BT-Drucksache 18/5106

Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen

Vom 10. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5106
18. Wahlperiode 10.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring, Harald Petzold (Havelland),
Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.
sowie der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, Ulle
Schauws, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer,
Corinna Rüffer, Matthias Gastel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Sexueller Missbrauch von Kindern als besonders schreckliche Form der Gewalt
greift fundamental in das grundgesetzlich verbriefte Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit ein und steht im eklatanten Wider-
spruch zur UN-Kinderrechtskonvention.

Sexueller Missbrauch kann überall stattfinden – in staatlichen wie in privaten Ein-
richtungen, aber auch im familiären Kontext. Sexuelle Gewalt verursacht gravie-
rende seelische Wunden, Scham und Angst, die Betroffenen leiden häufig im Stillen.
Nur wenige finden den Mut und die Kraft, sich als Kind oder später im Erwachse-
nenalter anderen anzuvertrauen. Dies ist jedoch die Voraussetzung, um betroffenen
Menschen Unterstützung zu bieten, Traumata zu verarbeiten und einen Umgang mit
dem Erlebten zu finden. Und erst durch das Bekanntwerden der Tat haben Strafver-
folgungsbehörden die Chance, die Täter zu identifizieren, anzuklagen und die Kon-
stitutionsbedingungen der Tätersysteme aufzulösen. Hierfür braucht es Institutionen,
die einen transparenten politischen und gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen und
zur Überwindung systemischer Bedingungen sexuellen Missbrauchs beitragen.

Kinder müssen frei von sexueller Gewalt heranwachsen können. Doch mit dem Be-
kanntwerden der systematischen Missbrauchsstrukturen am Berliner Canisius Kol-
leg, an der Odenwaldschule, den Jugendwerkhöfen, der Nordkirche und vielen wei-
teren Fällen in den letzten Jahren wurde klar, dass die Realität sehr weit hinter dem
Anspruch zurückbleibt.

Durch die Arbeit des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ und des Unab-
hängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs wurden notwen-
dige Reformen initiiert. Die Aufarbeitung erfordert aber darüber hinausgehende
Maßnahmen. Die Einrichtung einer Aufarbeitungskommission ist dabei wesentlich.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/5106 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Aufarbeitung von Missbrauch in Institutionen stellt diese selbst und ihren sozio-
politischen Kontext infrage. Das führt zu massiven Abwehrreflexen. Betroffene In-
stitutionen verweigern noch immer die Aufarbeitung von Unrecht unter ihrem eige-
nen Dach. Erfahrungen zeigen, dass Aufklärungsprozesse durch zu schwache Unter-
suchungsrechte erschwert, Akteneinsichten verwehrt oder Unterlagen gar vernichtet
wurden.

Die vom Unabhängigen Beauftragten eingerichtete Kommission zur Aufarbeitung
von Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern ist ein geeignetes Instrument, um diese
Missstände bei der Aufarbeitung zu beheben. Deren schnelle Einsetzung ist zu be-
grüßen. Der von der Koalition vorgelegte Antrag (Aufarbeitung von sexuellem Kin-
desmissbrauch sicherstellen, Bundestagsdrucksache 18/3833) greift hier bisher zu
kurz. Die zeitliche Befristung und Kopplung der Laufzeit der Kommission an die
Amtszeit des Unabhängigen Beauftragten wird der umfassenden Problemlage sexu-
ellen Missbrauchs bei Kindern und Jugendlichen nicht gerecht. Die Aufarbeitungs-
kommission sollte nicht unter Zeit- und Legitimationsdruck stehen. Eine längerfris-
tige Einsetzung würde dem umfassenden gesellschaftlichen Auftrag gerecht.

Wünschenswert wäre auch eine gesetzliche Regelung, welche die Arbeitsbedingun-
gen der Kommission definiert und die für die Aufarbeitung notwendigen Befugnisse
wie Vorladungs- oder Akteneinsichtsrechte klärt. Die Aufarbeitung sexuellen Miss-
brauchs ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist daher nicht aus dem Haus-
halt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dem Einzel-
plan 17, zu finanzieren. Vergangenes Unrecht würde sonst – zugespitzt formuliert –
zu Lasten heutiger und künftiger Generationen von Kindern und Jugendlichen auf-
gearbeitet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf für eine gesetzliche Grundlage der Arbeit der Aufarbei-
tungskommission vorzulegen, um damit die Unabhängigkeit und gleichzeitig
die Handlungsfähigkeit der Kommission zu stärken. Die Kommission soll als
unbefristetes Gremium konstituiert werden;

2. eine eigenständige, langfristige und angemessene Finanzierungsgrundlage zur
Bewältigung der Aufgaben der Aufarbeitungskommission zu schaffen und dem-
entsprechend den Etat im Bundesfamilienministerium aufzustocken.

Berlin, den 10. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Katrin Göhring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.