BT-Drucksache 18/9148

Aktuelle Probleme und Defizite bei Asylverfahren in Griechenland und im Rahmen von Frontex-Missionen

Vom 6. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9148
18. Wahlperiode 06.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Andrej Hunko, Jan Korte, Katrin Kunert,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Aktuelle Probleme und Defizite bei Asylverfahren in Griechenland und im Rahmen
von Frontex-Missionen

In einem Bericht von PRO ASYL (www.proasyl.de/news/hot-spots-in-der-aegaeis-
zonen-des-elends-und-der-rechtlosigkeit/) beklagt die Organisation erhebliche
Mängel bei Asylverfahren in Griechenland, insbesondere auf den Ägäis-Inseln.
Nach dem Bericht werden Schutzsuchende auf den griechischen Inseln seit dem
Abschluss des EU-Türkei-Abkommens ausnahmslos festgenommen und in soge-
nannten Hotspots inhaftiert. Die gesetzlich festgelegte Maximalhaftzeit von
25 Tagen werde dabei überschritten. Diese Lager seien für die Anzahl der Schutz-
suchenden nicht ausgestattet, es fehle an Betten, an Wasser, Nahrung und sanitä-
ren Einrichtungen. Familien mit Babys und Kleinkindern seien gezwungen, sich
Zelte zu kaufen und auf den Freiflächen innerhalb der Hotspots unter unzumut-
baren Bedingungen zu campieren.
PRO ASYL berichtet, in den Hotspots hätten die Menschen kaum eine Chance,
einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, obwohl mittlerweile beinahe
alle ankommenden Flüchtlinge in Griechenland Asyl beantragen wollen, um nicht
wieder abgeschoben zu werden. Nur ein Sechstel der insgesamt seit Abschluss
des EU-Türkei-Abkommens geäußerten Asylgesuche – insgesamt 6 600 – sei bis
Mai 2016 überhaupt registriert worden.
Auch in den laufenden Verfahren gebe es erhebliche Mängel, vor allem das Eu-
ropäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) steht in diesem Zusam-
menhang in der Kritik. Das EASO beschäftigt derzeit 98 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter auf den griechischen Inseln, davon 47 Expertinnen und Experten, 43
Übersetzerinnen und Übersetzer und 8 weitere Angestellte. Laut PRO-ASYL-Be-
richt werden die Interviews zur Überprüfung der Zulässigkeit der Asylgesuche
vom EASO-Personal auf Englisch durchgeführt und protokolliert. Die anschlie-
ßenden Empfehlungen des EASO würden von den griechischen Beamtinnen und
Beamten in der Regel eins zu eins übernommen. Nach griechischem Recht müsse
jedoch die Befragung auf Griechisch protokolliert und die Entscheidung – nicht
nur formal, sondern auch inhaltlich – durch griechische Beamte getroffen werden.
Das entspricht auch dem EU-Recht. Die Bearbeitungsweise deute insgesamt da-
rauf hin, dass regelmäßig keine Einzelfallprüfungen stattfänden, sondern stereo-
type Entscheidungen formuliert und Fluchtgründe nicht oder nur oberflächlich

