BT-Drucksache 18/5452

Korruption im Gesundheitswesen effektiv bekämpfen

Vom 2. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5452
18. Wahlperiode 02.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W.
Birkwald, Katja Kipping, Katrin Kunert, Azize Tank, Harald Weinberg, Birgit
Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Korruption im Gesundheitswesen effektiv bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Patientinnen und Patienten müssen darauf vertrauen können, dass die Leistungen im
Gesundheitswesen zuallererst ihrem Wohl dienen. Dieses Vertrauen wird beschä-
digt, wenn der Eindruck entsteht, dass die Interessen Dritter bedient werden oder die
persönliche Bereicherung der Behandelnden im Mittelpunkt stehen. Zusätzlich kann
die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) durch die Wahl einer unnötig teuren
Methode oder Produkts geschädigt werden. Beide Güter sind besonders schützens-
wert und rechtfertigen eine spezielle Strafnorm, die Angehörige von Heilberufen in
ihrer fachlichen Unabhängigkeit stärkt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 29. März 2012, dass die geltenden
Straftatbestände gegen Korruption (§ 299 und §§ 331 ff. des Strafgesetzbuches) nicht
anwendbar sind, wenn Pharmaunternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Ver-
ordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens anbieten bzw. Vertragsärztinnen
und -ärzte diese annehmen. Allerdings sah der BGH die „grundsätzliche Berechti-
gung des Anliegens, Missständen, die - allem Anschein nach - gravierende finanzi-
elle Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge haben, mit Mitteln des Straf-
rechts effektiv entgegenzutreten“ und appellierte an den Bundestag, die Strafwür-
digkeit zu prüfen. Der BGH-Beschluss führte zur Einstellung von tausenden Ermitt-
lungsverfahren wegen Bestechlichkeit gegen niedergelassene Vertragsärztinnen und
-ärzte und wegen Bestechung gegen Pharmareferentinnen und -referenten.

Die therapeutischen und diagnostischen Leistungen werden im deutschen Gesund-
heitswesen fast ausschließlich durch Ärztinnen und Ärzte erbracht oder verordnet.
Diese Position und die großen Geldsummen, die damit verausgabt werden, macht
die besonders interessant für verschiedene Akteure, die im eigenen Interesse Vorteile
anbieten. Auf der anderen Seite kann diese Position aber auch dazu missbraucht wer-
den, etwa für Überweisungen oder Verordnungen geldwerte Vorteile einzufordern.
Beides ist nach Berufs- oder Sozialrecht bereits verboten, allerdings sind diese Re-
gelungen nicht ausreichend wirksam und können es teils auch nicht sein (siehe Be-
gründung). Expertinnen und Experten schätzen den Schaden durch Korruption für
das deutsche Gesundheitssystem auf jährlich 5 bis 17 Milliarden Euro.

Korruptionsbekämpfung lebt maßgeblich von Hinweisgeberinnen und Hinweisge-
bern (Whistleblower). Doch noch immer müssen diese häufig große persönliche

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Nachteile in Kauf nehmen, wenn sie etwa Behörden auf Korruption aufmerksam
machen. Einen umfassenden Whistleblower-Schutz hat die Fraktion DIE LINKE. im
Bundestag zuletzt im Oktober 2014 beantragt (Bundestagsdrucksache 18/3043).

Der BGH-Beschluss sollte zum Anlass genommen werden, die fachliche Unabhän-
gigkeit von Heilberufen als hohes Gut zu definieren und entsprechend zu schützen.
Als Heilberufe werden hier Berufe verstanden, die für die Berufsausübung oder die
Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordern. Ähn-
lich wie die Strafbarkeit des Parteiverrats bei Rechtsbeiständen wird die Regelung
zum Vertrauen in die Angehörigen der Heilberufe beitragen und insbesondere das
Arzt-Patienten-Verhältnis stärken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der korruptives Verhalten im Gesundheitswe-
sen zum Schutz der Patientinnen und Patienten und der gesetzlichen Kranken-
kassen unter Strafe stellt oder in weniger schweren Fällen als Ordnungswidrig-
keit ahndet und insbesondere Folgendes gewährleistet:
a. Angehörige eines Heilberufs, die für die berufliche Tätigkeit einen mehr

als geringfügigen ungerechtfertigten Vorteil annehmen, fordern oder sich
versprechen lassen, verhalten sich strafbar bzw. ordnungswidrig. Ebenso
strafbar bzw. ordnungswidrig verhält sich, wer einen solchen Vorteil an-
bietet, verspricht oder gewährt. Bei Schwerstkranken und deren Angehöri-
gen soll das Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Vorteilen als min-
derschwerer Fall gewertet werden. Von dem neuen Straf- bzw. Ordnungs-
widrigkeitentatbestand werden sowohl materielle als auch immaterielle
Vorteile umfasst. Es ist für die Anwendung nicht erforderlich, einen einge-
tretenen Schaden oder eine bestimmte pflichtwidrige Handlung nachzu-
weisen (abstraktes Gefährdungsdelikt). Ist jedoch durch Bestechung ein
Schaden für Patientinnen und Patienten oder die Krankenkasse entstanden
oder liegt ein systematisches Vorgehen etwa zu Marketingzwecken vor,
sollte in jedem Fall das Strafrecht Anwendung finden. Es wird klargestellt,
dass die Norm zuvorderst dem Schutz der Gesundheit von Patientinnen und
Patienten und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversiche-
rung dient.

