BT-Drucksache 18/7972

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/825 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundesabstimmungsgesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze

Vom 23. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7972
18. Wahlperiode 23.03.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla
Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/825 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung
der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur
Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen,
Volksbegehren und Volksentscheid (Bundesabstimmungsgesetz)
und zur Änderung weiterer Gesetze

A. Problem
Nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geht alle Staatsgewalt
vom Volke aus. Dem Grundgesetz wohnt der Gedanke inne, dass der Souverän
die Bevölkerung ist. Doch trotz dieser Regelung beschränkt sich die Ausübung
der Staatsgewalt auf das Wahlrecht, bei dem zudem über die Erststimme ein tat-
sächlicher Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments ermög-
licht wird, da die Zweitstimme ermöglicht, die von den Parteien aufgestellten Lis-
ten zu wählen.
Tatsächlich bieten die Wahlen allein keine Chance, nachhaltig und stetig die Po-
litik mitzubestimmen. Verbliebene Potentiale durch Petitionen, auch wenn diese
durch elektronische Wege der Beteiligung einen größeren Kreis von Unterstütze-
rinnen und Unterstützern finden, reichen nicht aus.
Die Bevölkerung als Souverän ist von den ihre Lebenswirklichkeit betreffenden
Entscheidungsprozessen entfremdet. Die Arbeit und Funktionsweise der Organe
der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene können weite Teile der Bevöl-
kerung weder nachvollziehen noch wirksam beeinflussen. Die Möglichkeiten,
diese zu beeinflussen, beschränken sich auf zeitaufwändige und anhaltende Be-
teiligung in Parteien oder in der Einreichung von Petitionen oder Informations-
weitergabe an die Entscheidungsträgerinnen und -träger.
Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Die
Erfahrungen mit direktdemokratischer Einflussnahme auf Ebene der Bundeslän-
der zeigen, dass die Einwohnerinnen und Einwohner ein Interesse an direkter Ein-
flussnahme auf politische Entscheidungsprozesse haben.

Drucksache 18/7972 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Einwohnerinnen und Einwohner treten mittels direkter Einflussnahme auf politi-
sche Entscheidungen aus der sogenannten Zuschauerdemokratie heraus. Sie wer-
den zu Subjekten demokratischer Willensbildung. Dies stärkt nicht nur die De-
mokratie, sondern auch die Menschenwürde.

B. Lösung
Einführung direkter Einflussmöglichkeiten der Einwohnerinnen und Einwohner
auf politische Entscheidungen und Einführung der dreistufigen Volksgesetzge-
bung in das Grundgesetz.
Um den Einwohnerinnen und Einwohnern mehr Verantwortung einzuräumen,
muss das Grundgesetz geändert und dort die Möglichkeit der direkten Einfluss-
nahme festgeschrieben werden. Da die von Entscheidungen betroffenen Einwoh-
nerinnen und Einwohner Beteiligte am Prozess der direkten Demokratie sein sol-
len, wird durch eine Änderung im Grundgesetz und im Bundeswahlgesetz sicher-
gestellt, dass Abstimmungsberechtigte Personen sind, die das 16. Lebensjahr voll-
endet haben und seit fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet
sind. Um dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 GG
gerecht zu werden, wird außerdem die Möglichkeit, Menschen durch Richter-
spruch das aktive Wahlrecht abzuerkennen, abgeschafft.
Mit der Grundgesetzänderung wird ein Abstimmungsgesetz eingeführt, das die
Details für den Ablauf der plebiszitären Verfahren regelt. Notwendige Folgeän-
derungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz sowie im Straf- und Parteienrecht
werden vorgenommen.
Ablehnung des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen
Annahme des Gesetzentwurfs.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7972
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/825 abzulehnen.

Berlin, den 16. März 2016

Der Innenausschuss

Ansgar Heveling
Vorsitzender

Dr. Tim Ostermann
Berichterstatter

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Halina Wawzyniak
Berichterstatterin

Irene Mihalic
Berichterstatterin

Drucksache 18/7972 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Dr. Tim Ostermann, Dr. Lars Castellucci, Halina
Wawzyniak und Irene Mihalic

I. Überweisung

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 18/825 wurde in der 37. Sitzung des Deutschen Bundestages am
23. Mai 2014 an den Innenausschuss federführend sowie an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat in seiner 87. Sitzung am 17. Februar 2016 mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenhaltung
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat in seiner 57. Sitzung am 17. Februar 2016
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den Gesetzentwurf abzulehnen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Innenausschuss hat in seiner 76. Sitzung am 16. März 2016 den Gesetzentwurf abschließend beraten und
empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/825 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN.

