BT-Drucksache 18/9039

Kostenentwicklungen beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen

Vom 6. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9039
18. Wahlperiode 06.07.2016
Antrag
der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden),
Tabea Rößner, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Kerstin Andreae,
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Harald Ebner, Christian Kühn
(Tübingen), Sylvia Kotting-Uhl, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Gerhard Schick,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Steffi Lemke, Nicole
Maisch, Peter Meiwald, Friedrich Ostendorff, Dr. Julia Verlinden und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kostenentwicklungen beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Stuttgart 21 wird immer teurer. Am 15. Juni 2016 informierte die Projektleitung den
Aufsichtsrat über Mehrkosten in Höhe von 623 Millionen Euro und eine voraussicht-
lich um zwei Jahre verspätete Inbetriebnahme. Damit ist der finanzielle Puffer des
erst im Jahr 2013 von 4,526 auf 6,526 Milliarden Euro erhöhten Finanzrahmens be-
reits aufgezehrt (www.welt.de/wirtschaft/article155948156/Stuttgart-21-wird-noch-
teurer-und-kommt-noch-spaeter.html). Auch als Konsequenz aus der neuerlichen
Kostenerhöhung, der sich abzeichnende Zeitverzögerung sowie der schlechten In-
formationspolitik, über die sich auch Mitglieder des Aufsichtsrates der Deutschen
Bahn AG empörten, kündigte Volker Kefer, für Stuttgart 21 zuständiges Vorstands-
mitglied der DB, seinen Rückzug an. Die strukturellen Probleme des DB-Konzerns
sowie die Finanzierungsprobleme bei Stuttgart 21 löst dies jedoch nicht.
Die Einhaltung des Kostenrahmens bleibt äußerst fraglich, da große, den Baufort-
schritt beeinflussende Unwägbarkeiten fortbestehen (z. B. im Bereich des Brand-
schutzes und Grundwassermanagements). Die Verkehrsberatung Vieregg-Rössler,
die bereits im Jahr 2008 die im Jahr 2013 beschlossene Kostenerhöhung prognosti-
zierte, schätzt die Kosten des Projekts auf knapp 10 Milliarden Euro. Auch der DB-
Aufsichtsrat scheint den Kostenangaben der Projektleitung immer weniger zu trauen
und beauftragte im Frühjahr 2016 externe Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit
neuen Gutachten zur Wirtschaftlichkeit des Projektes, den Haftungsrisiken und tech-
nischen Fragen. Die Gutachten sollen dem Aufsichtsrat im September 2016 vorge-
stellt werden (www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-bahn-aufsichtsrat-la-
esst-kosten-und-haftung-pruefen.9021bd0d-73cd-4239-86c5-9a1abfc3f80d.html).
Aus Sicht der Bundesregierung handelt es sich bei Stuttgart 21 um ein eigenwirt-
schaftliches Projekt der DB. Der Bund und das Land Baden-Württemberg, die Stadt
Stuttgart sowie der Verband Region Stuttgart haben angekündigt, sich an weiteren
Kostensteigerungen nicht zu beteiligen. Das Land Baden-Württemberg betont die
Zuständigkeit des Bundes und der Deutschen Bahn AG für die Finanzierung der

http://www.welt.de/wirtschaft/article155948156/Stuttgart-21-wird-noch-teurer-und-kommt-noch-spaeter.html
http://www.welt.de/wirtschaft/article155948156/Stuttgart-21-wird-noch-teurer-und-kommt-noch-spaeter.html
Drucksache 18/9039 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bundesschienenwege (www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-verkehrsmi-
nister-hermann-lehnt-ausstieg-ab.e6783665-9a03-4f79-8591-8eb02623cc41.html).
Stuttgart 21 bringt die ohnehin in der Krise steckende Deutsche Bahn AG immer
mehr in Bedrängnis. Nach Verlusten in Höhe von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2015
und einer Gesamtverschuldung von knapp 20 Milliarden Euro erweist sich das Neu-
bauprojekt wie von zahlreichen Experten befürchtet als ein erhebliches finanzielles
Risiko für den Staatskonzern. Es stellt sich die Frage, ob dieses für das Unternehmen
tragbar ist und von dessen Eigentümer verantwortet werden kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• dafür Sorge zu tragen, dass die Ergebnisse der im Frühjahr 2016 vom Aufsichts-
rat der Deutschen Bahn beauftragten Gutachten über die Wirtschaftlichkeit von
Stuttgart 21 und weitere mit dem Projekt verbundene Aspekte dem Deutschen
Bundestag zugeleitet und veröffentlicht werden;

