BT-Drucksache 18/7769

Untersuchungen eines Zusammenhangs des Arzneimittels Duogynon® mit schweren Missbildungen und Erwägungen zu Schadensersatzregelungen

Vom 25. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7769
18. Wahlperiode 25.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Eva Bulling-Schröter, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Harald Weinberg,
Katrin Werner, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Untersuchungen eines Zusammenhangs des Arzneimittels Duogynon® mit
schweren Missbildungen und Erwägungen zu Schadensersatzregelungen

Tausende von Missbildung betroffene Personen gehen davon aus, Opfer eines
Präparats des Unternehmens Schering AG zu sein, das bis zum Jahr 1973 unter
dem Markennamen Duogynon® (bis zum Jahr 1980 Cumorit®, unter anderem in
Großbritannien auch Primodos®) als hormoneller Schwangerschaftstest und zur
Behandlung von Menstruationsstörungen eingesetzt wurde. Die frühere Schering
AG ist heute Teil des Bayer HealthCare-Konzerns.
Schon im Jahr 1969 ergaben schwere Schädigungen von Ratten in Tierversuchen,
dass ein Zusammenhang mit Duogynon® nicht ausgeschlossen werden könne.
(vgl. Bayerisches Fernsehen vom 20. Januar 2016: Die Akte Duogynon – Ver-
zweifelter Kampf um Aufklärung). Bereits im Jahr 1967 hatten Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler vor den Gefahren des Einsatzes dieser Medikamente
bei Frühschwangerschaften gewarnt und Ende der sechziger bzw. Mitte der sieb-
ziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde selbst von Schering AG-Angestellten
ein Verkaufsstopp gefordert (vgl. taz vom 9. Januar 2016). Anders als in mehre-
ren anderen Ländern blieb das Präparat jedoch auf dem deutschen Markt (vgl.
www.cbgnetwork.org/3565.html). Nach Angaben der Coordination gegen
BAYER-Gefahren e. V. gab es für Primodos® noch während des Vertriebs eine
Warnung vor der Gefahr von Missbildungen bei Neugeborenen (www.cbgnet-
work.org/3428.html), die zu schweren Fehlbildungen am Skelett, Herz, Harnlei-
ter oder den Gliedmaßen führen können.
Strafrechtliche Ermittlungen gegen die Schering AG wurden im Jahr 1980 in Ber-
lin eingestellt. Den Betroffenen war der sichere Nachweis des Zusammenhangs
mit der Einnahme dieser Präparate damals nicht möglich, nachdem ihnen die Ein-
sicht in viele Unterlagen des Unternehmens verweigert worden war. Eine erneute
Klage im Jahr 2012, die mit neueren belastenden Unterlagen untermauert wurde,
wurde auf Antrag der Bayer Pharma AG wegen Verjährung, die 30 Jahre
nach der Einnahme der Pille durch die Mutter einsetzt, abgewiesen (vgl.
www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/kontrovers/duogynon-
arzneimittelskandal-missbildungen-100.html).
Bis heute verweigert die Bayer Pharma AG alle Gespräche mit den Betroffenen.
Auch der Vorschlag eines Fonds für alle Geschädigten blieb unbeantwortet (vgl.
Redebeitrag von André Sommer auf der Bayer Pharma AG-Hauptversammlung
im Jahr 2011 und die Antwort des Bayer Pharma AG-Vorstands darauf). Wegen
der Verjährung möglicher Schadensersatzansprüche war für die Betroffenen ein
Auskunftsrecht nicht mehr einklagbar (Landgericht Berlin, Urteil vom 5. Juli

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2012, Az. 1 O 60/11). Eine Akteneinsicht auf freiwilliger Basis verweigert die
Schering AG bzw. die Bayer Pharma AG den Betroffenen.
Nun dürfen alle Geschädigten aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit (aber
auch Medien und Wissenschaftler) seit dem Jahr 2015 im Berliner Landesarchiv
Einsicht in die Akten des Duogynon®-Ermittlungsverfahrens zu Beginn der
1980er Jahre nehmen. Hier befinden sich auch Briefwechsel der Schering AG-
Rechtsabteilung mit besorgten Ärztinnen und Ärzten (taz vom 9. Januar 2016).
Zudem wurde vom britischen Premierminister David Cameron ein Untersuchungs-
ausschuss zu Primodos® bzw. Duogynon® eingerichtet, in dem seit dem 7. Oktober
2015 Repräsentanten der britischen Arzneimittelbehörde Medicines & Healthcare
products Regulatory Agency (MHRA) und Mitglieder des parlamentarischen Ge-
sundheitsausschusses den Fall untersuchen (vgl. www.taz.de/!5235297/).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, inwieweit die Un-

ternehmensleitung und/oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Sche-
ring AG bereits in den 1970er Jahren von einer möglichen Gefahr von Miss-
bildungen nach der Einnahme von Duogynon® bzw. Primodos® wussten?

