BT-Drucksache 18/5267

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/4282, 18/5261 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz - PrävG)

Vom 17. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5267
18. Wahlperiode 17.06.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W.
Birkwald, Katja Kipping, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Pia
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/4282, 18/5261 –

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung
und der Prävention
(Präventionsgesetz – PrävG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Gesetzentwurf eines Präventionsgesetzes entspricht nicht dem wissenschaftli-
chen Erkenntnisstand zur Gesundheitsförderung. Zudem setzt die Bundesregierung
Vereinbarungen aus internationalen Abkommen nicht um. Hinweise des Bundesra-
tes aus der letzten und der aktuellen Wahlperiode werden kaum berücksichtigt.
Die schwarz-rote Bundesregierung bleibt damit weit hinter internationalen Stan-
dards der Präventionspolitik zurück. So beruht die Ottawa-Charta der Weltgesund-
heitsorganisation WHO auf einem völlig anderen Verständnis von Gesundheitsför-
derung. Sie fordert die Regierungen auf, „bestehende soziale Unterschiede des Ge-
sundheitszustandes zu verringern sowie gleiche Möglichkeiten und Voraussetzun-
gen zu schaffen, damit alle Menschen befähigt werden, ihr größtmögliches Gesund-
heitspotential zu verwirklichen.“ Ein Präventionsgesetz muss in erster Linie die Le-
bensbedingungen in den Blick nehmen – etwa angemessene Wohnbedingungen,
gute und planbare Arbeit, ein gutes Einkommen, Frieden, Bildung und Umwelt –
und nicht das individuelle Gesundheitsverhalten. Der von der Großen Koalition vor-
gelegte Gesetzentwurf ist ungenügend – und das ist umso unverständlicher, da die
Charta nicht neu ist, sondern aus dem Jahr 1986. Brisant ist auch, dass die SPD den
vom Ansatz her ähnlichen in der letzten Wahlperiode von Schwarz-Gelb eingebrach-
ten Gesetzentwurf vehement kritisiert hatte. Das Inkrafttreten wurde 2013 mit den
Stimmen der SPD-regierten Länder im Bundesrat verhindert. Nun – selbst in der
Regierung – legt sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner ein beinahe identisches
Gesetz vor.

