BT-Drucksache 18/7143

Berichte über geplante Maßnahmen zur Grenzschließung und Zurückweisung von Schutzsuchenden

Vom 18. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7143
18. Wahlperiode 18.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Frank Tempel, Jan van Aken,

Christine Buchholz, Annette Groth, Dr. André Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko,

Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),

Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak,

Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Berichte über geplante Maßnahmen zur Grenzschließung und Zurückweisung von
Schutzsuchenden

Die „BILD“-Zeitung berichtete am 10. Dezember 2015 darüber, dass es Notfall-
planungen zur Zurückweisung von Flüchtlingen aus sicheren Drittstaaten an deut-
schen Grenzen gäbe. In der Nacht zum 13. September 2015 sollte demnach ein
30-seitiger Einsatzbefehl für 21 Hundertschaften der Bundespolizei in Kraft tre-
ten, der auch die Zurückweisung von Asylsuchenden beinhaltete. Dies habe die
Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, durch Telefonate mit dem Bundesminister
des Innern, Dr. Thomas de Maizière, in letzter Minute verhindert.

„DIE WELT“ berichtete am 14. Dezember 2015, dass die Bundespolizei einen
konkreten Plan zur Schließung der deutsch-österreichischen Grenze ausgearbeitet
habe. Details hierzu habe der Präsident der Bundespolizei, Dr. Dieter Romann,
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD in den vergangenen Wochen vorgestellt.
Teilnehmer sollen übereinstimmend berichtet haben, dass demnach nur noch
kleine Kontingente von Asylsuchenden einreisen dürften. Drei „Einsatzlinien“
der Bundespolizei sollten dies gewährleisten: erstens die Schließung von 60 gro-
ßen Grenzübergängen und die Sperrung zweier Brücken (notfalls sei auch der
Einsatz von Wasserwerfern geplant), zweitens das Aufgreifen von Flüchtlingen
im „Hinterland“, die über die grüne Grenze unerlaubt eingereist sind, und drittens
die Zurückbeförderung Asylsuchender aus bayerischen Aufnahmezentren mit
dem Hubschrauber direkt an die Grenze. Dieses „robuste“ Vorgehen zur Grenz-
sicherung sei aber, selbst mit Unterstützung von Bereitschaftspolizisten, nur für
drei bis sieben Tage umsetzbar.

Der Bundesinnenminister, Dr. Thomas de Maizière, hat im Interview mit „DIE
WELT“ vom 13. Dezember 2015 eingeräumt, dass im September 2015 eine Zu-
rückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zu Österreich diskutiert worden sei.
Letztlich habe man sich jedoch aus politischen Gründen „gegen das Zurückwei-
sen entschieden“; rechtlich könne man „lange diskutieren“, ob Grenzabweisun-
gen von Flüchtlingen zulässig seien; das deutsche Recht werde „in vielerlei Hin-
sicht vom europäischen überlagert“.

Das verweist auf die Frage der europarechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Zurück-
weisungen von Asylsuchenden an den EU-Binnengrenzen. Einerseits sind Zu-
rückschiebungen in „sichere Drittstaaten“ im nationalen Asylgesetz (§ 18 Ab-
satz 2 AsylG) ausdrücklich vorgesehen, andererseits verdrängt das EU-Recht –
hier: die Dublin-III-Verordnung zur Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats –

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dieses nationale Recht. Vor einer Zurückschiebung nach Österreich wäre demnach
bei Asylsuchenden zunächst zu klären, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung
des Asylverfahrens zuständig ist (Bruns in: Hofmann/Hoffmann, Handkommentar
Ausländerrecht, 1. Auflage 2008, § 18 AsylVfG Rn. 16; Renner in: Renner/
Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 18 AsylVfG Rn. 23;
Lehner, Grenze auf, Grenze zu? Die transnationale Wirkung von Rechtsverstö-
ßen im Dublin-System, VerfBlog, 2015/10/30, www.verfassungsblog.de/
grenze-auf-grenze-zu-die-transnationale-wirkung-von-rechtsverstoessen-im-
dub-lin-system/) – was nach geografischer Lage der Dinge nur im Ausnahmefall
Österreich sein dürfte, da ein maßgebliches Kriterium der Zuständigkeit nach der
Dublin-Verordnung das Land der Ersteinreise in das Gebiet der EU ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist zutreffend, was ist unzutreffend an dem Bericht der „BILD“-Zeitung
vom 10. Dezember 2015 („Flüchtlings-Krise, Notfall-Plan der Regierung!“),
und inwieweit trifft es zu, dass es in der Nacht zum 13. September 2015 einen
30-seitigen Einsatzbefehl für 21 Hundertschaften der Bundespolizei gegeben
haben soll, der auch die Zurückweisung von Asylsuchenden beinhaltete und
den die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel durch Telefonate mit dem Bun-
desinnenminister Dr. Thomas de Maizière in letzter Minute verhindert haben
soll (bitte so detailliert wie möglich ausführen)?

