BT-Drucksache 18/697

Förderung von Projekten zur Erinnerung an NS-Verbrechen in Italien

Vom 28. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/697
18. Wahlperiode 28.02.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Sigrid Hupach, Katrin Kunert, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Förderung von Projekten zur Erinnerung an NS-Verbrechen in Italien

Die Deutsch-Italienische Historikerkommission hat in ihrem Ende 2012 ver-
öffentlichten, im Oktober 2013 auf einer Konferenz an der Freien Universität
(FU) Berlin diskutierten Bericht gravierende Defizite in der historischen For-
schung zur Kriegsgeschichte beider Länder festgestellt und unter anderem kon-
statiert, dass die Erinnerung an die Verbrechen, die von deutschen Truppen in
Italien zwischen September 1943 und Mai 1945 begangen worden sind, in
Deutschland nur einen geringen Stellenwert hat. Darüber hinaus hat die
Deutsch-Italienische Historikerkommission zahlreiche Empfehlungen für eine
aktive Erinnerungspolitik gegeben (der Bericht ist u. a. einzusehen unter www.
villavigoni.eu/uploads/media/Abschlussbericht.pdf).
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/13358) ihre grundsätzliche Bereit-
schaft erklärt, Erinnerungsprojekte zu unterstützen. Die Fragestellerinnen und
Fragesteller erkundigen sich im Folgenden nach dem konkreten Stand der Um-
setzung bzw. Planung.
Im italienischen Parlament liegt mittlerweile ein Gesetzentwurf des Senators
Andrea Marcucci und anderer (Atto Senato n.1005) vor, der die Einrichtung
eines Museums in Rom vorsieht, das anteilig mit italienischen Geldern sowie
Geldern von dritter Seite finanziert werden soll. Nach Einschätzung der Frage-
stellerinnen und Fragesteller sollte die Bundesregierung signalisieren, dass sie
zur hälftigen Finanzierung des Projektes bereit wäre.
Ein weiteres, weniger von Historikern als von Vertretern italienischer NS-Opfer-
verbände benanntes Defizit besteht in der anhaltenden Verweigerung finanziel-
ler Entschädigungszahlungen durch die Bundesrepublik Deutschland.
Der Vorsitzende des Verbandes der ehemaligen Kriegsgefangenen (ANRP) hat
darauf hingewiesen, dass er Erinnerungsprojekte zwar unterstütze, sie aber kein
Ersatz für Entschädigungen sein könnten (junge Welt, 30. Oktober 2013). In der
Zeitschrift der ANRP heißt es dazu: „Die Frage stellt sich erneut: Entweder wird
über die IMI und die anderen italienischen Opfer geschwiegen, oder – wenn man
glaubt, man könne lediglich in Formen des ‚Erinnerns‘ von ihnen sprechen – es
wird sich unweigerlich erneut die peinliche Frage ergeben: Warum habt ihr sie
nicht entschädigt? Worauf wartet ihr noch?“ (www.anrp.it/ANRP_rass%2010-
11-2013%2032PAG_ pag%2016.pdf) .

Drucksache 18/697 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Auch die Fragestellerinnen und Fragesteller sind der Ansicht, dass zur Verant-
wortung gegenüber den Opfern der Nationalsozialisten nicht nur gehört, ihnen
Denkmäler zu bauen, sondern auch den noch Lebenden Entschädigungen zuzu-
gestehen. Diesbezüglich gibt es gegenüber Italien noch große Defizite: Nicht nur
die Opfer bzw. Hinterbliebenen der unzähligen Massaker, die Wehrmacht und
SS angerichtet haben, haben niemals Entschädigung erhalten, sondern sie wird
auch den italienischen Militärinternierten (IMI) bis heute verweigert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie weit ist die Bundesregierung bislang bei der Überprüfung der Möglich-

keiten, die Empfehlungen der Deutsch-Italienischen Historikerkommission
umzusetzen, gekommen?
Welche Probleme sieht die Bundesregierung hierbei, sei es auf eigener, sei es
auf italienischer Seite oder bei zivilgesellschaftlichen Kooperationspartnern?

