BT-Drucksache 18/903

Staatsleistungen an die Kirchen

Vom 24. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/903
18. Wahlperiode 24.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich, Sigrid Hupach, Jan Korte,
Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, Susanna
Karawanskij, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Dr. Petra
Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel, Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Staatsleistungen an die Kirchen

Staatsleistungen nach Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung sind finan-
zielle Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die zum Ausgleich für die weit-
reichende Enteignung von kirchlichem Eigentum im Rahmen der Säkularisation
Anfang des 19. Jahrhunderts erbracht werden. Diese Entschädigungszahlungen
werden noch heute an die beiden großen Amtskirchen (die katholische Kirche
und die evangelischen Landeskirchen) in allen neuen und, mit Ausnahme von
Hamburg und Bremen, auch in allen alten Bundesländern gezahlt. Insgesamt
liegen diese Staatsleistungen im gesamten Bundesgebiet gegenwärtig bei rund
480 Mio. Euro jährlich.
Die Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 hatte bereits die Ablösung
der Staatsleistungen an die Kirchen vorgesehen. Nach Artikel 140 des Grund-
gesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsver-
fassung (WRV) vom 11. August 1919 ist der Bund verpflichtet, ein Grundsätze-
gesetz zu schaffen, nach dessen Vorgaben die Länder ihrerseits Gesetze zur Ab-
lösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften zu erlassen haben.
Der Fraktionsvorsitzende der FDP im schleswig-holsteinischen Landtag,
Wolfgang Kubicki, forderte im Oktober 2013 in einem Artikel in der Zeitschrift
„FOCUS“ ein schnellstmögliches Ende der Staatsleistungen an die Kirchen
(„Kubicki erklärt: Warum der Staat die Zahlungen an die Kirchen stoppen
muss“, 30. Oktober 2013). Dabei schlug er die Einrichtung einer Kommission
beim Bundesministerium der Finanzen vor, „die einerseits in einer Art Eröff-
nungsbilanz die 1803 verstaatlichen Kirchengüter bewertet und anderseits die
Summe der seitdem an die Kirchen geflossenen Entschädigungen ermittelt“.
Selbst die beiden großen Kirchen in Deutschland haben mehrfach die Bereit-
schaft geäußert, über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln. Laut
einer Meldung des Evangelischen Pressedienstes (epd) vom 6. Februar 2014 hält
nun auch der Vizepräsident Dr. Volker Knöppel der Evangelischen Kirche von
Kurhessen-Waldeck eine Ablösung der Staatsleistungen für denkbar. Demnach
halte Dr. Volker Knöppel eine Ablösung nach dem Modell Hessens für möglich,
wo vor zehn Jahren Kirchenbaulasten der Kommunen gegen eine Entschädi-
gungszahlung an die Kirchen abgelöst wurden. Der wohl prominenteste Kir-
chenvertreter war und ist der ehemalige Papst Benedikt XVI., der sich während
seiner Amtszeit für eine „Entweltlichung“ der Kirche aussprach, da die Strei-
chung von kirchlichen Privilegien eine positive Wirkung für den christlichen

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Glauben habe (Rede von Papst Benedikt XVI. im Konzerthaus in Freiburg am
25. September 2011).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung

aus dem Vorschlag Wolfgang Kubickis, eine Kommission beim Bundes-
ministerium der Finanzen einzurichten, die den Umfang und Wert des im Jahr
1803 verstaatlichten Kirchenbesitzes und die Summe der bisher gezahlten
staatlichen Entschädigungen an die Kirchen ermitteln soll?

2. Plant die Bundesregierung die Einrichtung einer solchen Kommission?
Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Äußerungen von Wolfgang Kubicki im Magazin „FOCUS“ vom
30. Oktober 2013 (www.focus.de/politik/gastkolumnen/kubicki/affaere-um-
limburger-bischof-kubicki-erklaert-warum-der-staat-die-zahlungen-an-die-
kirchen-endlich-stoppen-muss_aid_1142553.html) und die Bereitschaft von
Kirchenvertretern, wie Dr. Volker Knöppel, Vizepräsident der Evangelischen
Kirche von Kurhessen-Waldeck, in Verhandlungen über die Ablösung der
Staatsleitungen zu treten (epd-Meldung vom 6. Februar 2014: www.epd.de/
zentralredaktion/epd-zentralredaktion/kurhessischer-vizepräsident-ablösung-
von-staatsleistungen-denk)?

4. Besteht von Seiten der Bundesregierung das Interesse, in Verhandlungen mit
den Kirchen über eine Ablösung der Staatsleistungen zu treten, oder plant die
Bundesregierung gar in Verhandlungen mit den Kirchen zu treten?
Wenn nein, warum nicht?

5. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung das in Hessen praktizierte Modell,
wobei die kommunalen Kirchenbaulasten in einem Vertrag mit den Kirchen
im Jahr 2003 gegen eine Entschädigungszahlung abgelöst wurden?
Hält sie dieses für eine mögliche und praktikable Vorgehensweise zur schritt-
weisen Ablösung der Staatsleistungen auch in anderen Bundesländern?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der früheren, von CDU, CSU und
FDP getragenen Bundesregierung, derzufolge kein Handlungsbedarf be-
stand, durch ein Grundsätzegesetz des Bundes, die Länder zu verpflichten,
die von diesen gewährten Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 18/45) und damit nicht dem
Verfassungsauftrag aus dem Jahr 1919 nachzukommen und ein Grundsätze-
gesetz zu schaffen, das die Ablösung der Staatsleistungen auf Länderebene
regelt?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 19. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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