BT-Drucksache 18/6042

Kinderrechte umfassend stärken

Vom 22. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6042

18. Wahlperiode 22.09.2015

Antrag

der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke,

Dr. Rosemarie Hein, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring, Harald Petzold

(Havelland), Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Kinderrechte umfassend stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1989 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen einstimmig das
Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention). Im
September 2015 jährt sich das Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention zum
25. Mal. In ihr werden wesentliche Standards zum Schutz, zur Förderung und Betei-
ligung von Kindern weltweit festgelegt. Sie gilt für alle Kinder und Jugendlichen bis
zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die somit zu Trägern eigenständiger Rechte
werden. Mit der Ratifizierung hat sich die Bundesrepublik Deutschland verbindlich
für die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet.

Zu einer konsequenten und vollständigen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven-
tion ist es in Deutschland bis heute nicht gekommen. In Gestalt der bei der Ratifizie-
rung abgegebenen Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland weigerten
sich erst die schwarz-gelbe, dann die rot-grüne und schließlich die schwarz-rote Bun-
desregierung über insgesamt zwei Jahrzehnte, die UN-Kinderrechtskonvention als
Ganzes anzuerkennen. Erst 2010 erfolgte die Rücknahme der letzten Vorbehaltser-
klärung.

Die Stellungnahmen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes zu den Staaten-
berichten der Bundesrepublik Deutschland haben wiederholt gravierende Mängel
bezüglich der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention dokumentiert. Zuletzt
mit der Stellungnahme zum 3./4. Staatenbericht vom 31. Januar 2014 hat der UN-
Ausschuss massive Defizite aufgezählt. Die daraus vom Ausschuss abgeleiteten
Handlungsempfehlungen zeigen einen akuten und umfangreichen Handlungsbedarf
für Deutschland auf.

Der UN-Ausschuss fordert, die Ursachen für die hohe Zahl an in Armut aufwach-
senden Kindern ursächlich zu reduzieren. Dabei kritisiert er beispielsweise die in
den so genannten Hartz-IV-Gesetzen vorgeschriebenen Sanktionen, in deren Folge
Kinder unterhalb des gesetzlichen Existenzminimums leben müssen. Die Jugendhil-
feeinrichtungen seien mit angemessenen personellen und finanziellen Mitteln aus-
zustatten, damit sie allen Familien mit sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten
www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/Pdf-Anlagen/14-kinderrechteausschuss-

arbeitsuebersetzung-deutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

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und auch Familien mit Migrationshintergrund zur Verfügung stehen. Der UN-Aus-
schuss hat sich besorgt gezeigt im Angesicht der Unterschiede bei den Qualitätsstan-
dards zwischen den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung und Betreuung. Er
verurteilt frühe Selektionsprozesse im Bildungssystem und belegt, dass davon vor
allem Kinder mit Migrationshintergrund betroffen seien. Das Bildungssystem solle
inklusiv gestaltet werden. Der UN-Ausschuss kritisiert darüber hinaus verschie-
dene, gezielt auf Kinder ausgerichtete Werbekampagnen der Bundeswehr sowie die
Präsenz von Vertretern der Bundeswehr im schulischen Bereich. Der UN-Ausschuss
empfiehlt der Bundesregierung, Diskriminierung stärker zu bekämpfen, vor allem
solche gegen Kinder mit Behinderung oder Migrationshintergrund. Er weist zudem
auf Handlungsbedarf im Umgang mit Flüchtlingskindern und unbegleiteten minder-
jährigen Flüchtlingen hin.

Neben den sächlichen Mängeln stellt der UN-Ausschuss strukturelle Mängel fest. Er
kritisiert, dass Kinderrechte nicht in der Verfassung verankert sind. Es fehle zudem
eine zentrale koordinierende Institution zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskon-
vention auf allen Handlungsebenen. Diese unabhängige Institution soll die Umset-
zung des Übereinkommens auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene überwa-
chen und gleichzeitig dazu ermächtigt sein, Beschwerden über eine Verletzung von
Kinderrechten entgegenzunehmen und zu behandeln.

Der Bericht des UN-Ausschusses belegt, dass Kindern und Jugendlichen bis zur
Vollendung des 18. Lebensjahres Rechte vorenthalten werden und sie nach wie vor
nicht als Träger eigenständiger Rechte wahrgenommen werden. Dies zeigt, dass ein
gesamtgesellschaftliches Umsteuern erforderlich ist, damit Kinder und Jugendliche
als Träger eigenständiger Rechte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention betrach-
tet werden. Alleine um die strukturellen Defizite abzumildern, sind umfangreiche
Maßnahmen zu ergreifen. Neben der Aufnahme von Kinderrechten in die Verfas-
sung bedarf es der Einrichtung eines Kinderbeauftragten mit umfangreichen Befug-
nissen und guter Ausstattung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, der vorsieht,
die wesentlichen Prinzipien der Rechte für Kinder und Jugendliche bis zur Voll-
endung des 18. Lebensjahres gemäß der UN-Kinderrechtskonvention im
Grundgesetz zu verankern. Dazu zählen insbesondere die Subjektstellung, der
Vorrang des Kindeswohls sowie die Rechte auf Förderung, Schutz vor Angrif-
fen und Gefahren für ihr Wohl sowie auf Beteiligung. Es ist klarzustellen, dass
unterschiedliche Schutzmechanismen das jeweilige Alter und den individuellen
Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen haben;

2. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, der die Ein-
berufung eines unabhängigen Bundeskinderbeauftragten vorsieht;

3. einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die Kernaufgaben, die Befugnisse, die
Stellung sowie die Ausstattung des/der Bundeskinderbeauftragten regelt.

a) Die Kernaufgaben und Befugnisse umfassen insbesondere,

� proaktiv darauf hinzuwirken, dass sich Bundestag und Bundesregie-
rung bei allen Gesetzesvorhaben und Entscheidungen, die Kinder be-
treffen, von der UN-KRK, ihren Fakultativprotokollen und den Stel-
lungnahmen des UN-Kinderrechtsausschusses leiten lassen;

� auf die Verletzung oder unzureichende Beachtung der Kinderrechte
durch staatliche Behörden aufmerksam zu machen und auf Abhilfe zu
dringen;

� mittels Öffentlichkeitsarbeit und Initiativen zur Menschen- bzw. Kin-
derrechtsbildung die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Kindern

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zu verbessern und ein Umfeld zu fördern, das die Verwirklichung der
Kinderrechte begünstigt;

� den Stimmen und Sichtweisen der Kinder Gehör zu verschaffen, ins-
besondere die Partizipation der Kinder in der Gesellschaft zu fördern
und gleiche Teilhabemöglichkeiten für benachteiligte Gruppen von
Kindern anzustreben;

� Ansprechpartner bzw. Ansprechpartnerin und Beschwerdestelle für
Kinder zu sein und Lösungen für individuelle und besondere Situati-
onen von Kindern anzustreben; hierzu gehört auch, sicherzustellen,
dass Kinder Zugang zu geeigneten Beschwerdeinstanzen bekommen
(national und international);

� in Zusammenarbeit mit der Monitoringstelle für Kinderrechte und
wissenschaftlichen Einrichtungen dafür zu sorgen, dass adäquate Da-
ten über die Lage der Kinder erhoben und publiziert werden;

� die kommunalen und Landeskinderbeauftragten zu beraten und zur
Qualifizierung ihrer Arbeit beizutragen;

� dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit jährlich Bericht
über die eigenen Aktivitäten und ihre Ergebnisse zu erstatten.

b) Zu den Befugnissen des Bundeskinderbeauftragten gehören insbesondere,

� ein (Akten)Einsichts- und Anhörungsrecht, um von den staatlichen
Behörden sämtliche für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen
Informationen zu erhalten;

� ein Amtshilferecht, um Beschwerde führende Kinder gegenüber Bun-
desbehörden, Bundesgerichten und dem UN-Kinderrechtsausschuss
bzw. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rechtlich
vertreten zu können.

c) Der Institution des Bundeskinderbeauftragten ist ein Kinder- und Jugend-
beirat mit Beratungsaufgaben zuzuordnen, dessen Mitglieder von den Mit-
gliedsorganisationen des Bundesjugendrings sowie bestehenden Schüler-
und Kinder- und Jugendräten gewählt werden.

d) Um seine Aufgabe zu erfüllen, ist der/die Bundeskinderbeauftragte mit
ausreichend Mitteln auszustatten, für die in dem jährlichen Haushaltsplan
des Bundes ein gesonderter Posten einzustellen ist;

4. in Abstimmung mit den Ländern und Kommunen auf die Einrichtung einer un-
abhängigen Struktur in Ländern und Kommunen in Form von Ombudsstellen/
Kinderbeauftragten analog des Bundeskinderbeauftragten hinzuwirken und die
Zusammenarbeit dieser Strukturen mit dem/der Bundeskinderbeauftragten zu
regeln;

5. die gesamte Rechtslage im Bund zu überprüfen und an die neuen, in der Ver-
fassung festgeschriebenen Kinderrechte anzupassen, gegenüber den Ländern
eine Anpassung der Landesgesetze und dabei ein abgestimmtes Vorgehen hin-
sichtlich der in Landeskompetenz liegenden Regelungsmaterien anzustreben;

6. in Abstimmung mit den Ländern und unter Einhaltung des Konnexitätsprinzips
für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf allen gesellschaftlichen
Ebenen die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen sowie die dafür notwen-
digen Strukturen, z. B. in der Kinder- und Jugendhilfe, im Bildungssystem, in
der öffentlichen Kindertagesbetreuung, im öffentlichen Freizeitbereich, bereit-
zustellen und den Zugang für die Kinder und Jugendlichen zu sichern;

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7. im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen dafür Sorge

zu tragen, dass die Kommunalfinanzen entsprechend gestärkt werden, so dass
die zusätzlichen Aufgaben von Ländern und Kommunen in den Bereichen, die
die Belange von Kindern und Jugendlichen betreffen, strukturell gewährleistet
werden können;

8. unter Federführung des Bundes in Abstimmung mit den Ländern und Kommu-
nen einen umfassenden Aktionsplan „Für ein kinder- und jugendgerechtes
Land“ aufzulegen, in den Kinder und Jugendliche, die Kinder- und Jugendhilfe
sowie zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden, um die Umsetzung
der Kinderrechte flächendeckend voranzutreiben und den Ausbau der lokalen
Strukturen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist die Kinder- und Ju-
gendhilfe umfassend strukturell zu stärken;

9. die Monitoringstelle für Kinderrechte zu stärken.

Berlin, den 22. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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