BT-Drucksache 18/5974

Bildungs- und Teilhabepaket - Tatsächlich anfallende Kosten des Schulbedarfs

Vom 8. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5974
18. Wahlperiode 08.09.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Franziska Brantner,
Özcan Mutlu, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer,
Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Britta Haßelmann,
Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws,
Kordula Schulz-Asche und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bildungs- und Teilhabepaket – Tatsächlich anfallende Kosten des Schulbedarfs

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über die Ermittlung der Hartz IV-
Regelsätze im Februar 2010 verpflichtete den Gesetzgeber vor allem für Kinder
eine Neuregelung zu schaffen, die dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Ge-
währung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht wird. In der Folge
führte die Schwarz-Gelbe Koalition unter Beteiligung der SPD im Bundesrat das
Bildungs- und Teilhabepaket im Rahmen des Gesetzes zur Ermittlung von Regel-
bedarfen und zur Änderungen des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz-
buch (SGB) zum 1. Januar 2011 ein. Kinder und Jugendliche aus einkommens-
schwachen Haushalten sollen hiernach Leistungen beziehen können, die eine
gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und den Zugang zu
Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich gewährleisten.

Die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket umfassen neben der Kos-
tenerstattung für Schulausflüge oder für Lernförderung auch die Auszahlung
eines Pauschalbetrages zur Deckung des persönlichen Schulbedarfes. Der vom
Gesetzgeber festgelegte Schulbedarf beträgt 100 Euro jährlich, gesplittet in zwei
Zahlungen von 70 Euro zum Schuljahresbeginn und 30 Euro zum Schulhalbjahr.

Vielfach wird das Bildungs- und Teilhabepaket wegen des erheblichen bürokra-
tischen Aufwands kritisiert. Es wird kritisiert, dass nur ein kleiner Teil der Men-
schen erreicht wird, der einen Anspruch auf Leistungen hätte und dass der
Umfang der Leistungen nicht ausreichend ist. Nun liegen erstmals repräsentativ
ermittelte Daten zu den tatsächlich anfallenden Schulbedarfen in einem Bundes-
land vor. Laut der Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangeli-
schen Kirche in Deutschland, der Diakonie in Niedersachsen und der Evange-
lisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers (www.diakonie-in-niedersachsen.de
/pages/presse/pressemeldungen/index.html) übersteigen in Niedersachsen die
tatsächlichen Kosten des Schulbedarfes die im Rahmen des Bildungs- und Teil-
habepaketes erstatteten Schulbedarfe bei weitem. Über alle Schulformen und
Jahrgänge liegt der notwendige Betrag deutlich über 200 Euro. Es gibt demnach
keinen Jahrgang, in dem die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket
ausreichend sind. Besonders groß ist die Unterdeckung bei der Einschulung und
beim Schulwechsel in die Klasse 5 mit Kosten von rund 350 Euro.

Drucksache 18/5974 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie, wann und auf welcher empirischen Grundlage wurde die Höhe der
Schulbedarfe nach dem Bildungs- und Teilhabepaket berechnet?

2. Was sind die einzelnen Posten der Schulbedarfskosten, die bei der Ermittlung
zugrunde gelegt werden? Wie hoch fallen die gesetzlich festgelegten Schul-
bedarfskosten für die einzelnen Posten jeweils aus?

3. Welche Schulbedarfe sollten nach Auffassung der Bundesregierung durch
die Leistung für die Schulbedarfe im Rahmen des Bildungs- und Teilhabe-
paketes abgedeckt werden?

4. Wann wurde die Höhe der Schulbedarfskosten das letzte Mal angepasst, und
auf welcher Grundlage? Und warum ist sie seitdem nicht mehr angepasst
worden?

5. Werden Drucker- und Kopierkosten, Internetkosten sowie Kosten für die
Anschaffung eines Computers für die Erledigung der Schularbeiten in der
Ermittlung des Schulbedarfes einbezogen? Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sind bei der Bemessung
der Schulbedarfe nach dem Bildungs- und Teilhabepaket nach Ansicht der
Bundesregierung zu berücksichtigen?

7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus, dass, wie die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD
zeigt, die tatsächlichen Kosten des Schulbedarfs in Niedersachsen in jedem
Schuljahr mit rund 200 Euro bis 400 Euro oberhalb der im Bildungs- und
Teilhabepaket vorgesehenen 100 Euro pro Schuljahr liegen?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Ergebnis der Studie, dass die tatsächlichen Schulbedarfe bei der
Einschulung und beim Schulwechsel besonders hoch sind und die Leistungs-
ansprüche um mehr als 200 Prozent übersteigen?

