BT-Drucksache 18/7107

Geplante und vollzogene Verschärfungen in der Asylpolitik

Vom 26. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7107
18. Wahlperiode 26.11.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Wolfgang Gehrcke,

Sabine Zimmermann (Zwickau), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,

Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Andrej Hunko, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Jan Korte,

Katrin Kunert, Cornelia Möhring, Harald Petzold (Havelland), Martina Renner,

Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Birgit Wöllert,

Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Geplante und vollzogene Verschärfungen in der Asylpolitik

Am 5. November 2015 beschlossen die Vorsitzenden der Regierungsparteien
nach intensiven politischen Debatten um so genannte Transitzentren weitere
Maßnahmen in der Asylpolitik. Dabei geht es überwiegend um weitere Verschär-
fungen im Umgang mit Schutzsuchenden und Erleichterungen von Abschiebun-
gen (beschleunigte Asylverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen mit
verschärfter Residenzpflicht, Beschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär
Schutzberechtigten, erleichterte Abschiebungen durch eine Clearingstelle und
Passersatzpapiere („Laisser-Passer“), gesetzliche Vorgaben für ärztliche Atteste
bei Abschiebungen, Schaffung von Fluchtalternativen zur Ermöglichung von Ab-
schiebungen nach Afghanistan). Keine zwei Wochen zuvor waren mit dem
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz bereits umfangreiche Verschärfungen im
Asyl-, Sozialleistungs- und Aufenthaltsrecht in Kraft getreten.

Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat darüber hinaus weitere Verschär-
fungen eingeleitet oder in der Planung: Zum einen sollen syrische Flüchtlinge
vermehrt nur noch einen subsidiären Schutzstatus erhalten, so dass in der Folge
unter anderem der Familiennachzug erschwert würde. Der Bundesminister des
Innern, Dr. Thomas de Maizière, erläuterte die beabsichtigte Botschaft dieser
Maßnahme gegenüber syrischen Flüchtlingen wie folgt: „Ihr bekommt Schutz,
aber den sogenannten subsidiären Schutz − das heißt: zeitlich begrenzt und ohne
Familiennachzug“ (DER SPIEGEL vom 6. November 2015). Zum anderen wer-
den bei syrischen Asylsuchenden wieder Dublin-Prüfungen vorgenommen, die
seit Ende August 2015 aus humanitären Gründen, aber auch zur Beschleunigung
der Verfahren und zur Entlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) ausgesetzt waren. Dies sei „damals richtig“ gewesen, erklärte der Bun-
desinnenminister Dr. Thomas de Maizière, die Zahl der syrischen Flüchtlinge sei
jedoch unvorhersehbar angestiegen und das schriftliche Verfahren hätte sich „als
zu grobmaschig und lückenhaft erwiesen“ (AFP, 13. November 2015). Syrische
Asylsuchende, die bei inhaltlichen Asylentscheidungen zu 100 Prozent in
Deutschland einen Schutzstatus erhalten, sollen nun also wieder nach den Dublin-
Regeln in andere EU-Länder zurückgeschoben werden.

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Auch auf europäischer Ebene wirkt die Bundesregierung auf Maßnahmen hin, die
den Zuzug von Asylsuchenden in die EU bzw. nach Deutschland begrenzen sol-
len. So soll durch die Einstufung der Türkei als sicherer Herkunfts- bzw. Dritt-
staat und durch eine enge Kooperation mit der Türkei die Einreise von Flüchtlin-
gen in die EU verhindert oder jedenfalls reduziert und die Rückschiebung von
Schutzsuchenden in die Türkei ermöglicht werden.

