BT-Drucksache 18/880

Zukunft der Urananreicherungsanlage Gronau und der Urananreicherungsfirma URENCO

Vom 20. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/880
18. Wahlperiode 20.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Matthias W. Birkwald,
Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Ralph Lenkert, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion
DIE LINKE.

Zukunft der Urananreicherungsanlage Gronau und der Urananreicherungsfirma
URENCO

Die Bundesrepublik Deutschland besitzt über die Urananreicherungsanlage
Gronau des Urananreicherers URENCO sowie über die Zentrifugenforschung
und -entwicklung der URENCO-Tochter ETC (Enrichment Technology Com-
pany; Firmensitz: Jülich) Zugang zur Zentrifugentechnologie für die Urananrei-
cherung, die auch eine militärische Dimension hat. Zugleich wird in Gronau für
nahezu jedes zehnte Atomkraftwerk weltweit das Uran für die Brennelemente-
fertigung angereichert. Auf dem Weltmarkt für Urananreicherung spielt die
Urananreicherungsanlage Gronau damit eine zentrale Rolle. Dennoch hat die
alte Bundesregierung die Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau im
Rahmen des im Jahr 2011 beschlossenen Atomausstiegs für Deutschland abge-
lehnt. Die Urananreicherungsanlage Gronau wurde sogar noch nach der Reak-
torkatastrophe von Fukushima ausgebaut. Noch im Jahr 2014 soll zur Sicherung
des Weiterbetriebs auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage Gronau eine
Lagerhalle für 60 000 Tonnen Uranoxid für eine zeitlich unbefristete Langzeit-
lagerung in Betrieb gehen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12943).
Der Urananreicherer URENCO befindet sich derzeit zu jeweils einem Drittel im
Besitz des britischen und des niederländischen Staates sowie der deutschen
Energieversorger RWE AG und E.ON SE. Die Bundesregierung besitzt durch
die Staatsverträge von Almelo, Washington und Cardiff weitgehende Mitwir-
kungs- und Vetorechte bei URENCO, insbesondere mit Blick auf die militäri-
sche Dimension der Urananreicherung.
Seit dem Jahr 2011 haben alle bisherigen URENCO-Eigentümer ihre Verkaufs-
absicht bekundet, sodass eine Änderung der Eigentümerstruktur bei URENCO
anvisiert wird. Auf Bundestagsdrucksachen 17/12142, 17/12364 sowie 17/14668
hatte die frühere Bundesregierung – teilweise allerdings recht vage – zum Ver-
kaufsprozess bei der Urananreicherungsfirma URENCO Stellung genommen.
Trotz der politischen Brisanz des geplanten Eigentümerwechsels bei URENCO
hatte die frühere Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/14668 vom
2. September 2013 in der Antwort auf die Kleine Anfrage zu Frage 24 ausdrück-
lich eine Beteiligung des Deutschen Bundestages vor der anvisierten Änderung
der Eigentümerstruktur ausgeschlossen. Wie brisant die Bundesregierung den
möglichen Eigentümerwechsel bei URENCO jedoch selbst einschätzt, geht aus
der Antwort zu Frage 9 auf derselben Bundestagsdrucksache hervor: „Insbeson-

