BT-Drucksache 18/5195

Rückzahlung von Unternehmenssteuern für die Veranlagungszeiträume der Jahre 2001 und 2002

Vom 15. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5195
18. Wahlperiode 15.06.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Richard Pitterle, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Rückzahlung von Unternehmenssteuern für die Veranlagungszeiträume der Jahre
2001 und 2002

Verschiedene Kommunen in Deutschland werden seit Ende März 2015 mit
Rückforderungen eines großen Automobilherstellers bezüglich in den Jahren
2001 und 2002 durch diesen gezahlter Gewerbesteuer konfrontiert. Der Bericht-
erstattung nach sind die Städte Mannheim, Sindelfingen, Esslingen, Rastatt und
Gaggenau betroffen, in denen das Unternehmen Standorte betreibt (SWR, Lan-
desschau AKTUELL vom 8. und 13. April 2015). Allein die Stadt Sindelfingen
sieht sich einer Gewerbesteuerrückforderung i. H. v. insgesamt 62 Mio. Euro für
die Jahre 2001 und 2002 ausgesetzt (STUTTGARTER ZEITUNG vom 1. April
2015). Diese Summe setzt sich aus gezahlten Gewerbesteuerbeträgen i. H. v.
38 Mio. Euro und seitdem angefallenen Zinsen i. H. v. 24 Mio. Euro zusammen.
Die Rückforderungen gehen auf einen Rechtsstreit zu Einsprüchen des besagten
Automobilherstellers gegen Gewerbesteuerbescheide zu den Veranlagungszeit-
räumen 2001 und 2002 zurück. Dabei ging es um die ertragsteuerliche Berück-
sichtigungsfähigkeit von Gewinnminderungen bei Fondsbeteiligungen und die
entsprechende Auslegung des § 40a Absatz 1 des Kapitalanlagegesellschaften-
gesetzes (KAGG) in der Fassung vom 1. Januar 2001.
Vereinfacht ausgedrückt waren nach der Regelung bestimmte Gewinne nicht für
die Einkommensermittlung zu berücksichtigen und somit nicht zu versteuern.
Strittig war letztlich, ob dies nach der Regelung auch für Verluste galt, da diese
nicht ausdrücklich in der Regelung genannt waren. Wenn nicht, hätten Verluste
für die Gewinnermittlung berücksichtigt werden müssen und sich daher steuer-
mindernd ausgewirkt.
Ende 2003 wurde der Anwendungsbereich der Regelung durch eine Gesetzesän-
derung ausdrücklich auch auf die Verluste ausgedehnt. Gleichzeitig sollte eine
entsprechende Ergänzung im Gesetzestext klarstellen, dass dies auch für die zu-
rückliegenden Zeiträume der Jahre 2001 und 2002 zu gelten habe. In der Folge
wurde durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezem-
ber 2013 (Az. 1 BvL 5/08) und des Bundesfinanzhofs vom 25. Juni 2014 (Az. I
R 33/09) und 30. Juli 2014 (Az. I R 74/12) jedoch klargestellt, dass diese Rück-
wirkung verfassungswidrig war und Verluste aus den Jahren 2001 und 2002 da-
her aufgrund der Regelung des § 40a KAGG in der Fassung vom 1. Januar 2001
ertragsteuerlich berücksichtigungsfähig sind.
Somit bestand in den Jahren 2001 und 2002 eine Regelungslücke: Während Ge-
winne steuerfrei gewesen waren, konnten die entsprechenden Verluste steuer-
mindernd geltend gemacht werden.

Drucksache 18/5195 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Für die betroffenen Kommunen kamen die Steuerrückforderungen der Bericht-
erstattung nach trotz der Gerichtsverfahren völlig überraschend. So unterließ es
das zuständige Finanzamt Stuttgart zumindest im Falle Sindelfingens, die Stadt
unverzüglich nach Kenntniserlangung auf die Auswirkungen der Entscheidun-
gen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs hinsichtlich der
noch anhängigen Verfahren zu den Einsprüchen des Sindelfinger Automobil-
herstellers gegen die Gewerbesteuerbescheide aus den Jahren 2002 und 2003
hinzuweisen. Die Stadt Sindelfingen hätte sonst bereits im September 2014 auf
die Rückforderungen reagieren können (SWR, Landesschau AKTUELL vom
18. April 2015).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele und welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen sich

Kommunen, wie im Fall der Stadt Sindelfingen, aus den genannten Ge-
richtsentscheiden resultierenden Gewerbesteuerrückforderungen ausgesetzt
sehen?