Zu all diesen Maßnahmen und Plänen gibt es erheblichen Klärungsbedarf. Insbe-
sondere würden die vom Bundesinnenministerium beabsichtigten Änderungen im
Umgang mit syrischen Asylsuchenden nach Auffassung der Fragesteller zu noch
längeren Asylverfahren führen, obwohl deren Beschleunigung als eine zentrale
Stellschraube zur Lösung aktueller Probleme bei der Flüchtlingsaufnahme ange-
sehen und von Ländern und Kommunen seit Monaten vergeblich eingefordert
wird. Zudem wäre eine weitere Begrenzung des Familiennachzugs zu schutzbe-
dürftigen Flüchtlingen verfassungs- und europarechtlich höchst bedenklich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum soll auf der Innenministerkonferenz (IMK) die Frage subsidiärer
Schutzgewährung für syrische Flüchtlinge und des Familiennachzugs zu
ihnen besprochen bzw. entschieden werden, und

a) inwieweit hat die IMK diesbezüglich überhaupt Kompetenzen oder Ein-
flussmöglichkeiten,

b) warum werden diese politisch wichtigen Entscheidungen in einem zent-
ralen Politikfeld nicht von der Bundeskanzlerin, auf der Ebene der Bun-
desregierung oder durch den Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung
entschieden (bitte ausführlich beantworten)?

2. Warum hat der Bundesinnenminister seine Entscheidung bzw. seinen Plan,
im Umgang mit syrischen Flüchtlingen vermehrt nur einen subsidiären
Schutzstatus zu erteilen und den Familiennachzug zu den Angehörigen zu be-
schränken, nicht mit der Bundeskanzlerin oder dem Flüchtlingskoordinator
der Bundesregierung abgesprochen (www.spiegel.de/politik/deutschland/
dublin-anweisung-merkel-und-altmaier-wussten-von-nichts-a-1062329 .html;
www.tagesschau.de/inland/familiennachzug-syrien-fluechtlinge-117.html),
bzw. inwieweit war das Bundeskanzleramt in diese Entscheidung bzw. Pla-
nungen womöglich doch eingebunden (bitte gegebenenfalls Datum und Teil-
nehmende allfälliger Besprechungen nennen)?

3. Wie ist der aktuelle Meinungsstand innerhalb der Bundesregierung zu der
Frage einer subsidiären Schutzgewährung für syrische Flüchtlinge und von
Beschränkungen des Familiennachzugs zu ihnen (bitte gegebenenfalls unter-
schiedliche Auffassungen der Ressorts kenntlich machen)?

4. Was genau war der Inhalt einer mündlichen oder schriftlichen Weisung oder
Mitteilung des BMI an das BAMF oder einer gemeinsamen Absprache zwi-
schen dem BMI und dem BAMF zur Änderung des Umgangs mit syrischen
Flüchtlingen von Anfang der 45. Kalenderwoche (Dr. Thomas de Maizière:
„Anfang der Woche hatten wir eine Änderung vorgesehen“, www.
n-tv.de/politik/Illusionen-hart-und-schnell-nehmen-article16305236.html),
und welche Personen mit welcher Funktion aus welchen Stellen, mit welchen
Ämtern, aus welchen Bundesministerien waren daran beteiligt (bitte so ge-
nau wie möglich angeben)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7107

 

5. Wer war an dem Treffen in der 43. Kalenderwoche zwischen dem BMI, dem
BAMF und dem Bundeskanzleramt konkret in welcher Funktion zugegen,
auf dem nach Angaben des Vertreters des BMI im Innenausschuss des Deut-
schen Bundestages am 11. November 2015 die Frage der Rückkehr zu Dub-
lin-Prüfungen bei syrischen Asylsuchenden erörtert wurde, wer hatte dieses
Treffen mit welcher Motivation veranlasst, was wurde auf dem Treffen erör-
tert, welche Positionen nahmen dabei die unterschiedlichen Teilnehmenden
ein, und wer hat am Ende die Rückkehr zu Dublin-Prüfungen in diesen Fällen
mit Wirkung vom 21. Oktober 2015 mit welcher Begründung beschlossen?

6. Wurde bei der Entscheidung zur Rückkehr zu Dublin-Prüfungen bei syri-
schen Asylsuchenden insbesondere die Bundeskanzlerin oder zumindest der
Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung vorab konsultiert vor dem Hin-
tergrund, dass die Bundeskanzlerin die Aussetzung der Dublin-Prüfungen
bei syrischen Asylsuchenden auch nach Kritik öffentlich verteidigt hatte und
dies unter anderem von der Europäischen Kommission als „Akt europäischer
Solidarität“ gelobt worden war (www.tagesschau.de/inland/dublin-merkel-
101.html; www.tagesspiegel.de/politik/wende-in-der-asylpolitik-deutschland-
setzt-dublin-regeln-fuer-aus-syrien-fluechtende-aus/12229884.html)?