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geprüft würden. Das aktuelle Vorgehen verstoße damit sowohl gegen griechi-
sches Recht als auch gegen das Recht der Asylsuchenden auf ein faires Asylver-
fahren.
Als besonders bedenklich bewertet PRO ASYL – genau wie die Fragestellerinnen
und Fragesteller – Folgendes: Der Bericht führt aus, dass bis zum 12. Juni 2016
die griechischen Beschwerdekommittees, die als Überprüfungsmechanismen für
die Asylentscheidungen eingesetzt wurden, in 70 Fällen den Empfehlungen des
EASO bzw. den erstinstanzlichen Entscheidungen der griechischen Aslybehör-
den widersprochen und Abschiebungen in die Türkei verhindert hätten, weil die
betroffenen Schutzsuchenden dort nicht sicher seien. Auf Druck der EU-Kom-
mission sei am 16. Juni 2016 vom griechischen Parlament die Neubesetzung der
Beschwerdekommittees beschlossen worden, um die Verfahren zu beschleunigen.
Zudem verweist PRO ASYL auf einen Medienbericht, wonach die EU-Kommis-
sion auf die Geheimhaltung eines EASO-Berichts hinwirke, der einer Einstufung
der Türkei als sogenannter „sicherer Drittstaat“ widerspreche (https://euobserver.
com/migration/133836).
Die „taz.die tageszeitung“ berichtete am 16. Juni 2016 über illegale Rückschie-
bungen von Flüchtlingen am 11. Juni 2016 in griechischen Hoheitsgewässern
(www.taz.de/!5310727/) im Beisein eines Schiffs der europäischen Grenzschutz-
agentur Frontex, die von der Organisation „Watch the Med“ genau dokumentiert
wurde. 53 Flüchtlinge seien dabei, trotz des geäußerten Wunsches, in Griechen-
land um Asyl nachzusuchen, unter Einsatz von Drohungen und Waffen von der
griechischen an die türkische Küstenwache übergeben worden.
Bereits am 26. Mai 2016 hatte „Watch the Med“ darüber berichtet, dass ein
Flüchtlingsboot im Mittelmeer in Seenot geraten und gesunken sei. Trotz eines
an die zuständige Rettungsleitstelle abgesetzten Notrufs habe es vier Stunden ge-
dauert, bis Rettungskräfte vor Ort gewesen seien (https://alarmphone.org/de/2016/
05/27/stellungnahme-von-watchthemed-alarm-phone-zur-aktuellen-situation-im-
mittelmeer-und-den-ereignissen-gestern/).
Soweit im Folgenden Kenntnisse der Bundesregierung erfragt werden, beinhaltet
dies die ausdrückliche Bitte um eine ausdrückliche Befragung der in Griechen-
land und in der Türkei eingesetzten deutschen Beamtinnen und Beamten, unab-
hängig davon, ob diese im Rahmen von Frontex, EASO oder aufgrund bilateraler
Vereinbarungen eingesetzt sind.
Nach einer Aufstellung der EU-Kommission vom 27. Juni 2016 bleibt die tatsäch-
liche Entsendung von Personal zur Unterstützung des EASO durch die Mitglied-
staaten allerdings weit hinter den EASO-Anforderungen zurück (http://ec.europa.
eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration/press-material/
docs/state_of_play_-_eu-turkey_en.pdf). So ist weniger als ein Sechstel der ange-
forderten Übersetzer (61 von 400) und nur ein Fünftel der angeforderten „asylum
officials“ (92 von 475) tatsächlich entsandt worden. Aus Sicht der Fragestellerin-
nen und Fragesteller ist auch dies ein Zeichen dafür, dass die Bearbeitung der
Asylanträge in Griechenland weiterhin im Chaos versinkt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den im Bericht von PRO

ASYL genannten Vorwürfen, insbesondere zu erheblichen Mängeln bei der
Inhaftierung (z. B. Überschreitung der maximal zulässigen Inhaftierungs-
zeit) bzw. Unterbringung von Schutzsuchenden in den so genannten Hot-
spots und bei den Asylverfahren (www.proasyl.de/news/hot-spots-in-der-
aegaeis-zonen-des-elends-und-der-rechtlosigkeit/), und was hat sie unter-
nommen, um diese aufzuklären bzw. um griechische Behörden dabei zu un-
terstützen, Abhilfe zu schaffen?

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2. In welchem Rahmen und mit welchem Ergebnis wurden diese Vorwürfe be-
reits zwischen der Bundesregierung und welchen Dritten thematisiert?

3. Inwiefern und in welchem voraussichtlichen Rahmen (sowohl zeitlich als
auch kapazitär) plant Deutschland angesichts der Zustände in den Hotspots
auf den ägäischen Inseln, die Aufnahme einer erheblichen Zahl von Flücht-
lingen aus Griechenland zu dessen Entlastung (bitte insbesondere ausführen,
wie viele Flüchtlinge bis wann nach Deutschland geholt werden sollen), und
welche Kontingente sollen wann übernommen werden, um die in der EU zu-
gesagte Zahl von Übernahmen von Flüchtlingen aus Griechenland zeitge-
recht realisieren zu können (bitte genau darlegen)?

