BT-Drucksache 18/8073

Filmförderung - Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt

Vom 13. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8073
18. Wahlperiode 13.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra
Sitte, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale
und Gendergerechtigkeit und kulturelle Vielfalt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine Filmförderung, die den Wert eines Filmes zuallererst nach seinem kommerzi-
ellem Erfolg an den Kinokassen bemisst, ist auf dem falschen Weg. Denn sie redu-
ziert die Bedeutung des Films auf eine ökonomische Verwertbarkeit und verwandelt
ihn in ein beliebiges, austauschbares Wirtschaftsgut, das sich wie jedes andere auch
auf dem Markt bewähren soll. Dabei bleibt die große gesellschaftliche Relevanz des
Films, bleiben Ästhetik, kommunikativer Gehalt und schließlich die künstlerische
Experimentierfreude und deren Vielfalt immer wieder auf der Strecke.
Das deutsche Filmförderungssystem stammt in seinem Kern aus den 60er Jahren des
vorigen Jahrhunderts. Es ist ein starres, ein komplexes, ein zum Teil recht verwir-
rendes Geflecht aus verteilten Bund- und Länderzuständigkeiten, in dem die Belange
der regionalen Wirtschaftsförderung und der Standortinteressen strukturell dominie-
ren. Aus den Reihen der etablierten Kulturpolitik sind zwar immer wieder Bekennt-
nisse zum Film als Kulturgut zu vernehmen, die politische Praxis ist aber eine an-
dere. Die Bundesregierung und die meisten Landesregierungen sind nach wie vor in
der Spirale aus wirtschaftlichen und standortpolitischen Interessen gefangen. Film
ist aber Kultur und Kinos sind Stätten der Kultur und der sozialen Begegnung. In
Frankreich beispielsweise ist diese Einsicht ein Allgemeinplatz. Dort genießt das
Kulturgut Film eine weit höhere Anerkennung als hierzulande. Jenseits des Rheins
weiß man schon lange, dass in einer vielfältigen Kultur das Filmschaffen als ein
integraler Bestandteil nicht fehlen darf. Film und Filmgeschichte gehören zum kul-
turellen Kerncurriculum der Franzosen.
In Deutschland dauerte es zehn Jahre, bis das Bundesverfassungsgericht nach einem
langen Streit Anfang 2014 die Filmförderung des Bundes endlich für rechtmäßig
erklärte (Urteil des BVerfG vom 28.01.2014 Az.: 2 BvR 1561/12). Auch der Bund
darf nunmehr aktiv Kultur fördern, im konkreten Fall den deutschen Film, ungeach-
tet der Kulturhoheit der Länder. Der Problemberg ist inzwischen riesig, der Reform-
bedarf entsprechend groß. Es kommt jetzt auf eine Innovation der Förderziele, -in-
strumente und -strukturen an.

Drucksache 18/8073 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Filmförderungspolitik muss deshalb zum Ziel haben, den Film als eine für die Ge-
sellschaft unverzichtbare kulturelle Ausdrucksform in der öffentlichen und politi-
schen Wahrnehmung zu verankern und das Filmförderungssystem in diesem Sinne
neu auszurichten und somit am Ende zu stärken. Die Legitimation staatlicher Film-
politik muss allemal kulturell begründet sein, nicht der gewinnträchtige Blockbuster
darf im Zentrum staatlicher Filmförderung stehen.

Einige der Probleme der gegenwärtigen deutschen Filmförderung sind:
− prekäre Beschäftigungsverhältnisse: Im gesamten Bereich der Filmproduktion

bestehen prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Soziale Mindeststandards und Ta-
riflöhne werden nicht eingehalten;

− eine geschlechterungerechte Vergabe der Fördermittel: Es ist auffällig, dass bei
der Vergabe der Fördermittel Filme von Frauen (Regie, Drehbuch, Produktion)
auf inakzeptable Weise benachteiligt werden. Auch hier geht es um Gleichstel-
lung;

