BT-Drucksache 18/8888

Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten

Vom 22. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8888
18. Wahlperiode 22.06.2016
Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Katrin
Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen
Filmerbes gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit nunmehr etwa zehn Jahren diskutiert der Deutsche Bundestag über die Finan-
zierung der Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes. Trotz aller Be-
teuerungen, Appelle und Prüfanträge steht dessen nachhaltige Bewahrung weiterhin
aus. Zwar hat sich mittlerweile in Politik und Öffentlichkeit die Einsicht durchge-
setzt, dass die Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes nur als ge-
samtstaatliche Aufgabe übergreifend und kooperativ mittels ausreichender finanzi-
eller Ausstattung gewährleistet werden kann. Von einer befriedigenden Finanzde-
ckung bei den Anforderungen zur Pflege und Garantie der Erhaltung des nationalen
Filmgutes kann aber weiterhin keine Rede sein.
Analog zum Buch gehört auch der Film zum nationalen Kulturerbe. Das „Bewegt-
bild“, seit den zwanziger Jahren auch mit Ton unterlegt, zu erhalten, zu pflegen, der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen und beständig zu ergänzen, ist von gesamt-
staatlichen Interesse. Zum nationalen Filmerbe zählen dabei beispielsweise die we-
nigen erhaltenen Exemplare aus der Frühzeit des Films, Stummfilme und frühe Ton-
filme, Spielfilme, Wochenschauen, Dokumentarfilme oder Kurzfilme bis in die Ge-
genwart. Diese Aufgabe übernehmen zu großen Teilen heute die im Kinematheks-
verbund zusammen geschlossenen Filmarchive.
Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat in den letzten beiden Wahlperioden
als einzige der im Parlament vertretenen Parteien konkrete und belastbare Finanzie-
rungsvorschläge zur Sicherung des deutschen Filmerbes (vgl. BT-Drucksa-
chen 16/10509 und 17/11007) unterbreitet. Im Gegensatz dazu reichen die von den
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien bislang eingestellten Fi-
nanzmittel für die Digitalisierung des Filmerbes auf der einen Seite bei weitem nicht
aus und beziehen sich auf der anderen Seite auch nur auf den inzwischen feststellbar
gängigen technologischen Teil der Sicherung des Filmerbes, wohingegen die Ana-
logsicherung des überlieferten Filmmaterials ebenso systematisch vorangetrieben
werden muss wie die umfassende Herstellung, Konservierung und Zugänglichma-
chung von Digitalisaten.
Die gegenwärtige Situation des nationalen Filmerbes könnte dramatischer nicht sein:
der drohende Verfall des analogen Filmmaterials ist höchst akut, die personelle und
finanzielle Lage der Archive reicht bei weitem nicht aus, das deutsche Filmerbe auch

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nur rudimentär zu sichern und die Notwendigkeit der Langzeitsicherung ist bisher
zwar als Problem, aber nicht in der praxisrelevanten Dimension erkannt. Die Film-
förderungsanstalt (FFA) hat sich Mitte 2015 den Finanzierungsvorschlag der Wirt-
schaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) zur Digitalisierung des
Filmerbes in Höhe von 10 Mio. Euro pro Jahr mit einer Laufzeit von zehn Jahren zu
eigen gemacht und damit zumindest Bedarfsdringlichkeit signalisiert. Das Gutachten
geht jedoch davon aus, dass langfristig aufgrund der Digitalisierung keine Archivie-
rung der Originale notwendig ist. Dies stieß auf heftigsten Widerspruch der Filmar-
chive.
Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag ist also mehr denn je eine ge-
samtstaatliche Strategie und ein Konzept zur Sicherung, Digitalisierung und Zu-
gänglichmachung des deutschen Filmerbes vonnöten, welches die Ergebnisse des
PwC-Gutachtens aufnimmt und um den Erhalt der Originale ergänzt. Um ein solches
Konzept umsetzen zu können, sind eine Reihe von Voraussetzungen notwendig: die
Bereitschaft, Film als ein dem Buch gleichwertiges Kulturgut anzuerkennen und alle
Filme ab 1895 zu sammeln, dauerhaft zu archivieren, filmografisch in einem
Bestandskatalog des deutschen Filmerbes zu verzeichnen sowie der Öffentlichkeit
zur Verfügung zu stellen, eine (weitläufige, weder generell zu eng gefasste noch
auf wenige Renommierprojekte zielende) Priorisierung der zu digitalisierenden
Filme sowie die professionelle Anwendung des vom Deutschen Kinematheks-
verbund vorgeschlagenen 3-Säulen-Modells über die Mittelvergabe für verwer-
tungsbezogene konservatorische und kuratorische Nutzungsperspektiven (vgl. dazu
https://kvb.deutsche-kinemathek.de/wp-content/uploads/2015/05/Digitalisierung-
des-Filmerbes-Die-Position-des-Kinematheksverbundes-20151.pdf, S. 2-3).Wichtig
ist es, ein kritisches und dauerhaftes Bewusstsein für den kulturellen Wert des Films
und des Filmerbes in der Öffentlichkeit zu schaffen. Voraussetzung hierfür ist die
Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes.
Unter Beachtung des PwC-Gutachtens, der gestiegenen Dringlichkeit des Handelns
und dem anfallenden Bedarf für den Erhalt der analogen Originale sowie die Lang-
zeitarchivierung digitaler und analoger Filme und ihrer Zugänglichmachung muss
aktuell von einer Summe von 30 Mio. Euro jährlich über einen Zeitraum von zu-
nächst zehn Jahren ausgegangen werden.
Diese Kosten sollten gedrittelt von Bund, Ländern (unter Einbeziehung der Sende-
anstalten) und Filmwirtschaft getragen werden, wobei im Hinblick auf filmökono-
mische Parameter über die Beteiligung des Kinopublikums durch eine zweckgebun-
dene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhe von 5 Cent nachgedacht werden sollte,
zumal laut Filmförderungsanstalt (FFA) die deutschen Kinos im Jahr 2014 Brutto-
einnahmen in Höhe von knapp 980 Mio. Euro erzielen konnten. Die Anzahl der Be-
sucherinnen und Besucher lag im gleichen Jahr bei rund 121,7 Millionen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in der laufenden Legislaturperiode, bis spätestens Mitte 2017, eine gesamtstaat-
liche Strategie für die Digitalisierung des Filmerbes in Abstimmung mit den
Ländern sowie der Filmwirtschaft (unter Einbezug der Sendeanstalten) und den
Archiven vorzulegen, die auch Kriterien zur Priorisierung der zu digitalisieren-
den Filme enthält;

