BT-Drucksache 18/5753

Zur Kritik am Vergabeverfahren der Unabhängigen Patientenberatung

Vom 5. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5753
18. Wahlperiode 05.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Karin Binder,
Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, Dr. Kirsten Tackmann, Harald Weinberg,
Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Kritik am Vergabeverfahren der Unabhängigen Patientenberatung

In einem Brief an den Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, kritisie-
ren Mitglieder des Beirats der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands
(UPD) aus Wissenschaft und Patientenvertretung viele Punkte des Vergabever-
fahrens der Mittel für die Durchführung der Unabhängigen Verbraucher- und
Patientenberatung in Deutschland nach § 65b des Fünften Buches Sozialgesetz-
buch – SGB V (www.dag-shg.de/data/Andere/2015/UPD-Beirat-Offener-Brief-
Groehe.pdf). Die vier Professorinnen und Professoren legen dar, dass nach ihrer
Ansicht die Vergabe an das Call-Center-Unternehmen Sanvartis GmbH eine
Fehlentscheidung gewesen sei. So sei dessen Präsentation „sowohl fachlich
inakzeptabel als auch in ihrer quantitativen Darstellung weder substanziell be-
legt noch plausibel erläutert. Zudem musste bereits zu diesem Zeitpunkt wegen
diverser Interessenkollisionen die Frage der Unabhängigkeit und Neutralität sei-
tens der gewerblichen Anbieter klar verneint werden.“
Bereits am 10. Juli 2015 zeigten sich die Beiratsmitglieder in einer Pressemit-
teilung „entsetzt über die uns völlig unverständliche Entscheidung, die erfolg-
reiche Arbeit der UPD zu beenden“ (www.rps.paritaet.org/index.php?id=630
&no_cache=1&size=normal&tx_ttnews%5Btt_news%5-D=10493&tx_ttnews
%5BbackPid%5D=630).
Die Bundesregierung ist über den Patientenbeauftragten und Pflegebevollmäch-
tigten, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, als Vorsitzenden und über weitere
Mitglieder im Beirat der UPD an dem Verfahren maßgeblich beteiligt. Der
Staatssekretär Karl-Josef Laumann schreibt auf seiner eigenen Website: „Bei der
Unabhängigkeit der Patientenberatung dürfen unter keinen Umständen Ab-
striche gemacht werden. Daher habe ich meine Zustimmung jederzeit davon
abhängig gemacht, dass Neutralität und Unabhängigkeit sowie ein hohes Maß an
Qualität, Regionalität und Bürgernähe gewährleistet sind.“ (www.karl-josef-
laumann.de/index.php?option=com_content&view=artic-le&id=1627:
ausschreibung-der-unabhaengigen-patientenberatung-kurz-vor-dem-abschluss
&catid=1:presse&Itemid=15). Die Patientenberatung wird seit ihrem Bestehen
durch einen Verbund gemeinnütziger Organisationen und Einrichtungen getra-
gen (Sozialverbände, Verbraucherzentralen, Patientenberatungsstellen). In der
Vergangenheit hatte die UPD auf Grundlage der Patientenbeschwerden auch
Kritik an gesetzlichen Krankenkassen geübt. Würde die UPD ihre Arbeit einstel-
len müssen, hätte dies auch eine Schwächung der beteiligten nichtkommerziel-
len Organisationen sowie der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesaus-
schuss zur Folge.

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Wenn die Angaben der Beiratsmitglieder auch nur teilweise zutreffen, ist die
vom GKV-Spitzenverband im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten der
Bundesregierung beschlossene Vergabe nicht haltbar. Inzwischen wurde eine
Online-Petition gegen die Entscheidung von GKV-Spitzenverband und dem
Patientenbeauftragten gestartet (www.change.org/p/unabh%C3%A4ngigkeit-
der-patientenberatung-in-gefahr-bewahren-sie-die-unabh%C3%A4ngigkeit-
der-upd).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Qualität der geleisteten Arbeit der

UPD seit ihrem Bestehen?
2. Welche Ergebnisse bezüglich der Qualität hat die externe Evaluation der

UPD durch das beauftragte Institut für Gesundheits- und Sozialforschung
(IGES) erbracht?

