BT-Drucksache 18/904

Erkenntnisse über Kontakte deutscher Rechtsextremisten in die Ukraine und Präsenz rechtsextremer ukrainischer Kräfte in Deutschland

Vom 20. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/904
18. Wahlperiode 20.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Wolfgang
Gehrcke, Annette Groth, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold
(Havelland), Kersten Steinke, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der
Fraktion DIE LINKE.

Erkenntnisse über Kontakte deutscher Rechtsextremisten in die Ukraine
und Präsenz rechtsextremer ukrainischer Kräfte in Deutschland

In der Ukraine hat als Ergebnis monatelanger, von der Bundesregierung und
anderen Staaten der Europäischen Union (EU) unterstützter Proteste eine neue
Regierung die Macht übernommen. Dieser gehören zum ersten Mal in der Ge-
schichte der unabhängigen Ukraine Mitglieder rechtsextremer Organisationen
an. Hierzu zählen unter anderem die Minister für Verteidigung, Landwirtschaft
und Umwelt, die der „Allukrainischen Allianz Swoboda“ angehören. Die Frage-
stellerinnen und Fragesteller sowie die Bundesregierung haben bereits im
vorigen Jahr im Rahmen einer Kleinen Anfrage zahlreiche Belege für die rechts-
extreme Ausrichtung dieser Partei angeführt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/
14603). So hetzte Parteichef Oleg Tjagnibok öffentlich gegen „Juden und andere
Schädlinge“, die Swoboda-Fraktion knüpft freundschaftliche Kontakte zur
NPD, die Partei veranstaltet in den von ihr dominierten galizischen Landesteilen
Aufmärsche zu Ehren der Waffen-SS. Swoboda stellt sich in die Tradition der
Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Auf-
ständischen Armee (UPA) – faschistische Organisationen, die während des
Zweiten Weltkrieges Zehntausende polnischer Zivilisten, jüdischer Flüchtlinge
und ukrainischer Bürger umbrachten, die ihren Führungsanspruch infrage
stellten.
Die Machtübernahme der bürgerlich-rechtsextremen Koalition in Kiew geht
einher mit einem teilweisen Zusammenbruch der Sicherheitsorgane dort, in
deren Folge es nach verschiedenen Medienberichten zu massiven Verfolgungen
regierungskritischer, insbesondere antifaschistischer Kräfte kommt (https://
linksunten.indymedia.org/de/node/107460).
Die Gewaltbereitschaft von Swoboda belegen unter anderem auch Berichte auf
der Partei-Homepage, denen zufolge schon lange vor Ausbruch der Gewalttätig-
keiten in Kiew Swoboda-Aktivisten in Galizien Amtsträger und Politiker der
Partei der Regionen mittels „Hausbesuchen“ unter Druck gesetzt haben, um ihre
Ämter aufzugeben. In Galizien wurde mit Billigung der Behörden eine „Natio-
nalgarde“ gebildet (http://portal.lviv.ua/news/2014/01/27/142456.html), bereits
im Januar 2014 wurden in den Distrikten Iwano-Frankiwsk und Ternopil (dessen
Bürgermeister dem NPD-Blatt „Deutsche Stimme“ ein Interview gegeben hat)
die Partei der Regionen und die Kommunistische Partei verboten (http://portal.
lviv.ua/news/2014/01/26/134600.html).
Weitere rechtsextreme Organisationen („Rechter Sektor“, UNA/UNSO u. a.)
haben während der Proteste in Kiew maßgeblich zur gewalttätigen Eskalation
beigetragen.

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Die Fragestellerinnen und Fragesteller halten es für plausibel, dass deutsche
Rechtsextreme auf die Regierungsbeteiligung ukrainischer Faschisten rea-
gieren. Nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ (9. März 2014) erwartet die
NPD-Jugendorganisation zu ihrem „Europakongress“ in Leipzig auch Ab-
gesandte des „Rechten Sektors“. Die Fragestellerinnen und Fragesteller be-
fürchten zudem, dass auch in Deutschland lebende Swoboda-Anhänger ihre
Aktivitäten verstärken könnten. Auch asylrelevante Auswirkungen der Ent-
wicklung sind aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller nicht auszu-
schließen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie werden nach Kenntnis der Bundesregierung die Vorgänge in der Ukraine

im rechtsextremen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland interpretiert
(bitte möglichst nach den relevanten Akteuren im rechtsextremen Spektrum,
wie Parteien, nichtparteiförmige Zusammenschlüsse und rechtsextreme Pu-
blizistik aufschlüsseln)?

