BT-Drucksache 18/5833

Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen

Vom 19. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5833
18. Wahlperiode 19.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr. André Hahn,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring,
Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten
Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen

Ende März 2015 wurde die Bundesrepublik Deutschland erstmals vor dem UN-
Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hinsichtlich des
Stands der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) geprüft.
Der UN-Fachausschuss bekundete in seinen abschließenden Bemerkungen un-
ter anderem im Abschnitt „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (Ar-
tikel 29)“ seine Besorgnis über den in § 13 Nummer 2 und 3 des Bundeswahl-
gesetzes (BWG) und in den entsprechenden Ländergesetzen festgeschriebenen
Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen. Ebenso ist der Aus-
schuss besorgt „über die praktischen Barrieren, die Menschen mit Behinderun-
gen an der gleichberechtigten Ausübung des Wahlrechts hindern“.
Der Ausschuss empfiehlt der Bundesrepublik Deutschland, „alle Gesetze und
sonstigen Vorschriften aufzuheben, durch die Menschen mit Behinderungen das
Wahlrecht vorenthalten wird, Barrieren abzubauen und angemessene Unterstüt-
zungsmechanismen einzurichten“.
In einer Untersuchung zu diesem Thema kommt die Monitoring-Stelle zur UN-
Behindertenrechtskonvention bereits im Jahr 2011 zum identischen Ergebnis:
„Die BRK konkretisiert die bestehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen
Deutschlands und zwingt damit auch zu einer veränderten Auslegung des
Grundgesetzes. Sie gibt eine umfassende, selbstbestimmte politische Partizipa-
tion als Ziel vor und verlangt, Wahlen inklusiv auszugestalten und hierbei jeg-
liche Diskriminierung zu vermeiden. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf einige,
sondern auf alle Menschen mit Behinderungen. Ihnen ist nicht nur das Wahlrecht
als solches zu gewähren, sondern auch die Möglichkeit, dieses Recht in der Pra-
xis tatsächlich gleichberechtigt mit anderen auszuüben. In beide Richtungen be-
steht in Deutschland Handlungsbedarf.“ (Deutsches Institut für Menschen-
rechte: Gleiches Wahlrecht für alle? Menschen mit Behinderungen und das
Wahlrecht in Deutschland. Policy Paper Nr. 18, Oktober 2011).
In diesem Papier werden Empfehlungen und Maßnahmen formuliert, mit denen
die Bundesregierung die von ihr eingegangenen menschenrechtlichen Verpflich-
tungen umsetzen könnte.
Im Nationalen Aktionsplan (NAP) der Bundesregierung zur Umsetzung der
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Stand: Sep-
tember 2011, S. 86) ist dazu zu lesen: „Die Bundesregierung setzt sich dafür ein,
dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und
umfassend am politischen Leben teilhaben können. Vom Wahlrecht ausge-

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schlossen ist jedoch der- und diejenige, für den/die zur Besorgung aller Angele-
genheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin nicht nur durch einstweilige Anord-
nung bestellt ist oder der/die sich kraft gerichtlich verfügter Maßnahme der Bes-
serung und Sicherung aufgrund einer im Zustand der Schuldunfähigkeit began-
genen rechtswidrigen Tat in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet. In
einer Studie zur aktiven und passiven Beteiligung von Menschen mit Behinde-
rungen an Wahlen will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
die reale Praxis in diesem Bereich untersuchen und Handlungsempfehlungen
zur Verbesserung der Partizipation entwickeln.“.
Ein erstes Teilkonzept für die im NAP angekündigte Wahlrechtsstudie wurde am
21. Mai 2015 unter anderem Vertreterinnen und Vertretern von Gesellschaften in
den Bereichen Psychologie und Psychiatrie, der Monitoring-Stelle zur UN-Be-
hindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte e. V. und
Behindertenverbänden und des Deutschen Behindertenrates e. V. (DBR) sowie
der Behindertenbeauftragten des Bundes im BMAS vorgestellt. Der Vorschlag
wurde seitens der Interessenvertreterinnen und -vertreter der Menschen mit Be-
hinderungen empört und mit Unverständnis zurückgewiesen. Diese kritisierten
den medizinisch, Defizit-orientiert ausgerichteten Kriterienkatalog, mit dem
dann die Wahlfähigkeit beurteilt werden sollte. Als Alternative schlugen die
Verbände zwei Kerninhalte für eine Studie vor: Eine „Rechtstatsachenforschung
und Unterstützungskonzepte zur Ausübung des Wahlrechts“.
Nach dieser Kritik wurde dieses Konzept für die Wahlrechtsstudie zurückgezo-
gen. Wie diese nun ausgestaltet wird, ist unklar. Der Koordinator des DBR for-
derte: „Wir erwarten nunmehr, dass unverzüglich und ohne weitere Verzögerun-
gen die Wahlrechtseinschränkungen für behinderte Menschen im Bundeswahl-
gesetz (und Europawahlrecht sowie in den Landeswahlgesetzen) gestrichen
werden und das Wahlrecht für alle Menschen gewährleistet wird. Eine neu kon-
zipierte Studie darf nicht länger als Vorwand herhalten, die Streichung der Wahl-
rechtsausschlüsse zu verzögern.“ (Quellen: www.kobinet-nachrichten.org/de/1/
nachrichten/31763/Menschenrechte-nicht-verhandelbar.htm sowie www.isl-ev.
de/index.php?option=com_content&view=article&id=1276:gegen-apartheid-
regelungen-beim-wahlrecht&catid=90&Itemid=410&lang=de.).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Menschen sind nach Kenntnis der Bundesregierung von den Wahl-

