev.de/bewusstseinsbildung/bundesteilhabegesetz/faktencheck-
bthg-kabe/6/).
Inzwischen hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für ein Bundesteilha-
begesetz vorgelegt. Die Kritik von Betroffenen, ihren Selbstvertretungsorganisa-
tionen und Verbänden ist enorm. Sie befürchten Verschlechterungen durch die
neuen Regelungen und fordern eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs
im Sinne der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (vgl. www.
deutscher-behindertenrat.de/ID182110).
Ein weiteres Gesetzesvorhaben der Regierung ist die Weiterentwicklung des Na-
tionalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in
Deutschland. Hierzu gab es einen sogenannten „umfassenden Beteiligungspro-
zess“. In den Jahren 2014 und 2015 lud Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
zu den „Inklusionstagen“. An diesen Kongressen in Berlin nahmen hunderte Be-
troffene, Vertreterinnen und Vertreter von Selbstvertretungsorganisationen teil,
um die Inhalte und die Ausrichtung des „Nationalen Aktionsplan 2.0“ (NAP 2.0)
zu diskutieren. Schon während der Inklusionstage wurde die Kritik laut, es gäbe
zu wenig Raum für Diskussionen und die Formulierung von Forderungen. Dar-
über hinaus klagten Selbstvertretungsorganisationen über die Fülle an Gesetzent-
würfen, die sie gleichzeitig erreichte und die daraus resultierende kurze Bearbei-
tungszeit für ihre Stellungnahmen (vgl. www.gemeinsam-einfach-machen.de/
SharedDocs/Downloads/DE/AS/NAP2/Stellungnahme_Verbaende_NAP_20/ISL_
eV.doc?__blob=publicationFile&v=1).
Angesichts der hier umrissenen Kritik an der Partizipation von Menschen mit Be-
hinderungen an Gesetzgebungsverfahren, sprechen viele Betroffene und ihre
Selbstvertretungsorganisationen von Pseudo-Beteiligung (vgl. www.kobinet-
nachrichten.org/de/1/nachrichten/33965/Partizipation-sieht-anders-aus.htm/?search=
Pseuo%20beteiligung).

Drucksache 18/9426 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ein breitangelegter und intensiver Beteiligungsprozess, der der Forderung von
Menschen mit Behinderungen „Nichts über uns ohne uns“ gerecht wird und Be-
troffene im Sinne des Artikel 4 Absatz 3 der UN-Behindertenrechtskonvention
(UN-BRK) beteiligt, ist grundsätzlich notwendig und zu begrüßen. Es muss je-
doch nach Auffassung der Fragesteller sichergestellt werden, dass die berechtig-
ten Forderungen von Betroffenen und ihren Behinderten-, Sozial- sowie Wohl-
fahrtsverbänden und Selbstvertretungsorganisationen berücksichtigt werden und
Eingang in die Gesetzgebung finden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung aufgrund der Kritik

von Behinderten-, Sozial- sowie Wohlfahrtsverbänden und Selbstvertre-
tungsorganisationen an den geplanten Regelungen des Bundesteilhabegeset-
zes?

2. Wie sollte aus Sicht der Bundesregierung ein korrektes, diskriminierungs-
freies und umfassendes Partizipationsverfahren für Gesetzesvorhaben ausge-
staltet werden?

3. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik von Be-
troffenen und Behinderten-, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie von
Selbstvertretungsorganisationen, nach der Kernforderungen, die während
des Beteiligungsprozesses gestellt wurden, nicht in den Gesetzentwürfen
zum Bundesteilhabegesetz und zum NAP 2.0 berücksichtigt wurden?

4. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik von Men-
schen mit Behinderungen und ihren Selbstvertretungsorganisationen, nach
der es sich beim Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetz um eine
Pseudo-Beteiligung gehandelt habe?

5. Wie kann es aus Sicht der Bundesregierung zukünftig gelingen, dass wich-
tige und notwendige Partizipationsverfahren nicht mehr in eine gefühlte
Pseudo-Beteiligung umschlagen?

6. Wie kommt die Bundesregierung im Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabege-
setz zu dem Schluss, dass „Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände
die größte Anzahl an Mitgliedern in der Arbeitsgruppe“ Bundesteilhabegesetz
stellten, wenn laut Aussage von Selbstvertretungsorganisationen lediglich
zehn von insgesamt 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dem Deutschen Be-
hindertenrat (DBR) angehörten (vgl. http://nitsa-ev.de/bewusstseinsbildung/
bundesteilhabegesetz/faktencheck-bthg-kabe/6/)?