3. Inwiefern hat sich der Patientenbeauftragte und Pflegebevollmächtigte der
Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, bei der Neuvergabe
der Mittel für die Durchführung der Unabhängigen Verbraucher- und
Patientenberatung in Deutschland nach § 65b SGB V dafür eingesetzt, dass
die Erhöhung der Mittel überwiegend in die Telefonberatung fließen soll?

4. Inwiefern kann die Bundesregierung, die über den Patientenbeauftragten
und Pflegebevollmächtigten und über weitere Mitglieder im Beirat der UPD
an der Neuvergabe der Mittel für die Durchführung der Unabhängigen Ver-
braucher- und Patientenberatung in Deutschland nach § 65b SGB V maß-
geblich beteiligt ist, bestätigen, dass die wissenschaftlichen Mitglieder des
Beirats erhebliche Bedenken dagegen geäußert haben, die Erhöhung der
Mittel nicht zum Ausbau der Beratungsstellen vor Ort einzusetzen, sondern
überwiegend in die Telefonberatung fließen zu lassen?

5. Welche Position haben die Bundesregierung (vertreten durch ihre Mitglie-
der im Beirat der UPD) sowie der Patientenbeauftragte und Pflegebevoll-
mächtigte der Bundesregierung bezüglich der Gewichtung des Anforde-
rungskriteriums „Unabhängigkeit und Neutralität“, das die zukünftigen Be-
treiber zu wahren haben, eingenommen?

6. Inwiefern stimmt die Bundesregierung mit der Feststellung der Beiratsmit-
glieder überein, der zufolge die „Unabhängigkeit und Neutralität“ die zen-
tralen Anforderungen für den künftigen Betreiber der Patientenberatung
darstellen?

7. Inwiefern stimmt es, dass die Forderung aus dem Beirat, dieses Kriterium
müsse mit mindestens 50 Prozent in eine Gesamtbewertung einfließen, zu-
rückgewiesen wurde, und nach Protest lediglich eine Erhöhung der initial
festgelegten 10 Prozent auf 15 Prozent der gesamten Bewertung erfolgte?

8. Wie positionierte sich in dieser Frage der Patientenbeauftragte als Vorsit-
zender des Beirats?

9. Wie positionierten sich die weiteren Vertreterinnen und Vertreter der Bun-
desregierung (Bundesministerium für Gesundheit – BMG, Bundesministe-
rium für Ernährung und Landwirtschaft – BMEL, Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz – BMJV) in der Frage der geforderten Er-
höhung des Kriteriums?

10. Inwieweit hält die Bundesregierung die Bewertung des Kriteriums der Un-
abhängigkeit und Neutralität mit 15 Prozent für ausreichend?

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11. Inwiefern ist es nach Kenntnis der Bundesregierung richtig, dass die Mit-
glieder des Beirats bereits nach der Bieterpräsentation Ende März 2015 die
Ausführungen der gewerblichen Bieter als sowohl fachlich inakzeptabel als
auch in deren quantitativen Darstellung weder substanziell belegt noch
plausibel erläutert einstuft?
Um welche Vorbehalte hat es sich dabei im Einzelnen gehandelt?
Inwieweit wurden die hier vorgebrachten Vorbehalte in der weiteren Bera-
tung berücksichtigt?

12. An welchen Sitzungen des Beirats seit der Ausschreibung haben die ge-
setzlich vorgeschriebenen Vertreterinnen und Vertreter des BMG und des
BMJV teilgenommen, und an welchen nicht?
Aus welchen Gründen haben die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesre-
gierung jeweils nicht teilgenommen?

13. Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass die wissenschaftlichen
Mitglieder des Beirats bereits im März 2015 wegen Interessenkollisionen
die Frage der Unabhängigkeit und Neutralität der Firma Sanvartis GmbH
verneinten?