Wenn nein, warum nicht, und wann wurden diese zumindest informiert (bitte
jeweils mit konkretem Datum angeben)?

7. Wie ist vor dem Hintergrund, dass im dritten Quartal 2014 73,2 Prozent der
syrischen Asylsuchenden einen Asylstatus oder einen Status nach der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) erhalten haben und nur 13,4 Prozent einen
subsidiären Schutzstatus, die Annahme zu rechtfertigen, bei einer Rückkehr
zu Einzelfallprüfungen würde bei syrischen Schutzsuchenden überwiegend
oder in größerem Umfang subsidiärer Schutz gewährt werden?

a) Mit welchen Größenordnungen rechnet das BMI bzw. rechnen fachkun-
dige Bedienstete des BAMF (bitte ungefähre Anteile internationalen bzw.
subsidiären Schutzes an allen Anerkennungen angeben)?

b) Ist es zutreffend, dass beschleunigte Anerkennungen im schriftlichen Ver-
fahren nur dann möglich sind, wenn eine Anerkennung als international
schutzbedürftiger Flüchtling erfolgen soll, nicht aber in Fällen subsidiären
Schutzes, und wenn ja, hält es die Bundesregierung angesichts der erwar-
teten Quote internationalen bzw. subsidiären Schutzes für sinnvoll und
verhältnismäßig, auf die Möglichkeit beschleunigter Asylverfahren zu
verzichten und in aufwändige Einzelfallprüfungen in zehn- oder sogar
hunderttausenden Fällen einzusteigen?

8. Ist es zutreffend, dass die vermehrte Gewährung eines internationalen
Flüchtlingsstatus an syrische Asylsuchende im Jahr 2014, statt nur noch ei-
nes subsidiären Schutzstatus, auch (Teilen) der Rechtsprechung geschuldet
war, die insbesondere die Gefahr politischer Verfolgung durch das syrische
Regime schon wegen der unerlaubten Ausreise und Asylantragstellung im
Ausland als gegeben ansah, da dies als regimefeindliche Gesinnung gewertet
würde (vgl. nur Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 25. November
2014,
Au 2 K 14.30436 mit Hinweisen zur Rechtsprechung, Randnummer 29), und
inwieweit und mit welcher Begründung ist die Bundesregierung, insbeson-
dere das BMI bzw. das BAMF, der Auffassung, die Rechtsprechung könnte
diese Frage nunmehr anders entscheiden?

Drucksache 18/7107 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

9. Mit welchen personellen, zeitlichen und sonstigen Auswirkungen ist nach
Einschätzung fachkundiger Bediensteter des BAMF zu rechnen, wenn über
die Asylgesuche syrischer Flüchtlinge künftig wieder in jedem Einzelfall
nach individueller Anhörung und Prüfung des jeweils zu erteilenden Schutz-
status zu entscheiden ist?

Welche Auswirkungen hätte dies auf die durchschnittliche Dauer der Asyl-
verfahren syrischer Asylsuchender und insgesamt?

10. Welche weiteren personellen, zeitlichen und sonstigen Auswirkungen hätte
es nach Einschätzung fachkundiger Bediensteter des BAMF, wenn syrische
Flüchtlinge, denen nur ein subsidiärer Schutzstatus zugesprochen wird, ge-
gen diese Entscheidungen gerichtlich vorgehen?

11. Trifft es zu, dass sich die Frage, welcher Schutzstatus gewährt wird, nach
den Vorgaben des EU- bzw. nationalen Rechts richtet und in jedem Einzelfall
entschieden werden muss, aber nicht politisch entschieden werden kann
(bitte begründen)?