4. Inwieweit ist der Bundesregierung der in der Vorbemerkung genannte
EASO-Bericht bekannt, wonach die Türkei nicht als sicherer Drittstaat be-
handelt werden könne, was ist ihr über den Inhalt oder das Zustandekommen
dieses Berichtes bekannt, und inwieweit ist ihr in sonstiger Weise etwas über
diesen Bericht bekannt, was kann die Bundesregierung zu den Umständen
oder Hintergründen dafür sagen, dass dieser EASO-Bericht noch nicht ver-
öffentlicht wurde bzw. unter Verschluss gehalten werden soll, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den in einem Artikel der
„taz.die tageszeitung (www.taz.de/!5310727/) dokumentierten Rechtsbrü-
chen, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus, und welche Ermittlungen
wurden mit welchem Ergebnis seitens der Bundesregierung oder nach Kennt-
nis der Bundesregierung seitens Frontex hierzu angestellt?
a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu der Beteiligung des rumä-

nischen Frontex-Schiffes, hätte diese Push-back-Aktion nach Auffassung
der Bundesregierung von Frontex verhindert werden müssen, und welche
Aussagen gab es wem gegenüber seitens des Frontex-Personals über den
Vorgang?

b) Welche Konsequenzen werden nach Kenntnis der Bundesregierung im
Hinblick auf die Wahrung des internationalen Flüchtlingsschutzes (insbe-
sondere des Zurückweisungsverbots) aus diesem Vorfall gezogen (in
rechtlicher und politischer Hinsicht sowie in Bezug auf die Arbeitsweisen
von Frontex und die Kontrolle der Arbeitsweisen von Frontex und des
griechischen und türkischen Grenzschutzes)?

c) Welche konkreten Kooperationen und Absprachen (etwa im Hinblick auf
Arbeitsweise, Verhaltenskodex; bitte sämtliche Absprachen und Koope-
rationen benennen) welchen Inhalts bestehen nach Kenntnis der Bundes-
regierung zwischen Frontex und der griechischen und türkischen Küsten-
wache?

d) Wird nach Kenntnis der Bundesregierung ein Ermittlungs- oder sonstiges
Disziplinarverfahren gegen den griechischen Einsatzleiter geführt, der ge-
droht haben soll, die Schutzsuchenden umzubringen, wenn sie noch ein-
mal herkommen sollten?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu dem Einsatz und den kon-
kreten Tätigkeiten bzw. Einsatzbereichen von Frontex-Personal und EASO-
Personal in den Hotspots und zu den Zuständen vor Ort (Kapazitäten, Über-
belegung, Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, Modalitäten
der Asylantragstellung, Dauer und Anzahl der Asylverfahren etc.)?
Welche Probleme und Defizite gibt es in den Hotspots aus ihrer Sicht?

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7. Wie viele der vom EASO angeforderten Übersetzer, „asylum officials“, „ju-
dicial officials“ sowie von Frontex angeforderten „readmission experts“ und
„escort officers“ haben Deutschland jeweils zugesagt, und wie viele sind der-
zeit tatsächlich jeweils in Griechenland im Einsatz (bitte einzeln aufglie-
dern)?
a) Aus welchen Behörden stammt dieses Personal jeweils (bitte jeweils den

vier in Frage 7 genannten Funktionen zuordnen), bzw. inwiefern wurde
das Personal kurzfristig auf dem freien Markt angeworben?

b) Was genau fällt in den Tätigkeitsbereich und in die Befugnisse von
„asylum officials“, „judicial officials“, „readmission experts“ und „escort
officers“ im Griechenland-Einsatz?

c) Welche Qualifikationen muss ein „asylum official“, „judicial official“,
„readmission expert“ und „escort officer“ vorweisen, um von Deutsch-
land nach Griechenland entsandt zu werden?

d) Welche Anforderungen werden nach Kenntnis der Bundesregierung für
„asylum officals“, judicial officials“, „readmission officials“ und „escort
officers“ von Seiten des EASO gestellt, und welche sonstigen Standards
und Mindestanforderungen müssen bei ihrer Auswahl und ihrem Einsatz
beachtet werden?

e) Wie viel Personal der in Frage 7 genannten Kategorien haben die anderen
EU-Mitgliedstaaten jeweils nach Kenntnis der Bundesregierung zum jet-
zigen Zeitpunkt entsandt (bitte einzeln aufgliedern)?

f) An welchen Orten bzw. in welchen Einrichtungen ist das von Deutschland
entsandte Personal (bitte nach Übersetzern, „asylum officials“ und „judi-
cial officials“, „readmission experts“ und „escort officers“ aufgliedern)
jeweils im Einsatz?

g) Wie erklärt die Bundesregierung die allfällige Diskrepanz zwischen zu-
gesagtem und tatsächlich entsandtem Personal, und welche Maßnahmen
sind beabsichtigt, diese Diskrepanz zu verringern?

