BT-Drucksache 18/6644

Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen

Vom 10. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6644
18. Wahlperiode 10.11.2015
Antrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann,
Matthias W. Birkwald, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn, Katja Kipping, Jan Korte,
Cornelia Möhring, Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Frank
Tempel, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern
und Lohndumping bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Krieg, Armut und Verfolgung führen weltweit zu einer steigenden Zahl von

Flüchtlingen. Viele der Flüchtlinge, die es nach Deutschland schaffen, werden
hier dauerhaft oder für eine längere Zeit leben. Sie benötigen eine Perspektive
zur Teilhabe und Integration. Wenngleich derzeit die Fragen der Unterbringung
und sicheren Fluchtwege in der politischen Debatte im Vordergrund stehen,
müssen die Weichen dafür gestellt werden, Flüchtlingen die Teilhabe an der Er-
werbsarbeit zeitnah und diskriminierungsfrei zu ermöglichen, sie entsprechend
ihren Fähigkeiten und Potentialen zu unterstützen.
Betroffene sollten eigenständig für ihren Lebensunterhalt sorgen können und
gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sein. Die Fehler einer falschen Mig-
rations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik der Vergangenheit, die Eingewanderten
die gleichen Rechte verweigert hat, dürfen nicht wiederholt werden. Zuwande-
rung birgt die Chance, unser Land kulturell und wirtschaftlich zu bereichern.
Diese Chance wollen und werden wir ergreifen und die erforderlichen Weichen
dafür neu stellen.

2. Die bisherige Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen kann nicht zufrieden
stellen. Nur acht Prozent der Flüchtlinge kommen im Zuzugsjahr in Beschäfti-
gung, nach fünf Jahren hat jeder Zweite einen Job. Erst nach 15 Jahren erreicht
die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen mit etwa 70 Prozent das Niveau an-
derer Zuwanderer. Flüchtlinge werden häufig in prekäre und niedrigentlohnte
Beschäftigung, nicht selten in die Schattenwirtschaft gedrängt. Das monatliche
Durchschnittsgehalt von vollzeiterwerbstätigen Flüchtlingen liegt im ersten Jahr
nach dem Zuzug bei rund 1.100 Euro Brutto, zehn Jahre nach dem Zuzug bei
1.500 Euro und auch Jahre später noch deutlich unter der Niedriglohnschwelle
von 1.973 Euro (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Aktueller Be-
richt 14/2015). Menschen, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen
sind, gehören damit zu den am schlechtesten verdienenden Gruppen am deut-
schen Arbeitsmarkt.

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Den meisten Flüchtlingen ist bisher ein zeitnaher, diskriminierungsfreier Zu-
gang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Neben rechtlichen Einschränkungen gibt es
zahlreiche praktische Probleme. Dazu gehören unter anderem die lange Dauer
der Asylverfahren und unklare Bleibeperspektiven; die Unterbringung in aus-
grenzenden, oft krank machenden Massenunterkünften ohne Privatsphäre; das
restriktive Aufenthaltsrecht, das Betroffene durch Zwangsverteilung oft von fa-
miliären und sozialen Netzwerken, die einer Integration förderlich sind, ab-
schneidet. Hinzu kommen: ein völlig unzureichender Zugang zu Sprachkursen;
aufwendige, kostenintensive und nicht selten langwierige Verfahren zur Aner-
kennung der Berufsqualifikation; fehlende Erfahrung und unzureichende inter-
kulturelle Kompetenz bei der Unterstützung von Flüchtlingen in der Arbeitsför-
derung und insgesamt zu wenig Personal in Arbeitsagenturen und Jobcentern.
Geflüchtete Frauen sind nach der Ankunft in Deutschland mit besonderen Prob-
lemen konfrontiert. Ihre Situation muss in besonderer Weise berücksichtigt wer-
den. Eine gute Integration, auch in den Arbeitsmarkt, kann nur gelingen, wenn
auf die individuellen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen eingegangen wird,
etwa durch IntegrationslotsInnen, spezifische Angebote zur Sprachförderung
sowie in der Berufsberatung und Ausbildungsförderung. Darüber hinaus ist ein
Zugang zu Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu sichern.
Bei der Integration in den Arbeitsmarkt ist ferner zu berücksichtigen, dass
Flüchtlinge ein Geschlecht und eine Sexualität haben. Manche wurden in ihrem
Herkunftsland verfolgt, weil sie Lesben, Schwule, Transsexuelle, Transgender
oder Intersexuelle (LSBTTI) sind. Um eine abermalige Diskriminierung zu ver-
hindern, braucht es bei der Vermittlung und Unterstützung eine entsprechende
Sorgfalt. Sie sind besonders über bestehende Schutzregelungen, wie das Allge-
meine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Anlaufstellen für den Schutz vor
Diskriminierung am Arbeitsplatz, bei der Ausbildung und der Arbeitsförderung
zu informieren.

