BT-Drucksache 18/5566

Sicherstellung der Unabhängigkeit von Einrichtungen der Patientenberatung

Vom 8. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5566
18. Wahlperiode 08.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Inge Höger, Katja Kipping, Caren Lay,
Ralph Lenkert, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Sicherstellung der Unabhängigkeit von Einrichtungen der Patientenberatung

Die Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung ge-
mäß § 65b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) über Finanzmittel der
Krankenkassen ging bislang über fünf Jahre und wurde bis Ende 2015 an die
Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) gemeinnützige GmbH,
eine Bietergemeinschaft aus gemeinnützigen Organisationen (Sozialverband
VdK Deutschland e. V., Bundesverband Verbraucherzentralen und Verbraucher-
verbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. sowie ein Verbund aus
Sozialverband Deutschland e. V., BundesArbeitsGemeinschaft der Patienten-
stellen und -Initiativen u. a.) vergeben. Ab dem Jahr 2016 wird die Laufzeit auf
sieben Jahre erhöht. Patientinnen und Patienten sollen über diese Einrichtungen
in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen qualitätsgesichert und
kostenfrei informiert und beraten werden. Ziel ist, die Patientenorientierung im
Gesundheitswesen zu stärken und Problemlagen im Gesundheitssystem aufzu-
zeigen.
Nach Presseinformationen (vgl. z. B. Neue Westfälische vom 29. Juni 2015) soll
die Firma Sanvartis GmbH, die in Duisburg ein Callcenter betreibt, den Zu-
schlag für die Fortführung der Patientenberatung ab dem Jahr 2016 erhalten. Da
sich diese Firma bislang nicht zuletzt über Aufträge von Krankenkassen und
Pharmakonzernen finanziert, wird laut diesen Medienberichten deren Unab-
hängigkeit bei der Beratung von Patientinnen und Patienten in Zweifel gezogen.
Auf der Homepage des Unternehmens ist nachzulesen, dass jede bzw. jeder
dritte Versicherte, die bzw. der bei ihrer bzw. seiner Krankenkasse anruft, im
Callcenter von Sanvartis landet (vgl. www.sanvartis.de/fileadmin/downloads/
Heidenblut_Sanvartis_final.pdf). Auch Ärzte- und Zahnärzteorganisationen
warnen vor einer solchen Entscheidung und fordern insbesondere den Patienten-
beauftragten der Bundesregierung auf, eine offensichtlich beabsichtigte Ver-
gabeentscheidung an eine Callcenter-Firma, die auch für Krankenkassen tätig
ist, zu revidieren (vgl. www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/pm15/150630_
Patientenberatung.pdf).
Viele Patientinnen und Patienten wenden sich nämlich nicht nur dann an Bera-
tungseinrichtungen, wenn sie Probleme bei der ärztlichen Behandlung oder mit
anderen Dienstleistern haben, sondern auch häufig bei Streitfällen mit Kranken-
kassen, Entscheidungen bei der Auswahl der Krankenversicherung und in ähn-
lichen Fällen. Daher ist es für die Ratsuchenden wichtig, darauf vertrauen zu
können, dass die Beratung wirklich völlig unabhängig erfolgt.

Drucksache 18/5566 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die derzeitige Beratung durch die UPD erfolgt nicht über ein Callcenter. Es gibt
zwar eine bundesweite kostenlose Beratungstelefonnummer, doch wird von dort
nach einem zentral organisierten Verteilschlüssel zu den Beraterinnen und Bera-
tern in den 21 regionalen Beratungsstellen durchgestellt. Die Hälfte der Rat-
suchenden wendet sich laut Selbstdarstellung ohnehin gezielt an die nächst-
gelegene Beratungsstelle, ein Drittel davon nutzt die direkte Beratung und das
persönliche Gespräch, da neben einer allgemeinen Beratung auch oft weitere
Unterstützung vor Ort zur Lösung ihrer Probleme gesucht würde (vgl.
www.patientenberatung.de). Mit 21 Zweigstellen ist eine Beratungsstelle der
UPD für schätzungsweise mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung in
weniger als einer Stunde erreichbar.
Zudem wird die Unabhängigkeit der UPD dadurch gewährleistet, dass ihre drei
Gesellschafter direkt oder indirekt zu jenen Organisationen zählen, die in
Deutschland maßgeblich für die Wahrnehmung der Interessen von Patientinnen
und Patienten (nach den §§ 140f und 140g SGB V) sind und in der Patientenbe-
teiligungsverordnung als unabhängig und neutral ausgewiesen sind. Die Ein-
nahme der Patientensicht ist daher für die rund 70 ausgebildeten Fachkräfte mit
Hochschulabschluss und einschlägiger Berufserfahrung, die für die UPD als Be-
raterinnen und Berater tätig sind, selbstverständlich.
Diesen Vorteilen der UPD steht das Versprechen von Sanvartis gegenüber, rund
um die Uhr und nicht nur von 10 bis 18 Uhr (donnerstags bis 20 Uhr) erreichbar
zu sein. Durch die ab dem Jahr 2016 erfolgende deutliche Erhöhung der Förder-
mittel könnte jedoch auch im Rahmen der derzeitigen Strukturen der UPD ein
Ausbau erfolgen.
Laut Gesetz erfolgen die Vorbereitung der Vergabe der Fördermittel und die Ent-
scheidung darüber durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-
Spitzenverband) im Einvernehmen mit der oder dem Beauftragten der Bundes-
regierung für die Belange der Patientinnen und Patienten. Diese haben sich bei
der Vergabe und während der Förderphase durch einen Beirat beraten zu lassen,
der unter der Leitung der oder des Beauftragten der Bundesregierung für die Be-
lange der Patientinnen und Patienten mindestens zweimal jährlich tagt. Dem
Beirat gehören auch Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaften und Pa-
tientenorganisationen, zwei Vertreterinnen oder Vertreter des Bundesministe-
riums für Gesundheit und eine Vertreterin oder ein Vertreter des Bundesministe-
riums der Justiz und für Verbraucherschutz an.
Zwar darf der GKV-Spitzenverband laut Gesetz auf den Inhalt oder den Umfang
der Beratungstätigkeit keinen Einfluss nehmen. Falls aber ein Unternehmen, das
im Auftrag von Krankenkassen arbeitet, den Zuschlag erhält, wäre nicht auszu-
schließen, dass deren Geschäftsinteressen in die Beratungsinhalte hineinfließen
könnten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung Presseberichte wahrheits-