2. Wie weit sind hinsichtlich der Einrichtung eines Erinnerungsortes für die von
der Entschädigung weitgehend ausgenommenen italienischen Militärinter-
nierten die Gespräche mit den auf Bundestagsdrucksache 17/13358 genann-
ten oder ggf. weiteren Kooperationspartnern gediehen?
a) Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung diesbezüglich bislang

unternommen?
b) Welche konkreten Schritte sind verabredet?
c) Welche Vereinbarungen über die Ausgestaltung sowohl des Erinnerungs-

ortes als auch der von dort zu übernehmenden wissenschaftlichen und ge-
schichtsdidaktischen Aufgaben sind bislang getroffen worden, und mit
welchen diesbezüglichen Vorschlägen geht die Bundesregierung in die
Gespräche?

d) Ist es beabsichtigt, eine ganze oder nur eine halbe Baracke für die neue
Gedenkstätte zu nutzen?

e) Will die Bundesregierung die zu erwartenden Kosten (1,4 Mio. Euro für
die Herrichtung und die Dauerausstellung sowie Betriebskosten von rund
60 000 Euro pro Jahr laut der Antwort zu Frage 3e auf Bundestagsdruck-
sache 17/13358) selbst tragen, oder erwartet sie eine Kofinanzierung (bitte
ggf. angeben, von wem und in welchem Umfang)?

3. Soll es nach Auffassung der Bundesregierung möglich sein, in dieser neu
gestalteten Gedenkstätte auch zu thematisieren, dass den meisten IMI von der
Bundesrepublik Deutschland Entschädigungszahlungen für das erlittene Un-
recht verweigert worden sind, oder will sie dies ausschließen?

4. Welche konkreten Überlegungen veranlassen die Bundesregierung, der
Empfehlung der Deutsch-Italienischen Historikerkommission zur Gründung
einer deutsch-italienischen Zeitgeschichtsstiftung nicht zu folgen, sondern
„ein projektbezogenes Vorgehen“ zu favorisieren (Bundestagsdrucksache
17/13358, Antwort zu Frage 8)?

5. Welche Überlegungen hat die Bundesregierung zur Frage angestellt, wie die-
ses projektbezogene Vorgehen konkret ausgestaltet werden soll?
a) Welches Bundesministerium und welche Abteilung sollen mit der Prüfung

von Projektanträgen beauftragt werden?
b) Wer (Personen, Institutionen usw.) soll hierbei antragsberechtigt sein, und

inwiefern können auch zivilgesellschaftliche Projekte aus dem nichtaka-
demischen Bereich berücksichtigt werden?

c) Welches Budget soll jährlich für Projekte zur Verfügung stehen, und in-
wiefern sind Maximalförderungen (in welcher Höhe) vorgesehen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/697
d) Sind Vollfinanzierungen vorgesehen, oder wird erwartet, dass geförderte
Projekte einen bestimmten Anteil (welchen) der veranschlagten Kosten
extern oder selbst finanzieren?

e) Inwiefern ist überhaupt eine dauerhafte finanzielle Förderung vorgese-
hen?

f) Welchen inhaltlich-thematischen Rahmen soll die Projektförderung um-
grenzen?

g) Welchen formalen Kriterien müssen förderungswürdige Projekte genü-
gen?
Sollen auch Projekte künstlerischer Art grundsätzlich förderungswürdig
sein?

h) Sollen nur „Erinnerungsprojekte der Opfergemeinden“ oder können
auch Erinnerungsprojekte anderer Antragsteller grundsätzlich förde-
rungswürdig sein?

i) Welche weiteren Konditionen sollen für Antragstellungen, Bescheide
und Durchführung von Projekten gelten?

6. Welche Projektanträge sind bereits gestellt, und welche sind bereits in wel-
cher Form beschieden?
Welche Förderungen sind ggf. bereits angelaufen?

7. Falls noch keine Anträge gestellt oder beschieden wurden, wann können
Anträge voraussichtlich beschieden werden?

8. Sollen auch solche Projekte als grundsätzlich förderungswürdig behandelt
werden, die sich damit auseinandersetzen, dass den Militärinternierten so-
wie den Opfern deutscher Massaker in Italien bis heute Entschädigungszah-
lungen verweigert werden (wenn nein, bitte begründen)?

9. In welcher Form und mit welchem Anteil beteiligt sich die italienische Re-
gierung an der Projektförderung?

10. Vorausgesetzt, die bisherigen Angaben der Bundesregierung sind so zu ver-
stehen, dass das Programm zur Förderung von Forschungsarbeiten zur Ge-
samtdarstellung der Kriegsereignisse in Italien 1943 bis 1945 getrennt von
dem oben erwähnten projektbezogenen Vorgehen eingerichtet werden soll,
wie weit ist die Erarbeitung dieses Programms gediehen?
a) Welche Konzeption soll das Programm haben?
b) Wann kann das Programm voraussichtlich starten?
c) Welches Fördervolumen soll in diesem Rahmen zur Verfügung stehen

(bitte jährlich sowie ggf. Maximalsummen für einzelne Forschungsvor-
haben angeben)?

d) Wo ist das Programm bzw. die Programmabwicklung organisatorisch an-
gegliedert?