2. in diesem Zusammenhang belastbare Kostenkalkulationen für die unterschied-
lichen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und der Langzeitarchivie-
rung der Digitalisate (Datenmigration, Ausstattung der Archive mit entspre-
chenden Servern etc.) vorzulegen;

3. hierbei die Archive finanziell und personell in die Lage zu versetzen, die für
eine Digitalisierung notwendigen aufwendigen und zeitintensiven Restaurie-
rungsmaßnahmen am Originalmaterial vornehmen zu können;

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4. parallel Lösungsvorschläge und Kostenkalkulationen für den Erhalt der analo-

gen Originale, z. B. in Form von Polyesterfilm als Trägermaterial, zu erarbeiten;
5. ein belastbares und zukunftsfestes Konzept für die öffentliche Zugänglichma-

chung des Filmerbes in Zusammenarbeit mit den Archiven und Sendeanstalten
zu erarbeiten, z. B. im Rahmen einer einzurichtenden zentralen Koordinations-
stelle beim Deutschen Kinematheksverbund;

6. dafür Sorge zu tragen, dass das Filmportal (www.filmportal.de) als die zentrale
Internet-Plattform als Schaufenster der deutschen Filmkultur mit Informationen
und Onlinevideos zum deutschen Film ausgebaut wird;

7. einen Bestandskatalog des Deutschen Films vorzulegen und hierfür die notwen-
digen finanziellen Mittel dem Kinematheksverbund bereitzustellen;

8. im Rahmen der Novellierung des Bundesarchivgesetzes eine Regelung für eine
Pflichthinterlegung öffentlich aufgeführter Filme (Werbe-, Kultur-, Dokumen-
tar-, Animations-, Kurz- und Spielfilme) im Bundesarchiv-Filmarchiv in Form
eines Digital Cinema Distribution Master (DCDM) zu schaffen;

9. dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen der FFG-Novelle Förderkriterien zur
Bewahrung des Filmerbes aufgenommen werden und der Förderauftrag der
FFA entsprechend über die Erhöhung der Fördermittel ausgeweitet wird;

10. aus dem Bundeshaushalt jährlich und verstetigt Mittel in Höhe von 10 Mio. Eu-
ro für die Digitalisierung des Filmerbes, den Erhalt der analogen Originale und
die Langzeitsicherung bereitzustellen;

11. in Abstimmung mit dem Fraunhofer Institut und dem Internationalen Verband
der Filmarchive (FIAF) einen einheitlichen Archivstandard (Dateiformate) für
die Digitalisate zu erarbeiten;

12. im Zuge der Digitalisierung die barrierefreie Zugänglichmachung und Nutzbar-
keit des Filmerbes sicherzustellen;

13. Subventionen für die noch existierenden Filmkopierwerke bereitzustellen, um
deren Bestand langfristig zu sichern und das beim Bundesarchiv noch arbei-
tende bundeseigene schwarz-weiß-Kopierwerk zu erhalten;

14. auf die Länder hinzuwirken, Fördermittel für den Erhalt analoger Filmtechnik
(Projektoren) in den Kinos und im Rahmen von Filmfestivals bereitzustellen;

15. im Bereich der Filmbildung die Möglichkeit zu „open access“ bei nichtkom-
merzieller Nutzung sicherzustellen und

16. eine Studie in Auftrag zu geben, welche die Möglichkeiten der Bewahrung und
Priorisierung von audiovisuellen Netzpublikationen, die in Blogs, auf Vimeo
oder YouTube publiziert werden, untersucht.

