BT-Drucksache 18/7514

Situation von geflüchteten Menschen mit Behinderungen

Vom 9. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7514
18. Wahlperiode 09.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, Sevim Dağdelen,
Dr. André Hahn, Kerstin Kassner, Jan Korte, Cornelia Möhring,
Norbert Müller (Potsdam), Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Situation von geflüchteten Menschen mit Behinderungen

Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen gehören neben
Minderjährigen, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minder-
jährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körper-
lichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen, Personen, die Folter,
Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder se-
xueller Gewalt erlitten haben etc. nach Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinien
2013/33/EU vom 26. Juni 2013 der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Per-
sonen an. Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten
bei der Gewährleistung materieller Aufnahmebedingungen und der medizini-
schen Versorgung die spezielle Situation besonders schutzbedürftiger Personen
zu berücksichtigen haben. In Deutschland wurde die EU-Aufnahmerichtlinie bis-
lang nicht umgesetzt. Wegen dieser mangelnden Umsetzung hat die Europäische
Kommission im Herbst 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutsch-
land eingeleitet (Nr. 2015/0387).
Die Grundleistungen, die sowohl Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten
mit Behinderungen als auch Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten ohne
Behinderungen gleichermaßen zustehen, sind im Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) in § 3 geregelt. § 4 und § 6 AsylbLG regeln die Leistungen bei Krank-
heit, Schwangerschaft und Geburt sowie sonstige unerlässliche Gesundheitsleis-
tungen.
Asylsuchende erhalten grundsätzlich nur eine Behandlung bei akuten Erkrankun-
gen und Schmerzzuständen. Geflüchtete Menschen mit Behinderungen sind da-
mit von den Leistungsansprüchen des „Reha-Gesetzes“ ausgeschlossen und er-
halten nur im Einzelfall angepasste Hilfsmittel oder Körperersatzstücke, wie etwa
Prothesen.
Vor allem in ländlichen Gegenden weist die medizinische Versorgung von
Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten mit Behinderungen aus Sicht der
Fragesteller häufig Mängel auf, dazu kommt oftmals das grundsätzliche Problem
einer unzureichenden oder fehlenden Infrastruktur in ländlichen Regionen, was
die ärztliche Versorgung im Allgemeinen sowie den öffentlichen Nahverkehr an-
geht. Flüchtlingsunterkünfte sind oft nur unzureichend barrierefrei. Dies hat zur
Folge, dass Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen nur be-
grenzt Küchen, Bäder und andere notwendigen Räumlichkeiten selbstständig nut-
zen können. Die gesellschaftliche Teilhabe gestaltet sich für Flüchtlinge mit Be-
hinderungen besonders schwer. Geschäfte, Arztpraxen, Sozialbürgerhäuser etc.

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sind oftmals nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Häufig fehlt den
Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten jedoch schon das Geld für eine
Fahrkarte. Zudem erschweren sprachliche und kulturelle Zugangsbarrieren eine
ausreichende Beratung und Information hinsichtlich der individuellen Behinde-
rungen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele barrierefreie Erstaufnahmeeinrichtungen existieren nach Kenntnis

der Bundesregierung in Deutschland (bitte nach Bundesländern und Stand-
orten bzw. Name der Einrichtung aufschlüsseln und ggf. den Grad der Nutz-
barkeit/Zugänglichkeit darlegen)?

2. Wie viele und welche Erstaufnahmeeinrichtungen verfügen nach Kenntnis
der Bundesregierung über barrierefreie Schutzräume (bitte Name und Ort
nennen)?

3. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die Länder bei
der Schaffung von barrierefreien Erstaufnahmeeinrichtungen zu unterstüt-
zen?

4. Wie viele Asylsuchende mit Behinderungen befanden sich im Jahr 2015 nach
Kenntnis der Bundesregierung durchschnittlich in Erstaufnahmeeinrichtun-
gen (bitte nach Bundesländern, Standorten und nach Asylsuchenden mit kör-
perlichen, geistigen sowie psychischen Beeinträchtigungen aufschlüsseln)?

5. Plant die Bundesregierung Maßnahmen zur Unterstützung der Kommunen
bei der Bereitstellung von barrierefreiem Wohnraum oder betreutem Woh-
nen für anerkannte Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinde-
rungen nach Beendigung ihres Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen?
Wenn ja, welche Maßnahmen sind das, und welche finanziellen Mittel wer-
den dazu von der Bundesregierung bereitgestellt?

6. Wie viele Traumazentren oder vergleichbare Einrichtungen, die sich auf die
besonderen Belange und Bedürfnisse von anerkannten Flüchtlingen, Asylsu-
chenden und Geduldeten mit Behinderungen spezialisiert haben, existieren
nach Kenntnis der Bundesregierung oder sind geplant (bitte nach Art der Ein-
richtung, Bundesländern, Standorten und rechtlichem Status aufschlüsseln)?

