BT-Drucksache 18/6826

"Informationsstrategie" und "Gegendiskurse" zur Verhinderung unerwünschter Migration

Vom 23. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6826
18. Wahlperiode 23.11.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,

Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, Harald Petzold

(Havelland), Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

„Informationsstrategie“ und „Gegendiskurse“ zur Verhinderung unerwünschter
Migration

In ihren Schlussfolgerungen vom 9. November 2015 haben die Innenministerin-
nen und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten als „vordringliche Maßnahme“
eine „gemeinsame Informationsstrategie“ verabredet, mit der Migrantinnen und
Migranten vor einer Reise in die Europäische Union gewarnt werden sollen.
„Pull-Faktoren“ sollen dadurch verringert werden. Adressiert werden Geflüchtete
(„Asylbewerber, Migranten“) und ihre Unterstützenden („Schleuser und Men-
schenhändler“). Einzelheiten werden zunächst nicht genannt, jedoch sollten EU-
Vorschriften zum Management der Außengrenzen und zum internationalen
Schutz erklärt werden. Dies beinhalte auch die Möglichkeit von freiwilligen Aus-
reisen oder Abschiebungen, die in dem Dokument als „Rückkehr“ und „Rückfüh-
rungsaktionen“ beschrieben werden. Anvisiert sind „Gegendiskurse“ zu Informa-
tionen, die durch „Menschenhändler und Schleuser“ verbreitet würden. Unterstüt-
zerinnen und Unterstützern von Fluchthilfe soll mit Informationen zur strafrecht-
lichen Verfolgung gedroht werden. Die Europäische Kommission soll nun ein
„spezifisches Team aus allen relevanten institutionellen Akteuren“ zusammen-
stellen, die Arbeiten an der „Informationsstrategie“ sollen sofort beginnen. Ent-
sprechende Maßnahmen werden auf der Ratstagung im Dezember vorgestellt.

Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 7. Au-
gust 2015 hat auch die Bundesregierung ein Gesamtkonzept mit dem Auswärti-
gen Amt und den Herkunftsstaaten unter dem Titel „Informationskampagnen im
Herkunftsland, Verkürzung der Bearbeitungszeiten für Asylanträge, Wiederein-
reisesperren sowie verstärkte freiwillige Ausreisen“ entworfen. Ebenfalls am
7. August 2015 veröffentlichte das Bundesinnenministerium ein sogenanntes
„Rückführungsvideo“, das eine Sammelabschiebung begleitet und beschreibt und
das in vier Sprachen vertont wurde. Hintergrund sei die steigende Zahl der „fast
durchweg aussichtslosen“ Asylanträge aus den Staaten des Westbalkan. In dem
„Rückführungsvideo“ wird behauptet, eine spätere Einreise nach Deutschland
werde „regelmäßig“ nur dann erlaubt, wenn die Kosten einer Abschiebung von
den Betroffenen bezahlt worden seien. Allerdings musste das Bundesministerium
des Innern (BMI) selbst einräumen, dass die Kostenerstattung bei der Festsetzung
einer Wiedereinreisesperre allenfalls einer von mehreren Faktoren „zu berück-
sichtigen“ sei (Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache
18/5804).

Die Bundesregierung hat ähnliche „Informationsmaßnahmen“ bereits in unter-
schiedlichen Regionen durchgeführt, weitere seien geplant (Antwort der Bundes-
regierung auf die Schriftliche Frage 18 auf Bundestagsdrucksache 18/6403). Laut

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Stephan Steinlein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, soll damit über rechtliche
Rahmenbedingungen von Zugangsmöglichkeiten sowie „zur gesellschaftlichen
Realität in Deutschland“ aufgeklärt werden. Zuständig seien die deutschen Aus-
landsvertretungen, die Informationen über „intensive Medienkontakte“ oder so-
ziale Medien veröffentlichen. In sechs albanischen Tageszeitungen wurden von
der deutschen Botschaft bereits Anzeigen mit der Aussage „Kein Wirtschaftsasyl
in Deutschland“ veröffentlicht, in Albanien und Serbien erschienen entspre-
chende Facebook-Anzeigen in den Landessprachen. Auch die Deutsche Welle sei
in Fernsehen, Hörfunk und Internet weltweit aktiv, um über „Gefahren auf der
Flucht und die Verhältnisse in den Zielländern“ zu berichten. Der Sender veröf-
fentlichte Interviews in albanisch und serbisch, auch die größten albanischen TV-
Sender sowie bosnische und kosovarische Medien seien gewonnen worden. Wei-
tere „Aufklärungsmaßnahmen“ würden vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge vorgenommen. Nun sei eine „mediale Begleitung“ von Abschiebe-
flügen nach Albanien geplant.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist der Bundesregierung zum Zustandekommen einer „Informationsstra-
tegie“ der EU gegen unerwünschte Migration bekannt?

2. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung einen entsprechenden Vor-
schlag eingereicht, und wie hat sich die Bundesregierung in Diskussionen
hierzu positioniert?