gemäß, denen zufolge das Unternehmen Sanvartis GmbH aus Duisburg die
Fördermittel für die unabhängige Patientenberatung ab dem Jahr 2016 über-
tragen bekommen wird?
Falls nein, ging der Zuschlag an eine Tochterfirma von Sanvartis?

2. Wann fiel die Entscheidung über die Vergabe, bzw. falls noch nicht erfolgt,
wann wird sie fallen, und wann wird sie öffentlich verkündet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5566
3. a) Welche Haltung hatte bzw. hat der Beauftragte der Bundesregierung für
die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für
Pflege in dem Auswahlverfahren?

b) Stimmen Medienberichte, denen zufolge der Patientenbeauftragte, Staats-
sekretär Karl-Josef Laumann, geäußert haben soll, „[i]ch werde meine
Zustimmung nur geben, wenn die Unabhängigkeit sowie ein hohes Maß
an Qualität, Regionalität und Bürgernähe gewährleistet sind“ (vgl.
www.all-in.de/nachrichten/deutschland_welt/politik/Aerztepraesident-
Groehe-muss-Unabhaengigkeit-der-Patientenberatung-sichern;art
15808,2000739)?

c) Wie ist in diesem Zusammenhang nach Ansicht der Bundesregierung da-
bei Qualität nachzuweisen?

d) Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung Regionalität nachzuweisen?
e) Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung Bürgernähe nachzuweisen?
f) Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung Unabhängigkeit nachzuwei-

sen?
g) Um welche Form der Unabhängigkeit (rechtliche, finanzielle, wirtschaft-

liche, personelle etc.) sollte es sich dabei handeln?
4. Inwiefern sieht die Bundesregierung ein immanentes Problem darin, dass

die Patientenberatung einerseits gesetzlich auch dafür gedacht ist, „Pro-
blemlagen im Gesundheitssystem aufzuzeigen“ (vgl. § 65b SGB V), der
Zuschlag andererseits aber durch den GKV-Spitzenverband und einem
Vertreter der Bundesregierung erteilt wird, die diese Problemlagen direkt
betreffen können oder die diese Problemlagen der Ratsuchenden hervorge-
rufen haben können?

5. Welche Rolle spielt der Beirat, und in welchem Stadium wird er wie einge-
schaltet?

6. Wann hat der Beirat den Vergabeausschuss beraten?
7. Welche Position haben die Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaften

und Patientenorganisationen im Beirat vertreten?
8. Gab es Kritik an dem Ausschreibungsverfahren?

Wenn ja, von wem, und wie wurde diese begründet?
9. Welche Rolle spielen für den Patientenbeauftragten der Bundesregierung

die möglichen Auswirkungen der Vergabeentscheidung auf bestehende Be-
ratungsstrukturen der Patientenorganisationen und Sozialverbände?

10. Inwiefern ist die Qualitätssicherung, die während des Pilotprojekts evaluiert
wurde, auf neuartige Strukturen übertragbar?

11. Welche Rolle spielen nach Kenntnis der Bundesregierung Fragen und Be-
schwerden über Krankenkassen und den GKV-Leistungskatalog bei der
Tätigkeit der UPD (bitte wenn möglich mit Zahlen unterlegen)?

12. Inwiefern hält die Bundesregierung es grundsätzlich für sachgerecht, dass
eine Institution eine Ausschreibung durchführt, deren Gewinner vom Aus-
schreibenden gesetzlich unabhängig sein soll?

13. Inwiefern werden die Entscheidungsgründe für die Auswahl und die Unter-
schiede bei den Bewerbungen im Nachhinein transparent gemacht?