− mangelnde Genrevielfalt in der Filmförderung: Der Dokumentarfilm, der Kurz-
film, der Animationsfilm und der originäre Kinderfilm fristen inzwischen eine
Randexistenz. Filmförderung muss auch zur Genrevielfalt beitragen;

− ungenügende Rückzahlung der Fördermittel: Viele mit Fördermitteln ausgestat-
tete Produzenten und Verleiher zahlen keine Mittel zurück. Unabhängig davon
werden sie weiterhin gefördert;

− ineffiziente Fördergremien-Strukturen: Die Fördergremien sind zu groß. Die
Vergabekommission hat viele Mitglieder aus den verschiedenen Einzahlerberei-
chen, bei deren Entscheidungen fachliche Kriterien häufig eine nur untergeord-
nete Rolle spielen;

− mangelhafte Medienbildung: Innerhalb der Medienbildung an deutschen Schulen
findet „Filmbildung“ so gut wie nicht statt;

− ungenügende Barrierefreiheit: Ein ungehinderter, barrierefreier Zugang aller zu
Filmen und zur Filmförderung steckt erst in den Anfängen;

− ungenügende Förderung von Filmen für und über vernachlässigte gesellschaftli-
che Minderheitengruppen.

Um die deutsche Filmförderung entlang der Kriterien Innovation, soziale und Ge-
schlechtergerechtigkeit, Entbürokratisierung, ausreichende Finanzierung und kultu-
relle Vielfalt reformieren zu können, muss das gesamte komplexe Fördersystem un-
ter die Lupe genommen und evaluiert werden. An einer solchen Gesamtschau fehlt
es. Spätestens nach Abschluss der Novellierung des Filmförderungsgesetzes sollte
ein solches Evaluationsvorhaben in Angriff genommen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bei der Novelle des Filmförderungsgesetzes Regelungen zu treffen, um
− die soziale Lage der Filmschaffenden zu verbessern. Filmschaffende sollen fair

vergütet werden. Weitere Urheber, wie Regisseurinnen und Regisseure sowie
Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren sollen einen Anspruch auf fünf Pro-
zent der Referenzmittel haben. Filme dürfen nur finanziert werden, wenn in ihre
Kalkulation geltende Tariflöhne bzw. der Mindestlohn einbezogen wurden und
somit soziale Mindeststandards eingehalten werden. Produktionsfirmen, die
nachweislich einkalkulierte Tarif- bzw. Mindestlöhne nicht ausgezahlt haben,
sollten für drei Jahre von der Förderung ausgeschlossen werden. Produzentinnen
und Produzenten sollen am Erfolg eines Films vom Beginn an partizipieren. Zehn
Prozent der Erlöse der Verleiher sollen jeweils sofort an die Produktionsfirmen
gehen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8073
− eine Zielvorgabe zur gendergerechten Filmförderung einzuführen. Die Zielvor-

gabe soll beinhalten, dass die Hälfte der Filmfördergelder an Projekte gehen, in
denen Frauen bei Produktion, Regie oder Drehbuch vertreten sind. Darüber hin-
aus sind gesonderte Einreichtermine für Frauen, Mentoring-Programme für
Frauen zum Erfahrungsaustausch und für den Nachwuchs sowie Change-Pro-
gramme bzw. Change-Seminare für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Film-
fördereinrichtungen einzuführen, um Rollenbilder und Stereotype zu hinterfra-
gen. Filme, bei denen Frauen in einem der Bereiche Produktion, Regie, Drehbuch
verantwortlich waren, erhalten verdoppelte Referenzmittel;

− die Genrevielfalt im deutschen Film zu fördern. Hierfür sollen insbesondere beim
Kurzfilm, Dokumentarfilm, Animationsfilm für Kinder und Jugendliche und
beim originären Kinderfilm die bereitgestellten Mittel wesentlich erhöht werden.
Die Referenzmittel für Kinder-, Animations- und Dokumentarfilme sollen ver-
dreifacht werden. Der Anteil des Kurzfilms an den Referenzmitteln ist zu ver-
doppeln. Filme müssen auch ohne Senderbeteiligung gefördert werden können.
Die Fernsehsender sollen keinen Einfluss auf die Inhalte der Förderung nehmen.
Filme über bisher vernachlässigte gesellschaftliche Minderheitengruppen sollen
besser unterstützt werden;