• dafür Sorge zu tragen, dass eine realistische Gegenüberstellung der Kosten für
den Weiterbau des Projekts sowie für Projektmodifizierungen erstellt wird, die
dem Bundestag zur Verfügung zu stellen ist;

• dafür Sorge zu tragen, dass die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm schnellstmög-
lich fertig gestellt und für den Fernverkehr in Betrieb genommen wird;

• aktuelle Prüfungen des Bundesrechnungshofs zu Stuttgart 21 umgehend dem
Bundestag zuzuleiten und der Öffentlichkeit vorzulegen;

• für eine transparente Verwendung der Mittel des Bundes aus der Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung II (LuFV II) zu sorgen und den Bundestag darüber
zu informieren, inwieweit die Mittel des Bundes aus der LuFV II zur Finanzie-
rung von Kosten und etwaigen Mehrkosten bei Stuttgart 21 verwendet wurden
und künftig verwendet werden;

• die Verantwortung des Bundes für die Bundesschienenwege und den bundesei-
genen Bahnkonzern Deutsche Bahn AG wahrzunehmen und vor dem Hinter-
grund der entscheidenden Einflussnahme des Kanzleramtes zugunsten des Wei-
terbaus von Stuttgart 21 im Jahr 2013 dafür Sorge zu tragen, dass Stuttgart 21
bei der DB weder einen Schuldenanstieg noch die Unterlassung beziehungs-
weise Kürzung notwendiger Investitionen in das Schienennetz und in die An-
schaffung neuer Züge zur Folge hat.

Berlin, den 5. Juli 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9039
Begründung

Wirtschaftlichkeit:
Im Frühjahr 2016 beauftragte der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG externe Wirtschaftsprüfungsunterneh-
men mit neuen Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21, Haftungsrisiken und technischen Fragen. Die
Gutachten sollen dem Aufsichtsrat im September 2016 vorgestellt werden. Um hohe Transparenz bei den wei-
teren Entwicklungen um Stuttgart 21 sicherzustellen, sollten die Ergebnisse der Gutachten umgehend dem Deut-
schen Bundestag und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die neue Kostenschätzung für den Wei-
terbau des Projektes sollte mit den Kosten für Projektmodifizierungen (z. B. Kombibahnhof), durch die Kosten
gespart und die benötigte Kapazität für den Schienenverkehr der Zukunft bereitgestellt wird, verglichen werden.