2. Wie werden dabei nach Kenntnis der Bundesregierung von deutschen
Rechtsextremisten die unterschiedlichen rechtsextremen Zusammenschlüsse
der Ukraine bzw. solche Zusammenschlüsse, die in erheblichem Ausmaß von
Rechtsextremen geführt werden, wahrgenommen und beurteilt?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Reisebewegungen deut-
scher Rechtsextremisten in die Ukraine und ukrainischer Rechtsextremisten
nach Deutschland seit Erstellung der Bundestagsdrucksache 17/14603?

4. Welche über die auf Bundestagsdrucksache 17/14603 genannten hinaus-
gehenden Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kontakte ukrainischer
Rechtsextremisten zu deutschen Rechtsextremisten (bitte möglichst vollstän-
dig unter Angabe der jeweiligen ukrainischen und deutschen Organisationen
angeben)?

5. Wie oft haben sich Vertreter der Bundesregierung bzw. der deutschen Bot-
schaft in Kiew seit Beginn der Proteste auf dem Kiewer Unabhängigkeits-
platz mit Vertretern
a) von der Swoboda und
b) anderer rechtsextremer Organisationen
getroffen (bitte Datum und Gesprächspartner sowie jeweilige Organisation
vollständig angeben), und was war Gegenstand der Gespräche?

6. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob es seit Beantwortung der Klei-
nen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/14603 weitere, mit Bundes-
mitteln geförderten Veranstaltungen (etwa deutscher Stiftungen) gegeben
hat, an denen sich Vertreter der Partei Swoboda oder anderer ukrainischer
rechtsextremer Organisationen beteiligt haben (bitte ggf. Details und Kosten
nennen)?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Präsenz der Partei
Swoboda oder anderer rechtsextremer Organisationen in Deutschland (bitte
detailliert unter Nennung von Organisationsstrukturen, Büros, Medien, Mit-
gliederstärken usw. aufschlüsseln), und welche Aktivitäten haben diese seit
dem 11. November 2013 unternommen?

8. Inwiefern ist die Partei Swoboda (angesichts ihrer offenen Verehrung für die
faschistisch-terroristische OUN/UPA) oder andere rechtsextreme ukrainische
Vereinigungen in Deutschland Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für
Verfassungsschutz oder, nach Kenntnis der Bundesregierung, eines Landes-
amtes?

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9. Mit welchen ukrainischen Behörden oder Behörden dritter Länder stehen
Bundessicherheitsbehörden in Kontakt, um Informationen über Swoboda
oder andere rechtsextreme ukrainische Organisationen bzw. deutsche
Rechtsextremisten, die Kontakte in die Ukraine pflegen, zu erlangen, an sie
weiterzuleiten bzw. auszutauschen?
Inwiefern ist das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus
(GAR) hierin eingebunden?
Welche Erkenntnisse wurden hierbei erlangt?

10. Welchen Einfluss haben die Partei Swoboda oder andere ukrainische rechts-
extreme Organisationen in Deutschland nach Einschätzung der Bundes-
regierung (soweit möglich hier bitte auch allfällige Einschätzungen der Län-
der einfließen lassen) auf nichtextremistische Ukrainerinnen und Ukrainer
in Deutschland?

11. In welchem Verhältnis stehen nach Kenntnis der Bundesregierung die
Ukrainische Freie Universität in München oder andere, in Bayern ansässige
ukrainische „Exil“-Einrichtungen zur Partei Swoboda, anderen rechtsex-
tremen ukrainischen Organisationen und solchen Zusammenschlüssen, die
die Tradition der OUN/UPA pflegen?

12. Hat es bezüglich der 24 verletzten Maidan-Protestierer, die von der Bundes-
wehr zur Behandlung nach Deutschland transportiert wurden, eine Vor-
untersuchung gegeben, inwiefern sich diese in Zusammenhang mit den Pro-
testen an Gewalt- oder anderen Straftaten beteiligt haben, und wenn ja, wer
hat diese mit welchem Ergebnis durchgeführt?
a) Wer hat, nach welchen Kriterien, die Auswahl getroffen, welche Verletz-

ten konkret nach Deutschland gebracht werden?
b) Inwiefern waren Angehörige der Partei Swoboda, von Swoboda kontrol-

lierter Behörden oder andere rechtsextreme Organisationen an dieser
Auswahl beteiligt?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Veranstaltungen ins-
besondere in den Swoboda-Hochburgen im Westen der Ukraine im Zusam-
menhang mit der Ehrung der OUN/UPA sowie der Waffen-SS Galizien seit
Mai 2013?

