BT-Drucksache 18/853

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 20./21. März 2014 in Brüssel

Vom 18. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/853
18. Wahlperiode 18.03.2014

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Klaus Ernst, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Da delen, Annette Groth, Heike H nsel, nge H ger, Susanna Kara anskij,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost,
Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 20./21. März 2014 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Tagung des Europäischen Rates am 20./21. März 2014 findet der letzte
reguläre EU-Gipfel vor den Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Den in-
haltlichen Schwerpunkt des Gipfels bilden laut Tagesordnung wirtschafts-, in-
dustrie- und fiskalpolitische Maßnahmen zur Überwindung der Krise. Auf Basis
der Schlussfolgerungen des EU-Gipfels vom 19./20. Dezember 2013 und des
„Paket[es] des Jahreswachstumsberichts 2014“ der EU-Kommission sollen auf
der Tagung die erste Phase des Europäischen Semesters abgeschlossen und die
wirtschaftspolitischen Leitlinien für die „Stabilitäts- und Konvergenzprogramme“
sowie die nationalen Reformprogramme der Mitgliedstaaten vereinbart werden.
Die Krise in der EU und der Eurozone ist auch nach mehr als fünf Jahren längst
nicht überwunden. Die aktuelle, Ende Februar 2014 veröffentlichte, Winterprog-
nose der EU-Kommission weist für 2013 im Euroraum erneut einen Rückgang
der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus; für
die gesamte EU wird eine Stagnation (+ 0,1 Prozent des BIP) erwartet. Für 2014
prognostiziert die EU-Kommission ein leichtes Wachstum um 1,2 Prozent in der
Eurozone sowie um 1,5 Prozent in der EU, das sich 2015 verstetigen soll. Damit
wurden die Prognosen gegenüber der Herbstprognose leicht (um 0,1 Prozent)
nach oben korrigiert. Doch selbst die EU-Kommission räumt die Fragilität der
Wirtschaftsentwicklung ein und weist auf die großen Unterschiede hin: Insbeson-
dere die Länder der südlichen Eurozone – u. a. Griechenland, Spanien, Portugal
und Italien – können nach teils jahrelanger Rezession nur mit äußerst geringen
Wachstumsraten rechnen. Zudem steigen vor allem in den „Krisenländern“ Ar-
beitslosigkeit und Schuldenquoten weiter an oder verharren auf hohem Niveau –
wie auch in anderen Ländern im Euroraum und der EU. Kritische Analysen wei-
sen vor dem Hintergrund des geringen oder stagnierenden Wachstums, der hohen
Arbeitslosigkeit und Schuldenstände auf eine zunehmende Spaltung des Euro-