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dere mit Blick auf die nuklearen nichtverbreitungspolitischen Aspekte ist das
Auswärtige Amt beteiligt.“
Als einzige Kriterien für die Prüfung möglicher Käufer hat die frühere Bundes-
regierung bislang wiederholt, aber recht vage die „nukleare Nichtverbreitung,
Sicherung der Technologie und wirtschaftliche Solidität bei URENCO“ aufge-
führt (vgl. z. B. Bundestagsdrucksache 17/14668).
Während in Deutschland die Bundesregierung das Parlament nicht beteiligen
will, geht die niederländische Regierung einen ganz anderen Weg.
Bereits am 23. Mai 2013 erläuterte der niederländische Finanzminister Jeroen
Dijsselbloem – im Vorfeld der damaligen deutsch-niederländischen Regierungs-
konsultationen in Kleve – in einem Brief an das niederländische Parlament, dass
die Regierungen in Berlin, Den Haag und London neben einem Direktverkauf
auch einen Börsengang zur Veräußerung der URENCO-Anteile vorbereiten, um
einen „maximalen“ Verkaufspreis zu erzielen.
In dem Brief geht Jeroen Dijsselbloem auch ausführlich auf die zukünftigen
Kontrollrechte ein, welche aus seiner Sicht bei Privatisierung der URENCO in
staatlicher Hand verbleiben müssten, um „das öffentliche Interesse an der Nicht-
weiterverbreitung und der nuklearen Sicherheit angemessen sicherzustellen“
(vgl. www.rijksoverheid.nl/documenten-en-publicaties/kamerstukken/2013/05/
23/voorgenomen-verkoop-aandelen-urenco.html).
Es geht dabei um die folgenden Befugnisse (eigene Übersetzung aus dem Nie-
derländischen):
1. Sicherstellung, dass die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch

URENCO durchsetzbar ist, einschließlich der Umsetzung der Beschlüsse
des Gemeinsamen Ausschusses (vgl. Vertrag von Almelo),

2. Kontrolle bestimmter Tätigkeiten von URENCO, einschließlich Abschluss
von Kaufverträgen für angereichertes Uran und Verkauf von zentralen Ver-
mögenswerten,

3. Zustimmungsrecht bei der Ernennung von Direktoren bzw. Vorstandsmit-
gliedern der URENCO und die Möglichkeit, Direktoren bzw. Vorstandsmit-
glieder zu entlassen, falls ein Risiko für die Nichtverbreitung, die Versor-
gungssicherheit und Sicherheit besteht,

4. Beschaffung der Information, die für eine ordnungsgemäße Überwachung
von URENCO benötigt wird,

5. Zustimmungsrecht bezüglich der Beschaffenheit bzw. Charakteristik der
Aktionäre und den Umfang ihres Anteils an URENCO und die Möglichkeit,
ihnen das Stimmrecht zu entziehen,

6. Zustimmungsrecht bei einem eventuellen Kauf bzw. (Weiter-)Verkauf von
URENCO,

7. Die Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit angereichertem Uran,
8. Die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten von URENCO zu verhindern oder

URENCO zu verpflichten, zum Zwecke der Sicherheit bestimmte Tätigkei-
ten oder Forschungen auszuführen,

9. Forderungen hinsichtlich guten Finanzmanagements von URENCO,
10. Einwilligung in Veränderungen in der Unternehmensstruktur der URENCO,

wie (Weiter-)Verkauf von Unternehmensteilen.
Am 5. Dezember 2013 fand in Den Haag im niederländischen Parlament eine
öffentliche Parlamentsanhörung zum anvisierten Verkauf der URENCO-An-
teile statt. Vertreter der Bundesregierung bzw. der betroffenen Bundesbehörden
waren nicht anwesend. Bei der Anhörung wurde der Verkauf der niederlän-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/880
dischen URENCO-Anteile kontrovers diskutiert. Insbesondere die mögliche
staatliche Kontrolle der URENCO in Bezug auf die militärische Dimension der
Urananreicherung spielte eine Rolle.
Am 31. Januar 2014 teilte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijssel-
bloem der Präsidentin der zweiten Parlamentskammer mit, dass die Verkaufs-
verhandlungen für die URENCO-Anteile „komplex sind und mehr Zeit er-
fordern, als ursprünglich angenommen wurde“. Zudem stellte er für die nieder-
ländische Regierung ausdrücklich fest:
„Bei all dem ist es eine Selbstverständlichkeit, dass keine unumkehrbaren
Schritte unternommen werden, und dass bei den Besprechungen dort der Vor-
behalt der parlamentarischen Zustimmung gemacht wird, wo dies angebracht
ist.“ (vgl. www.rijksoverheid.nl/bestanden/documenten-en-publicaties/
kamerstukken/2014/01/31/kamerbrief-over-timing-brief-over-publieke-
belangen-bij-verkoop-urenco/kamerbrief-over-timing-brief-over-publieke-
belangen-bij-verkoop-urenco.pdf).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie steht die Bundesregierung zu dem anvisierten Eigentümerwechsel bei