3. Die jüngsten Beschlüsse der Großen Koalition laufen in großen Teilen einer bes-
seren Integrationspolitik entgegen. Im Jahr 2014 wurde für Flüchtlinge der Zu-
gang zum Arbeitsmarkt etwas geöffnet, durch die Verkürzung der Arbeitsver-
bote von zuvor neun für Asylsuchende und zwölf für geduldete Flüchtlinge auf
nunmehr einheitlich drei Monate sowie der Verkürzung der sogenannten Vor-
rangregelung auf 15 Monate von zuvor 48 Monate. Nun sind mit dem Asylver-
fahrensbeschleunigungsgesetz diese Lockerungen zum Teil wieder zurückge-
nommen und neue Beschränkungen eingeführt worden.
Asylsuchende sind nun verpflichtet, bis zu sechs statt wie bisher drei Monate in
Erstaufnahmeeinrichtungen zu leben, Flüchtlinge aus sogenannten sicheren
Herkunftsländern sogar bis zum Ende des Asylverfahrens. Weil in dieser Zeit
keine Erwerbstätigkeit erlaubt ist, wird durch die Hintertür das bestehende Ar-
beitsverbot von drei auf sechs Monate bzw. bis zum Ende des Asylverfahrens
verlängert. In dieser Zeit gelten auch die sogenannte Residenzpflicht, die die
Bewegungsfreiheit der Menschen erheblich einschränkt, sowie ein Vorrang von
Sach- statt Geldleistungen selbst für die persönlichen Bedarfe, was die indivi-
duellen Handlungsmöglichkeiten der Schutzsuchenden zusätzlich behindert.
Abgelehnte Asylsuchende aus sogenannten sicheren Herkunftsländern unterlie-
gen auch als Geduldete einem unbefristeten Beschäftigungsverbot. Damit ist
auch die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung, eines Freiwilligen-
dienstes oder eines Praktikums ausgeschlossen, so dass selbst hochqualifizierte
Personen aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen vom Arbeitsmarkt fern
gehalten werden.
Zwar hat die Bundesregierung die Integrations- und Deutschkurse für Asylsu-
chende geöffnet und das war mehr als überfällig. Aber dieser Schritt wird in
seiner Wirkung dadurch begrenzt, dass dies nur für Personen mit sogenannter

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6644

hoher Bleibeperspektive gilt. Zugleich ist es mehr als fraglich, ob der Bund aus-
reichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Dies ist aber entscheidend, weil
kein Rechtsanspruch auf Teilnahme, sondern nur eine Zulassungsmöglichkeit
im Rahmen freier Plätze geschaffen wurde.
Kaum Fortschritte gibt es für geduldete Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt
wurde, die aber aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können.
Weil nur Personen mit einer Ermessensduldung gemäß § 60 a Absatz 2 Satz
3 AufenthG zu Integrationskursen zugelassen werden können, sind über 98 Pro-
zent der Geduldeten weiterhin von Integrationskursen ausgeschlossen (Plenar-
protokoll Nr.: 18/126, Anlage 29). Auch für die seit August 2015 geltende Re-
gelung, wonach bei einer vor dem 21. Lebensjahr aufgenommenen Ausbildung
die Duldung verlängert und damit eine Abschiebung ausgesetzt werden kann,
gilt, dass laut Bundesregierung 64 Prozent der 48.120 Geduldeten im Alter zwi-
schen 15 und 30 Jahren (August 2015) nicht unter diese Neuregelung fallen,
(Bundestagsdrucksache 18/6267). Gleiches betrifft Jugendliche aus sogenann-
ten sicheren Herkunftsländern. Da die Duldung kein rechtmäßiger Aufenthalts-
titel ist, ist die Ausbildungsplatzsuche ohnehin erheblich erschwert. Geduldete
unterliegen zudem Beschäftigungsverboten, die in der Anwendung oft willkür-
lich und unberechenbar sind, etwa, wenn ihnen vorgeworfen wird, nicht ausrei-
chend an ihrer Abschiebung mitzuwirken bzw. vermeintlich wegen des Bezugs
von Sozialleistungen eingereist zu sein.
Mit der Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer auf alle Länder des west-
lichen Balkans und hieran anknüpfende Sanktionen setzt die Bundesregierung
gegenüber dieser Flüchtlingsgruppe auf Abschreckung und beschneidet deren
individuelles Asylrecht. Dies ist auch nicht damit zu rechtfertigen, dass im Ge-
genzug einer begrenzten Zahl von Staatsangehörigen aus dem Westbalkan die
Einwanderung und der Aufenthalt bis zum Jahr 2020 zum Zwecke der Arbeits-
migration ermöglicht werden soll, allerdings nur nach vorheriger Vorrangprü-
fung. Zudem werden erfolglos gebliebene Asylsuchende hiervon gezielt ausge-
schlossen, es darf 24 Monate zuvor kein Anspruch auf Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz bestanden haben. Dadurch werden ausgerechnet
diejenigen ausgeschlossen, die infolge ihres vorherigen Aufenthalts als Asylsu-
chende womöglich gute deutsche Sprachkenntnisse erworben haben und bereits
soziale Kontakte knüpfen konnten.
Im Ergebnis ist das sogenannte Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz für viele
Flüchtlinge nichts anderes als ein Teilhabeverhinderungsgesetz.