2. Welche gegenüber dem Einsatz von Duogynon® bzw. Primodos® geäußer-
ten Bedenken sind der Bundesregierung aus welchem Zeitraum bekannt?

3. Wie viele Missbildungsfälle im Zusammenhang mit Duogynon® bzw.
Primodos® wurden dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte (BfArM) bis zum Jahr 2010 gemeldet?
Welche?

4. Sind der Bundesregierung weitere Fälle sowie Anfragen besorgter Ärztinnen
und Ärzte, Patientinnen und Patienten und Betroffenenorganisationen be-
kannt, die die Schering AG bzw. Bayer Pharma AG, wie zum Teil in den
Unterlagen des Berliner Archivs dokumentiert, den zuständigen Behörden
mitgeteilt hat?

5. Inwieweit haben Bunderegierung oder Bundesbehörden zur Aufklärung bei-
getragen?

6. Welche Begründungen des Herstellerunternehmens Schering AG sind der
Bundesregierung bekannt, das Mittel trotz Warnungen von eigenen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland nicht vom Markt zu nehmen?

7. Welche öffentlich verkündeten Bedenken oder Warnungen von Seiten des
Herstellerunternehmens wegen unerwünschter Nebenwirkungen und Risiken
sind der Bundesregierung bekannt?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich der Bayer HealthCare-Konzern
als Rechtsnachfolger des ehemaligen Duogynon®-Herstellers Schering AG
durch Gewährung von Einsichtnahme in Unternehmensunterlagen um Auf-
klärung und Transparenz bemüht hätte?

9. Sind der Bundesregierung Klagen von Betroffenen darüber bekannt, dass
ihnen von der Schering AG bzw. Bayer Pharma AG stets Einsichtnahme ver-
weigert wurde und sie somit nur sehr aufwändig überhaupt an Unterlagen
gelangen, die zur Klarheit beitragen können?

10. Welche Antwort hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange
behinderter Menschen vom Bayer HealthCare-Konzern auf einen Brief vom
21. April 2011 erhalten, in dem die Gewährung von Einsicht in Dokumente
sowie ggf. Schaffung von Entschädigungsregelungen durch das Unterneh-
men angeregt werden?

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11. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Position, wie sie die Parlamentarische
Staatssekretärin Ingrid Fischbach am 14. Januar 2016 verkündete (vgl. Ant-
wort auf die Schriftliche Frage 53 auf Bundestagsdrucksache 18/3812), ob-
wohl seit der Studie vom Jahr 2012, auf die sich die Bundesregierung stützt,
neue Erkenntnisse zutage getreten sind?

12. Hätte die Schering AG nach Ansicht der Bundesregierung zumindest fahr-
lässig gehandelt, wenn sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht alles unter-
nommen hat, um die Unbedenklichkeit des Medikamentes, auch gegenüber
den Gesundheitsbehörden, zu beweisen?

13. Kennt die Bundesregierung Beispiele von Pharmaunternehmen, die bei glei-
cher Rechtslage anders handelten und bei denen die Patientensicherheit folg-
lich einen höheren Stellenwert hatte?

14. Sind der Bundesregierung Hinweise von Schering AG-Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern bekannt, dass in diesem Zusammenhang Medizinerinnen und
Mediziner bestochen wurden?

15. Hat die Bundesregierung bislang Unterlagen im Berliner Landesarchiv ein-
gesehen, um weitere Erkenntnisse über Duogynon® bzw. Primodos® zu er-
halten?
a) Falls ja, wann, in welchem Umfang, und mit welcher Zielsetzung?
b) Falls ja, welche weiteren Erkenntnisse hat sie gewonnen, und wie beein-

flusst dies die Einschätzung der Bundesregierung über das Verhalten von
der Schering AG und einem möglichen Kausalzusammenhang zwischen
der Einnahme von Duogynon® bzw. Primodos® und Kindesmissbildun-
gen?

c) Falls nein, gedenkt sie das noch zu tun?
d) Falls nein, warum sieht sich die Bundesregierung nicht in der Pflicht, ein

mögliches schuldhaftes Verhalten von der Schering AG oder einer Bun-
desbehörde aufzuklären?