12. Wie will die Bundesregierung die auf dem Flüchtlingsgipfel vom 24. Sep-
tember 2015 abgegebene Verpflichtung erfüllen, „die Asylverfahren trotz
steigernder Antragszahlen auf durchschnittlich drei Monate zu verkürzen,
die Altfälle abzuarbeiten und den Zeitraum zwischen Registrierung und An-
tragstellung erheblich zu verkürzen, so dass eine Verkürzung des Verfahrens
bis zur Entscheidung des BAMF auf maximal fünf Monate im Jahr 2016 er-
reicht wird“ (Nummer 4.10 des Beschlusses vom 24. September 2015), wenn
durch den Wiedereinstieg in Einzelfallprüfungen und individuelle Anhörun-
gen und die Wiederaufnahme von Dublin-Prüfungen bei syrischen Asylsu-
chenden das BAMF zusätzlich stark belastet wird?

13. Ist es zutreffend, dass beschleunigte Anerkennungen im schriftlichen Ver-
fahren nur dann möglich sind, wenn eine Anerkennung als Flüchtling erfol-
gen soll, nicht aber in Fällen subsidiären Schutzes, und hält es die Bundesre-
gierung für sinnvoll und verhältnismäßig, auf die Möglichkeit beschleunigter
Asylverfahren zu verzichten und in aufwändige Einzelfallprüfungen in zehn-
oder sogar hunderttausenden Fällen einzusteigen, obwohl am Ende nach den
Erfahrungen in der Vergangenheit doch eine sehr große Mehrheit der Be-
troffenen einen Flüchtlingsstatus erhalten wird (vgl. Bundestagsdrucksache
18/3055, Antwort zu Frage 1b)?

14. Mit welcher Begründung soll die Verbesserung des Familiennachzugs zu
subsidiär Schutzberechtigten, die per Gesetzesänderung erst zum 1. August
2015 eingeführt und damit begründet worden war, dass „auch in diesen Fäl-
len eine Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist“
(Einzelbegründung zur Änderung des § 29 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG)), jetzt wieder zurückgenommen und überdies eine zweijährige
Wartefrist eingeführt werden, obwohl sich nichts daran geändert hat, dass
auch subsidiär Schutzberechtigten die Herstellung der Familieneinheit im
Herkunftsland nicht möglich ist (und im Regelfall auch nicht in einem Dritt-
land)?

15. Soll künftig der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten erst zwei
Jahre nach der Anerkennung des Schutzstatus beantragt werden können, so
dass die derzeit ungefähr ein- bis zweijährige Wartezeit infolge der begrenz-
ten Kapazitäten der deutschen Visastellen in der Herkunftsregion noch hin-
zukommt, und wenn ja, wie ist eine solche drei- bis vierjährige Wartezeit
insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Ar-
tikel 6 des Grundgesetzes (GG) und den Bestimmungen der EU-Familienzu-
sammenführungsrichtlinie vereinbar (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7107

 

16. Wie soll nach Einschätzung der Bundesregierung die Integration subsidiär
Schutzberechtigter, die im Regelfall wegen andauernder Gefahren für lange
Zeit oder dauerhaft in Deutschland bleiben, gelingen, wenn ihnen der Nach-
zug ihrer engsten Familienangehörigen verwehrt oder für zwei Jahre ausge-
setzt wird?

17. Wird die vorgesehene Beschränkung des Rechts auf Familiennachzug zu
subsidiär Schutzberechtigten nach Einschätzung der Bundesregierung dazu
führen, dass vermehrt auch Frauen und Kinder gefährliche illegale Wege der
Flucht nach Deutschland wählen werden, um die Familieneinheit wiederher-
stellen zu können, und wie beurteilt sie die hieraus resultierenden Gefahren
(bitte ausführen)?

18. Wie sind die Pläne zur Beschränkung (zeitlichen Aussetzung) des Rechts auf
Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten vereinbar mit der EU-
Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011, die in Arti-
kel 23 Absatz 1 fordert, „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der
Familienverband aufrechterhalten werden kann“, was nach Artikel 20 Ab-
satz 2 der Richtlinie ausdrücklich auch für subsidiär Schutzberechtigte gilt
(bitte begründen; vgl. auch Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl. 2008,
§ 29 AufenthG, Rn. 18 ff.)?