4. Um Flüchtlingen den Weg in Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe zu ermögli-
chen, ist das derzeitige Asyl- und Aufenthaltsrecht von Grund auf zu reformie-
ren. Es muss der Grundsatz einer Integration von Beginn an gelten. Flüchtlinge
brauchen schnell aufenthaltsrechtliche Sicherheit, gezielte Förderung und Un-
terstützung. Beschränkungen zum Arbeitsmarkt sind aufzuheben, Barrieren in
der Sprachförderung und Berufsanerkennung zu überwinden.
Gleichzeitig ist eine grundlegende Wende in der Arbeitsmarktpolitik erforder-
lich. Diese ist überfällig und liegt im Interesse aller Erwerblosen. Die Ausbil-
dungs- und Arbeitsförderung braucht mehr und gut geschultes Personal, damit
individuell unterstützt und vermittelt werden kann. Für Qualifizierungs- und
Unterstützungsmaßnahmen muss ausreichend Geld zur Verfügung gestellt, der
arbeitsmarktpolitische Kahlschlag der vergangenen Jahre beendet werden.
Neue Mittel für die Arbeitsförderung dürfen nicht durch Kürzungen bei Sozial-
leistungen oder Zukunftsinvestitionen an anderer Stelle aufgebracht werden.
Nötig ist vielmehr ein sofortiges Investitionsprogramm in Höhe von 25 Milliar-
den Euro, mit dem soziale Dienstleistungen und öffentliche Infrastruktur für alle
ausgebaut werden. Neben arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungs- und Integra-
tionsprogrammen beinhaltet dieses eine Soforthilfe an die Kommunen/Länder

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zur Erstversorgung der Flüchtlinge, die Schaffung von 200.000 neuen Sozial-
wohnungen jährlich, mehr Geld für Schulen und Kitas und den Ausbau sozialer
Beratungsstellen. Kurzfristig werden diese Zukunftsinvestitionen schuldenfi-
nanziert. Zur Tilgung und weiteren Finanzierung der neuen Aufgaben sind Spit-
zenverdiener, Vermögende und Unternehmen stärker heranzuziehen. Damit
werden langfristig die Bedarfe für öffentliche Investitionen für alle hier leben-
den Menschen gesichert.
Zugleich ist es dringlicher denn je, den Niedriglohnsektor und prekäre Beschäf-
tigungsverhältnisse zurückzudrängen. Flüchtlinge dürfen nicht als billige Ar-
beitskräfte und Lohndrücker missbraucht werden. Es muss verhindert werden,
dass im Interesse von Arbeitgebern und neoliberaler Politik Löhne und arbeits-
rechtliche Standards weiter abgesenkt werden. Zu begrüßen sind die zahlreichen
Initiativen engagierter Betriebsräte und Gewerkschaftsmitglieder, die sich vor
Ort und in den Unternehmen gegen die Diskriminierung einzelner Gruppen und
für die Gleichbehandlung aller Beschäftigten einsetzen.
Flüchtlinge müssen in ihren Rechten gestärkt werden. Als gleichberechtigte Bür-
gerinnen und Bürger können sie einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand dieser
Gesellschaft beitragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gesetzliche und andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeitsmarktintegration
von Flüchtlingen im folgenden Sinne zu unterstützen und zu befördern, insbesondere
durch folgende Maßnahmen:
1. Asylverfahren verkürzen, den Zugang zu sozialen Netzwerken verbessern