− Filmförderungen an den Grundsatz umfassender Barrierefreiheit zu binden und
schrittweise alle Filme für Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen
zugänglich zu gestalten und dabei alle Beeinträchtigungen zu berücksichtigen;

− die Einnahmen der Filmförderungsanstalt (FFA) zu steigern. Sowohl Kabelan-
bieter als auch Telekommunikationsanbieter sollen zur Abgabe herangezogen
werden können. Solange Anbieter mit Sitz im Ausland, die Filme nutzen, nicht
zur Abgabe herangezogen werden können, sollen Produzenten und Verleiher, die
die Rechte an diese verkaufen, einen prozentualen Anteil ihrer Einnahmen daraus
an die FFA abführen. Die Fernsehsender sollen nicht mehr die Möglichkeit ha-
ben, durch Medialeistungen ihre Einzahlungen zu reduzieren;

− die Effektivität der Filmförderung zu erhöhen. Dazu gehört, dass der Anteil der
Mittel, die zurückgezahlt werden, sich erhöht. Dies soll die Filmförderanstalt in
einer entsprechenden Verwaltungsvorschrift regeln, regelmäßig evaluieren und,
wenn die Ziele nicht erreicht werden, entsprechend anpassen. Die Zusammenset-
zung und Größe der Gremien der Filmförderanstalt, einschließlich des Verwal-
tungsrates soll überprüft werden. Die Vergabegremien sollen auf fünf vergütete
Expertinnen und Experten verkleinert werden, deren Amtszeit auf zwei Jahre be-
grenzt ist und die nur nach einer Auszeit von frühestens vier Jahren wiederberu-
fen werden können. Kein Vergabegremium soll später einmal wieder in dersel-
ben Art und Weise zusammengesetzt sein dürfen;

− der zunehmenden Konzentration der Fördermittel bei den großen Produzenten
und Verleihern Einhalt zu gebieten und den bisher üblichen „Fördertourismus“
zu stoppen. Es soll mehr Geld von weniger Fördereinrichtungen je Film geben.
Für Filme mit einem Budget von bis zu zwei Millionen Euro, für alle Filme mit
Frauenbeteiligung in den Bereichen Regie, Drehbuch oder Produktion sowie für
alle Kinder-, Animations- und Kurzfilme ist die Mindestförderquote der Filmför-
deranstalt auf 20 Prozent zu erhöhen. Mittel aus Crowdfunding sind als Eigen-
mittel anzuerkennen;

− den Anteil der Referenzmittel auf 85 Prozent zu erhöhen. Referenzmittelförde-
rung soll ab dem ersten Besucher beginnen. Wer fünfmal gefördert wurde und
weder Geld zurückgezahlt noch Festivalpunkte gewonnen hat, sollte für fünf
Jahre nicht mehr gefördert werden;

− Modelle zu entwickeln, die Sperrfristen für die Verwertung von Filmen zu flexi-
bilisieren. Zu prüfen ist, wie die Verwertungsfenster für Filme reduziert werden
können, die im Kino nicht erfolgreich sind. In einer Übergangszeit von vier Jah-

Drucksache 18/8073 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

ren sollten im Rahmen eines im Anschluss zu evaluierenden Projektes die Aus-
wirkungen flexibler Sperrfristen im Bereich des Dokumentarfilms ermittelt wer-
den. Grundsätzlich ist zu überdenken, ob es zukünftig Aufgabe des Produzenten
ist, von vornherein die Dauer der einzelnen Verwertungen vorzuschlagen;

− das Kino als kulturellen Ort zu erhalten und zu fördern. Die Zahl der Kinobesu-
cherinnen und -besucher ist langfristig zu erhöhen, indem u. a. die Möglichkeit
für alle Bürgerinnen und Bürger geschaffen wird, im Umkreis von 25 Kilometern
ihres Wohnortes ein Kino zu besuchen;