8. Inwiefern wird in den Hotspots nach Kenntnis der Bundesregierung syste-
matisch geprüft und erfasst, ob und wo innerhalb der EU Verwandte von
Asylsuchenden leben und insofern ein Anspruch auf Familiennachzug beste-
hen könnte, und inwiefern werden die Betroffenen über ihr Recht auf Fami-
liennachzug und dessen Durchsetzung informiert?

9. Inwiefern trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass – auch deut-
sche – EASO-Beamtinnen und -Beamte Befragungen bzw. Interviews zur
möglichen „Unzulässgkeit“ von Asylanträgen auf den griechischen Inseln
vornehmen und gegenüber griechischen Beamtinnen und Beamten darauf ba-
sierend entsprechende „Empfehlungen“ abgeben?
a) Welche realen Möglichkeiten haben nach Kenntnis oder Einschätzung der

Bundesregierung griechische Beamtinnen und Beamte, die nicht selbst
mit den betroffenen Asylsuchenden gesprochen haben, den Einschätzun-
gen der EASO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter qualifiziert zu wider-
sprechen, und kommt so etwas überhaupt vor (wenn ja, in wie vielen Fäl-
len)?

b) Inwiefern ist nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung,
durch ein solches Vorgehen der Grundsatz der nationalen Zuständigkeit
für Asylprüfungen noch gewahrt, und inwieweit wird dadurch griechi-
sches oder EU-Recht verletzt, insbesondere, wenn Anhörungsprotokolle
und EASO-Empfehlungen nur auf Englisch verfasst vorliegen?

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c) Welchen Zugang haben nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesre-
gierung die Asylsuchenden in den Hotspots zu anwaltlicher Beratung,
bzw. wie viele Anwältinnen und Anwälte stehen vor Ort zu Verfügung,
und von wem werden sie für ihre Tätigkeit bezahlt (bitte nach Hotspots
differenziert darstellen), und inwieweit wird EU-Recht durch unzu-
reichende rechtliche Beratungs- und Vertretungsmöglichkeiten verletzt?

10. Inwiefern waren Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei an Abschiebe-
aktionen, wie etwa am 4. April 2016 von Lesbos und Chios aus in die Türkei,
beteiligt, wurden von den Beamtinnen und Beamten Berichte hierzu angefer-
tigt, und wenn ja, mit welchem Inhalt, und wurde insbesondere berichtet,
dass Betroffene keinen Asylantrag stellen konnten oder ohne ihre Papiere
abgeschoben wurden?

11. Welche Rolle spielt das Europäische System zur Überwachung der Außen-
grenzen (EUROSUR) mittlerweile im Rahmen des EU-Grenzschutzes bzw.
für die Frontex-Missionen (bitte eingehen auf Entwicklung, Etablierung, Ar-
beitsweisen, Nutzen, Verbesserungsbedarf und Zugriffsmodalitäten auf La-
gebilder und Informationen im Rahmen der Frotex-Missionen)?

12. Wie ist es nach Einschätzung der Bundesregierung zu erklären, dass trotz
EUROSUR, EUNAVFOR MED, Frontex-Einsätzen und italienischer Ret-
tungseinsätze immer noch zahlreiche tödliche Schiffsunglücke auf dem Mit-
telmeer passieren?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung – auch im Kontext der Diskussion darum,
ob die Türkei für Flüchtlinge ein sogenannter „sicherer Drittstaat“ sei – die
Glaubwürdigkeit der Berichte von Nichtregierungsorganisationen über die
Erschießung von Flüchtlingen an der türkisch-syrischen Grenze (vgl. AFP-
Meldung vom 19. Juni 2016, wonach in der Nacht zum 19. Juni 2016 an der
syrisch-türkischen Grenze acht Flüchtlinge von türkischen Grenzern er-
schossen und weitere acht verletzt wurden), und welche Schlussfolgerungen
und Konsequenzen zieht sie aus diesen Berichten?

14. Entspricht es insgesamt der Haltung der Bundesregierung, was der Bundes-
minister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, vor dem Beschluss
der EU-Außenminister vom 20. Juni 2016 zur Ausweitung des Mandats von
EUNAVFOR MED sagte (Süddeutsche Zeitung vom 21. Juni 2016: „Mis-
sion ‚Sophia‘ vor der Küste Libyens wird ausgeweitet“), dass es darum gehe,
was Europa noch tun könne, um „den Übertritt von Flüchtlingen über die
libysche Grenze Richtung Mittelmeer, Richtung Europa zu verhindern“
(bitte ausführen)?