Berlin, den 22. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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Begründung

Die nachhaltige Sicherstellung des deutschen Filmerbes erfordert eine vor allen finanzielle Kraftanstrengung
aller gesamtstaatlich damit befassten Institutionen. Eine weitere nur zögerlich und punktuell vorgenommene
Finanzierung wie bisher (vgl. Bundeshaushalt 2016: BT-Drucksache 18/5500, EP 04, S. 80) hat sich als völlig
unzureichend erwiesen.
Als Grundlage einer umfassenden Bestandssicherung des deutschen Filmerbes ist eine öffentliche Debatte über
die Definition dessen, was als „Filmerbe“ gilt, zu führen. Zu klären ist, ob nicht grundsätzlich alle Filme zum
Filmerbe zu zählen sind, welche Filme gegebenenfalls nicht als „archivwürdig“ einzustufen sind und welche
Kriterien dieser Auswahl zu Grunde gelegt werden. Desgleichen ist zu klären, ob zum Beispiel auch Fernseh-
produktionen oder audiovisuelle Netzpublikationen dazugehören. Hierbei geht es darum, den kulturellen Wert
des Filmerbes stärker als bisher im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Nur so kann vermittelt werden, dass
die Bewahrung des Filmerbes kein einmaliges, zeitlich befristetes Projekt, sondern dauerhafte Aufgabe von
Bund, Ländern und Filmwirtschaft ist. Der in der aktuellen Debatte diskutierte Zeitraum von zehn Jahren geht
auf Annahmen des schon erwähnten PwC-Gutachtens zurück und kann keinesfalls bedeuten, dass nach Ablauf
der dort genannten Zehn-Jahres-Frist das deutsche Filmerbe abschließend und langfristig gesichert und archi-
viert ist. Es handelt sich um eine dauerhafte Aufgabe. Zudem decken die vom PwC-Gutachten vorgeschlagenen
Mittel nur die Digitalisierung von rund 400 Filmen jährlich, nach realistischen und auf Sachkenntnis gestützten
Angaben der Archive (Punkt 119 PwC-Gutachten); das Gutachten setzt aber ohne nachvollziehbare Begründung
3000 Titel ein.
Um dieser Aufgabe allumfassend gerecht werden zu können, ist eine klare Aufteilung der anfallenden Kosten
zwingend notwendig. Neben dem Bund müssen die Länder und die Filmwirtschaft ihren Anteil an der Sicherung
des deutschen Filmerbes dauerhaft leisten. Der Gesamtumfang der von uns veranschlagten insgesamt
300 Mio. Euro gerechnet auf zehn Jahre erschließt sich zwingend aus der Notwendigkeit, digitales und analoges
Filmmaterial parallel sichernd zu erhalten. Das zu erarbeitende Konzept für eine umfassende Digitalisierung
des analogen Filmmaterials muss sorgfältig Für und Wider der unterschiedlichen Möglichkeiten der Langzeit-
speicherung abwägen. Gegenwärtig bedeutet eine rein digitale Langzeitspeicherung im Kontext der technischen
Entwicklung eine fortwährende Notwendigkeit der Datenmigration auf immer neuen Trägermedien, was erstens
kostenintensiv ist und zweitens Server mit extrem hohem Speichervolumen verlangt. Es liegen bisher keine
belastbaren Daten vor, wie fehleranfällig eine rein digitale Speicherung langfristig ist. Experten schlagen eine
Langzeitsicherung auf Polyesterfilm (vgl. www.zlb.de/fileadmin/user_upload/die_zlb/pdf/kbe/Muster/Saar-
bruecker_Erklaerung-1.pdf.) vor. Notwendig ist zudem ein einheitlicher Standard der Speichermedien und klare
Digitalisierungsregeln.
Die Debatte über die Möglichkeiten des Erhalts des Filmerbes muss immer auch die europäischen Entwicklun-
gen miteinbeziehen, sei es im Kontext urheberrechtlicher Regelungen oder was einen anzustrebenden einheitli-
chen Archivstandard (Dateiformate) angeht und nicht zuletzt auch bei den Bemühungen um den Erhalt der noch
existierenden Kopierwerke mit dem mit ihnen verbundenen Wissen über analoge Filmtechnik.
Gleichzeitig muss die Tatsache in der Debatte eine Rolle spielen, dass die Bewahrung des Filmerbes nur dann
Sinn hat, wenn das Bewahrte auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist: Das bedeutet zunächst eine ausreichende
Herstellung von sog. „Benutzungsstücken“ in kino-, fernseh- und streamingtauglicher Sendequalität. Darüber
hinaus muss in den Ländern darauf hingewirkt werden, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter in die
Lage kommen, auch im Hinblick auf die Pflege des deutschen Filmerbes ihren kulturellen Auftrag zu erfüllen,
z. B. über eine Selbstverpflichtung, regelmäßig Archivfilme in ihre Programme aufzunehmen. Die einzusetzen-
den Fördermittel sollen auch kommunalen Kinos für Retrospektiven mit restauriertem Filmmaterial zur Verfü-
gung stehen. Eine freie Nutzung des Filmerbes im Bereich der Filmbildung ist zu gewährleisten.

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