rechtsausschlüssen gemäß § 13 Nummer 2 und gemäß § 13 Nummer 3 des
Bundeswahlgesetzes (BWG) betroffen (bitte getrennt aufführen)?

2. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Besorgnis des UN-Fachausschusses,
und was unternimmt sie, um dessen Empfehlungen bezüglich der Aufhebung
der Wahlrechtsausschlüsse auf Bundes- und Länderebene sowie bezüglich
des Abbaus von Barrieren und der Einrichtung angemessener Unterstüt-
zungsmechanismen umzusetzen?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen hat die Bundesregierung in
Zusammenarbeit mit den Ländern aus den Empfehlungen der Monitoring-
Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention gezogen, die diese im Jahr 2011
in ihrem Policy Paper Nr. 18 hinsichtlich der
a) ersatzlosen Streichung der §§ 13 Nummer 2 und 3 BWG, 6a Absatz 1

Nummer 2 und 3 EuWG (Europawahlgesetz) beziehungsweise der ent-
sprechenden landesrechtlichen Vorschriften;

b) Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen und Strukturen, einschließ-
lich der Gewährung notwendiger Unterstützung im Einzelfall, um die bis-
lang von der Wahl ausgeschlossenen Menschen zu einer selbstbestimmten
Wahl praktisch zu befähigen;

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c) rechtzeitigen (vor Ende der Wahlperiode) Durchführung der im NAP an-
gekündigten Studie zu den Barrieren, auf die Menschen mit Behinderun-
gen bei der praktischen Ausübung ihres Wahlrechts stoßen, und der recht-
zeitigen Vornahme ggf. nötiger Änderungen der Bundeswahlordnung und
Europawahlordnung, dass sie bereits bei der jeweils nächsten Wahl wir-
ken;

d) Barrierefreiheit von Wahllokalen und der ausreichenden Sicherstellung
von Assistenz, wenn der barrierefreie Zugang bei allen zumutbaren An-
strengungen nicht erreicht werden konnte, um Menschen gleich welcher
Behinderung Zugang zu gewähren;

e) verstärkten Schulung des Bundeswahlleiters und der Landeswahlleiter,
der Wahlvorstände und Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zur spezifischen
Situation von Menschen mit Behinderungen und der Hinwirkung auf ein
positives Klima der Inklusion sowie bei der Überprüfung der ordnungsge-
mäßen Durchführung einer Wahl auch der Frage nachzugehen, ob diejeni-
gen Vorschriften, die Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte
Wahlteilnahme ermöglichen sollen, gesetzeskonform angewendet worden
sind?

4. Wie wird mit dem Teilkonzept für die im NAP angekündigte Wahlrechtsstu-
die verfahren, welches von Vertreterinnen und Vertretern von Behinderten-
verbänden und des DBR kritisiert und abgelehnt wurde?
Wird ein neues Konzept für die Studie erarbeitet, und wenn ja, welche Kern-
inhalte und Kriterien werden dieser Arbeit zugrundegelegt?
Wenn nein, warum nicht?

5. Werden weitere Konzepte für diese Studie erarbeitet oder liegen bereits an-
dere Konzepte vor?
Wenn ja, welche?

6. Wann ist mit der Veröffentlichung der nächsten Konzepte für diese Studie zu
rechnen, und wann soll der Abschlussbericht vorliegen?

7. Wie wird die Bundesregierung die Partizipation von Menschen mit Behinde-
rungen und ihren Interessenverbänden an diesem Prozess sicherstellen?

8. Wird die Bundesregierung die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Be-
hinderungen unabhängig vom Verlauf und Ergebnis der Studie streichen oder
wird sie diese Studie zur Grundlage ihrer Entscheidung machen?
Wenn Letzteres, warum behält die Bundesregierung diesen Vorbehalt trotz
der unmissverständlichen Empfehlungen dazu des UN-Fachausschusses in
seinen abschließenden Bemerkungen?

Berlin, den 18. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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