7. Aus welchen Gründen wurden die Referentenentwürfe des Bundesteilhabe-
gesetzes, des Nationalen Aktionsplans 2.0 und des Dritten Pflegestärkungs-
gesetzes (PSG III) fast zeitgleich Ende April 2016 veröffentlicht?

8. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der von Selbstvertre-
tungsorganisationen und Verbänden geäußerten Kritik, nach der die fast zeit-
gleiche Veröffentlichung der drei Referentenentwürfe Ende April 2016 zu
einer erheblichen Verkürzung der Bearbeitungszeit ihrer drei Stellungnah-
men geführt hat, die sie Mitte/Ende Mai 2016 vorlegen sollten, und damit der
Beteiligungsprozess in erheblichem Maße eingeschränkt wurde?

9. Wie ist der Stand der Bearbeitung eines Leitfadens zur konsequenten Einbe-
ziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen in die Gesetzge-
bungs-, Verwaltungs- und sonstigen Vorhaben der Bundesministerien, der in
der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestags-
drucksache 18/4359 angekündigt wurde?

10. Was sind die konkreten Inhalte dieses Leitfadens?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9426

11. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik an den Be-

teiligungsprozessen zum Bundesteilhabegesetz und NAP 2.0 im Hinblick auf
die Inhalte des Leitfadens?

12. Erachtet die Bundesregierung einen Leitfaden als geeignetes Mittel, um ein-
heitliche und wirksame Standards für die Partizipation von Menschen mit
Behinderungen und ihren Verbänden und Organisationen zu schaffen?

13. Wäre die Festschreibung entsprechender verbindlicher Regelungen in Form
einer Verordnung oder von gesetzlichen Anpassungen diesbezüglich sinn-
voller und wirksamer?
Wenn ja, bis wann werden solche Regelungen erarbeitet?
Wenn nein, warum nicht?

14. Wie viel haben die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veran-
stalteten Inklusionstage vom 24. bis 26. November 2014 im bcc Berlin Con-
gress Center insgesamt gekostet (bitte einzeln nach Werbekosten, Materia-
lien, Honorar für Referentinnen und Referenten, Fahrkosten, Räumlichkei-
ten, Verpflegung etc. aufschlüsseln)?

15. Wie viel haben die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veran-
stalteten Inklusionstage vom 23. bis 24. November 2015 im bcc Berlin Con-
gress Center insgesamt gekostet (bitte einzeln nach Werbekosten, Materia-
lien, Honorar für Moderation und Referentinnen und Referenten, Fahrkosten,
Räumlichkeiten, Verpflegung etc. aufschlüsseln)?

16. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts der Kosten
der Inklusionstage in Hinblick auf die starke Kritik von Menschen mit Be-
hinderungen und ihren Selbstvertretungsorganisationen sowie ihren Verbän-
den hinsichtlich der fehlenden Berücksichtigung ihrer Kernforderungen?

17. Inwieweit wurden die im Einzelplan 11 des Bundeshaushaltsplans entnom-
menen Mittel für die Förderung der Partizipation der Organisationen von
Menschen mit Behinderungen, wie es das Behindertengleichstellungsgesetz
(BGG) vorsieht, zu Lasten von anderen Titeln im Einzelplan 11 aufgebracht?

18. Aus welchen Gründen wurden für die Förderung der Partizipation von Orga-
nisationen von Menschen mit Behinderungen keine zusätzlichen Mittel in
den Einzelplan 11 eingestellt?

19. Wie viele Anträge zur Förderung der Partizipation wurden bisher von Orga-
nisationen von Menschen mit Behinderungen gestellt, wie viele wurden be-
willigt, und in welcher Höhe wurden die Organisationen jeweils gefördert
(bitte einzeln aufschlüsseln)?

20. Wie hoch waren die Kosten des Beteiligungsprozesses im Zuge der Erarbei-
tung des Entwurfs für ein Bundesteilhabegesetz?

21. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung angesichts der Kosten des
Beteiligungsprozesses in Hinblick auf die starke Kritik von Betroffenen und
Behinderten-, Sozial- sowie Wohlfahrtsverbänden und Selbstvertretungsor-
ganisationen hinsichtlich der fehlenden Berücksichtigung ihrer Kernforde-
rungen?

Berlin, den 18. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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