URENCO?
2. Welchen aktuellen Informationsstand hat die Bundesregierung zum Stand

der Verkaufsverhandlungen der jetzigen URENCO-Eigentümer?
3. Wann haben sich Vertreter der Bundesregierung seit August 2013 mit Ver-

tretern bzw. Beauftragten der URENCO-Eigentümer getroffen, um über den
URENCO-Verkauf zu sprechen (bitte nach jeweiligem Datum, Teilnehmer-
kreis und Gesprächsergebnis aufschlüsseln)?

4. Lässt sich die Bundesregierung bei den Verkaufsverhandlungen von priva-
ter Seite (z. B. einer Bank) vertreten oder beraten?
Wenn ja, von wem konkret?

5. In welcher Weise ist nach Informationen der Bundesregierung die Landes-
regierung von Nordrhein-Westfalen in die Verhandlungen und Gespräche
rund um den geplanten Eigentümerwechsel bei URENCO einbezogen?

6. Welche konkreten Mitspracherechte hat nach Informationen der Bundes-
regierung die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beim Verkauf von
URENCO-Anteilen?

7. Wann haben sich Vertreter der Bundesregierung in den Jahren 2012, 2013
und 2014 mit Vertretern der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ge-
troffen, um über den Eigentümerwechsel bei URENCO zu sprechen (bitte
nach jeweiligem Datum, Teilnehmerkreis und Ergebnis aufschlüsseln)?

8. Mit welchen potenziellen Kaufinteressenten für URENCO-Anteile haben
sich Vertreter oder Beauftragte der Bundesregierung bislang zu Gesprächen
getroffen (bitte nach jeweiligem Datum, Teilnehmerkreis und Ergebnis auf-
schlüsseln)?

9. Welche potenziellen Kaufinteressenten scheiden im Sinne des Kriteriums
der „nuklearen Nichtverbreitung“ aus, wie es auf Bundestagsdrucksache
17/14668 genannt wurde (bitte nach Land und Art der Kaufinteressenten
aufschlüsseln)?

10. In welcher Weise ist das Auswärtige Amt im Rahmen des geplanten Eigen-
tümerwechsels bei URENCO konkret beteiligt (vgl. Vorbemerkung der
Fragesteller und Bundestagsdrucksache 17/14668)?

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11. Was genau versteht die Bundesregierung unter „Sicherung der Technologie“
im Rahmen des geplanten Eigentümerwechsels URENCO?

12. Welche der vom niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem in
seinem Schreiben vom 23. Mai 2013 an das niederländische Parlament
skizzierten zukünftigen Kontrollrechte sind zwischen der britischen, nieder-
ländischen und deutschen Regierung unstrittig, bei welchen gibt es Dissens
oder Diskussionsbedarf (bitte Punkt für Punkt, mit jeweiliger Begründung
für Dissens oder Diskussionsbedarf, auflisten)?

13. Warum haben Vertreter der Bundesregierung bzw. zuständiger Bundes-
behörden nicht an der Parlamentsanhörung zum geplanten URENCO-Ver-
kauf in Den Haag am 5. Dezember 2013 teilgenommen?

14. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Ergebnissen der Parlamentsanhörung in den Niederlanden?

15. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Aussagen von Finanzminister Jeroen Dijsselbloem in seinem
Schreiben vom 31. Januar 2014?

16. Welchen zeitlichen Rahmen sieht die Bundesregierung derzeit für die Ver-
handlungen zu einem Eigentümerwechsel bei URENCO?