− die Filmbildung im Rahmen der Medienbildung zu fördern. Dazu gehört, dass es
im Kontext schulischer oder außerschulischer Angebote jedem Kind zwischen
vier und 16 Jahren ermöglicht werden soll, mindestens zweimal im Jahr ein Kino
zu besuchen;

− den Erhalt und die Digitalisierung des deutschen Filmerbes verstärkt zu fördern.
Dazu gehört, dass die bestehende Verpflichtung zur Hinterlegung einer Kopie
des geförderten Films auf das Ausgangsmaterial ausgeweitet wird (Pflicht-
exemplar-Hinterlegung). Fünf Prozent des Etats der FFA sollen für die Digitali-
sierung (bisher) geförderter audiovisueller Inhalte eingesetzt werden. Über das
Filmförderungsgesetz hinaus muss der Bundesanteil an der Finanzierung zur Di-
gitalisierung des Filmerbes erhöht werden;

− in Abstimmung mit den Bundesländern eine Evaluierung der gesamten deutschen
Filmförderung vorzunehmen, innerhalb derer auch die einzelnen Filmförderein-
richtungen jeweils für sich betrachtet werden.

Berlin, den 12. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8073
Begründung

Bisherige Filmfördergesetze definierten ihren Gegenstand nicht direkt, sie definierten nicht, was der Gesetzge-
ber unter Film versteht. Sie beschränkten sich darauf, die Aufgaben und Struktur der Filmförderungsanstalt zu
beschreiben.
Das Filmförderungsgesetz solle demnach dem Ziel dienen, „die Struktur der deutschen Filmwirtschaft zu si-
chern und den deutschen Film als Wirtschafts- und Kulturgut zu stärken“. Außerdem ging es darum, „die Qua-
lität und Vielfalt des deutschen Filmschaffens zu erhalten und weiterzuentwickeln“. Dazu sollten all diejenigen
einen angemessenen Beitrag leisten, die das Produkt „Film“ verwerten.1
Es ging nicht um „die Qualität und Vielfalt des deutschen Filmschaffens“ insgesamt, denn das FFG regelte
bisher allein das auf das Kino oder auf Filmfestivals bezogene Filmschaffen.
Sowohl Produktionspraxis als auch die Rezeptionsrealitäten verändern sich aber. Film wird anteilig an den
Neuproduktionen immer weniger im Kino oder im Fernsehen erstaufgeführt. Es darf bezweifelt werden, dass
eine Förderung des Films auf den Kinofilm begrenzt werden kann, wenn man das „Wirtschafts- und Kulturgut
Film“ weiter stärken will.
Die aktuelle soziale Situation und die Arbeits- und Produktionsbedingungen für all diejenigen, die am Zustan-
dekommen von Filmen beteiligt sind, sind nicht länger akzeptabel. Prekäre Arbeits- und Sozialversicherungs-
verhältnisse sind für viele von ihnen der Alltag, Selbstausbeutung und „Draufzahlen“ für die meisten die Norm.
Filmförderung achtet nicht mehr darauf, dies zu ändern. Ihre verschiedenen Auflagen führen im Gegenteil sogar
dazu, dass ein Filmprojekt zumeist nur zu Lasten der sozial angemessenen Bezahlung eines Teils der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter umgesetzt werden kann. Jedoch sollte kein Filmprojekt bewilligt werden, bei dem nicht