19. Wie hoch war die Zahl der Familienangehörigen, die im Jahr 2014 bzw. im
bisherigen Jahr 2015 einen Antrag auf Familiennachzug zu hier lebenden in-
ternational bzw. subsidiär Schutzberechtigten (bitte differenzieren) gestellt
haben bzw. denen eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum
erteilt wurde (bitte jeweils differenzieren nach wichtigsten Herkunftsländern,
Schutzstatus der Stammberechtigten, Geschlecht, Verwandtschaftsverhält-
nis; falls keine Aussagen zum Flüchtlingsstatus möglich sind, bitte entspre-
chende Angaben für die Herkunftsländer Syrien, Irak und Afghanistan ma-
chen)?

20. Wie viele Aufenthaltserlaubnisse nach § 36 Absatz 1 bzw. Absatz 2
AufenthG wurden im Jahr 2014 bzw. im bisherigen Jahr 2015 erteilt (bitte
nach den wichtigsten Staatsangehörigkeiten differenzieren und in jedem Fall
Angaben zu syrischen, irakischen und afghanischen Staatsangehörigen ma-
chen)?

21. Welche Angaben oder Einschätzungen fachkundiger Bediensteter des
BAMF lassen sich dazu machen, wie der Familienstand von Asylsuchenden
in Deutschland, insbesondere aus Syrien, ist (alleinstehend, verheiratet, mit
Kindern usw.), und welche Angaben oder Einschätzungen lassen sich dazu
machen, wie viele Asylsuchende, insbesondere aus Syrien, im Familienver-
bund bzw. ohne ihre engsten Angehörigen einreisen?

22. Welche Angaben oder Einschätzungen fachkundiger Bediensteter des
BAMF lassen sich dazu machen, wie viele der Asylsuchenden mit Reisedo-
kumenten oder Ausweispapieren einreisen bzw. im BAMF vorstellig werden
(bitte auch nach den wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

23. Inwiefern liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie viele Familienange-
hörige je Flüchtling einen Anspruch auf Nachzug geltend machen, und wie
lassen sich diesbezügliche Einschätzungen, etwa des ehemaligen Leiters des
BAMF, Dr. Manfred Schmidt, je Flüchtling machten drei Familienangehö-
rige einen Anspruch auf Nachzug geltend, begründen (vgl. etwa www.
spiegel.de/politik/deutschland/familiennachzug-von-fluechtlingen-unserioese-
prognosen-a-1056379.html)?

Inwiefern wird dabei berücksichtigt, dass viele Asylsuchende nach Kenntnis
der Fragesteller noch keine Familie haben oder, wie zuletzt vermehrt auf der
Westbalkanroute, im Familienverband fliehen (bitte ausführen)?

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24. Inwieweit sind die Aussagen des Vertreters des BMI im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages am 11. November 2015 zutreffend, dass die Rück-
kehr zu Dublin-Prüfungen auch deshalb beschlossen wurde, um Druck auf
andere EU-Mitgliedstaaten, wie Ungarn, ausüben zu können, da sie dann we-
nigstens Asylsuchende im Rahmen des Dublin-Systems zurücknehmen
müssten, für die sie zuständig seien, wenn sie sich schon nicht an Umvertei-
lungen innerhalb der EU beteiligen wollen (bitte ausführen)?

25. Mit welcher Zahl von Überstellungen syrischer Asylsuchender in andere
Mitgliedstaaten monatlich rechnet die Bundesregierung bzw. rechnen fach-
kundige Bedienstete des BAMF nach der Rückkehr zu Dublin-Prüfungen,
auch angesichts des Umstands, dass im Jahr 2014 gerade einmal 102 syrische
Asylsuchende nach den Dublin-Regelungen in andere Mitgliedstaaten über-
stellt wurden, was bei 5 307 Übernahmeersuchen einer „Erfolgsquote“ von
unter 2 Prozent entspricht, und wie rechtfertigt die Bundesregierung die Wie-
dereinführung der Dublin-Verfahren bei syrischen Asylsuchenden vor die-
sem Hintergrund (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3850, Antworten zu den
Fragen 5a und 5c)?

