BT-Drucksache 18/847

Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen

Vom 19. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/847
18. Wahlperiode 19.03.2014

Antrag
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer, Luise Amtsberg,
Dr. Franziska Brantner, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Dieter
Janecek, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Renate Künast,
Monika Lazar, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Frauen sind in der Arbeitswelt noch immer häufig schlechter gestellt als Männer.
Ungleiche Bezahlung und unsichere Arbeitsverhältnisse sind für viele Frauen
Realität. Das zeigt, dass Selbstverpflichtungen und Freiwilligkeit allein nicht die
erforderlichen Veränderungen bewirken.

Frauen verdienen nach wie vor im Durchschnitt 22 Prozent weniger als Männer.
Der „Gender Pay Gap“ liegt damit in Deutschland deutlich über dem EU-
Durchschnitt von 16 Prozent. Selbst wenn unterschiedliche Arbeitszeitmodelle,
Erwerbsunterbrechungen und Berufswahl berücksichtigt werden, besteht immer
noch eine Lohnlücke von 7 Prozent. Das ist Entgeltdiskriminierung. Laut WSI-
Tarifarchiv erhalten Frauen oft auch weniger Sonderzahlungen und werden selte-
ner befördert. Die Lohnlücke wird über die gesamte Lebensspanne größer und
führt zu geringeren Rentenanwartschaften. Zudem erfahren die sogenannten
„Frauenberufe“ in der Regel weniger gesellschaftliche Anerkennung als männer-
dominierte Berufszweige und das zeigt sich auch bei der Entlohnung. Der Grund-
satz „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ muss endlich durchge-
setzt werden, damit Frauen gerecht entlohnt werden.

Frauen sind auch häufiger von Befristungen betroffen als Männer. Arbeit auf Zeit
bedeutet oft geringere Bezahlung, weniger Weiterbildung und ein höheres Risiko,
arbeitslos zu werden. Flexible Arbeitsverhältnisse entwickeln sich so für Frauen
vielfach zu einer „Einbahnstraße“. Die berufliche Zukunft, eine langfristige Le-
bensplanung und Familiengründung werden damit erschwert.

Drucksache 18/847 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Rahmenbedingungen in der Ar-
beitswelt für Frauen gerecht und sicher auszugestalten. Dazu sind folgende Maß-
nahmen zu ergreifen:
1. Zur gerechten Bewertung von Arbeit und zur gesellschaftlichen Aufwertung

von Berufen mit hohem Frauenanteil soll das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales zusammen mit den Sozialpartnern allgemeingültige ge-
schlechtsneutrale Kriterien entwickeln.

2. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ soll mit
einem Entgeltgleichheitsgesetz durchgesetzt werden. Tarifliche wie auch
nichttarifliche Entgeltregelungen sollen mit Hilfe eines analytischen Ar-
beitsbewertungssystems in eigener Verantwortung überprüft und bestehende
Entgeltdiskriminierungen verbindlich innerhalb einer festzulegenden Frist
beseitigt werden.

3. Zum Schutz vor Entgeltdiskriminierung und zur Stärkung von betroffenen
Frauen soll in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Ver-
bandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände aufgenommen und das
Klagerecht der Gewerkschaften, Betriebs- sowie Personalräte und Mitarbei-
tervertretungen über die bisherigen Möglichkeiten des § 17 AGG hinaus er-
weitert werden.

4. Um eine bessere Lebensplanung und einen einfacheren beruflichen Aufstieg
zu ermöglichen, soll im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) die sach-
grundlose Befristung abgeschafft werden.

Berlin, den 18. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Entgeltdiskriminierung ist in Deutschland noch immer Realität und dies trotz bestehender Gesetze. Das
Gleichbehandlungsgebot ist im Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes und im Artikel 157 des Vertrages
über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz
(TzBfG) verbietet die Diskriminierung von Teilzeit- und befristet Beschäftigten. Das Allgemeine Gleichbe-
handlungsgesetz (AGG) bestimmt in § 2 Absatz 1 und § 8 Absatz 2, dass Beschäftigte nicht aufgrund ihres
Geschlechts bei der Vergütung benachteiligt werden dürfen. Angesichts der Entgeltlücke zwischen Frauen
und Männern in Deutschland sind weitere Regelungen zum Schutz der Frauen vor Entgeltdiskriminierung
notwendig.

