BT-Drucksache 18/4755

Entschädigung für Opfer deutscher Besatzungsverbrechen in Griechenland

Vom 24. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4755
18. Wahlperiode 24.04.2015
Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Dr. André Hahn, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin
Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau, Harald
Petzold (Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank
Tempel, Alexander Ulrich, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigung für Opfer deutscher Besatzungsverbrechen in Griechenland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland steht weiterhin in der Pflicht, den Opfern des Nazi-Terrors im besetzten
Griechenland Entschädigungen zu gewähren.

Infolge der deutschen Besatzung 1941 bis 1944 hat rund eine halbe Million Grie-
chinnen und Griechen ihr Leben verloren. Rund 100.000 Menschen fielen alleine der
Hungersnot im Winter 1941/1942 zum Opfer, die Folge der Ausplünderung Grie-
chenlands durch die Besatzer war.

Rund 160.000 Griechinnen und Griechen, darunter fast 60.000 Jüdinnen und Juden
sowie Roma und Sinti, wurden in den Konzentrationslagern umgebracht. 91.000
Geiseln wurden von Wehrmacht und Waffen-SS ermordet. Von den deutschen Be-
satzungsstreitkräften wurden in den von Partisanen dominierten Gegenden Hunderte
Ortschaften und Weiler niedergebrannt, wobei über 30.000 Einwohner umgebracht
worden sind.

Im Jahr 1960 hat Deutschland Griechenland eine sogenannte Globalzahlung in Höhe
von 115 Millionen D-Mark gewährt, die aber nur für einen sehr kleinen Teil der
Nazi-Opfer gedacht war. Angesichts der begangenen Massaker, zerstörter Dörfer,
Zehntausender Ermordeter und unzähliger zerstörter Sachwerte liegt es auf der
Hand, dass diese Summe nur als geringfügige Abschlagszahlung auf die von
Deutschland zu leistenden Entschädigungen betrachtet werden kann.

Doch sämtliche Bundesregierungen haben seither weitere Entschädigungszahlungen
abgelehnt, ebenso die Anerkennung von Gerichtsurteilen, die NS-Opfern Entschädi-
gungsansprüche gegen Deutschland zugestanden haben. So hat etwa der Oberste Ge-
richtshof Griechenlands im Jahr 2000 ein Urteil des Landgerichts Livadia bestätigt,
das Deutschland zur Zahlung von 28 Millionen Euro an die Überlebenden bzw. die
Hinterbliebenen der Opfer des Massakers von Distomo verurteilt hatte. Alle seither
amtierenden Bundesregierungen haben jedoch die Anerkennung dieses Urteils ver-
weigert. Entschädigungen wurden nicht bezahlt.

Drucksache 18/4755 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Dies ist aus Sicht des Deutschen Bundestages höchst unbefriedigend. Menschen, die
dem fürchterlichen Terror der Nazis ausgesetzt waren, haben einen Anspruch auf
Entschädigung. Diesen Anspruch zu erfüllen, erachtet der Deutsche Bundestag als
eine politische und moralische Verpflichtung.

Es ist deshalb höchste Zeit, dass die Bundesregierung mit der griechischen Regie-
rung faire Verhandlungen über die ausstehenden Entschädigungszahlungen für die
Überlebenden des NS-Terrors und die Hinterbliebenen der Ermordeten führt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Griechenland gegenüber zu erklären, dass Deutschland die Pflicht hat, Opfern
deutscher Besatzungsverbrechen, die bisher nicht entschädigt worden sind, in-
dividuelle Entschädigungszahlungen zu leisten,

2. mit der griechischen Regierung in Verhandlungen mit dem Ziel eines Abkom-
mens zu treten, das Regelungen über Empfängerkreis und Höhe der Entschädi-
gung enthält, und in diese Verhandlungen auch Vertreter von Opferorganisatio-
nen einzubeziehen,

3. sich der Vollstreckung bisheriger Urteile griechischer und italienischer Gerichte
zu unterwerfen, die Entschädigungsansprüche griechischer NS-Opfer bestätigt
haben.

Berlin, den 24. April 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die 1960 vereinbarte Globalzahlung über 115 Millionen DM war angesichts des beispiellosen NS-Terrors nicht
nur viel zu niedrig, sie beschränkte sich zudem auf die Wiedergutmachung gegenüber Menschen, die „aus
Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnah-
men“ betroffen waren.