26. Warum gelten die Argumente, die zur Begründung der Aussetzung der Dub-
lin-Prüfungen bei syrischen Asylsuchenden angeführt wurden (humanitäre
Entscheidung angesichts der hohen Schutzbedürftigkeit, Verfahrenserleich-
terungen zur Entlastung des BAMF), heute nicht mehr, obwohl sich an bei-
den Umständen im Kern nichts geändert hat (bitte begründen)?

27. Wie ist die Antwort der Bundesregierung vom 16. November 2015 auf die
Schriftliche Frage 17 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksa-
che 18/6760, das BAMF prüfe seit dem 21. Oktober 2015 wieder in jedem
Einzelfall, ob die Zuständigkeit eines anderen europäischen Mitgliedstaates
nach der Dublin-Verordnung gegeben sei oder ob vom Selbsteintrittsrecht
Gebrauch gemacht werden soll, „auch mit Blick auf die tatsächliche Mög-
lichkeit einer Überstellung in andere Mitgliedstaaten“, genau zu verstehen?

Wie und nach welchen Kriterien werden die „tatsächlichen Möglichkeiten
einer Überstellung“ bewertet, und geschieht dies mit Blick auf die Lage in
den jeweiligen Ländern oder mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall?

Wird zunächst in jedem Einzelfall ein Dublin-Verfahren durchlaufen und
nach Feststellung der Zuständigkeit eines anderen Staates die Frage der
Durchsetzbarkeit einer Überstellung geprüft, oder sind mit Blick auf die Lage
in bestimmten Ländern von vornherein Selbsteintritte, zumindest in einem
bestimmten Umfang, geplant, um überforderte Mitgliedstaaten nicht weiter
zu belasten, und welche internen konkretisierenden Vorgaben wurden hierzu
gemacht (bitte ausführen)?

28. Inwieweit plant das BMI, syrische Flüchtlinge, die zuvor in der Türkei vo-
rübergehend Zuflucht gefunden haben und dann später weitergeflohen sind,
in die Türkei abzuschieben, und inwieweit ist das rechtlich zulässig, da die
Türkei nicht als sicheres Drittland gelten kann, schon deshalb nicht, weil sie
die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit regionalem Vorbehalt anwendet,
so dass syrische Flüchtlinge sich in der Türkei nicht auf diese berufen können
(vgl. Artikel 38 der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU)?

29. Inwieweit hält es die Bundesregierung für verhältnismäßig und mit den Vor-
gaben des EU-Rechts bzw. eines rechtsstaatlichen Verfahrens für vereinbar,
die Asylprüfung nach zweimaliger Verletzung der Residenzpflicht in den ge-
planten „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ nur unter den Bedingungen
einer Folgeantragstellung vornehmen zu wollen, und inwieweit ist dies mit
Artikel 28 Absatz 2 der Richtlinie 2013/32/EU vereinbar, wonach die Mit-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/7107

 

gliedstaaten sicherstellen, dass vom regulären Asylverfahren wegen Nicht-
betreibens ausgeschlossene Personen nicht entgegen dem Grundsatz der
Nichtzurückweisung abgeschoben werden?

30. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass bei psychischen Erkrankungen
Stellungnahmen oder Gutachten von Psychologinnen und Psychologen bei
der Prüfung krankheitsbedingter Abschiebungshindernisse weniger aussage-
kräftig sind als ärztliche Atteste (wenn ja, bitte nachvollziehbar begründen),
und inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung in der Rechtspre-
chung, z. B. des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Beschluss vom 29. Mai
2015, Az. 7 K 2513/15), wonach amtsärztliche Gutachten von Allgemeinme-
dizinern zum Ausschluss einer abschiebungsbedingten Suizidgefahr nicht
genügen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte, etwa eines aussagekräfti-
gen Gutachtens, Zweifel an der Reisefähigkeit der abzuschiebenden Person
bestehen und in solchen Fällen zur Klärung ein psychologisch-psychothera-
peutisches Gutachten eingeholt werden muss (bitte ausführen)?

31. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Schutz vor Ab-
schiebung wegen drohender erheblicher Gefahren für Leib und Leben im Zu-
sammenhang psychischer oder physischer Erkrankungen auch aus den Arti-
keln 1 und 2 GG folgt (bitte ausführen), und inwieweit verpflichtet dies die
Staatsgewalt dazu, solche drohenden Gefahren auch dann abzuwenden, wenn
z. B. ein entsprechendes aussagekräftiges Attest nicht unverzüglich vorge-
legt wurde oder maßgebliche Erkrankungen bereits bei der Einreise der Be-
troffenen vorlagen, womöglich aber in schwächerer Ausprägung (bitte aus-
führen)?

32. Wie ist die aktuelle Haltung der Bundesregierung zu der von der Europäi-
schen Kommission vorgeschlagenen Einstufung der Türkei als „sicherer
Herkunftsstaat“, und gibt es hier unterschiedliche Auffassungen der Bundes-
ministerien (und wenn ja, welche)?

33. Wie und mit welchen Gründen hat sich der Vertreter der Bundesregierung
auf dem Treffen der Justiz-/Innen-Referenten auf EU-Ebene am 29. Septem-
ber 2015 zu der Frage der Einstufung der Türkei als „sicherer Herkunftsstaat“
positioniert, und welche Mitgliedstaaten haben diesem Vorhaben widerspro-
chen?

34. Wie ist die Einstufung der Türkei nach Auffassung der Bundesregierung als
„sicherer Herkunftsstaat“ zu begründen vor dem Hintergrund der jüngsten
Entwicklung in der Türkei (Krieg gegen die Kurden, Verbot unabhängiger
Zeitungen, Anschläge auf Oppositionelle, Wahlbehinderungen, auch der
jüngste Fortschrittsbericht der Kommission bescheinigt der Türkei erhebli-
che Mängel z. B. in den Bereichen Meinungs- und Pressefreiheit und Min-
derheitenschutz)?

35. Wie ist die Einstufung der Türkei als „sicherer Herkunftsstaat“ zu begründen
angesichts einer Anerkennungsquote bei türkischen Asylsuchenden im EU-
Durchschnitt von 23,1 Prozent im Jahr 2014 (vgl. Ratsdokument 11845/15,
S. 7), was gegen die Annahme einer generellen Verfolgungssicherheit in der
Türkei spricht (bitte begründen), und wie ist die Haltung der Bundesregie-
rung und der anderen Mitgliedstaaten zur Einstufung der Türkei als „sicherer
Herkunftsstaat“ nach dem EU-Türkei-Gipfel vom 30. November 2015, und
was wurde zu dieser Frage dort besprochen bzw. vereinbart?

36. Lässt sich die Einstufung eines Drittstaates als „sicherer Herkunftsstaat“ da-
mit begründen, dass EU-Beitrittskandidaten demokratischen und rechtsstaat-
lichen Anforderungen genügen müssen („Kopenhagener Kriterien“), oder
kommt es asylrechtlich nicht vielmehr auf eine realistische Lagebewertung
an, während Beitrittsprozesse sich oft auch nach übergeordneten politischen
Überlegungen richten (bitte ausführen)?

Drucksache 18/7107 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

37. Inwieweit ist das Vorgehen Serbiens und Kroatiens, im Wesentlichen nur
noch syrische, irakische und afghanische oder in Griechenland registrierte
Flüchtlinge weiterreisen zu lassen und alle anderen zurückzuweisen (der kro-
atische Innenminister Ranko Ostojic erklärte, sein Land folge einem
„Juncker-Plan“; Frankfurter Rundschau vom 20. November 2015: „Balkan-
länder schicken Flüchtende zurück“), mit der Europäischen Union bzw. mit
der Bundesregierung abgesprochen (bitte konkret ausführen und gegebenen-
falls Absprachen nennen), und inwieweit ist dieses Vorgehen vereinbar mit
dem Zurückweisungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention (UNHCR-
Sprecherin Melita H. Sunjic erklärte, alle Flüchtlinge müssten einen Zugang
zu einem Asylverfahren erhalten, a. a. O.)?

Berlin, den 25. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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