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raums und der EU hin: Während sich die Lage in den Ländern Nord- und West-
europas meist leicht verbesserte, werden die Staaten aus dem Süden immer weiter
abgehängt. Dort ist die Wirtschaftsleistung niedriger als vor der Krise; in Spanien
um 6 Prozent, in Italien und Portugal um 8 Prozent, in Griechenland um 23 Pro-
zent und auch in Irland ist sie gegenüber dem Vorkrisenniveau um 5 Prozent
gesunken. In den Nicht-Euro-Ländern Osteuropas wuchs im vergangenen Jahr
zwar die Wirtschaftsleistung, liegt aber mit Ausnahme Polens nach wie vor unter
Vorkrisenniveau (Euro-Memo 2014: 11).
Ein Ausdruck der wirtschaftlichen Spaltung der EU sind die anhaltend großen
Leistungsbilanzungleichgewichte, die bereits eine wesentliche Ursache des Aus-
bruchs der Krise im Euroraum waren. Die EU-Kommission stellte in ihrem
Warnmechanismus-Bericht von November 2013 sowie in ihrer am 5. März 2014
vorgelegten vertieften Überprüfung (In-Depth Review, IDR) fest, dass 14 Mit-
gliedstaaten zum Teil „übermäßige“ makroökonomische Ungleichgewichte auf-
wiesen – mit Ausnahme Deutschlands, Schwedens, Luxemburgs lagen dabei
Leistungsbilanzdefizite und/oder hohe Schuldenstände vor. Insgesamt gingen die
Leistungsbilanzunterschiede 2013 zwar zurück, was die Kommission als Ergeb-
nis und Erfolg wettbewerbsorientierter Reformen zur Steigerung der Exporte
bewertet. Tatsächlich ist der Rückgang der Leistungsbilanzdefizite gerade in den
„Krisenländern“ maßgeblich auch auf die infolge rigider Kürzungspolitiken (sie-
he unten) gesunkene Binnennachfrage zurückzuführen.
Für Deutschland hingegen stellte die vertiefte Überprüfung einen hohen Leis-
tungsbilanzüberschuss fest. Mit rund 200 Mrd. Euro erzielte Deutschland 2013
einen Überschuss von 7,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung und überschritt da-
mit zum wiederholten Mal den EU-Grenzwert von 6 Prozent. Der Bundestag
begrüßt die Einsicht des Bundeswirtschaftsministeriums, dass exzessive und
dauerhafte Leistungsbilanzüberschüsse schädlich für die wirtschaftliche Stabilität
der EU und insbesondere des Euroraumes sind. Um die strukturellen Leistungsbi-
lanzüberschüsse Deutschlands abzubauen, die Ergebnis einer zunehmend aggres-
siven, auf Lohn- und Sozialdumping basierenden Exportstrategie sind, sind indes
deutlich höhere Investitionen und Anreize zur Steigerung der Binnennachfrage
sowie eine konsequentere Abkehr von der Niedriglohnpolitik notwendig, als sie
das Wirtschaftsministerium in Aussicht stellt.
Die EU-Kommission räumt darüber hinaus weitere Risiken für die Wirtschafts-
entwicklung – unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit und die anhaltende Insta-
bilität im europäischen Banken- und Finanzsektor – ein (u. a. Jahreswachstums-
bericht 2014 der EU-Kommission). Bereits im vergangenen Jahr gestand sie ein,
dass rigide Haushaltspolitiken Investitionen und Konsum in der EU hemmen und
die konjunkturelle Erholung bremsen. Dennoch halten die EU-Kommission und
die EU-Regierungen mehrheitlich am bisherigen Kurs fest: Die vertiefte fiskal-
und wirtschaftspolitische Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters
2014 zielt ausdrücklich darauf ab, weitere marktradikale Strukturreformen zur
Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit voranzubringen und die
Kürzungspolitiken fortzusetzen. Auch mit den wirtschafts- und fiskalpolitischen
Leitlinien im Rahmen des diesjährigen Europäischen Semesters werden – im
Zusammenspiel mit Fiskalpakt, Six-Pack und Two-Pack – die verfehlten
„Economic Governance-Reformen“ der letzten Jahre auf EU- und Eurozonen-
Ebene fortgeführt. Die politischen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten –
und damit die demokratische Legitimation wirtschaftspolitischer Entscheidungen
– werden weiter eingeschränkt und die Mitgliedstaaten auf eine Politik perma-
nenter Ausgabenkürzung und neoliberaler Strukturreformen festgelegt.
Im Rahmen des Europäischen Semesters sollen zwar auch der „Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und [der] Bekämpfung der sozialen Folge der Krise“ (Jahres-
wachstumsbericht 2014) Priorität eingeräumt werden. Hierzu wird an die Kom-
missionsvorschläge zur Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und