b. Für Tätigkeiten außerhalb der Leistungserbringung an der Patientin bzw.
dem Patienten, wie etwa Fachvorträge oder Gutachten, mit deren Honorie-
rung Einfluss auf das Leistungsgeschehen im Gesundheitswesen genom-
men wird, dürfen Vorteile nur in einem angemessenen Rahmen gewährt
werden, sodass daraus kein Umgehungstatbestand entsteht.

c. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass nicht vor allem Angestellte oder Beauf-
tragte, sondern die Verantwortlichen der sie beauftragenden Unternehmen
zur Verantwortung gezogen werden. Mittelfristig ist diese Regelung in ein
Gesetz für eine Unternehmenshaftung einzubetten, das mindestens geeig-
net ist, Korruptionshandlungen im Auftrag von Unternehmen wirksam zu
bekämpfen;

2. die Berichtspflichten in den §§ 81a und 197a SGB V dahingehend zu konkreti-
sieren, dass aussagefähige Daten über das Ausmaß von Korruption im Gesund-
heitswesen erhoben werden. Diese Daten sollen zeitnah zusammen mit einer
Zusammenfassung eingeführter oder geplanter Maßnahmen zur Bekämpfung
dieser Missstände dem Bundestag vorgelegt werden;

3. bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass flächendeckend besondere Schwer-
punkt-Staatsanwaltschaften eingerichtet werden;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5452
4. einen Gesetzentwurf zum umfassenden Schutz und zur Förderung der Tätigkeit

von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern vorzulegen.

Berlin, den 30. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages und die Mehrheit der Bundesländer erkennen die Notwendigkeit
einer Strafnorm gegen Korruption im Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch an und sehen Regelungen allein
im Berufs- und Sozialrecht als nicht ausreichend wirksam an.

Das Berufsrecht verbietet es zwar Ärztinnen und Ärzten, Geschenke oder andere Vorteile anzunehmen oder
sich versprechen zu lassen. Allerdings können diese Regelungen nur mangelhaft durchgesetzt werden. Es sind
bei Verstoß kaum ernsthafte Folgen zu befürchten und sie sind bei Ärztinnen und Ärzten nur wenig bekannt.
Prinzipiell sind Sanktionen bis hin zum Widerruf der Approbation durch die zuständige Landesbehörde mög-
lich, de facto können aber nur äußerst selten derart spürbare Sanktionen verhängt werden. Die Selbstüberwa-
chung durch berufsrechtliche Regelungen ist hier grundsätzlich ungeeignet. Es existieren keine Anreize für die
beauftragten Körperschaften der Ärzteschaft, effektiv gegen korruptive Handlungen der eigenen Mitglieder
vorzugehen. Außerdem bleiben diejenigen verschont, welche die Vorteile gewähren (z. B. die Industrie), ob-
wohl die Initiative häufig gerade von diesen ausgeht. So wurden etwa angebliche Anwendungsbeobachtungen,
also Scheinforschung mit dem Ziel bestimmte Arzneimittel in den Markt zu drücken und das Verbot der Ver-
ordnungsprämien zu umgehen, nicht wirksam verhindert. Selbst der Präsident der Bundesärztekammer, Prof.
Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete das Kammerrecht als „nasses Pappschwert“. Strafrecht müsse hier
nicht als Bedrohung, sondern als Schutz der Ehrlichen verstanden werden (Ärztezeitung online, 17.03.2015).

Auch die Regelungen im Sozialrecht (v. a. §128 SGB V), die seit 2009 die unzulässige Zusammenarbeit zwi-
schen Vertragsärztinnen und -ärzten und nichtärztlichen Leistungserbringern verbieten, kranken von Anfang
an an mangelhaften Ermittlungs- und Sanktionskompetenzen der beauftragten Institutionen der Selbstverwal-
tung. Insbesondere die Selbstüberwachung der Ärzteschaft durch die zuständigen ärztlichen Körperschaften
hat offensichtlich nicht ausreichend zu einer Verbesserung der Situation beigetragen. Sowohl berufs- als auch
sozialrechtliche Normen alleine sind nicht geeignet, korruptive Handlungen effektiv zu bekämpfen. Die Insti-
tutionen der Selbstverwaltung können die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden nicht ersetzen.