17. Plant die Bundesregierung bei der Entscheidung zu einem Eigentümer-
wechsel bei URENCO im Gegensatz zur früheren Bundesregierung in ähn-
licher Weise wie in den Niederlanden aktiv vor „unumkehrbaren Schritten“
den Deutschen Bundestag mit einzubeziehen, z. B. durch eine Parlaments-
anhörung oder eine Parlamentsdebatte?

18. Für welche Punkte bei einer möglichen Änderung der Eigentümerstruktur
bei URENCO sieht die Bundesregierung ähnlich wie in den Niederlanden
den „Vorbehalt einer parlamentarischen Zustimmung“?

19. Wann genau gab es bislang seitens der Bundesregierung mit den Regierun-
gen von Frankreich oder den USA Gespräche zum geplanten Verkauf der
URENCO-Anteile (bitte nach jeweiligem Datum, Teilnehmerkreis und Ge-
sprächsergebnis aufschlüsseln)?

20. Wann genau wurde „im Rahmen des sogenannten Quadripartite Commit-
tee“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14668) über die Zukunft der Zentri-
fugen-Entwicklungs- und -Produktionsfirma ETC bei einer möglichen
Änderung der Eigentümerstruktur bei URENCO gesprochen (bitte nach je-
weiligem Datum, Teilnehmerkreis und Gesprächsergebnis aufschlüsseln)?

21. In welchem Umfang gab es bislang aufgrund der militärischen Dimension
der Urananreicherung und der Zentrifugenforschung und -produktion im
Rahmen des geplanten Eigentümerwechsels bei URENCO Gespräche mit
der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) oder der Europä-
ischen Atomgemeinschaft (EURATOM) (bitte nach jeweiligem Datum,
Teilnehmerkreis und Ergebnis aufschlüsseln)?

22. Ist weiterhin ein Börsengang für URENCO im Gespräch?
23. Welche allgemeinen und konkreten Bedenken in Bezug auf den Verkauf von

URENCO-Anteilen hat die Bundesregierung bisher gegenüber den bis-
herigen Anteilseignern und potenziellen Kaufinteressenten vorgebracht?

24. Sind der Bundesregierung bislang zum Verkauf der URENCO-Anteile von
irgendeiner Seite, irgendeiner Organisation oder irgendeinem Staat Be-
denken vorgebracht oder bekannt geworden?
Wenn ja, von wem, und worauf bezogen sich diese Bedenken?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/880
25. Wann und mit welchen Ergebnissen hat der im Vertrag von Almelo fest-
gelegte Gemeinsame Ausschuss seit August 2013 konkret getagt?

26. Ergeben sich für die Bundesregierung Anhaltspunkte, die bei einem Eigen-
tümerwechsel bei URENCO einen neuen Staatsvertrag zu URENCO er-
forderlich machen könnten?

27. Wird die Bundesregierung die Zustimmung des Deutschen Bundestages
einholen, bevor sie einer Änderung der Eigentümerstruktur bei URENCO
und/oder einem neuen Staatsvertrag bzw. „Umsetzungsvereinbarungen“ zur
Regelung der staatlichen Aufsicht der URENCO-Aktivitäten zustimmt?

28. Wie steht die Bundesregierung vor dem Hintergrund des vereinbarten
Atomausstiegs in Deutschland zum bislang zeitlich unbegrenzten Weiter-
betrieb der Urananreicherungsanlage Gronau?

29. Kann der Atomausstieg in Deutschland im Jahr 2022 als abgeschlossen gel-
ten, falls die Urananreicherungsanlage Gronau weiterlaufen sollte?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, welche Maßnahmen zur Stilllegung der Urananreicherungs-
anlage Gronau sind seitens der Bundesregierung geplant?

30. Wann genau soll das Uranoxid-Zwischenlager für 60 000 Tonnen Uranoxid
in Betrieb gehen?

Berlin, den 17. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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