14. Welche rechtsextremen Organisationen gibt es nach Kenntnis der Bundes-
regierung in der Ukraine, und welche Rolle hatten diese bei den Auseinan-
dersetzungen mit der früheren Regierung?
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Mitgliederschaft bzw.
Anhängerschaft dieser Organisationen?

15. In welchem Verhältnis stehen diese Organisationen jeweils mit nichtrechts-
extremistischen politischen Akteuren der Protestbewegung, und welcher
Art ist dieses Verhältnis?

16. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von möglicherweise asylrelevan-
ten (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungshandlungen gegen Kriti-
kerinnern und Kritiker der neuen Regierung, insbesondere Antifaschistin-
nen und Antifaschisten, Jüdinnen und Juden, nationalen Minderheiten, Ak-
tivistinnen und Aktivisten aus dem LGBTTI-Spektrum (Spektrum der Ge-
sellschaft Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen),
aktiven Mitgliedern und Politikerinnen und Politikern der Partei der Regio-
nen, der Kommunistischen Partei, der Vereinigung Borotba und anderer
linker Organisationen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure?
Um welche Akteure genau handelt es sich dabei im Einzelnen, und wie ist
ihr Verhältnis zum „Rechten Sektor“ sowie zur Swoboda?

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17. Was ist der Bundesregierung allgemein zu einer möglichen drohenden Straf-
losigkeit bei kriminellen Handlungen in der West- und Zentralukraine be-
kannt, was zu drohender Straflosigkeit insbesondere bei Straftaten, die aus
den Reihen der Swoboda und des „Rechten Sektors“ gegen die in Frage 14
genannten Gruppen, gegen Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten
verübt werden, und welche weitere Entwicklung erwartet die Bundesregie-
rung in dieser Hinsicht angesichts der Besetzung des Postens des General-
staatsanwalts mit einem prominenten Mitglied der Swoboda?

18. Welche Staaten der Europäischen Union führen nach Kenntnis der Bundes-
regierung die Ukraine auf einer Liste der „sicheren Herkunftsländer“, und
werden derzeit auch in diese Staaten der Europäischen Union Überstellun-
gen ukrainischer Schutzsuchender im Rahmen der Dublin-Zuständigkeits-
ordnung durch die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu einer vermehrten Einreise
in Staaten der Europäischen Union von Asylsuchenden, die zuvor in der
Ukraine aufhältig waren, dort zum Teil ein Asylverfahren durchlaufen ha-
ben oder eine Anerkennung als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskon-
vention erhalten haben und nun wegen der instabilen Verhältnisse und
Angst vor rassistischen Übergriffen die Ukraine verlassen?

20. Wurde die Lage in der Ukraine innerhalb der für Asylfragen zuständigen
Gremien der Europäischen Union (Ratsarbeitsgruppen etc.) und beim Euro-
päischen Asyl-Unterstützungsbüro EASO beraten, und wenn ja, mit wel-
chen Ergebnissen?

21. Inwiefern handelt es sich bei diesen Verfolgungen nach Auffassung der
Bundesregierung um (staatliche oder nichtstaatliche) asylrelevante politi-
sche Verfolgungen, und inwiefern bereitet sich das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge auf mögliche Asylanträge verfolgter regierungskriti-
scher oder antifaschistischer Ukrainerinnen und Ukrainer vor?
Welche weiteren Maßnahmen hat das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge bezüglich Asylverfahren von Ukrainerinnen und Ukrainern eingelei-
tet?
Werden aktuelle Asylverfahren von Ukrainerinnen und Ukrainern entschie-
den, oder wird zunächst die weitere Entwicklung abgewartet?

22. Wie viele
a) deutsche Polizisten und
b) weitere Mitarbeiter von Bundessicherheitsbehörden
sind seit dem 21. November 2013 mit jeweils welchem Auftrag an welchen
Orten in der Ukraine eingesetzt worden, und welche Erkenntnisse haben sie
dort nach Kenntnis der Bundesregierung über die gewalttätigen Zusammen-
stöße vor und nach dem Regierungswechsel gewonnen?

23. Welche Initiativen hat die Bundesregierung unternommen, um die Verant-
wortlichkeit für die tödlichen Schüsse auf dem Maidan aufzuklären, die
nach Auffassung des neuen ukrainischen Innenministers auf eine „dritte
Kraft“ zurückgehen (vgl. u. a. Neues Deutschland vom 7. März 2014).

Berlin, den 19. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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