15. Wie ist eine solche Haltung – wie vom Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter
Steinmeier geäußert – zu vereinbaren mit dem Menschenrecht auf Asyl und
völker- sowie EU-rechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Flüchtlingen,
insbesondere mit dem Zurückweisungsverbot und dem Recht auf eine ein-
zelfallbezogene, faire Asylprüfung und effektiven Rechtsschutz, und wie ist
dies konkret vereinbar mit dem Hirsi-Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte vom 23. Februar 2012, mit dem unmittelbare Zurück-
schiebungen Schutzsuchender nach Libyen für rechtswidrig erklärt wurden
(bitte ausführen)?

16. Inwieweit sieht die Bundesregierung einen zumindest indirekten Verstoß ge-
gen völkerrechtliche Vorgaben zum Flüchtlingsschutz darin, dass im Rah-
men der EUNAVFOR-MED-Mission der libysche Grenzschutz bzw. die li-
bysche Küstenwache verstärkt und verbessert werden soll mit dem Ziel, die
Flucht von Schutzsuchenden nach Europa zu verhindern, wie die Äußerung
des Bundesaußenministers (s. Frage 14) zeigt (bitte ausführen)?

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17. Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Kooperation mit
der libyschen Küstenwache bzw. dem libyschen Grenzschutz mit dem Ziel
der Verhinderung der Flucht von Menschen nach Europa verantwortbar an-
gesichts der ernst zu nehmenden Berichte z. B. von Amnesty International
über Misshandlungen und Folterungen von Geflüchteten in Libyen
(www.amnesty.org/en/documents/mde19/1578/2015/en/) und vor dem Hin-
tergrund, dass auch die Bundesregierung die Situation von Geflüchteten in
libyschen Haftanstalten als „sehr schlecht“ bezeichnete (Bundestagsdrucksa-
che 18/8593, Antwort zu Frage 21c)?

18. Wie ist die Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesmi-
nisterium des Innern zum ersten Tagesordnungspunkt der Sitzung des Innen-
ausschusses des Deutschen Bundestages am 22. Juni 2016, wonach Asylsu-
chende, die von einem NATO-Schiff in griechischen Hoheitsgewässern auf-
gegriffen bzw. gerettet würden, selbstverständlich zur Prüfung ihres Asylge-
suchs nach Griechenland gebracht würden, vereinbar mit der Antwort der
Bundesregierung, wonach solche Geretteten „grundsätzlich in die Türkei zu-
rückgeführt werden“ sollen und eine Einzelfallprüfung lediglich für Flücht-
linge, die aus der Türkei stammen, vorgenommen werden sollen (Bundes-
tagsdrucksache 18/8654, Antwort zu Frage 19b) (bitte ausführen)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den von www.sea-
watch.org am 21. Juni 2016 gemeldeten Vorfall vom 10. März 2016, bei dem
Sea-Watch und WatchTheMed Kenntnis davon erhalten haben sollen, dass
zwei Personen von einem Boot ins Wasser gefallen waren, die türkische Küs-
tenwache das Hilfsangebot der in der Nähe befindlichen zivilen Helfer aber
abgelehnt und ihnen das Betreten türkischer Gewässer untersagt hatte und
die zwei Personen nach mehreren Stunden nur noch tot geborgen worden
sein könnten?
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um diesen Vorfall
aufzuklären (bitte einzeln aufzählen und angeben, welche Seiten die Bundes-
regierung in dieser Sache kontaktiert hat), und welche Angaben hat sie ggf.
von der türkischen Küstenwache dazu erhalten?
Welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesem Vorfall?

20. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle und die Bedeutung der zahlrei-
chen zivilgesellschaftlichen Rettungsdienste (Ärzte ohne Grenzen, SOS
MEDITERRANEE, Sea-Watch, Sea-Eye, Watch the Med/Alarmphone) im
Hinblick auf die Seenotrettung ein, und inwieweit ist es verantwortbar, dass
zivilgesellschaftliche Organisationen die staatliche und internationale Pflicht
zur Seenotrettung in diesem Umfang ergänzen müssen, damit es nicht zu
noch mehr Toten auf dem Mittelmeer kommt?

Berlin, den 5. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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