Drucksache 18/5267 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Trotz der vorausgehenden Kritik bleibt es bei der starken Betonung der Verhal-
tensprävention. Die Bundesregierung definiert Gesundheitsförderung völlig unzu-
reichend als „Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns der
Versicherten“. Auf die Veränderung von Lebenswelten („Settings“) nimmt der Ge-
setzentwurf nur schwach Bezug. So wird der Setting-Ansatz zwar verbal propagiert,
aber Settings werden nicht als Lebenswelten verstanden, sondern als Orte, in denen
Botschaften vermittelt werden, die auf das individuelle Verhalten zielen – also Ver-
haltensprävention. Statt Kampagnen und Aufklärungsmaßnahmen zu individuellem
Gesundheitsverhalten zu initiieren, müssen gesunde Lebensbedingungen in allen
Settings (Betrieb, Stadtteil, Schule, Wohnumfeld etc.) geschaffen werden. Partizipa-
tion bei der Veränderung der Lebenswelten ist zu ermöglichen. Ziel muss sein, die
Ressourcen der Menschen zu stärken, damit diese gesundheitliche Belastungen be-
wältigen und die eigene Gesundheit stärken können. Statt vorwiegend auf Verhin-
derung von Krankheit abzustellen, müssen vermehrt die Einflussfaktoren für mehr
Gesundheit untersucht und gefördert werden.
Die Regierungen sind in der politischen Verantwortung, der sozial bedingten Un-
gleichheit von Gesundheitschancen entgegenzuwirken. Dies wurde erneut im Juni
2013 im Statement der Weltgesundheitskonferenz in Helsinki verabschiedet, das die
Bundesregierung unterzeichnet hat. Dazu ist eine gesundheitsförderliche Gesamtpo-
litik („Health in All Policies“ laut WHO) nötig. Ein Präventionsgesetz muss die so-
zialen Ursachen gesundheitlicher Ungleichheit wirksam bekämpfen und Gesund-
heitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe stärken. Men-
schen in Gesellschaften mit niedriger sozialer Ungleichheit sind weniger krank, ha-
ben weniger Übergewicht, weniger psychische Störungen, weniger Drogenprobleme
und eine längere Lebenserwartung. Das gilt insbesondere für Menschen mit niedri-
gem Einkommen, aber auch Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen pro-
fitieren von mehr Einkommensgleichheit. Gesundheitsförderung heißt Armut und
soziale Spaltung bekämpfen. Im Gesetz der Großen Koalition findet sich dies an
keiner Stelle wieder. Sie konzentriert sich lieber auf Verhaltensprävention: Bonus-
Programme der Krankenkassen und die Möglichkeit für Ärztinnen und Ärzte, Prä-
ventionsempfehlungen auszusprechen.
Das Gesetz ist ein Krankenkassengesetz: Den gesetzlichen Krankenkassen wird die
Hauptlast bei der Prävention übertragen. Gesundheitsförderung darf aber nicht nur
auf die Krankenkassen beschränkt werden, denn diese sind kaum die geeigneten Ak-
teure für Gesundheitsförderung in den Lebenswelten. Wie andere Sozialversiche-
rungsträger sind auch die Krankenkassen teilweise überfordert, regionale Maßnah-
men durchzuführen. Sie erreichen die Menschen nicht, u. a. aufgrund einer starken
Zentralisierung. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),
die über einen erheblichen Teil der Beitragsgelder verfügen soll, ist als zentrale Be-
hörde nicht in der Lage, die gesundheitsförderliche Gestaltung von Settings zu über-
nehmen. So ist das Gelingen regionaler Vernetzung fraglich. Wichtig wäre eine stär-
kere Betonung der Rolle von Kommunen, also eine stärkere (auch finanzielle) Un-
terstützung der Kommunen bei der Wahrnehmung von Präventionsaufgaben (z. B.
durch neue Instrumente wie regionale Präventionskonferenzen oder Gesundheitsfo-
ren).
Die Kosten werden einseitig den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen auf-
gebürdet. Seitdem der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wurde, führt der Ausbau von
Präventionsleistungen zu höheren Zusatzbeiträgen für die Versicherten. Auch die
private Krankenversicherung wurde nicht verpflichtend beteiligt. Die Arbeitgeberin-
nen und Arbeitgeber werden sogar von den Kosten betrieblicher Gesundheitsförde-
rung entlastet. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der eine erhöhte
Verantwortung für Prävention übertragen wird, ist eine Fachbehörde im Geschäfts-
bereich des Bundesgesundheitsministeriums und müsste ordnungspolitisch und ver-
fassungskonform über Steuergelder finanziert werden, nicht aus Krankenkassenbei-
trägen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5267
Notwendig wäre es stattdessen, schnell die Weichen für ein umfassendes Gesetz zur
Gesundheitsförderung zu stellen. Zuvorderst müssten die Forderungen des Bundes-
rates und die Erkenntnisse der Public-Health-Wissenschaften umgesetzt werden
(vgl. Unterrichtung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses, Bundestagsdruck-
sache 17/14791 sowie Stellungnahmen und Protokolle der verschiedenen Anhörun-
gen). Nach der rot-grünen Regierung 2004, der Großen Koalition 2007 und der
schwarz-gelben Koalition 2013 scheitert auch die amtierende Bundesregierung an
der Aufgabe, internationale Standards zur Präventions- und Gesundheitsförderung
zu erfüllen. Ein fünfter Anlauf ist geboten, denn besser als nichts ist keineswegs gut.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

schnellstmöglich den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das wirksam zur Stärkung
der Gesundheitsförderung beiträgt und den internationalen Standards und dem wis-
senschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Dabei sind die Ergebnisse der politi-
schen und gesellschaftlichen Debatten zu den vorherigen Gesetzentwürfen eines Prä-
ventionsgesetzes zu berücksichtigen und die Vereinbarungen aus den Statements der
Weltkonferenzen für Gesundheitsförderung der WHO endlich umzusetzen.

Berlin, den 16. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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