14. Welche Lösungsmechanismen gibt es nach Ansicht der Bundesregierung,
wenn sich der GKV-Spitzenverband und der Patientenbeauftragte nicht auf
den Zuschlag für eine Bewerbung einigen können?

Drucksache 18/5566 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Sieht die Bundesregierung einen grundsätzlichen Unterschied zwischen ei-
nem kommerziellen und einem gemeinnützigen Anbieter von Beratungs-
leistungen für Versicherte und Patientinnen und Patienten?

16. Inwiefern sieht die Bundesregierung einen Interessenkonflikt beim GKV-
Spitzenverband, dem es einerseits verboten ist, Einfluss auf die Patienten-
beratung zu nehmen, und der andererseits durch die Zuschlagserteilung die
Möglichkeit hat, eine bestimmte Arbeitsweise zu präferieren?

17. Inwiefern steht es der Bundesregierung frei, eine unbefristete Beauftragung
für die Beratung von Versicherten und Patientinnen und Patienten durch
Änderung von § 65b SGB V zu ermöglichen?

18. Erwägt die Bundesregierung eine Gesetzesänderung, um den Kreis derjeni-
gen, die sich um die Fördermittel nach § 65b SGB V bewerben können, ein-
zuschränken?

19. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung, die
belegen könnten, dass der mit der regelmäßigen Ausschreibung verbundene
Wettbewerb trotz der damit verbundenen personellen Diskontinuität bei den
Beraterinnen und Beratern zu einer höheren Qualität der Patientenberatung
führen würde als eine kontinuierliche Förderung?

20. Inwieweit hält die Bundesregierung die bisherige Dokumentation der UPD
für sachgerecht (Monitor Patientenberatung, verschiedenen Jahrgänge)?
Ist der neue Anbieter verpflichtet, diese bereits bestehende Dokumentation
inhaltsgleich fortzuführen?

21. Wie viel haben die Pilotphase der UPD und deren Evaluierung gekostet?
22. Welche bisherigen Einnahmequellen und Auftraggeber von Sanvartis sind

der Bundesregierung bekannt?
23. Wieviel Prozent derjenigen, die sich per Telefon an ihre Krankenkasse wen-

den, gelangen nach Erkenntnissen der Bundesregierung zu Sanvartis?
24. a) Hat die Bundesregierung, die ja mit dem Patientenbeauftragten im Ver-

gabeausschuss sitzt und zudem zwei Vertreterinnen und Vertreter in den
Beirat entsendet, Einblick in Unterlagen, wie sich die Firma Sanvartis
bzw. eine Tochterfirma, die sich um die Fördermittel beworben hat und
den Zuschlag erhalten könnte, ab dem 1. Januar 2016 fachlich qualifi-
ziertes Personal beschaffen möchte?

b) Würde es sich teilweise auch um Beschäftigte handeln, die bislang schon
bei Sanvartis Beratungen für Krankenkassen oder Pharmakonzerne
durchführen?

c) Würde es sich den Unterlagen zufolge um Neueinstellungen handeln, die
noch keine ausreichenden Qualifikationen und Erfahrungen aus dem Be-
reich der Patientenberatung aufweisen können?

d) Wird Sanvartis bzw. eine Tochterfirma, die sich um die Fördermittel be-
worben hat und den Zuschlag erhalten könnte, wie bei der bisherigen
UPD einen Hochschulabschluss, Qualifikationen und Schulungen zur
Bedingung machen?

25. Ist den Bewerbungsunterlagen von Sanvartis (bzw. einer Tochterfirma, die
sich um die Fördermittel beworben hat und den Zuschlag erhalten könnte)
zufolge auch der Aufbau eines flächendeckenden Angebots von Beratungs-
stellen mit persönlichen und telefonischen Sprechzeiten vorgesehen?
Wenn nein, wie können Ratsuchende, die das direkte Gespräch suchen und
auch zusammen mit der Beraterin bzw. dem Berater in Unterlagen Einsicht
nehmen wollen, dies bewerkstelligen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5566
26. Falls nicht Sanvartis, sondern eine Tochterfirma an dem Ausschreibungs-
verfahren um die Fördermittel für die Patientenberatung teilgenommen hat,
ist der Bundesregierung bekannt, seit wann es diese Tochterfirma gibt und
in welcher Rechtsform diese tätig ist?

27. Welche weiteren Auftraggeber hat diese Firma nach Erkenntnissen der Bun-
desregierung?

28. Welche fachlichen Qualifikationen dieser Tochterfirma sind der Bundesre-
gierung bekannt?

29. Wer sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Gesellschafter und Ge-
schäftsführer der Sanvartis GmbH und ihrer Tochterfirmen (bitte jeweils
nach Geschäftsanteilen aufschlüsseln)?
Wie hoch ist das haftende Stammkapital?
Was ist der Geschäftszweck der Sanvartis GmbH sowie deren Tochterunter-
nehmen?

Berlin, den 7. Juli 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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