– Asylverfahren müssen unter Wahrung hoher Verfahrensstandards beschleu-
nigt werden und Betroffene schnell Klarheit und aufenthaltsrechtliche Si-
cherheit erhalten. Dazu ist das Personal im Bereich der Asylprüfung des
BAMF über die derzeitige Planung hinaus und schnell aufzustocken. Ferner
sind die obligatorischen Asyl-Widerrufsprüfungen drei Jahre nach der An-
erkennung und Prüfungen der Zuständigkeit nach der Dublin-Verordnung,
die jeweils unnötig Kapazitäten binden und weitgehend ohne Effekt bleiben,
einzustellen. Asylsuchende mit hohen Anerkennungschancen müssen
schnell und unkompliziert anerkannt werden. Asylsuchenden mit länger als
einem Jahr andauerndem Asylverfahren soll im Rahmen einer „Altfallrege-
lung“ ein sicherer Aufenthaltsstatus angeboten werden – sie sind für die un-
zumutbare Dauer der Verfahren nicht verantwortlich, das BAMF würde
hierdurch wirksam entlastet.

– Beschränkungen der Bewegungsfreiheit wie die Residenzpflicht und andere
diskriminierende Sondergesetze für Asylsuchende sind aufzuheben, um die
zügige Integration und Arbeitssuche zu fördern.

– Die Unterbringung in Massenunterkünften ist soweit möglich zu vermeiden
und zeitlich auf das absolut unvermeidliche Mindestmaß zu begrenzen.
Stattdessen sind alle Möglichkeiten einer dezentralen, privaten Unterbrin-
gung von Asylsuchenden zu nutzen, wie z. B. bei Verwandten, Bekannten,
in Wohngemeinschaften oder im Rahmen gemeinnütziger Projekte oder bei
Angeboten Dritter. Hierzu ist das bisherige Zwangsverteilungssystem im
Asylverfahren, das kaum Ausnahmen zulässt, umzuwandeln in einen soli-
darischen Ausgleichsmechanismus in Bezug auf die Kosten der Aufnahme.

– Asylsuchende, die Arbeit gefunden haben, sollten unabhängig vom Aus-
gang des Asylverfahrens ein Bleiberecht bekommen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6644
2. Frühzeitige Sprachkurse für alle Flüchtlinge

– Alle Flüchtlinge, also auch Asylsuchende und Geduldete, erhalten von Be-
ginn an einen Rechtsanspruch auf Zugang zu kostenfreien und qualitativ
hochwertigen Integrations- und Sprachkursen, zudem bedarf es ergänzender
Sprach- und Orientierungskurse für Asylsuchende in ihrer besonderen Auf-
nahmesituation.

– Spracherwerb und Arbeitsvermittlung sind stärker miteinander zu verzah-
nen, die Möglichkeiten zur Verbesserung des Spracherwerbs im Rahmen
der Erwerbstätigkeit müssen systematisch unterstützt werden.

– Eine angemessene Bezahlung und Beschäftigung der Lehrkräfte im Integ-
rationskursbereich wird sichergestellt, um ein qualitativ hochwertiges
Sprachkursangebot zu gewährleisten und prekären Beschäftigungsverhält-
nissen entgegenzuwirken.

– Durch die Ausgestaltung des Sprachzuganges als Rechtsanspruch wird der
Bund verpflichtet die Sprach- und Integrationskurse deutlich besser zu fi-
nanzieren und Kapazitäten entsprechend des Bedarfs bereitzustellen.

3. Berufsanerkennungsverfahren vereinfachen
– Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und Qualifika-

tionen ist zu vereinfachen. Der Bund übernimmt die entstehenden Kosten.
– Alternative Modelle zur Anerkennung der Qualifikation durch begleitete

Beschäftigung im erlernten Beruf oder „sonstige Verfahren“ z. B. Prakti-
kum sind auszuweiten.

– Nachqualifikationen und Weiterbildungen werden aktiv mit entsprechender
finanzieller Unterstützung gefördert.

4. Flüchtlingen einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen
und nicht als billige Arbeitskräfte und zum Lohndumping missbrauchen
– Sämtliche Arbeitsverbote, Beschränkungen und Nachrangigkeitsregelun-

gen beim Arbeitsmarktzugang werden abgeschafft. Allgemeine Schutzfunk-
tionen arbeitsrechtlicher Regelungen müssen ausnahmslos für alle Flücht-
linge gelten und wirkungsvoll durchgesetzt werden.

– Flüchtlinge dürfen ab dem ersten Tag der Registrierung einer Beschäftigung
nachgehen, das dreimonatige Beschäftigungsverbot (Wartefrist für die Ar-
beitserlaubnis) wird ebenso abgeschafft wie der nachrangige Arbeitsmarkt-
zugang in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts (Vorrangprüfung), glei-
ches gilt für Beschäftigungsverbote, die bisher die Ausländerbehörden aus-
sprechen können, und Arbeitsverbote während des Aufenthalts in einer Erst-
aufnahmeeinrichtung.