9. Welche sozialen Folgen erwachsen aus Sicht der Bundesregierung aus dieser
Unterdeckung der tatsächlichen Kosten für die Leistungsbeziehenden nach
dem SGB II, dem Wohngeldgesetz und dem Bundeskindergeldgesetz?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den sozialen Folgen für die Leistungsbeziehenden nach dem SGB II, dem
Wohngeldgesetz und dem Bundeskindergeldgesetz aufgrund der in der Stu-
die beschriebenen Unterdeckung?

11. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den in der Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD gezeig-
ten sehr großen Unterschieden der tatsächlich anfallenden Kosten für den
Schulbedarf in den verschiedenen Schuljahren bezüglich der Gefahr indivi-
dueller Bedarfsunterdeckungen?

12. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der in der Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD emp-
fohlenen und auch bei der Befragung von Leistungsberechtigten für den im
Juli 2015 erschienenen Zweiten Zwischenbericht „Evaluation der bundes-
weiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und
Teilhabe“ angeregten frühzeitigeren Erstattung der Schulbedarfe, um zu ver-
hindern, dass die Leistungsberechtigten in Vorleistung gehen müssen oder
nicht von Sonderangeboten profitieren können, die von Geschäften in der
Regel vor den Sommerferien angeboten werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5974

13. Sind der Bundesregierung vergleichbare Erhebungen zu anderen Bundes-
ländern bekannt?

14. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem im Zweiten Zwischenbericht „Evaluation der bundesweiten Inan-
spruchnahme und Umsetzung der Leitungen für Bildung und Teilhabe“ auf
Seite 38 beschriebenen Sachverhalt, dass über die Klassenkasse oftmals Ak-
tivitäten wie Ausflüge finanziert werden, die, weil sie über die Klassenkasse
finanziert werden, von den Leistungsberechtigten nicht separat beantragt
werden können und damit nicht erstattet werden?

15. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem im Zweiten Zwischenbericht „Evaluation der bundesweiten Inan-
spruchnahme und Umsetzung der Leitungen für Bildung und Teilhabe“ auf
Seite 37 beschriebenen Sachverhalt, nach dem nur 51 Prozent der Leistungs-
berechtigten bis unter 18 Jahren eine Erstattung der Schulbedarfe erhalten?

16. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die tatsächlichen Kosten
für Schulbedarfe bundesweit zu ermitteln?

17. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Finanzierung der
tatsächlichen Kosten für Schulbedarfe sicherzustellen?

18. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Eltern bei den Kosten
für die schulische Grundausstattung bei der Einschulung eines Kindes zu ent-
lasten?

19. Welche Schlussfolgerung und konkreten Handlungsschritte zieht die Bun-
desregierung aus der Befragung von Leistungsberechtigten für den Zweiten
Zwischenbericht „Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Um-
setzung der Leitungen für Bildung und Teilhabe“ auf Seite 38, nach der ein
Großteil der Leistungsberechtigten, mit der Pauschale die tatsächlichen
Aufwendungen für die Schulmaterialien nicht decken kann?

20. Plant die Bundesregierung, die Schulbedarfe von Kindern statt über die Aus-
zahlung eines Pauschalbetrags im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets
durch die direkte Bereitstellung von Materialien sicherzustellen? Was würde
das nach Einschätzung der Bundesregierung
a) für die derzeit Berechtigten,
b) für alle Schülerinnen und Schüler
kosten?

21. Welche konkreten Reformschritte plant die Bundesregierung anlässlich der
im nächsten Jahr anstehenden Anpassung der Regelsätze, um bei Leistungen
nach dem Bildungs- und Teilhabepaket zukünftig die tatsächlichen Bedarfe
zu ermitteln und eine bedarfsgerechte Ausgestaltung sicherzustellen?

22. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den Verwaltungsauf-
wand und den Aufwand für den Teil der Leistungsberechtigten zu reduzie-
ren, bei dem die Kostenerstattung erst bei gesonderter Beantragung von Leis-
tungen für Bildung und Teilhabe für den Schulbedarf erfolgt?

23. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Inanspruch-
nahmequote von an sich Leistungsberechtigten von Leistungen für den
Schulbedarf zu erhöhen?

24. Plant die Bundesregierung eine vollständige oder teilweise Eingliederung der
Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in den Regelsatz oder eine
vollständige oder teilweise Sicherstellung dieser Bedarfe über eine Förde-
rung der Schulen, Vereine und anderen Einrichtungen?

Wenn nein, warum jeweils nicht?

Drucksache 18/5974 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

25. Welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Chancen-
gleichheit und Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen aus einkom-
mensschwächeren Haushalten zu erhöhen?

Berlin, den 8. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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