Neubaustrecke-Wendlingen-Ulm:
Der Bau der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm liegt nach Aussagen der DB im Zeitplan. Beim
Projekt Stuttgart 21 wird hingegen mit Verzögerungen gerechnet, so dass von einer Fertigstellung der Neubau-
strecke mindestens ein Jahr vor der Fertigstellung von Stuttgart 21 auszugehen ist. Daher ist es naheliegend,
Vorbereitungen für eine Inbetriebnahme der Neubaustrecke gegebenenfalls auch ohne Stuttgart 21 zu treffen.
Die Neubaustrecke könnte über die bestehende Neckartalstrecke (Wendlingen – Plochingen – Esslingen – Stutt-
gart) und die eingleisige Güterzugkurve bei Wendlingen in den Fernverkehr eingebunden werden.
Statt diese Alternative im Interesse der Fahrgäste in Betracht zu ziehen und vorzubereiten, beharren Bundesre-
gierung und DB auf einer gleichzeitigen Fertigstellung und Inbetriebnahme der Neubaustrecke und Stuttgart 21
(vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Matthias Gastel bei der Frage-
stunde am 22. Juni 2016 sowie die Aussagen von Dr. Rüdiger Grube bei der Sitzung des Verkehrsausschusses
des Bundestages am 22. Juni 2016). Verkehrspolitisch ist es aus Sicht der Antragsteller nicht zu verantworten,
das Ziel einer gleichzeitigen Inbetriebnahme durch eine künstliche Verlangsamung der Bauarbeiten an der Neu-
baustrecke oder die Nichtinbetriebnahme der früher fertiggestellten Neubaustrecke zu erreichen.

Bundesrechnungshof:
Der Bundesrechnungshof kündigte bereits im Frühjahr 2013 eine neue Analyse der Kostenentwicklung für das
Projekt Stuttgart 21 an. Er teilte im Oktober 2013 mit, dass diese „frühestens Ende des Jahres 2013“ vorliegen
werde und verwies darauf, dass der Zeitpunkt, an dem diese Kostenschätzung vorliegen werde, unter anderem
im Zusammenhang mit der „Kooperationsbereitschaft des Bundesverkehrsministeriums“ und „schwierigen Dis-
kussionen mit der Deutschen Bahn AG über die Reichweite der Prüfungsbefugnisse des Bundesrechnungshofs“
zu sehen sei (Brief des BRH vom 22.10.2013 an MdB Harald Ebner). Die Prüfungsmitteilungen stehen seitdem
immer noch aus.

Transparente Verwendung von LuFV-II-Mitteln:
Wie aus dem Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht 2015 der DB Netze hervorgeht wird Stuttgart 21
auch über LuFV-II-Mittel finanziert. Dies kritisiert der Bundesrechnungshof, weil LuFV-II-Mittel eigentlich
für den Erhalt und nicht den Neubau von Bahnanlagen vorgesehen sind und dadurch ohne Einwilligung des
Bundes der vorgesehene Festbetrag des Bundes für Stuttgart 21 erheblich überschritten werden kann (vgl. Stel-
lungnahme des Bundesrechnungshofes bei der Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages am
04.12.2014). Zudem ist unklar, in welcher Höhe Mittel LuFV-II-Mittel in das Projekt Stuttgart 21 fließen.

Verantwortung des Bundes für Stuttgart 21:
Die Deutsche Bahn AG befindet sich im Eigentum des Bundes. Durch die gerichtlich erstrittene Enthüllung der
geschwärzten Vermerke des Kanzleramtes bezüglich der Sitzung des DB-Aufsichtsrates im März 2013 wurde
einmal mehr deutlich, dass das Kanzleramt in entscheidender Form Einfluss auf den Aufsichtsrat der DB zu-
gunsten des Weiterbaus von Stuttgart 21 nahm (www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-beschluss-des-berliner-
verwaltungsgerichts-kanzleramt-gibt-geschwaerzte-s-21-vermerke-frei.422b0d6a-3f5b-49c9-b277-
20954956ddb8.html). Vor diesem Hintergrund kann die Bundesregierung die Verantwortung für die Fertigstel-
lung von Stuttgart 21 nicht allein der Deutschen Bahn AG zuweisen. Die Bundesregierung muss ihre Verant-
wortung für Stuttgart 21 wahrnehmen und dafür Sorge tragen, dass das Projekt bei der DB weder einen Schul-
denanstieg noch die Unterlassung bzw. Kürzung notwendiger Investitionen in das Schienennetz und in die An-
schaffung neuer Züge, die für die Zuverlässigkeit der Angebote und die Umsetzung der von der DB angekün-
digten Fernverkehrsoffensive erforderlich sind, zur Folge hat.

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