14. Wie erfolgte die weitere Aushandlung mit den Bietern?
Wurden die Mitglieder des Beirats aus Wissenschaft und Patientenorganisa-
tionen an den weiteren Verhandlungen beteiligt, und wenn nein, warum
nicht?

15. An welchen Sitzungen des Beirats, bei denen es auch um die Ausschreibung
ging, haben jeweils Vertreterinnen und Vertreter des BMG und bzw. oder
des BMEL bzw. BMJV teilgenommen?

16. Inwiefern kann die Bundesregierung Angaben aus einem Brief der wissen-
schaftlichen Mitglieder des Beirats der UPD vom 15. Juli 2015 bestätigen
oder dementieren, demzufolge die schließlich am 15. Juni 2015 statt-
gefundene Sitzung des Beirats, auf der der Patientenbeauftragte und Pflege-
bevollmächtigte Karl-Josef Laumann die geplante Vergabe an einen ge-
werblichen Bieter verkündete, drei Mal terminlich verlegt wurde?

17. Wie wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die Nachfragen hinsicht-
lich der Bedenken, die aus dem Beirat im März 2015 vorgetragen worden
waren, von den mit der Vergabeentscheidung befassten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des GKV-Spitzenverbandes beantwortet?

18. Stimmt es, dass die Nachfragen überwiegend mit Hinweis auf formale Be-
zugspunkte zurückgewiesen wurden?

19. Kann die Bundesregierung die Aussage aus dem Brief der wissenschaftli-
chen Mitglieder im UPD-Beirat an das BMG vom 15. Juli 2015 bestätigen
oder dementieren, dass deren Nachfragen teilweise mit unklaren, zum Teil
widersprüchlichen und zum Teil, wie sich später herausgestellt habe,
unrichtigen Angaben beantwortet worden sind?

20. Aus welchem Grund ist nach Kenntnis der Bundesregierung eine weitere
Beiratssitzung für den 29. Juni 2015 angesetzt worden?

21. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass „der eindringliche Hinweis des
Beirats, dass der im § 65b SGB V gesetzlich geregelte Beratungsauftrag des
Beirats bei der Vergabe damit unterlaufen wird“ (vgl. Brief der wissen-
schaftlichen Mitglieder im UPD-Beirat an das BMG vom 15. Juli 2015) zu
der Ansetzung einer neuen Beiratssitzung führte?

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22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über ein Schreiben vom
16. Juni 2015, worin angemahnt wurde, dem Beirat die finalen Angebote
der Bieter zur weiteren Beratung zur Kenntnis zu geben?
Kann die Bundesregierung bestätigen oder dementieren, dass dies mit
Schreiben vom 18. Juni 2015 durch den GKV-Spitzenverband zurückgewie-
sen wurde?

23. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass ausschließlich eine
Einsichtnahme in die Beratungsunterlagen in den Räumen des GKV-Spit-
zenverbandes in Aussicht gestellt wurde, und trifft es nach Kenntnis der
Bundesregierung darüber hinaus zu, dass einem Mitglied des Beirats trotz
Voranmeldung am 19. Juni 2015 dies unter Verweis auf die Krankheit der
zuständigen Mitarbeiterin verwehrt wurde, so dass der Beirat erst während
der Sitzung am 29. Juni 2015 Gelegenheit zur Einsicht der mehrere hundert
Seiten umfassenden Angebote der Bieter bekam?

24. Wann hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung die Mitglieder des
Beirats zum ersten Mal darüber informiert, dass die Bewerbung der Sanvar-
tis GmbH favorisiert wurde?