7. Wie viele anerkannte Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behin-
derungen wurden in den letzten drei Jahren nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit Ankunft in Deutschland als schwerbehindert registriert (bitte
nach Jahren, Geschlecht, Altersgruppe: 1 bis 10 Jahre, 10 bis 25 Jahre, 25 bis
50 Jahre, 50 bis 70 Jahre und über 70 Jahre, körperlichen, geistigen und psy-
chischen Beeinträchtigungen sowie chronischen Erkrankungen aufschlüs-
seln)?

8. Wie viele anerkannte Flüchtlinge und Geduldete mit Behinderungen haben
nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren seit ihrer An-
kunft in Deutschland einen Schwerbehindertenausweis beantragt, und wie
viele haben einen erhalten (bitte nach Jahren der Beantragung bzw.
Erteilung, Geschlecht, Altersgruppe: 1 bis 10 Jahre, 10 bis 25 Jahre,
25 bis 50 Jahre, 50 bis 70 Jahre und über 70 Jahre aufschlüsseln)?

9. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um anerkannten Flüchtlin-
gen und Geduldeten mit Behinderungen die Bewilligung eines Schwerbehin-
dertenausweises zu erleichtern, und wann sollen diese umgesetzt werden?

10. Mit welchen Maßnahmen gewährleistet die Bundesregierung, dass Flücht-
linge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen eine behinderungs-
spezifische Versorgung nach § 6 AsylbLG mit entsprechenden Hilfsmitteln
erhalten, oder welche Maßnahmen sind hierzu geplant?

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11. Mit welchen konkreten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ge-
währleisten, dass Menschen mit Behinderungen schnellstmöglich nach ihrer
Ankunft in Deutschland die für sie notwendigen Hilfsmittel erhalten?

12. Inwieweit steht die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden und an-
deren Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG mit Behinderungen im Ein-
klang mit den Vorgaben der Asylaufnahmerichtlinie (2013/33/EU)?

13. In welchem Zeitraum plant die Bundesregierung die nationale Umsetzung
der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU)?

14. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Länder und Kom-
munen bei der Umsetzung der Regelungen und Vorgaben der EU-Aufnah-
merichtlinie (2013/33/EU) in Bezug auf Menschen mit Behinderungen zu
unterstützen?

15. Inwiefern plant die Bundesregierung, den Status von geflüchteten Menschen
mit Behinderungen gesondert zu erheben?

16. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung gewährleistet, dass Flücht-
linge, Asylsuchende und Geduldete mit Sinneseinschränkungen oder kogni-
tiven Behinderungen die für sie notwendigen Informationen über Unterstüt-
zungsmöglichkeiten etc. erhalten?

17. Wie viele Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen haben nach
Kenntnis der Bundesregierung bislang Leistungen nach dem AsylbLG im
Bereich medizinischer und gesundheitlicher Versorgung in Anspruch ge-
nommen (bitte aufschlüsseln nach § 4 und § 6 AsylbLG)?

18. Inwiefern und durch welche konkreten Maßnahmen wurden gehörlose oder
sehbehinderte Asylsuchende und Geduldete in den letzten Jahren nach
Kenntnis der Bundesregierung darüber informiert, dass sie bestimmte Leis-
tungen nach § 6 AsylbLG in Anspruch nehmen können (bitte nach Informa-
tionsmaterialien auflisten)?

19. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, welches Informati-
onsangebot über den Zugang zu behinderungsspezifischen Hilfsmitteln exis-
tiert und inwiefern Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete Zugang zu die-
sem Informationsangebot haben?

20. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Zugang von
Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten mit Behinderungen zu Infor-
mationsmaterialien in Brailleschrift?

21. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Zugang gehörloser
Menschen zu Gebärdendolmetschern und deren tatsächliche Inanspruch-
nahme in Erstaufnahmeeinrichtungen, um die für sie notwendigen Informa-
tionen und die notwendige gesundheitliche Versorgung zu erhalten?

22. Plant die Bundesregierung eine Reform des AsylbLG im Bereich der gesund-
heitlichen Grundleistungen und der spezifischen Bedarfe für Flüchtlinge,
Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen?
Wenn ja, bis wann sollen welche Schritte und Reformen geschehen?

23. Welche Maßnahmen haben das Bundesministerium des Innern (BMI) und
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den letzten Jahren
ergriffen, um Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen
vor Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften zu schützen?

24. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Finanzierung und
die Träger spezifischer Angebote für Flüchtlinge, Asylsuchende und Gedul-
dete mit Behinderungen in Erstaufnahmeeinrichtungen?

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25. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Länder dabei zu
unterstützen Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen
mit anderen den gleichen Zugang zu Sprach- und Orientierungsmaßnahmen
zu ermöglichen?

26. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Länder dabei zu
unterstützen, dass das in Erstaufnahmeeinrichtungen beschäftigte Personal
hinsichtlich der spezifischen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sen-
sibilisiert und ausgebildet wird, oder welche Maßnahmen plant sie diesbe-
züglich zu ergreifen?

27. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Länder dabei zu
unterstützen, dass in Erstaufnahmeeinrichtungen unbegleitete Flüchtlinge,
Asylsuchende und Geduldete mit Behinderungen die für sie notwendige per-
sönliche Assistenz erhalten, oder welche Maßnahmen plant sie diesbezüglich
zu ergreifen?

Berlin, den 9. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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