16. Ist die Bundesregierung der Überzeugung, dass das damalige Bundesgesund-
heitsamt (BGA) ausreichend und rechtzeitig gehandelt hat?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass es beim Berliner
Landesarchiv Unterlagen geben könnte, denen zufolge die Schering AG nach
„missdeutigen“ Aussagen im Hinblick auf die Verfahren suchen ließ und ein
Wissenschaftler seinen Bericht vorher bei der Schering AG eingereicht habe
mit der Frage, ob der Bericht aus Sicht des Unternehmens in Ordnung sei?

18. Hat die Bundesregierung aus den Unterlagen des BGA Erkenntnisse über
solche Schriftstücke?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass der Forschungslei-
ter des damaligen BfArM Berichtes aus dem Jahr 2012, Prof. Dr. med. Christof
Schäfer, während der Studie zeitgleich von der Bayer Schering Pharma AG Zu-
wendungen bekommen habe, und würde das aus Sicht der Bundesregierung ei-
nen problematischen Interessenskonflikt darstellen?

20. Kann die Bundesregierung angeben, in wie vielen Fällen das BfArM im Rah-
men der Erstellung des Berichts bei Betroffenen nachgefragt oder Gespräche
mit den Betroffenen geführt hat?

21. Hat die Bundesregierung bereits Überlegungen zu möglichen Entschädi-
gungszahlungen angestellt, an denen neben dem Herstellerkonzern auch der
Staat beteiligt sein wird?

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22. Inwieweit erwägt die Bundesregierung ggf. unbürokratische Hilfen in Form
staatlicher Zahlungen an die Betroffenen zu ermöglichen für den Fall, dass
den Betroffenen trotz großer Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs der
Schädigung mit den Hormonpräparaten ein gerichtsfester Nachweis nicht ge-
lingen sollte?

23. Inwiefern plant die Bundesregierung, angesichts des in Großbritannien ins
Leben gerufenen Untersuchungsausschusses zu Primodos® bzw. Duogy-
non® ebenfalls neue Untersuchungen zu starten, um neu aufgetauchte Un-
terlagen entsprechend aufnehmen zu können?

24. Steht die Bundesregierung mit der britischen Regierung und dem Parlament
in Verbindung, um sich über neue Erkenntnisse zu Primodos® bzw. Duogy-
non® auszutauschen?

25. Wird die Bundesregierung neue Erkenntnisse zeitnah auch Betroffenen mit-
teilen?

26. Gibt es bei der Bundesregierung Überlegungen, weitere Untersuchungen zu
veranlassen, in deren Rahmen der Herstellerkonzern auch in Deutschland zur
Einsichtnahme in belastende Unternehmensunterlagen gezwungen werden
könnte?

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Warnhinweise bezüglich der
Einnahme während der Schwangerschaft, die auf den Packungen von Duogy-
non® bzw. Primodos® zu lesen waren (www.cbgnetwork.org/3428.html)?

28. Aufgrund welcher medizinischen Erkenntnisse wurden gegebenenfalls sol-
che Warnhinweise nach Kenntnis der Bundesregierung auf den Packungen
angebracht?

29. Inwiefern gab es nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland oder in
anderen Staaten behördliche Anweisungen zum Anbringen dieser Warnhin-
weise?

30. Seit wann standen Schwangerschaftstests mittels Bestimmung des Hormons
Humanes Choriongonadotropin im Urin auf dem bundesdeutschen Markt zur
Verfügung, und inwiefern waren hormonelle Schwangerschaftstests nach
Ansicht der Bundesregierung ab diesem Zeitpunkt überflüssig?

31. Ist Duogynon® oder eine vergleichbare Hormonkombination in der DDR
nach Kenntnis der Bundesregierung ebenfalls auf dem Markt gewesen?
Falls nein, inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass dies auch an Vor-
behalten der zuständigen Behörde bezüglich der Sicherheit des Wirkstoffge-
mischs lag?

Berlin, den 25. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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