2. Was beinhaltete dieser Einsatzbefehl oder beinhalteten andere Planungen ge-
gebenenfalls genau, wer hat ihn in Auftrag gegeben, wer hat ihn ausgearbei-
tet, und wie sollte insbesondere die Zurückweisung von Asylsuchenden in
der Praxis organisiert werden (bitte ausführlich darstellen)?

3. Inwieweit wurde geprüft, ob solche Zurückweisungen von Schutzsuchenden
mit EU-Recht und mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar sind, und
was war das Ergebnis dieser rechtlichen Prüfung (bitte so genau wie möglich
darstellen)?

4. Hatte der Bundesinnenminister dem Einsatzbefehl zugestimmt, und inwie-
weit wurde die Maßnahme nur durch Intervention der Bundeskanzlerin ab-
gewendet (bitte ausführen, auch zeitliche Abläufe darstellen)?

5. Wer hat im September 2015 innerhalb der Bundesregierung darüber disku-
tiert, ob es Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutsch-österreichi-
schen Grenze geben soll (bitte personell und ministeriell genau benennen),
und aufgrund welcher Überlegungen wurde wann von wem politisch ent-
schieden, dass dies nicht geschehen soll (vgl. Dr. Thomas de Maizière im
Interview in „DIE WELT“ vom 13. Dezember 2015)?

6. Was ist zutreffend, was ist unzutreffend an dem Bericht in „DIE WELT“
vom 14. Dezember 2015 („So würde Deutschland seine Grenzen dicht ma-
chen“), wonach die Bundespolizei einen konkreten Plan zur Grenzschlie-
ßung an der deutsch-österreichischen Grenze ausgearbeitet habe, und inwie-
fern stimmen insbesondere die Darstellungen zu den drei geplanten „Einsatz-
linien“ sowie die Angaben zum Wasserwerfer- und Hubschraubereinsatz
(bitte so detailliert wie möglich darstellen)?

7. Wer hat diese Pläne gegebenenfalls veranlasst, wie waren die zeitlichen Ab-
läufe der Planung, wer hat sie ausgearbeitet, und hatte das Bundesinnenmi-
nisterium (BMI) zumindest Kenntnis hiervon?

8. Inwieweit waren das BMI, das Bundeskanzleramt, der Flüchtlingskoordina-
tor der Bundesregierung, das Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
cherschutz und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration in die Planungen einbezogen?

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9. Für welchen Fall sollen die Pläne gegebenenfalls zum Einsatz kommen, gibt
es Kriterien hierfür (z. B. Zahl der Einreisenden), und wer soll hierüber ent-
scheiden (z. B. die Bundeskanzlerin, das Kabinett, der Bundesinnenminis-
ter)?

10. Trifft es zu, dass der Präsident der Bundespolizei, Dr. Dieter Romann, den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD in den vergangenen Wochen Details zu
diesen Plänen vorgestellt haben soll, und wenn ja, wann, bei welcher Gele-
genheit und aus welchem Anlass, und warum wurden nicht auch die Oppo-
sitionsfraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die
Planungen informiert (bitte so konkret und detailliert wie möglich antworten,
d. h. mit Datum, Anlass, Inhalten usw.)?

11. Warum äußerte sich die Bundespolizei auf Presseanfragen nicht zu den Plä-
nen mit der Begründung, zu eventuellen künftigen polizeilichen Einsatzmaß-
nahmen könnten keine Angaben gemacht werden, weil andernfalls der even-
tuelle Einsatz an sich gefährdet wäre („DIE WELT“ vom 14. Dezember 2015),
obwohl doch der Präsident der Bundespolizei, Dr. Dieter Romann, durch
seine mutmaßlichen Äußerungen gegenüber den Koalitionsfraktionen der
CDU/CSU und SPD selbst dafür gesorgt hat, dass die Pläne öffentlich be-
kannt werden (bitte ausführen)?

