BT-Drucksache 18/4733

Reformbedarfe in der Arbeitsförderung und den Jobcentern

Vom 24. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4733
18. Wahlperiode 24.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Harald Weinberg, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Reformbedarfe in der Arbeitsförderung und den Jobcentern

Im März 2015 hat ein Undercover-Report des „Teams Wallraff“ in den Jobcen-
tern höhere Wellen geschlagen. Dort wurde kritisiert, dass Erwerbslose in sinn-
lose Maßnahmen gedrückt würden, nachhaltige Förderung kaum stattfinde, es
selbst bei der Leistungsauszahlung oft hake. Zugleich litten die Beschäftigten
unter einer enormen Arbeitsbelastung, was einer verlässlichen Leistungsgewäh-
rung und guten Vermittlung entgegenstehe.
Zunehmend artikulieren auch Beschäftigte der Jobcenter ihren Unmut. Ein
Brandbrief von Personalrätinnen und Personalräten ist an die Presse gelangt. In
diesem wird beklagt, dass es bei dem derzeitigen System im Jobcenter nur um
Zahlen, nicht um die Menschen gehe und „auf die Beschäftigten ein irrationaler
Druck ausgeübt wird“. Sie schreiben unter anderem: „Das eingesetzte Personal
reicht nicht aus, um die Aufgaben zu bewältigen. Vor allem im Leistungsbereich
wird das Personal regelrecht verheizt.“ Und: „Auch im Bereich der persönlichen
Ansprechpartner reicht das Personal nicht aus, für alle Leistungsberechtigten
eine individuelle und qualifizierte Beratungsleistung zu erbringen.“

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Missstände in Jobcentern sieht die Bundesregierung durch die Repor-

tage des sog. Wallraff-Teams thematisiert, wie bewertet sie die jeweiligen
Kritiken, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zur Abstel-
lung der Missstände einzuleiten?

2. Sieht die Bundesregierung grundsätzliche und strukturelle Probleme in den
Jobcentern?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, worin bestehen diese, und welche Veränderungen will sie anstoßen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die politische Steuer- und Kontrollierbar-
keit der Umsetzung der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ angesichts der
organisatorischen Aufteilung in gemeinsame Einrichtungen (gE) aus Bundes-
agentur für Arbeit und Kommune sowie zugelassenen kommunalen Trägern
(zkT)?

4. Welche Aspekte der Umsetzung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)
liegen in der ausschließlichen Verantwortung der örtlichen Jobcenter (bitte
nach gE und zkT differenzieren)?

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5. Wie organisiert die Bundesregierung in dieser Struktur verbindliche und trä-
gerübergreifende Mindeststandards in der Verwaltung des SGB II?
Zu welchen Aspekten des Verwaltungshandelns gibt es ggf. welche über-
greifenden Mindeststandards (bitte zwischen gE und zkT differenzieren)?

6. Wie ist in dieser Struktur die Mitbestimmung der Personalvertretungen auf
örtlicher und überörtlicher Ebene organisiert?
Welche Gremien mit welchen Mitbestimmungsrechten gibt es auf örtlicher
und überörtlicher Ebene (bitte zwischen gE und zkT differenzieren)?

7. Welche systematischen Kenntnisse hat die Bundesregierung oder die Bun-
desagentur für Arbeit zu der administrativen Umsetzung des SGB II bei den
zugelassenen kommunalen Trägern?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Arbeitsvermittlung
in den zugelassenen kommunalen Trägern?
Wie erfolgt hier die Rechtsaufsicht?

9. Wird die Bundesagentur für Arbeit ihre Controlling-Systematik überprüfen
in Bezug auf Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Maßstäbe und Maßnah-
men?
Welches Gewicht soll die reine Eingliederungsquote spielen, welche die
Nachhaltigkeit von Maßnahmen?
Wie hoch ist dabei der Anteil an Qualität zur Quantität?

10. In welchen Bereichen soll der von der Bundesagentur für Arbeit (BA) bis
zum Jahr 2019 angekündigte Abbau von rund 17 000 Stellen bundesweit in
den Arbeitsagenturen stattfinden, und wie wird verhindert, dass die Jobcen-
ter nicht direkt oder indirekt vom Stellenabbau betroffen sind?

11. Welche Maßnahmen will die BA ergreifen, um zu verhindern, dass sich in
der Vermittlung nicht vorrangig um Erwerbslose gekümmert wird, die einen
verhältnismäßig leichten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und Menschen
mit größerem Unterstützungs- und Förderbedarf vernachlässigt werden oder
außen vor bleiben?

12. Wie hoch ist der Anteil des Personals in den Jobcentern, die sich um die
Auszahlung der Leistung kümmern, und wie hoch ist der Anteil der mit Inte-
grationsarbeit Befassten?
Gab oder gibt es dafür eine interne Zielstellung, und wenn ja, wie lautete
oder lautet diese?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die personelle Situation in den Jobcen-
tern, und teilt sie die Feststellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass
dort eine länger andauernde Überlastung gegeben ist bzw. dass ausreichende
Zeit für individuelle Betreuung und Vermittlung fehlt?
Wenn nein, warum nicht?