Entgeltungleichheit kann durch mittelbare und unmittelbare Diskriminierung entstehen. Unmittelbar dis-
kriminiert werden Frauen, die bei gleicher Qualifikation und gleicher Berufserfahrung weniger Geld be-
kommen als männliche Kollegen. Die mittelbare Diskriminierung ist allerdings schwieriger nachzuweisen
und beruht auf einer unterschiedlichen Bewertung von Tätigkeiten. In der heutigen Arbeitswelt wird zwar
nicht mehr offensichtlich zwischen Männern und Frauen unterschieden, dennoch verbergen sich häufig
hinter vermeintlich neutral formulierten Anforderungen Kriterien, die Frauen beim Einkommen benachtei-
ligen. So werden soziale Berufe mit hohem Frauenanteil unterbewertet, indem soziale Kompetenzen, Ein-
fühlungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist zwar im Berufsalltag erwartet, aber nicht als
Anforderung vergütet werden. Das gleiche Muster ist erkennbar, wenn die „Muskelkraft“ bei Männern
bewertet und gut bezahlt wird, aber feinmotorische Präzisionsarbeit von Frauen nicht. Die Tätigkeiten müs-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/847

sen zukünftig „ihrem Wesen nach“ bewertet werden, indem die Anforderungen beispielsweise an Ausbil-
dung sowie Berufserfahrung, an psycho-soziale Kompetenzen, an Verantwortung und ebenso die physi-
schen Belastungen diskriminierungsfrei beschrieben werden, also für Frauen und Männer gleichermaßen
gelten. Nur allgemeingültige geschlechtsneutrale Kriterien werden dem Grundsatz „gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit“ gerecht.

Der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ kann nicht nur mit Selbstverpflichtung
und Freiwilligkeit durchgesetzt werden und auch nicht ausschließlich mit mehr Transparenz, wie die Bun-
desregierung es plant. Notwendig ist ein Entgeltgleichheitsgesetz mit verbindlichen Regelungen. Es soll
sicherstellen, dass alle tariflichen und nichttariflichen Entgeltregelungen diskriminierungsfrei gestaltet sind.
Deshalb sollen die Entgeltregelungen mit Hilfe von Arbeitsbewertungssystemen überprüft werden. Dabei
empfehlen sich nicht summarische Arbeitsbewertungssysteme wie Logib-D, sondern eine analytische Ar-
beitsbewertung, denn diese kann Diskriminierung in Entgeltregelungen besser identifizieren. Ergeben die
Überprüfungen, dass Entgeltregelungen Diskriminierungen enthalten, müssen diese in einer festzulegenden
Zeit beseitigt werden. Nur so kann die Gleichbehandlung von Frauen, zu der die Bundesregierung durch das
Grundgesetz und durch europäisches Recht verpflichtet ist, konsequent umgesetzt werden.

Bei Entgeltdiskriminierungen ist der bisher mögliche individuelle Klageweg für die Beschäftigten risiko-
reich und unüberschaubar. Daher wird gar nicht oder oft erst nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses
geklagt. Und selbst wenn die Klage erfolgreich war, klärt sie nur den individuellen Fall und bewirkt in der
Regel nicht, dass andere Frauen davon profitieren. Eine staatliche Kontrolle der Regelungen im Rahmen
des Entgeltgleichheitsgesetzes ist jedoch unrealistisch und auch nicht anstrebenswert. Deshalb ist im All-
gemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Verbandsklagerecht notwendig. Danach sollten Antidiskri-
minierungsverbände Klagen auf Feststellung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot erheben
dürfen. Insbesondere in den Fällen von allgemeiner Bedeutung und wenn eine Vielzahl gleich gelagerter
Fälle vorliegt, könnte dieses Instrument die Entgeltdiskriminierung effektiv bekämpfen. Zudem sollten die
Gewerkschaften, Betriebs- sowie Personalräte und Mitarbeitervertretungen über bisherige Möglichkeiten
des § 17 AGG hinaus stellvertretend für die Betroffenen klagen können. Die betroffenen Frauen müssen
gestärkt und besser geschützt werden, denn Entgeltdiskriminierung darf nicht weiter als individuelles Prob-
lem angesehen werden.

Mittlerweile ist fast jedes zweite neue Arbeitsverhältnis befristet und rund die Hälfte der Befristungen sind
sachgrundlos. Damit übertragen die Betriebe und auch die öffentliche Hand ihr unternehmerisches und
haushalterisches Risiko auf die Beschäftigten. Befristet Beschäftigte verdienen auch weniger. Die Ver-
dienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2010 zeigt, dass Männer mit einem unbefris-
teten Arbeitsvertrag durchschnittlich 20,04 Euro und Frauen 15,34 Euro in der Stunde brutto verdienten.
Mit befristeten Arbeitsverträgen bekamen Frauen sogar nur 12,84 Euro die Stunde -10 Prozent weniger als
Männer. Befristet Beschäftigte sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht. Vor allem haben sie wenig Pla-
nungssicherheit und kaum Zugang zu Weiterbildung. Eine langfristige Lebensplanung wird so erschwert
und Unsicherheit entsteht. Bei allen Anforderungen der Betriebe nach Flexibilität müssen auch immer die
Bedürfnisse der Beschäftigten und deren Wunsch nach sicheren Zukunftsperspektiven berücksichtigt wer-
den. Deshalb sollen die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen auf das erforderliche Maß be-
grenzt und die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden. Auch mit den geforderten Änderungen des
Teilzeit- und Befristungsgesetzes haben Unternehmen noch ausreichende Möglichkeiten in ihrer Personal-
planung und Personalauswahl, denn die in § 14 Absatz 1 TzBfG festgeschriebenen Möglichkeiten, Arbeits-
verträge mit einem sachlichen Grund zu befristen, sind vielfältig.

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