BT-Drucksache 18/589

Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten

Vom 19. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/589
18. Wahlperiode 19.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem Jahresbeginn 2008 droht auf Grund der Regelung des § 12a des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) jährlich Zehntausenden von SGB-II-Leis-
tungsberechtigten ab 63 Jahren eine zwangsweise vorgezogene Verrentung. Leis-
tungsberechtigte, die die Voraussetzungen für eine Altersrente erfüllen, werden
systematisch von den Jobcentern aufgefordert, einen Rentenantrag zu stellen.
Sofern die betroffenen Menschen einen derartigen Antrag nicht in die Wege lei-
ten, stellen die Jobcenter selbst den Antrag auf Verrentung. Der rentenrechtliche
Grundsatz, dass ausschließlich die betroffenen Personen über ihren Antrag auf
eine vorzeitige Rente entscheiden, wird ausgehebelt. Der Wille des betroffenen
Menschen spielt keine Rolle. Daher handelt es sich um einen massiven Eingriff in
die Grundrechte der Betroffenen – um eine Zwangsverrentung.
Eine Zwangsverrentung bedeutet einen massiven Eingriff in die erworbenen sozi-
alen Rechte. Die Rentenansprüche werden massiv und dauerhaft abgesenkt, weil
für jeden Monat des vorzeitigen Renteneintritts ein Abschlag von der Rente in
Höhe von 0,3 Prozentpunkten erfolgt. Dies bedeutet aktuell (im Jahr 2014) bei
einem Renteneintritt mit Vollendung des 63. Lebensjahrs eine lebenslange Kür-
zung in der Regel von 8,7 Prozent des Rentenanspruchs. Die sozialen Kosten der
Arbeitslosigkeit im rentennahen Alter werden damit auf die betroffenen Personen
abgewälzt.
Die konkrete Höhe des Rentenanspruchs des Betroffenen spielt keinerlei Rolle
bei der Zwangsverrentung. Es wird nicht geprüft, ob der Rentenanspruch bei
vorzeitigem Renteneintritt zumindest das menschenwürdige Existenzminimum
sichert. Es wird daher nicht einmal ausgeschlossen, dass durch die Abschläge
infolge der Zwangsverrentung eine dauerhafte Fürsorgeabhängigkeit im Alter
überhaupt erst geschaffen wird. Dies ist ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in
die Grundrechte der betroffenen Menschen.
Diejenigen, die nach einer Zwangsverrentung dauerhaft auf Fürsorgeleistungen
angewiesen sind, haben weder Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II noch
– bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze – auf Leistungen der Grundsicherung
im Alter. Diese Personen sind auf die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt
nach dem SGB XII – der traditionellen Sozialhilfe – mit deutlich restriktiveren
Bedingungen angewiesen. Vermögen – auch bei Hartz IV noch geschütztes Al-
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tersvorsorgevermögen – muss nunmehr weitgehend aufgebraucht werden, bevor
überhaupt ein Leistungsanspruch entsteht. Auch erfolgt bei dieser Fürsorgeleis-
tung ein Rückgriff auf die Einkommen und Vermögen von Kindern und Eltern
(hier weniger relevant). Es ist daher zu befürchten, dass ein erheblicher Teil der
zwangsverrenteten Personen die restriktiven Voraussetzungen nicht erfüllen und
keine Fürsorgeleistungen erhalten bzw. diese gar nicht erst beantragen.
Auch unter dem Gesichtspunkt der aktuell zwischen Bund und Ländern diskutier-
ten „Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ ist die Zwangsverrentung ein Irr-
sinn. Die Anspruchsberechtigung für die Sozialhilfe muss von den Kommunen in
einer neuerlichen, eigenständigen und aufwändigen Bedürftigkeitsprüfung ermit-
telt werden. Die Kommunen tragen die administrativen und finanziellen Kosten
für die Sozialhilfe – sie sind bei der Zwangsverrentung neben den Leistungsbe-
rechtigten die Leidtragenden des unnötigen Verschiebebahnhofs. Das geschäfts-
führende Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd
Landsberg, hat sich deshalb klar für eine entsprechende Gesetzesänderung ausge-
sprochen.
Während die schwarz-rote Bundesregierung plant, für besonders langjährig Ver-
sicherte die Abschläge für einen vorzeitigen Renteneintritt ab 63 Jahren vorüber-
gehend auszusetzen, sollen Personen mit mehrjährigem SGB-II-Leistungsbezug
von dieser Regel ausgeschlossen bleiben. Für den Großteil der älteren SGB-II-
Leistungsberechtigten wird es bei der Zwangsverrentung mit massiven Abschlä-
gen bleiben. Hartz-IV-Beziehende werden von beabsichtigten Vergünstigungen
ausgeschlossen und damit ein weiteres Mal diskriminiert.
Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, die Praxis und die sozialen Auswir-
kungen der Zwangsverrentung durch Ignoranz verschleiern zu wollen. Es gibt
weder eine statistische Erhebung über die Anzahl der Aufforderungen, einen
Antrag auf vorzeitigen Renteneintritt zu stellen, noch über die Anzahl der Anträ-
ge, die die Jobcenter für die betroffenen Leistungsberechtigten stellen. Es fehlt
zudem jegliche Bereitschaft, Informationen über die sozialen Auswirkungen der
Zwangsverrentung zu erheben und transparent zu machen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

kurzfristig ein Gesetz vorzulegen, das die Verpflichtung für SGB-II-Leis-
tungsberechtigte, eine vorzeitige Rente zu beantragen, ebenso aufhebt wie die
Berechtigung der Jobcenter, unabhängig vom Willen der betroffenen Person für
diese einen Rentenantrag zu stellen.

Berlin, den 19. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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