Nazi-Opfer, die hingegen von unspezifischen Terrormaßnahmen betroffen waren, fielen nicht darunter: etwa
die Opfer der Massenerschießungen, die Einheiten von Wehrmacht, Polizei und Waffen-SS im Rahmen von
„Sühnemaßnahmen“ oder der mörderischen sogenannten Partisanenbekämpfung verübten. Dabei steht außer
Frage, dass auch diese Morde in eklatanter Weise gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht verstoßen haben.

Der Rechtsauffassung der Bundesregierung zufolge gehört die Frage individueller Entschädigungen für NS-
Opfer zum Bereich der Reparationen. Der Verpflichtung des Londoner Schuldenabkommens von 1953, die
Reparationsfrage im Zuge eines Friedensvertrages zu klären, hat sich die Bundesregierung nach Abschluss des
Zwei-plus-Vier-Vertrages 1990 jedoch entzogen.

Ihre Auffassung, mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag in Verbindung mit der Charta von Paris hätten die früher
von den Nazis überfallenen Staaten auf jegliche Reparationsansprüche verzichtet, überzeugt nicht. In keinem
der beiden Dokumente wird das Thema Reparationen überhaupt erwähnt. Zudem ist mit der Charta von Paris
der Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht beschlossen, sondern lediglich „zur Kenntnis“ genommen worden. Daraus
lässt sich keineswegs ein klares Bekenntnis etwa Griechenlands, das der Charta zustimmte, zum Reparations-
verzicht entnehmen. Das wird unter anderem auch aus der Tatsache deutlich, dass griechische Regierungsver-
treter in der Vergangenheit wiederholt die Aktualität des Anspruchs auf Entschädigungen für Kriegsschäden
wie auch individuelle Leistungen für NS-Opfer betont haben. So hat der griechische Botschafter bereits 1995

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4755
dargelegt, nach der Wiedervereinigung Deutschlands müsse über Schulden und Reparationen verhandelt wer-
den.

Weil sich aber sämtliche Bundesregierungen seither weigerten, solche Verhandlungen aufzunehmen, haben
einige der überlebenden NS-Opfer bzw. die Hinterbliebenen den Klageweg beschritten. Die Klägergemein-
schaft von Distomo vertrat die Interessen der Opfer eines SS-Massakers, dem am 10. Juni 1944 218 Zivilistin-
nen und Zivilisten zum Opfer gefallen waren. Die Klägergemeinschaft hat, nachdem die Bundesregierung die
Umsetzung des Urteils des Landgerichts Livadia verweigerte, versucht, die Vollstreckung des Urteils vor ita-
lienischen Gerichten durchzusetzen. Gegen entsprechende Urteile der italienischen Justiz ist die Bundesregie-
rung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) vorgegangen. Letztlich war die Bundesregierung bis heute
darin erfolgreich, Entschädigungsforderungen der NS-Opfer vor Gerichten abzuwehren. Dieser juristische Er-
folg ging zu Lasten der NS-Opfer und ist unter humanitären wie auch unter politischen Gesichtspunkten eine
schwere Hypothek für Deutschland.

Es steht außer Zweifel, dass viele Griechinnen und Griechen, die von den Nazis auf fürchterlichste Weise
misshandelt wurden, bis heute keine Entschädigung erhalten haben. Wenn Deutschland seine Verantwortung
für die Verbrechen des NS-Regimes ernst nimmt, muss es den Betroffenen die Entschädigung endlich gewäh-
ren.

Unabhängig davon, ob man eine Reparationspflicht Deutschlands schon aus den vom Deutschen Reich began-
genen Verletzungen des Völkerrechts heraus begründet oder (erst) als Ergebnis einer vertraglichen Vereinba-
rung, bedarf es Verhandlungen mit der griechischen Seite, um über die Höhe von Leistungen und den Kreis
der Empfangsberechtigten Einigkeit zu erzielen.

In solche Verhandlungen sind auch Vertreter von NS-Opferverbänden einzubeziehen. Es ist sicherzustellen,
dass individuelle Entschädigungen für NS-Opfer auch bei diesen ankommen. Eine „Verrechnung“ solcher Zah-
lungen mit Verbindlichkeiten des griechischen Staates oder griechischer Banken darf es nicht geben.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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