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Währungsunion und des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts angeknüpft. Diese
setzen nicht an den strukturellen Ursachen an, bleiben politisch unverbindlich
und sollen zudem „im Einklang“ mit den marktradikal geprägten Instrumenten
des Europäischen Semesters umgesetzt werden. Unter anderem das Europaparla-
ment hat die vorgeschlagene Einrichtung eines „Fortschrittsanzeigers“
(Scoreboard) für Beschäftigung und soziale Entwicklung zwar prinzipiell be-
grüßt, jedoch dessen Unvollständigkeit und politische Unverbindlichkeit kriti-
siert. Auch die „Jugendgarantie“ setzt nicht an den Ursachen der Jugendarbeitslo-
sigkeit an und ist mit 6 Mrd. Euro deutlich unterfinanziert – die ILO errechnete
einen Finanzbedarf von 21 Mrd. Euro, um Jugendarbeitslosigkeit allein im Euro-
raum wirksam bekämpfen zu können.
Seit Jahren folgt die Krisenpolitik in der EU – von Europlus-Pakt über Six-Pack
und Two-Pack bis hin zu Fiskalpakt und den „Eurorettungsschirmen“ EFSF (Eu-
ropäische Finanzstabilisierungsfazilität) und ESM (Europäischer Stabilitätsme-
chanismus) – derselben Logik: Öffentliche Ausgaben sollen gekürzt, öffentliches
Eigentum privatisiert, Ökonomien dereguliert, Löhne und Sozialstandards ge-
senkt werden. Zudem sollen die Interventionsrechte der EU-Institutionen in die
nationale Haushaltspolitik erweitert werden – was eine zunehmende Aushöhlung
demokratischer bzw. parlamentarischer Kontroll- und Gestaltungsrechte bedeutet.
Doch diese Politik geht an den Ursachen der Krise – den Konstruktionsfehlern
des EU-Binnenmarkts und der Eurozone sowie der Deregulierung der Finanz-
märkte – vorbei. Zum einen besteht das strukturelle Problem der öffentlichen
Haushalte in der EU nicht auf der Ausgaben- sondern auf der Einnahmeseite. Das
ist eine Folge des Steuerwettbewerbs infolge des liberalisierten und deregulierten
EU-Binnenmarkts, der zu immer weiteren Entlastungen für Unternehmen und
reiche Privatpersonen geführt hat. Zum anderen ist der derzeit äußerst hohe öf-
fentliche Schuldenstand von durchschnittlich rund 90 Prozent des BIP in der EU
und rund 96 Prozent in der Eurozone vor allem Folge der Sozialisierung privater
Schulden im Rahmen diverser Bankenrettungsaktionen, die die Staaten seit dem
Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise durchführten.
Die bisherige Krisenpolitik in Eurozone und EU hat die Krise sogar weiter ver-
schärft: Die rigiden Kürzungsprogramme haben die wirtschaftlichen und fiskali-
schen Probleme der betroffenen Länder weiter zugespitzt. Vor allem in den Län-
dern, die „Hilfskredite“ aus der EFSF und dem ESM bekamen und die damit
verbundenen marktradikalen Konditionalitäten der demokratisch nicht legitimier-
ten „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und IWF
akzeptieren mussten, wurde eine massive Rezessionsspirale in Gang gesetzt, in
der sich Einkommens- und Nachfragerückgänge, hohe Arbeitslosigkeit, wirt-
schaftliche Schrumpfung und steigende Verschuldung gegenseitig bedingen.
Zudem verursachte die Austeritätspolitik eine immer tiefere soziale Krise, die
unter anderem in rasant zunehmender sozialer Ungleichheit in den Ländern, stei-
genden Armutsquoten, Obdachlosigkeit und vor allem in den von der Krise be-
sonders betroffenen Ländern kollabierenden Gesundheits- und Sozialsystemen
ihren Ausdruck findet. Mit einer antizyklischen und signifikant öffentliche Inves-
titionen umfassenden EU-weit abgestimmten Krisenpolitik ließen sich nach Be-
rechnungen der europäischen, gewerkschaftsnahen Institute OfCE, ECLM und
IMK kurzfristig Wachstumsraten von bis zu 2,5 Prozent des BIP realisieren.
Die Rettung der Banken hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Europa im
Verlauf der Finanzkrise seit 2008 viel Geld gekostet und die Staatshaushalte
extremen Risiken ausgesetzt. Die politischen Verantwortungsträger der EU-
Staaten haben strauchelnde Banken und Finanzinstitute seitdem mit Bürgschaften
und anderen Finanzbeihilfen in Höhe von insgesamt 5,1 Bio. Euro oder 40 Pro-
zent des BIP der EU gestützt. Nichtsdestotrotz ist die Lage des Bankensektors in
einigen Ländern nach wie vor instabil und die europäischen Banken sind weiter-
hin unterkapitalisiert. Zudem hat diese Politik der Bankenrettung mit öffentlichen

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Geldern zu einem wirtschafts- und fiskalpolitisch schädlichen „Teufelskreis aus
Staatsschulden und Bankschulden“ in Gang gesetzt.
Die europäische Bankenunion in ihrer jetzigen Konzeption verhindert nicht die
Rettung von Banken mit öffentlichen Geldern. Der Steuerzahler wird weiter in
der Haftung bleiben, weil die Bankenunion lediglich an den Symptomen ansetzt,
die strukturellen Ursachen und Risiken im Bankensystem aber nicht bekämpft.
Das Versprechen, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler künftig vor Bankenret-
tungskosten zu schützen, kann nicht gehalten werden, weil:
– Das Bail-in (die zwangsweise Umwandlung von Forderungen in Eigenkapi-

tal) kann grundsätzlich umgangen werden, wenn eine „schwere Störung der
Volkswirtschaft“ oder eine Notwendigkeit zur „Wahrung der Finanzstabili-
tät“ angenommen wird. Dann können weiter staatliche Mittel in die Banken
gepumpt werden – Eigentümer und Gläubiger bleiben geschont (Art. 16 Ab-
satz 3d des Vorschlags der EU-Kommission für die „Abwicklungsverord-
nung“ (KOM(2013)520 endg. – 2013/253 (COD)).