3. Aus welchen Erwägungen trägt die Bundesregierung mit, dass die „Informa-
tionsstrategie“ gegen unerwünschte Migration als „vordringliche Maß-
nahme“ bezeichnet wird?

4. Aus welchen Mitteln sollen entsprechende Anstrengungen nach Kenntnis der
Bundesregierung finanziert werden?

5. Welche geografischen Regionen und, soweit bereits absehbar, welche Län-
der sollen von der „Informationsstrategie“ adressiert werden?

6. Auf welche Weise sollen Geflüchtete („Asylbewerber, Migranten“) und ihre
Unterstützerinnen und Unterstützer („Schleuser und Menschenhändler“) er-
reicht werden?

7. Was ist der Bundesregierung über die Ausgestaltung von „Gegendiskursen“
gegen Informationen von „Menschenhändlern und Schleusern“ bekannt?

8. Was ist der Bundesregierung über Aktivitäten der Europäischen Kommission
bekannt, die mit Arbeiten an der „Informationsstrategie“ sofort beginnen
sollte?

9. Was ist der Bundesregierung über ein hierzu verabredetes „spezifisches
Team aus allen relevanten institutionellen Akteuren“ bekannt?

10. Wo soll dieses „Team“ angesiedelt werden, und was ist der Bundesregierung
über dessen Arbeitsweise bekannt?

11. Was ist der Bundesregierung über weitere, anvisierte Beteiligte einer „Infor-
mationsstrategie“ bekannt bzw., sofern diese noch nicht feststehen, welche
Beteiligten sollten dem „Team“ aus Sicht der Bundesregierung angehören?

12. Auf welche Weise wird sich die Bundesregierung an dem „Team“ beteili-
gen?

13. Welche weiteren außer den in der Bundestagsdrucksache 18/6403 aufgeführ-
ten Maßnahmen wurden oder werden im Rahmen des Gesamtkonzepts „In-
formationskampagnen im Herkunftsland, Verkürzung der Bearbeitungszei-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6826

 

ten für Asylanträge, Wiedereinreisesperren sowie verstärkte freiwillige Aus-
reisen“ durchgeführt, wann begannen oder beginnen die Maßnahmen, und
wer ist jeweils als Träger und Durchführender beteiligt?

14. Mit welchen Medien (auch Internet) welcher Länder wurde hierzu bereits
zusammengearbeitet, bzw. in welchen Medien wurden welche Inhalte plat-
ziert?

15. Welche Kernaussagen übermittelten die jeweiligen „Informationsmaßnah-
men“?

16. Welche Kosten sind bislang im Rahmen des Gesamtkonzepts „Informations-
kampagnen im Herkunftsland, Verkürzung der Bearbeitungszeiten für Asyl-
anträge, Wiedereinreisesperren sowie verstärkte freiwillige Ausreisen“ ent-
standen, und wie werden diese übernommen?

17. Inwiefern trifft es zu, dass Anzeigen der deutschen Botschaft in albanischen
Tageszeitungen die Aussage „Kein Wirtschaftsasyl in Deutschland“ trans-
portierten?

18. Wer war für die Abfassung und Gestaltung der Anzeigen verantwortlich?

19. Auf welche Weise war oder ist die Deutsche Welle entsprechend ihres ge-
setzlichen Auftrags in das Gesamtkonzept „Informationskampagnen im Her-
kunftsland, Verkürzung der Bearbeitungszeiten für Asylanträge, Wiederein-
reisesperren sowie verstärkte freiwillige Ausreisen“ eingebunden?

20. Welche Treffen mit der Deutschen Welle und welchen weiteren Beteiligten
haben hierzu stattgefunden?

21. Wann und wo hat der Sender nach Kenntnis der Bundesregierung außer den
in der Bundestagsdrucksache 18/6403 aufgeführten Interviews bereits Bei-
träge platziert?

22. Welche weiteren „Aufklärungsmaßnahmen“ sind von deutschen Behörden
geplant?

23. An welchem Datum und von welchem Flughafen sollen die Abschiebeflüge
nach Albanien stattfinden, zu denen eine „mediale Begleitung“ geplant ist?

24. Wer soll diese „mediale Begleitung“ vornehmen, und welche Medien werden
hierzu eingeladen?

25. Welche albanischen Behörden, deutschen Botschaftsangehörigen, Ministe-
rien des „rückführenden Bundeslandes“ sowie sonstigen Beteiligten sind für
die Teilnahme an der Maßnahme vorgesehen?

26. Auf welche belastbaren Erkenntnisse stützt sich der Staatssekretär Stephan
Steinlein mit seiner Aussage, die Maßnahmen hätten bereits erfolgreich
„Menschen dazu bewegen können, sich und ihre Familien nicht den Belas-
tungen, Gefahren und negativen finanziellen Folgen einer aussichtslosen
Reise auszusetzen“?

Berlin, den 23. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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