auf Basis der Tariflöhne bzw. des Mindestlohns kalkuliert wurde. Produzenten, die nachweislich einkalkulierte
Tarif- bzw. Mindestlöhne nicht ausgezahlt haben, sollten für drei Jahre von der Förderung ausgeschlossen wer-
den. Hier muss dringend gesetzlich nachgesteuert werden.
Seit Jahren ist festzustellen, dass nur ein geringer Teil der Filme von Frauen (Regie, Drehbuch sowie Produk-
tion) gemacht wird und dass diese Filme vom absoluten Volumen her gesehen nicht so hoch gefördert werden.
Deshalb sollte eine Zielvorgabe zur gendergerechten Filmförderung eingeführt werden. Die Zielvorgabe ist,
dass die Hälfte der Filmfördergelder an Projekte geht, in denen Frauen entweder in der Produktion, Regie oder
im Drehbuch vertreten sind. So wurde es in Schweden erfolgreich praktiziert. Mit weiteren Maßnahmen (spe-
ziellen Einreichterminen nur für Frauen, Mentoring-Programmen für Frauen zum Erfahrungsaustausch,
Change-Programmen für die Entscheider im schwedischen Filminstitut sowie Change-Seminaren, um Rollen-
bilder und Stereotype zu hinterfragen) hat man es innerhalb von fünf Jahren geschafft, die Regisseurinnen-
Quote von 15 auf 47 Prozent zu erhöhen. Auch für solche Filme sollten die Referenzmittel in einem Übergangs-
zeitraum verdoppelt werden.
Natürlich sollte das Kino weiterhin die Vielfalt des Films abbilden. Doch seit Jahren ist festzustellen, dass der
Dokumentarfilm, der Kurzfilm, der Animationsfilm (insbesondere für Kinder, Jugendliche und junge Erwach-
sene) sowie der originäre Kinderfilm ein Randdasein fristen. Sicher werden sich nicht von heute auf morgen
die Besucherzahlen wesentlich verändern, auch wenn es ein größeres Angebot in diesen Bereichen gibt. Verän-
derungen brauchen langen Atem. Sehgewohnheiten und Interessen werden über einen langen Zeitraum geprägt.
Sie setzen immer auch ein entsprechend breites Angebot voraus. Es ginge also darum, ein angemessenes Ange-
bot zu befördern. Aus diesem Grunde sollten die Referenzmittel für Kinder-, Animations- und Dokumentarfilme
automatisch verdreifacht werden. Da im Schnitt die Hälfte der Referenzmittel aus Kurzfilmen für Spielfilme
eingesetzt wird, sollten die Referenzpunkte für Kurzfilme verdoppelt werden, um das eingesetzte Volumen
konstant zu halten und die prekäre Bezahlung in diesem Bereich abzustellen. Wenn man zudem ab dem ersten
Zuschauer Referenzpunkte erwerben könnte, würden auch die Produzentinnen und Produzenten dieser Filme
gestärkt. Filme bis zu 30 Minuten sollten dabei ebenfalls berücksichtigt werden. Da damit mehr Filme an-
spruchsberechtigt sein werden, ist der Anteil des Kurzfilms an den Referenzmitteln zu verdoppeln.
Die bisherigen Debatten zur Finanzierung der FFA drehen sich vor allem darum, wie diese auf dem bisherigen
Niveau erhalten bleiben kann. Es wird zum einen hochgerechnet, wie sich die Zahl der Kinobesucherinnen und
1 Filmförderungsgesetz vom 7. August 2013, § 67 Absatz 3 und 4 (FFA).