25. Trifft es zu, dass die finalen Angebote dem Beirat nicht zur weitergehenden
Lektüre überlassen wurden?

26. Wie viele Seiten umfassten die Angebote, insbesondere das favorisierte An-
gebot der Sanvartis GmbH?

27. Kann die Bundesregierung die Angaben der wissenschaftlichen Mitglieder
des Beirats der ZIPD dementieren oder bestätigen, dass beispielsweise bei
Angaben zum Budget des vom GKV-Spitzenverband und dem Patienten-
beauftragten und Pflegebevollmächtigten favorisierten Bieters nicht nur
– wie zuvor in den Informationen an den Beirat mündlich erklärt – wenige,
sondern vielmehr umfassende und substanzielle Änderungen in den Ge-
boten erfolgt waren?

28. Stimmen nach Kenntnis der Bundesregierung Angaben der wissenschaftli-
chen Mitglieder des Beirats der UPD, dass deren „Nachfragen und Vorbe-
halte von Seiten des GKV-Spitzenverbands umstandslos abgewehrt“ wur-
den und auch die von Beiratsmitgliedern schriftlich eingereichten Bedenken
(Schreiben vom 6. und 9. Juli 2015) „weder Würdigung noch Berücksichti-
gung“ fanden?

29. Welche Nachfragen und Vorbehalte haben die Mitglieder des Beirats in
ihren Schreiben vom 6. und 9. Juli 2015 geäußert?
Inwiefern fanden diese Fragen und Vorbehalte in der Entscheidungsfindung
Berücksichtigung?

30. Inwiefern waren die Bundesregierung bzw. deren Patientenbeauftragter und
Pflegebevollmächtigter über grundsätzliche sowie konkrete Bedenken der
Beiratsmitglieder in der Entscheidungsphase informiert, und inwiefern hat
der Patientenbeauftragte und Pflegebevollmächtigte als Vorsitzender des
Beirats sowie Mitentscheider im Vergabeverfahren die Zurückweisung die-
ser Bedenken begründet?

31. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Kritik der wissenschaftlichen
Mitglieder des Beirats der UPD zu, dass der Beirat nicht in der vom Gesetz-
geber vorgesehenen Form beteiligt wurde und insofern ein Verfahrensfehler
vorliegt?

32. Welche Folgen haben derartige mögliche Verfahrensfehler in einem Ver-
gabeverfahren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5753
33. Inwieweit wurden die von den Beiratsmitgliedern geäußerten Vorbehalte
durch die Vergabestelle nach Kenntnis der Bundesregierung berücksichtigt
und gewürdigt, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

34. Inwiefern musste bei der Ausschreibung nach den gesetzlichen Vorgaben
das kartellrechtliche Vergaberecht Anwendung finden?
a) Inwiefern handelt es sich bei dem GKV-Spitzenverband um einen öffent-

lichen Auftraggeber?
b) Inwiefern handelt es sich bei dem gesetzlichen Auftrag nach § 65b

SGB V um einen öffentlichen Auftrag?
c) Welche Regelungen hätten zur Anwendung kommen müssen, wenn

keine kartellrechtliche Ausschreibung gefordert ist?
d) Inwiefern wäre auch eine sozialrechtliche Ausschreibung rechtmäßig ge-

wesen?
e) Inwiefern wäre entsprechend der Ausnahmeregelungen der Europä-

ischen Dienstleistungsrichtlinie eine nichtkartellrechtliche Ausschrei-
bung möglich bzw. geboten gewesen?

f) Inwiefern spricht das Einflussnahmeverbot von Seiten des GKV-Spitzen-
verbands gegen die Zulässigkeit einer Anwendung des Kartellrechts?

g) Inwiefern durfte bei der Ausschreibung nach den gesetzlichen Vorgaben
das kartellrechtliche Vergaberecht überhaupt Anwendung finden?

35. Inwiefern hätte die Verlängerung oder Neuvergabe der unabhängigen Pa-
tienten- und Verbraucherberatung nach § 65b SGB V auch ohne Ausschrei-
bung erfolgen dürfen?

36. Welche weiteren Alternativen für die Auswahl des Fördermittelempfängers
kommen nach Ansicht der Bundesregierung in Betracht?

Berlin, den 5. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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