– Selbst bei einer Aktivierung des Bail-in ab 2016 können Mittel aus dem
Abwicklungsfonds in Anspruch genommen werden, wenn Eigentümer und
Gläubiger des in Abwicklung befindlichen Instituts gemäß der vorgesehenen
Haftungskaskade mit mindestens 8 Prozent nur einen kleinen Anteil ihrer
Gesamtverbindlichkeiten beglichen haben.

– Der Abwicklungsfonds, der aus jährlichen Beiträgen der Banken (Banken-
abgabe) nach Plänen der EU-Kommission über 10 Jahre gefüllt werden soll,
ist mit einem anvisierten Zielvolumen von 55 Mrd. Euro viel zu klein ange-
legt. Noch dazu kommt er viel zu spät, so dass für die Altlasten aus der Kri-
se und für die lange Übergangszeit eben doch wieder die öffentlichen Haus-
halte herangezogen (bzw. die erforderlichen Finanzmittel durch den Ret-
tungsmechanismus ESM unter Auflagen bereitgestellt) werden. Dies ist mit
Blick auf die unmittelbar zu erwartenden Kapitallücken, die durch den aktu-
ellen Bilanztest der Europäischen Zentralbank in erheblichen Umfang zuta-
ge treten könnten, nicht hinnehmbar. Nach Schätzungen der Wirtschaftsprü-
fungsfirma Ernst & Young stehen bei Europas Banken faule Kredite im Um-
fang von 1 Bio. Euro in den Büchern (u. a. FAZ vom 31. Oktober 2013).

– Die beschlossenen Regelungen gehen davon aus, dass mit weiteren Banken-
pleiten gerechnet werden muss. Sie greifen erst, wenn eine Bank bereits in
die Schieflage geraten ist. Doch bleiben die Banken so groß wie zuvor und
stark miteinander vernetzt. Wenn eine systemrelevante Bank in Schwierig-
keiten gerät, wird es problematisch, die Belastungen auf andere Banken zu
verteilen, ohne diese Banken einer Ansteckungsgefahr auszusetzen. Mit den
bisher vorgelegten Regelungen werden die maßgeblichen und für die Fi-
nanzmarktkrise ursächlichen Finanzparadigmen nicht verändert, das Prob-
lem des „too big to fail“ wird nicht angegangen.

Zudem soll auf dem EU-Gipfel eine erste, allgemeine Verständigung über die
Mitteilung der EU-Kommission zur „Klima- und Energiepolitik im Zeitraum
2020-2030“ gefunden werden. Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen
EU-Energie- und Klimaziele liegen weit hinter dem Machbaren und angesichts
des fortschreitenden Klimawandels Notwendigem zurück. Bis 2030 soll die Sen-
kung der Treibhausgasemissionen laut EU-Kommission lediglich bei 40 Prozent
unter dem Stand von 1990 liegen, der Anteil der erneuerbaren Energien soll nur
auf 27 Prozent steigen. Verbindliche Energieeffizienzmaßnahmen bleiben gänz-
lich aus. Bleibt die EU bei diesem wenig ambitioniertem Kurs, blockiert sie da-
mit alle noch verbleibenden Möglichkeiten den Klimawandel und seine katastro-
phalen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt einzudämmen. Um eine sozia-
le, ökologische und sichere Energieversorgung zu gewährleisten, müssen sich die
Staats- und Regierungschefs auf drei ambitionierte und verbindliche Klima- und

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Energieziele verständigen. Bis zum Jahr 2030 müssen mindestens 60 Prozent
Treibhausgasreduktionen, ein Anteil von 45 Prozent erneuerbare Energien am
Endenergieverbrauch und eine Reduzierung des Primärenergieverbrauchs um 40
Prozent erreicht werden.
Der jüngst geäußerte Vorschlag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie,
Sigmar Gabriel, Strom aus der Ukraine nach Europa zu exportieren und somit die
ukrainische Wirtschaft zu unterstützen, konterkariert den Atomausstiegsbeschluss
der Bundesregierung und die Initiativen auf EU-Ebene hinsichtlich der Energie-
gewinnung aus regenerativen Energieträgern. Denn im Wesentlichen erzeugt die
Ukraine ihren Strom aus Atomkraft und Kohle. Besonders bedenklich ist, dass
die Sicherheits- und die Arbeitsstandards in den ukrainischen Atomkraftwerken
nicht den Standards der Europäischen Union entsprechen. Der Kauf von ukraini-
schem Strom würde unter anderem die weitere Förderung und Nutzung einer
Hochrisikotechnologie bedeuten, von der bereits mehrfach tödliche Gefahren und
immense Langzeitschäden für Mensch und Umwelt ausgingen. Eine echte euro-
paweite Energiewende hat die klare Absage an nuklear-fossilen Energieträgern
zur Voraussetzung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass

1. das diktierte Lohndumping sofort beendet und das illegitime Kürzungsdiktat
von Renten und Sozialleistungen der Troika und EU-weit die krisenverschär-
fende Kürzungspolitik sofort zurückgenommen werden sowie ein EU-weit
koordiniertes sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt
wird, das insbesondere den sozial-ökologischen Umbau befördert und die Ju-
gendarbeitslosigkeit abzubauen hilft;

2. die öffentliche Kreditaufnahme aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte be-
freit wird, indem eine öffentliche Bank eingerichtet wird, die zu den Konditi-
onen der EZB in einem festgelegten Rahmen günstig Kredite an die Staaten
der Eurozone vergibt;

3. ein internationales geordnetes Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten
einschließlich der Möglichkeit eines Schuldenschnitts für sie eingerichtet
wird;

4. eine fiskalpolitische Koordinierung eingeleitet wird, die die Staatseinnahmen
auf hohem Niveau stabilisiert und die Lebensstandards erhöht. Dazu gehören
unter anderem die Einführung von EU-weit koordinierten Mindeststeuersät-
zen für Unternehmen bei breiten Bemessungsgrundlagen, eine EU-weit ko-
ordinierte Vermögensabgabe, eine koordinierte, stärkere Besteuerung von
Spitzeneinkommen, Vermögen und Kapitalerträgen;

5. eine wirtschaftspolitische Koordinierung eingeleitet wird, die die souveränen
Gestaltungsmöglichkeiten der EU-Mitgliedstaaten nicht schmälert und die
Lebensstandards der Menschen in der EU verbessert. Dazu gehören unter an-
derem soziale Mindeststandards auf hohem Niveau, EU-weit koordinierte
Mindestlöhne, die mindestens 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns
betragen und antizyklisch wirken, indem sie nicht sinken dürfen sowie die
Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel;

6. eine grundlegende Revision der EZB-Statuten eingeleitet wird, mit dem Ziel,
die Zentralbank wirksamer demokratischer Kontrolle zu unterwerfen;

7. die Bankenunion in ihrer gegenwärtigen Form gestoppt wird und in einer neu
zu formulierenden Regelung eine effektive und konsequente Eigentümer-
und Gläubigerhaftung, insbesondere durch signifikante Erhöhung des haften-

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den Eigenkapitals gewährleistet wird. Die Einlagen der Kleinsparerinnen und
Kleinsparer sind öffentlich abzusichern;

8. das Volumen des europäischen Abwicklungsfonds sehr viel höher angesetzt
und die Bankenabgabe für große Banken gemäß ihrer Größe und Risikonei-
gung erhöht wird;

9. eine grundlegende Regulierung des europäischen Banken- und Finanzsektors
mit dem Ziel vorangetrieben wird, Großbanken zu verkleinern und zu verge-
sellschaften, die Finanzbranche insgesamt streng zu regulieren und den Ban-
kensektor auf eine Zubringerfunktion für die Gesellschaft und die Realwirt-
schaft zurückzuführen;

10. die Verwirklichung einer sozialen, ökologischen und sicheren Energieversor-
gung in der Europäischen Union entschieden und politisch verbindlich vo-
rangebracht und hierfür drei ambitionierte und verbindliche Klima- und
Energieziele vereinbart werden, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sol-
len: Mindestens 60 Prozent Treibhausgasreduktion, einen Anteil von 45 Pro-
zent erneuerbare Energien am Endenergieverbrauch und 40 Prozent Einspa-
rung des Primärenergieverbrauchs;

11. jegliche Vorschläge zum Import von Atomstrom in die EU zurückgewiesen
werden und sich stattdessen für die Auflösung von EURATOM und den Ab-
schluss eines neuen europäischen Vertrages einzusetzen, auf dessen Grund-
lage eine alternative Europäische Gemeinschaft zur Förderung von erneuer-
baren Energien und Energieeinsparung eingerichtet wird;

12. die EU-Verträge einer grundlegenden Revision unterzogen werden, um auf
diesem Weg einen Neustart für ein demokratisches, soziales und friedliches
Europa zu ermöglichen.

Berlin, den 18. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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