Drucksache 18/8073 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
-besucher entwickeln, zum anderen welche neuen Anbieter vom Film profitieren und wie diese als Einzahlerin-
nen und Einzahler zu „gewinnen“ sind.
Seit Jahren werden dem Kino aufgrund der neuen Nutzungsmuster sinkende Besucherzahlen vorausgesagt, so
auch im Evaluierungsbericht der FFA.2 Doch in den letzten zwei Jahren war der Trend anders. Die Vorhersagen
trafen nicht ein. Sollten allerdings die Vorhersagen eintreffen, hieße dies, dass langfristig immer weniger Leute
ins Kino gehen. Dadurch würde der Anteil des Kinos an den FFA-Mitteln immer weiter sinken. Die sinkenden
Mittel durch das Kino sollen durch andere Einzahlerinnen und Einzahler ausgeglichen werden. Theoretisch
könnte dies dazu führen, dass das Mittelaufkommen der FFA weitestgehend konstant bleibt, obwohl keiner
mehr ins Kino geht. Die bisherigen FFG-Novellen beinhalten keinen Ansatz, dieser Entwicklung etwas entge-
genzusetzen. Sie nehmen den Trend hin, anstatt Alternativen zu befördern.
Sicher kann man versuchen, ausländische Anbieter zur Filmabgabe heranzuziehen. Was bei deutschen Tele-
kommunikationsanbietern und Kabelnetzbetreibern einfach möglich sein müsste, geht bei ausländischen An-
bietern nicht von heute auf morgen. Doch es wäre erst einmal zielführend, festzulegen, dass alle Produzenten
bzw. Rechteverkäufer einen prozentualen Anteil ihrer Einnahmen aus Rechteverkäufen ins Ausland an die FFA
abführen, wenn der Rechtekäufer nicht in die FFA einzahlt. So würde man möglicherweise auch dafür sorgen,
dass ein leistungsfähiger und innovativer einheimischer, möglicherweise auch international wettbewerbsfähiger
Anbieter entsteht. Der deutsche Film ist zu großen Teilen durch Rundfunkbeiträge sowie Fördergelder finan-
ziert. Die Medienpolitik nimmt aber seit Jahren seinen Ausverkauf an internationale Akteure wie Amazon und
Netflix nur zur Kenntnis, anstatt Gegenstrategien zu entwickeln und damit den deutschen Produzentinnen und
Produzenten Möglichkeiten zur Eigenkapitalstärkung zu geben.
Zudem sollte immer wieder überprüft werden, ob die Bedingungen und Regelungen für die Einzahler noch
stimmen. Was bringen einem die Medialeistungen der Sender real? Es gibt heute neue, andere, preiswertere
Wege, die Zielgruppen eines Films zu erreichen. Es sollte die Entscheidung der Produzentinnen und Produzen-
ten sein, welche Möglichkeiten sie nutzen. Es wäre deshalb sinnvoll, die Produzentinnen und Produzenten ent-
scheiden zu lassen, ob und welche Medialeistungen der Sender sie zu welchen Konditionen nutzen wollen, und
die FFA, ob sie dies fördert. Es ist besser, wenn die Sender ihren vollen Betrag in die FFA einzahlen. In Zukunft
sollte es nicht mehr möglich sein, die Einzahlungen um bis zu 50 Prozent durch Medialeistungen zu ersetzen.
In den Vergabegremien der Förderer sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Sender. Diese treffen ihre Ent-
scheidung danach, ob die Filme auch im Fernsehen gezeigt werden können. Anscheinend sichern sie sich mit
geringer werdenden Beteiligungen die entsprechenden Fernsehverwertungsrechte. Dies mag der Finanzierung
der einzelnen Filme dienen. Der Entwicklung einer unabhängigen Filmsprache dient es nicht. Grundsätzlich
sollen die Vergabegremien verkleinert werden, sie sollen aus vergüteten Expertinnen und Experten bestehen,
deren Amtszeit auf zwei Jahre begrenzt ist und die nur nach einer Auszeit von frühestens vier Jahren wieder
berufen werden können. Kein Vergabegremium darf später einmal wieder in derselben Art und Weise zusam-
mengesetzt sein.
Es gibt in Deutschland viele Filmförderinstitutionen. Neben der FFA und dem BKM fördert mittlerweile auch
das Bundeswirtschaftsministerium den Film. Auf Länderebene gibt es nicht nur die Länderfördereinrichtungen.
Neben ihnen fördern auch einige Landesmedienanstalten, Kulturministerien bzw. Länderkulturstiftungen den
Film. Es gibt also eine große, unübersichtliche Filmförderlandschaft. Der deutsche Film ist zu fast 50 Prozent
öffentlich gefördert.3 Hinzu kommt, dass die Fernsehanstalten zusätzlich mit circa 15 Prozent im Durchschnitt
den deutschen Kinofilm finanzieren. Damit kommen 65 Prozent der Mittel für die Finanzierung des deutschen
Films aus der öffentlichen Hand. Demzufolge gibt es hier keinen reinen Markt. Es gibt keine Struktur, in der
Angebot und Nachfrage wie auf dem freien Markt geregelt werden.
Ferner ist festzustellen, dass nur noch selten eine Filmfördereinrichtung allein ins Risiko geht und einen Film
allein fördert.4 Immer mehr Filmförderer – wie auch öffentlich-rechtliche Sender – teilen sich die Finanzierung
eines Films. Damit reden und entscheiden auch immer mehr Leute mit. So gibt es in allen Fördereinrichtungen
zusammen über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zusammen über 200 Filme fördern. So ist es kein
Einzelfall, dass nicht unter 20 bis 25 Entscheider ihr Votum für oder gegen einen Film abgeben – also bei der
Antragstellung berücksichtigt werden müssen. Sie sprechen mit, sie nehmen Einfluss auf den Film, tragen aber
2 Evaluierungsbericht Filmabgabe FFA 2014, S. 117.
3 Auch wenn die Mittel durch die Branche aufgebracht werden, wird hier von öffentlicher Finanzierung gesprochen, da dies