– Es gibt keine diskriminierende Sonderregelungen für bestimmte Gruppen
von Asylsuchenden (etwa nach Herkunftsland) oder für geduldete Flücht-
linge.

– Der Mindestlohn wird wirksam umgesetzt und kontrolliert und die Planstel-
len der Finanzkontrolle Schwarzarbeit schnellstmöglich um insgesamt
5.000 Stellen aufgestockt. Statt Flüchtlinge für weitere Ausnahmen oder
eine Absenkung des Mindestlohns zu missbrauchen, wird dieser zügig und
ohne Ausnahmen auf zehn Euro die Stunde erhöht.

– Die Bundesregierung verbessert die allgemeinen Beschäftigungsbedingun-
gen, indem sie die Einfallstore für Lohndumping schließt. Befristete und
geringfügige Beschäftigung sowie Leiharbeit sind einzudämmen, wirksame
Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen zu ergreifen. Zu-
gleich sind die Wirkungskraft und der Geltungsbereich von Tarifverträgen

Drucksache 18/6644 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

zu stärken, in dem diese auch gegen den Willen der Spitzenverbände der
Arbeitgeber allgemeinverbindlich erklärt werden können.

– Durch sichere Aufenthaltsperspektiven und gleiche Rechte beim Arbeits-
marktzugang wird die Position der Flüchtlinge gestärkt, so dass sie sich bes-
ser gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Lohndumping und illegale
Beschäftigungsverhältnisse wehren können.

– Die Bundesregierung fördert und unterstützt stärker und auf verlässlicher
Basis die Arbeit von Bleiberechtsnetzwerken.

5. Arbeitsförderung neu aufstellen
– Die Arbeitsagentur ist in den Erstaufnahmeeinrichtungen und den Außen-

stellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vor Ort flächende-
ckend präsent, um die beruflichen Erfahrungen und Qualifikationen der
Asylsuchenden frühzeitig zu erfassen. Davon ausgehend bespricht und plant
sie zusammen mit den Betroffenen weitere Schritte in der Arbeitsförderung,
die auf Freiwilligkeit basieren.

– Das Personal in den Arbeitsagenturen und Jobcentern ist im Interesse aller
Erwerbslosen deutlich aufzustocken. Der Bund erhöht im SGB II den Titel
für Verwaltungs- und Personalkosten um 1,1 Mrd. Euro. Die Arbeitsförde-
rung muss zugleich stärker den besonderen Bedürfnissen und der Lebenssi-
tuation von Flüchtlingen gerecht werden, das Personal in seiner interkultu-
rellen Kompetenz gestärkt werden.

– Alle Flüchtlinge, also auch Asylsuchende und Geduldete, erhalten uneinge-
schränkten Zugang zu den Leistungen der Ausbildungs- und Arbeitsförde-
rung.

– Damit Förder- und Unterstützungsmaßnahmen ausreichend finanziert sind
und allen Erwerbslosen zur Verfügung stehen, erhöht der Bund die Mittel
für aktive Arbeitsmarktpolitik (Eingliederungstitel) von derzeit geplant 3,9
Mrd. Euro auf 5,6 Mrd. Euro.

– Für alle Auszubildenden mit unsicherem Aufenthaltsstatus wird ein Aufent-
haltsrecht für die Zeit der Ausbildung und die sich anschließende Arbeits-
platzsuche bzw. Erwerbstätigkeit geschaffen.

6. Auskömmliche Finanzierung der Arbeitsförderung und anderer notwendiger ge-
sellschaftlicher Investitionen sicherstellen
– Um die Aufnahme und Integration einer aktuell großen Zahl von Flüchtlin-

gen und die damit zusammenhängenden gesellschaftlich notwendigen Aus-
gaben solidarisch und als eine gute Investition in die Zukunft Deutschlands
gestalten zu können, werden Vermögende und Unternehmen durch eine hö-
here Besteuerung stärker in die Pflicht genommen.

– Nach Beitragssenkungen zur Arbeitslosenversicherung im zurückliegenden
Jahrzehnt werden Arbeitgeber über eine befristete Sonderabgabe zur Ver-
meidung und Bekämpfung von Langzeiterwerbslosigkeit wieder stärker zur
Finanzierung der Arbeitsförderung herangezogen, vergleiche auch Bundes-
tagsdrucksache 18/4449 und 18/3146.

Berlin, den 10. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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