Einem Gesetzentwurf aus Hamburg (Bundesrat-Drucksache 451/13 vom 30.05.13) zur Einführung eines Straf-
tatbestandes im Strafgesetzbuch hat der Bundesrat bereits zugestimmt, ein anderer wurde vom Land Bayern
eingebracht (Bundesrat-Drucksache 16/15 vom 16.01.2015). In beiden wird ein neuer § 299a im Strafgesetz-
buch (StGB) zum Verbot der Bestechung und Bestechlichkeit von Angehörigen eines Heilberufs gefordert.
Den gleichen Weg schlägt auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Re-
ferentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen vom 04.02.2015 ein.
Die mit einem neuen § 299a StGB vorgesehene Anlehnung an § 299 StGB erscheint aber nicht optimal geeig-
net. Die neue Norm würde damit im wettbewerbsrechtlichen Teil des StGB verortet, dessen Zweck der Schutz
des freien Wettbewerbs ist. § 299 StGB stellt die Bestechung und die Bestechlichkeit von Angestellten sowie
Beauftragten unter Strafe und schützt damit die Vermögensinteressen des Arbeitgebers als auch dessen Kon-
kurrenten. Höchstens nachgeordnet spielt auch der Schutz der Allgemeinheit vor zu teuren oder qualitativ
schlechten Waren oder Dienstleistungen eine Rolle. Eine Übertragung dieser Logik auf den beabsichtigten
Schutz von Patientinnen und Patienten, des Arzt-Patienten-Verhältnisses und der finanziellen Stabilität der
GKV erscheint nur schwer möglich und dürfte die Gerichte vor Probleme stellen. Auch die Anwendung des
wettbewerbsrechtlichen Begriffs der Unlauterkeit ist schwierig. Gegebenenfalls müssten auch die wettbewerbs-
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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rechtlichen EU-Normen (v. a. UGP-Richtlinie 2005/29/EG und Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG) einbezo-
gen werden. Die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt führt dazu, dass die Staatsanwaltschaften nur bei
besonderem öffentlichem Interesse selbst auf Verdacht ermitteln können.

Sinnvoller erscheint es, die neue Strafrechtsnorm an die Korruptionsstraftatbestände bei Amtsträgerinnen und
Amtsträgern anzulehnen (§§ 331 ff. StGB). Diese verbieten es Beamtinnen und Beamten, aber auch Menschen,
die im Auftrag einer öffentlichen Stelle handeln, Vorteile anzunehmen oder zu fordern und anderen, diese zu
gewähren oder zu versprechen. Das Verbot der Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme (§§ 331, 333 StGB)
fördert ein hohes Problembewusstsein für die Beeinflussung durch Zuwendungen. Hier sind auch immaterielle
Vorteile erfasst sowie solche, die vordergründig ohne „Gegenleistung“ gewährt werden und der „Klimapflege“
dienen. Zu überprüfen ist insbesondere, ob der für Kassenärztinnen und -ärzte über den von Transparency
International Deutschland e.V. (TI-Deutschland) vorgeschlagenen Weg (Gleichstellung mit Amtsträgern durch
Nennung im Verpflichtungsgesetz) weiter zu verfolgen ist. Für TI-Deutschland sind Vertragsärztinnen und -
ärzte „Treuhänder öffentlicher Gelder der Kassen bzw. der Solidargemeinschaft. Sie sollten deshalb den Amts-
trägern gesetzlich gleichgestellt werden. Dies soll dadurch erreicht werden, dass nach § 95 SGB V Vertrags-
ärzte nach dem Verpflichtungsgesetz verpflichtet werden. Durch diese Gleichstellung der Vertragsärzte als
Treuhänder öffentlicher Gelder mit Ärzten, die in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen, wird die
vom BGH monierte Gesetzeslücke geschlossen. Eine derartige Regelung eröffnet zugleich Sanktionsmöglich-
keiten gegen Korruptionspartner (,Geber‘) nach §§ 333, 334 StGB z. B. aus der Pharmaindustrie sowie Maß-
nahmen nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetz wie Gewinnabschöpfung und dem sogenannten Ver-
fall.“ (www.transparency.de/2013-04-04-Vertragsaerzte-sank.2266.0.html).

International sorgten Korruptions- und Betrugsskandale rund um die Pharmaindustrie immer wieder für Auf-
sehen. Insgesamt zahlten Pharmakonzerne über 30 Milliarden Euro Strafe für unerlaubte Geschäfts- und Wer-
bepraktiken. Eine solches Strafmaß ist in Deutschland ohne Unternehmenshaftung nicht möglich und wird in
den USA selbst noch als zu wenig wirksam kritisiert (Spiegel online, 14.01.2014). Eine Unternehmenssankti-
onierung ist in Deutschland theoretisch als Ordnungswidrigkeit möglich. Die Bußgelder sind per Gesetz aller-
dings auf 10 Mio. Euro begrenzt, was für internationale Konzerne kaum abschreckende Wirkung entfaltet.

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