per Gesetz geregelt ist.
4 Ausnahmen sind vor allem Abschlussfilme sowie Kurzfilme.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8073
kein Risiko. Um diesen Einfluss zu reduzieren, sollte deshalb die Mindestförderquote durch die FFA auf 20 Pro-
zent festgelegt werden. Im Übrigen: Filmschaffende werden durch den Förderdschungel nicht ermutigt, ihren
Projektentwurf (Drehbuch, Besetzung etc.) am eigenen künstlerischen Bestreben auszurichten, sondern an den
Förderrichtlinien, -instrumenten und Jurybesetzungen. Das begünstigt ununterscheidbare Stromlinienförmig-
keit, aber nicht Originalität.
Absolute Zuschauerzahlen allein sagen wenig über den Erfolg eines Films aus. Wenn man Filme miteinander
vergleichen will, muss man auch die Werbeetats, die im Markt verfügbaren Kopien sowie die Laufzeiten der
Filme berücksichtigen. Und selbst dies reicht noch nicht aus, müsste man doch auch noch berücksichtigen, zu
welchen Uhrzeiten die Filme liefen. Es ist schon ein Unterschied, ob ein Film mit 480 Kopien oder mit 16
Kopien startet. Im ersten Fall stehen je Bundesland 30 Kopien zur Verfügung, im zweiten nur eine einzige. Der
Erfolg eines Dokumentarfilmes mit 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauern ist mindestens genauso groß, wie
die mehr als 7 Millionen Besucherinnen und Besucher5 von „Fack Ju Göhte 2“. Ein Dokumentarfilm, der
150.000 Zuschauer und Zuschauerinnen hat, ist überragend und muss dann auch im Nachgang über Referenz-
mittel überragend gefördert werden.
Insgesamt bietet die Referenzförderung sehr viel mehr Spielräume für Filmschaffende, da es mit ihr keine Ab-
hängigkeit von einem Fördergremium gibt. Man sollte von ihr ab dem ersten Besucher profitieren. Dieser Vor-
schlag ist in den letzten Jahren schon bei jeder FFG-Novellierung gemacht worden. Aber er wurde immer mit
dem Argument abgelehnt, dass es zu kleinteilig sei und man zu viel zählen müsste. Mittlerweile übernehmen
das Zählen aber die Computer. Wenn man nicht mindestens 50.000 Besucherinnen und Besucher beim Spielfilm
und 25.000 bei Dokumentar- und Erstlingsfilmen braucht, um Anspruch auf Referenzmittel zu haben, würden
mehr Erstlingsfilme und Kurzfilme sowie Filme von Frauen profitieren. Dadurch könnten Zweit- und Drittfilme
leichter finanziert werden. Somit könnte auch der Anteil der Referenzmittel an der Förderung auf 85 Prozent
erhöht werden. Allerdings sollte dann eine kulturelle Förderung für Projekte ausgeschlossen sein, die Referenz-
mittel in Anspruch nehmen. Zudem sollte, wer fünfmal gefördert wurde und weder Geld zurückgezahlt noch
Festivalpunkte gewonnen hat, für fünf Jahre nicht mehr gefördert werden. Dies wäre ein erster Schritt der Er-
folgssteuerung.
Seit Jahren ist festzustellen, dass viele Filmproduzenteninnen und -produzenten unterkapitalisiert sind, dass ihre
Firmen nicht wachsen, sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oftmals nicht angemessen bezahlen können.
Die deutschen Filmproduzentinnen und -produzenten unterliegen einer Vielzahl von Auflagen. Die einzelnen
Länderförderer erwarten vor allem Regionaleffekte, die die Filmproduktion verteuern und zu künstlerischen
Abstrichen führen. Die Abstimmung auf mehrere Förderer, die man benötigt, um einen Film überhaupt finan-
zieren zu können, führt zu mehr Bürokratie und Verwaltung. Da die Filmproduzenteninnen und -produzenten
ihre Rechte zumeist im Rahmen der Filmfinanzierung abtreten müssen, bleibt ihnen im Erfolgsfall selten die
Möglichkeit, vom Erfolg zu partizipieren und somit Eigenkapital bilden zu können. Auch deshalb wäre es wich-
tig, dass sie nicht die letzten in der Kette sind, sondern ab dem ersten Zuschauer mitverdienen. Zudem müssen
Regelungen gefunden werden, wie die Verwertungsfenster für Filme reduziert werden, die im Kino nicht er-
folgreich sind. In einer Übergangszeit von vier Jahren sollten die Auswirkungen im Bereich des Dokumentar-
films ermittelt werden. Grundsätzlich ist zu überdenken, ob es nicht Aufgabe des Produzenten sein sollte, von
vornherein die Dauer der einzelnen Verwertungen vorzuschlagen.
Wenn sich das Kino aus der Fläche zurückzieht, ist es nur logisch, dass immer weniger Menschen ins Kino
gehen. Außerdem gehen immer weniger junge Menschen ins Kino, da zum einen ihr Anteil an der Bevölkerung
abnimmt und zum anderen die Eintrittspreise trotz sinkender Reallöhne weiter steigen. Der Ereignis- und Er-
lebnisort Kino ist auf dem Rückzug. In vielen kleinen und mittleren Städten gibt es mittlerweile kein Kino mehr.
Eine FFG-Novelle sollte deshalb nicht nur das Ziel haben, die Höhe der zu vergebenden Mittel weitgehend
konstant zu halten. Sie sollte vor allem das Ziel haben, die Zahl der Kinogänger zu erhöhen. Dazu gehört, dass
es ortsnah Kinos gibt.
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Fack_ju_G%C3%B6hte_2.