11. Inwiefern will die Bundesregierung die Empfehlung zur Vergabe von For-
schungsstipendien und die Abhaltung von „Summerschools“ zur deutsch-
italienischen Zeitgeschichte unterstützen?
Sollen die Mittel hierfür ebenfalls aus der im Rahmen der zuvor abgefragten
Projektvergabe stammen oder unabhängig davon, und welche Überlegun-
gen gibt es hierfür auf Seiten der Bundesregierung?

12. Wie weit ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Umsetzung eines Vor-
schlages der italienischen ANRP (der unter anderem ehemalige Militärin-
ternierte angehören) bzw. des darauf basierenden Gesetzentwurfs zur Ein-
richtung eines Museums der IMI in Rom gediehen?

Drucksache 18/697 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
a) Inwieweit steht die Bundesregierung diesbezüglich in Kontakt mit der
italienischen Regierung sowie mit der ANRP, und welche Haltung nimmt
die italienische Regierung ihrer Kenntnis nach hinsichtlich der Förde-
rung des Projektes ein?

b) Ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, sich an den Kosten für Ein-
richtung und Betrieb eines solchen Museums bis hin zur Übernahme von
50 Prozent der Kosten zu beteiligen, und wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen dazu aus ihrer Sicht gegeben
sein?

13. Welche Entwicklungen bzw. Förderzusagen seitens der Bundesregierung
hat es mittlerweile zur Erstellung einer Wanderausstellung gegeben, und
wie ist der Stand der Entwicklung einer Konzeption?

14. Welche Entwicklungen bzw. Förderzusagen seitens der Bundesregierung
hat es mittlerweile hinsichtlich der Anlage eines Totengedenkbuches gege-
ben?

15. Inwiefern folgt die Bundesregierung der Empfehlung der Deutsch-Italie-
nischen Historikerkommission, das von der „Associazione Nazionale degli
Ex internati“ in Padua eingerichtete Museum zur Erinnerung an die IMI zu
unterstützen, und welche Schritte hat sie dazu bisher unternommen und
welche Entscheidungen getroffen?

16. Welche Entwicklungen bzw. Förderzusagen seitens der Bundesregierung
(sowie ggf. nach Kenntnis der Bundesregierung der italienischen Regie-
rung) hat es mittlerweile hinsichtlich der Erstellung eines „Atlas der Ge-
walt“ zur Darstellung deutscher sowie RSI-faschistischer Verbrechen in den
Jahren 1943 bis 1945 gegeben?

17. Ist die hierzu bislang mit rund 5000 Gewaltverbrechen angelegte Daten-
sammlung (Bundestagsdrucksache 17/13358, Antwort zu Frage 10) mittler-
weile online gestellt worden, wenn ja, wo (bitte URL angeben), und wenn
nein, warum nicht?

18. Welche weiteren Erinnerungsstätten in Italien will die Bundesregierung för-
dern, bzw. inwieweit werden diesbezüglich derzeit Gespräche geführt (bitte
Orte, Gestaltung und den Umfang der allfälligen deutschen Unterstützung
angeben)?

19. Inwiefern und mit welchem finanziellen Umfang fördert die Bundesregie-
rung derzeit Jugendbegegnungen mit italienischen Opfergemeinden sowie
Opferverbänden?

20. Mit welchen italienischen Opfer- bzw. anderen Vereinigungen sowie Ge-
meindeverwaltungen und anderen Akteuren sowie mit welchen deutschen
Akteuren steht die Bundesregierung hinsichtlich der Gestaltung der Erinne-
rungspolitik in Verbindung (bitte möglichst vollständig aufzählen)?

21. Welche Programme unterhält die Bundesregierung für die Förderung von
Forschungsvorhaben und Erinnerungspolitik in anderen, von der Wehr-
macht bzw. Waffen-SS besetzten Staaten Europas?

22. Wie versteht die Bundesregierung den Begriff der „gemeinsamen Erinne-
rungskultur“, und wie versteht ihn ihrer Kenntnis nach die italienische Re-
gierung?

Berlin, den 27. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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