IV. Begründung

Die Fraktion DIE LINKE. betont, mehr direkte Demokratie zu fordern, sei keine neuartige Idee. Neu sei das
Abstimmungsgesetz, bei dem im Wesentlichen auf Vorarbeiten von „Mehr Demokratie e. V.“ zurückgegriffen
werde. Die Menschen sollen über konkrete Sachverhalte selbst entscheiden können. Wichtig sei auch, dass Per-
sonen abstimmungsberechtigt seien, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und seit fünf Jahren in der Bundes-
republik Deutschland gemeldet seien. Volksinitiativen, die die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätz-
liche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes nieder-
gelegten Grundsätze berührten sowie Initiativen zum Haushaltsgesetz seien unzulässig. Der Gesetzentwurf bein-
halte detaillierte Regelungen und Kriterien zu einer dreistufigen Volksgesetzgebung. Es gehe nicht darum, die
parlamentarische Demokratie abzuschaffen, sondern diese sinnvoll zu ergänzen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt die Diskussion zu diesem Vorhaben. Die Analyse einer
wachsenden Distanz eines Teils der Bevölkerung zum parlamentarischen System sei richtig. Deshalb müsse es
gemeinsames Ziel sein, den Bürgerinnen und Bürgern ergänzend zur parlamentarischen Demokratie eine Mög-
lichkeit zu eröffnen, mitentscheiden zu können. Die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung finde somit
Unterstützung. Auch sei der Kreis der Abstimmungsberechtigten entsprechend des vorgelegten Gesetzentwurfs
zu erweitern. Einzelne Regelungen im Gesetzentwurf wie z. B. die wegen der Gefahr von Zufallsergebnissen zu
niedrig angesetzte Zahl von 100 000 Wahlberechtigten bei der Volksinitiative oder des Fristablaufs bei abgelehn-
ten Volksinitiativen, seien zu kritisieren. Dies solle dies jedoch nicht dazu führen, ein solches Vorhaben pauschal
abzulehnen, sondern es sei nach einer fraktionsübergreifenden Einigung zu suchen.
Die Fraktion der SPD sieht Elemente direkter Demokratie als eine in Betracht kommende Antwort auf eine
Vertrauenskrise eines Teils der Bevölkerung gegenüber der repräsentativen Demokratie. Allerdings seien einzelne
Regelungen des Gesetzentwurfs zu kritisieren. Die Gegenstände der Volksabstimmung seien zu undeutlich be-
schrieben und die Abstimmungsberechtigung entgegen der vorgesehenen Regelung über die Staatsangehörigkeit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7972
zu lösen. Erweiterte Rechte der Fraktionen seien in einem Gesetz, dass dazu dienen soll, den Menschen mehr
Einfluss zu verschaffen, nicht zu normieren. Zudem fehle eine Verfahrensregelung zu einer Kompromissbildung
wie sie eine frühere Vorlage der SPD-Fraktion beinhalte. Generell müsse angesichts der Gegenargumente über
eine intelligente Verschränkung zwischen parlamentarischem System und direkter demokratischer Teilhabe nach-
gedacht werden. Hierauf finde sich in der Vorlage keine Antwort. Auch in der Wissenschaft stünden hierzu Ant-
worten aus. Gleichwohl solle als fraktionsübergreifender Kompromiss darüber nachgedacht werden, auf Bundes-
ebene zumindest etwas Ähnliches wie eine Europäische Bürgerinitiative einzuführen.
Die Fraktion der CDU/CSU lehnt den Gesetzentwurf ab. Sie hält diesen für nicht sinnvoll. Die repräsentative
Demokratie habe sich durch große politische Stabilität ausgezeichnet. Kennzeichen der repräsentativen Demo-
kratie sei auch ein gewachsenes und ausgefeiltes Gesetzgebungsverfahren. Ein Plebiszit biete eine solche Mög-
lichkeit nicht, sondern sei auf ein schlichtes Ja oder Nein reduziert. Ein funktionierendes Gemeinwesen sei jedoch
auf die einem Interessenausgleich dienenden Kompromisse angewiesen. Auch bevorzugten plebiszitäre Elemente
diejenigen, die sich ohnehin sehr gut artikulieren könnten. Eine wachsende Kluft in der Gesellschaft zu einem
Teil eher gleichgültiger Wählerschaft könnte sich dadurch verschärfen. Zudem sei eine Wahlberechtigung entge-
gen der Regelung im vorgelegten Gesetzentwurf an die deutsche Staatsangehörigkeit und an die Volljährigkeit zu
knüpfen.

Berlin, den 16. März 2016

Dr. Tim Ostermann
Berichterstatter

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Halina Wawzyniak
Berichterstatterin

Irene Mihalic
Berichterstatterin

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