Drucksache 18/8073 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ziel sollte sein, dass es in jeder Stadt ab 20.000 Einwohnern mindestens ein Kino gibt. Jeder und jede sollte im
Umkreis von 25 Kilometern des Wohnortes die Möglichkeit haben, ein Kino zu besuchen. Außerdem müssen
Wege gefunden werden, Kinder und Jugendliche wieder für das Kino zu gewinnen. Ein Ziel wäre es, dass jedes
Kind zwischen 4 und 16 Jahren zweimal pro Jahr ins Kino geht.6 Ein Weg dafür wäre, dies über eine verstärkte
Filmbildung in Kindertagesstätten und Schulen zu befördern, zumal die Filmbildung in unserer Mediengesell-
schaft zunehmend wichtig wird. Sie ist nicht nur ein Kern von Medienkompetenzförderung, sondern, wenn wir
das Kino in Allzeit-Facetten als Kulturort bewahren, halten und weiterentwickeln möchten, dann ist da Film-
bildung ein wichtiger Punkt, denn auch sie will das Kino als Kulturort vermitteln. Da Filmbildung zumeist im
nichtgewerblichen Bereich stattfindet, müssen die entsprechenden Zuschauerzahlen weiterhin in die Ermittlung
der Referenzpunkte eingehen.

6 Die Stärke eines Jahrgangs beträgt 700.000 bis 830.000. Das würde ca. 19 Mio. Besuche generieren.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.