2. Ergeben sich aufgrund der genannten Urteile Auswirkungen auf für die in
den Jahren 2001 und 2002 gezahlte Körperschaftsteuer?

3. Wie viele und welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen sich
Kommunen aus den genannten Gerichtsentscheiden resultierenden Körper-
schaftsteuerrückforderungen ausgesetzt sehen?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die aus den genannten Gerichtsent-
scheiden folgenden Steuererstattungen und Zinsen bezüglich der Gewerbe-
steuer (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

5. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die aus den genannten Gerichtsent-
scheiden folgenden Steuererstattungen und Zinsen bezüglich anderer Steuer-
arten als der Gewerbesteuer (bitte nach Steuerarten und Steuergläubigern
unter Berücksichtigung der einzelnen Bundesländer aufschlüsseln)?

6. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Schadensersatzansprüche entste-
hen können, wenn die Finanzämter steuerberechtigte Gemeinden über an-
hängige Einspruchsverfahren gegen Realsteuermessbescheide von größerer
Bedeutung entgegen dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO)
des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Januar 2014 nicht unter-
richten (bitte begründen)?

7. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass eine Übernahme der sich im Falle
der Stadt Sindelfingen auf 24 Mio. Euro belaufenden Zinsforderung, vor
dem Hintergrund, dass erstens der Bundesgesetzgeber für die zugrunde lie-
gende Regelungslücke verantwortlich zeichnet und zweitens dieser Betrag
nicht auf den kommunalen Finanzausgleich angerechnet wird, gerechtfer-
tigt wäre (bitte begründen)?

8. Mit welchem Ziel wurde der § 40a KAGG in der Fassung vom 1. Januar
2001 in das parlamentarische Verfahren eingebracht?

9. Durch welche Abteilung des Bundesministeriums der Finanzen wurde der
§ 40a Absatz 1 KAGG in der Fassung vom 1. Januar 2001 ursprünglich ent-
worfen?

10. Gab es bereits Entwürfe oder Anregungen von außerhalb des Bundesminis-
teriums der Finanzen, die für den Gesetzgebungsprozess berücksichtigt
wurden, und wenn ja, welche?

11. Wieso fand sich in § 40a Absatz 1 KAGG in der Fassung vom 1. Januar 2001
ein ausdrücklicher Verweis auf § 8b Absatz 2 des Körperschaftsteuergeset-
zes (KStG), nicht aber auf § 8b Absatz 3 KStG?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5195
12. Wurde beim Entwurf des § 40a Absatz 1 KAGG in der Fassung vom 1. Ja-
nuar 2001 der Grundsatz der Regelungssymmetrie berücksichtigt, und wenn
ja, worin äußerte sich diese Berücksichtigung?

13. Warum war die Gesetzesbegründung zu § 40a Absatz 1 KAGG in der Fas-
sung vom 1. Januar 2001 lediglich auf Veräußerungsgewinne und nicht auf
die entsprechenden Verluste bezogen?

14. Waren die den Veräußerungsgewinnen nach § 40a Absatz 1 KAGG in der
Fassung vom 1. Januar 2001 gegenüberstehenden Verluste dennoch Ge-
genstand von Überlegungen der Bundesregierung, und wenn ja, an welcher
Stelle?

15. Ab wann und aufgrund welcher Umstände war sich die Bundesregierung
der beschriebenen Regelungslücke im KAGG bewusst?

16. Ab wann gab es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, diese Rege-
lungslücke zu schließen, und welcher Gestalt waren diese?

17. Welche Alternativen sah die Bundesregierung zu der gewählten Regelung in
§ 40a Absatz 1 Satz 2 und § 43 Absatz 18 KAGG?

18. Ab wann war der Bundesregierung im Hinblick auf den zum 1. Januar 2004
angefügten § 43 Absatz 18 KAGG die Problematik der eventuellen Verfas-
sungswidrigkeit der dort festgelegten Rückwirkung bewusst?

Berlin, den 12. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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