12. Inwieweit wurde die Vereinbarkeit der mutmaßlich geplanten Grenzschlie-
ßung auch gegenüber Schutzsuchenden mit dem EU-Recht bzw. mit der Gen-
fer Flüchtlingskonvention geprüft, und von wem wurde diese Prüfung gege-
benenfalls mit welchem Ergebnis durchgeführt (bitte so genau wie möglich
darlegen)?

13. Inwieweit wurden die politischen Folgewirkungen einer solchen Maßnahme
(Grenzschließung, auch gegenüber Schutzsuchenden) geprüft und von wem
mit welchem Ergebnis bewertet – insbesondere hinsichtlich des Zusammen-
halts der EU, des Fortbestands der Reisefreiheit innerhalb der Schengen-
Staaten und des internationalen Flüchtlingsschutzes (bitte ausführen)?

14. Wenn die geplante „robuste“ Grenzabschottung in drei Einsatzlinien auch
mit Unterstützung von Bereitschaftspolizeien mutmaßlich nach Angaben der
Bundespolizei nur für drei bis sieben Tage aufrechtzuerhalten sei, was ist
dann der Nutzen einer solchen Maßnahme – außer einem politischen Signal
der Abschottung und Abschreckung (bitte ausführen)?

15. Welche genaueren Planungen zur Zahl der einzusetzenden Polizistinnen und
Polizisten oder sonstigen Einsatzkräfte aus welchen Einheiten und Bundes-
ländern gibt es (bitte so detailliert wie möglich darstellen)?

16. Wieso hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des In-
nern, Dr. Günter Krings, auf die zweite Nachfrage der Abgeordneten Ulla
Jelpke zu seiner Antwort auf ihre Mündliche Frage 25 zur rechtlichen Zuläs-
sigkeit von direkten Zurückweisungen von Schutzsuchenden an der deutsch-
österreichischen Grenze (vgl. Plenarprotokoll 18/129, S. 12547 (C), An-
lage 23) am 7. Dezember 2015 per E-Mail gegenüber der Abgeordneten Ulla
Jelpke erklärt, „die Erörterung abstrakter Rechtsfragen [ist] aus Sicht der
Bundesregierung kein Teil des parlamentarischen Frage- und Informations-
rechts. Es gibt daher keine Pflicht der Bundesregierung rechtliche Bewertun-
gen kundzugeben, zumal wenn sie sich auf hypothetische Szenarien bezie-
hen“, obwohl die angeforderte konkretere Antwort zu den Rechtsgrundlagen
sich nicht auf „hypothetische Szenarien“ bezieht, da eine solche Zurückwei-
sung von Schutzsuchenden an der deutsch-österreichischem Grenze nach
Angaben des Bundesinnenministers im September 2015 in der Bundesregie-
rung ganz konkret erwogen wurde (siehe Vorbemerkung der Fragesteller)
und nach Zeitungsberichten (vgl. ebd.) Mitte September 2015 nur durch In-
tervention der Bundeskanzlerin abgewendet worden sein soll bzw. aktuell

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ganz konkrete Planungen hierzu innerhalb der Bundespolizei bestehen sollen
(bitte ausführen)?

17. Wie lautet also eine ausführliche und begründete Antwort auf die Frage, in-
wieweit eine „direkte Zurückweisung von Schutzsuchenden an der deutsch-
österreichischen oder einer anderen EU-Binnengrenze mit geltendem Recht
vereinbar wäre, da eine Einreiseverweigerung nach § 18 Absatz 2 AsylG
trotz Asylbegehrens in bestimmten Fällen zwar vorgesehen ist, dieser natio-
nalen Regelung jedoch die Zuständigkeitsregelung der Dublin-III-Verord-
nung vorgeht, wenn der betreffende Drittstaat ein Mitgliedstaat im Sinne der
Zuständigkeitsregelungen der EU ist (vgl. Hofmann/Hoffmann (Hrsg.):
Handkommentar Ausländerrecht, 1. Aufl. 2008, § 18 AsylVfG, Rn. 14
und 21; BVerfGE 94, 49 (86) und Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 30. Juli 2003 – 2 BvR 1880/00, juris Rn. 16 f.), was auf alle die Bun-
desrepublik Deutschland umgebenden Nachbarländer zutrifft, so dass zumin-
dest zunächst ein Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit nach der Dublin-
III-Verordnung durchzuführen wäre (siehe Literaturhinweise in der Vorbe-
merkung der Fragesteller)?

Berlin, den 18. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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