14. Wie hat sich der Krankenstand in den Jobcentern in den letzten zehn Jahren
entwickelt (bitte die einzelnen Bereiche Leistung, Vermittlung, Administra-
tion, Fallmanagement gesondert ausweisen und nach den einzelnen Jobcen-
tern beantworten)?

15. Gibt es ein jobcenterübergreifendes Gesundheitsmanagement?
Wie unterstützt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
oder die BA ggf. die Etablierung und Evaluierung von Gesundheitsmanage-
ment in einzelnen Jobcentern?
Welche Formen des Gesundheitsmanagements gibt es vor Ort?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4733
16. Wie lauten die zentralen Ergebnisse des Personalbemessungsprojektes aus
Sicht des BMAS sowie der BA?
Was sind die aus Sicht der Beschäftigten im erhobenen Personalbemes-
sungsprojekt bei der Leistungsgewährung im SGB II größten Probleme?
Welche der Handlungsempfehlungen will die Bundesregierung in den Bund-
Länder-Ausschuss einbringen?
Wie stellt sich der Betreuungsschlüssel in den Jobcentern nach der derzeit
gängigen Definition dar, und wie hoch wäre der Betreuungsschlüssel, wenn
die zusätzliche Mitarbeiterkapazitäten nicht berücksichtigt und zugleich alle
erwerbsfähigen Leistungsberechtigten herangezogen würden sowie zusätz-
lich der derzeit vorhandene Krankenstand einberechnet würde?
Ist seitens des BMAS bzw. der BA geplant, die Berechnungsgrundlage des
Betreuungsschlüssels zu überarbeiten?
Wenn ja, mit welcher Zielstellung, und bis wann wird ein neues Rahmen-
konzept vorliegen?
Inwiefern werden dabei die Ergebnisse des Personalbemessungskonzepts
der Leistungsgewährung des SGB II einfließen?

17. Inwiefern waren und sind bei der Konzipierung, Durchführung und Aus-
wertung des Personalbemessungskonzeptes die Personalräte eingebunden?

18. Wie hoch wäre der jährliche finanzielle Mehrbedarf in Euro für 600 zusätz-
liche Stellen in der Leistungsgewährung, die sich aus der Umsetzung des
Personalbemessungskonzeptes ergeben könnten (vgl. Antwort der Bun-
desregierung auf die Schriftlichen Fragen 88 und 89 auf Bundestagsdruck-
sache 18/4642)?

19. Welche grundsätzlichen Veränderungen werden sich durch die beabsichtigte
Clusterbildung ergeben?

20. Sieht das BMAS Handlungsbedarf für eine bessere personelle Ausstattung
der Jobcenter?
Plant die Bundesregierung, den Etat der Verwaltungskosten den Realitäten
anzupassen, das heißt zu erhöhen oder will sie weitere Teile des Einglie-
derungstitels zur Kompensation eines unzureichenden Verwaltungsetats frei-
geben?

21. Wie hoch ist rechnerisch die Stellenkapazität, die sich aus der Umschich-
tung aus dem Eingliederungstitel zu den Verwaltungskosten im Jahr 2014
ergibt?

22. Wie bewertet das BMAS den aktuellen Stand an befristeten Beschäftigungs-
verhältnissen bei den Jobcentern, und welchen Anteil von Befristungen hält
das Bundesministerium für sachgerecht?

23. Welche Maßnahmen haben das BMAS und die BA ergriffen, um den Anteil
von befristeten Stellen und die Anzahl der Mehrfachbefristungen generell
und in den einzelnen Jobcentern zu regeln und zu kontrollieren?

24. Wann legt die Bundesregierung die in Aussicht gestellten Änderungen im
SGB II und im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vor, und welche
Aussagen kann die Bundesregierung über die nunmehr vorliegenden Inhalte
geben?

25. Wie wird mit den Vorwürfen umgegangen, dass Bearbeitungszeiten von An-
trägen oder Vorgängen aus der Sicht der „Kunden“ sehr lang andauern?
Beabsichtigt die Bundesregierung, in diesem Zusammenhang nachvollzieh-
bare Maßstäbe einzuführen (wann ist ein Antrag vollständig, bis wann ist
ein Antrag zu bearbeiten u. Ä.)?

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26. Welche Planungen gibt es seitens des BMAS, in der Arbeitsförderung die
Nachhaltigkeit der Integration zu stärken?

27. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen oder Pläne, die gesetz-
lichen Grundlagen der Arbeitsmarktinstrumente zu überprüfen und zu ver-
ändern, sodass nachhaltige Maßnahmen, die dauerhaft die Perspektive und
Lage der Erwerbslosen verbessern im Vordergrund stehen?
Wenn ja, wie sehen diese aus?
Wenn nein, warum sieht sie keinen Handlungsbedarf?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die Sinnhaftigkeit des gesetzlich fixier-
ten Vermittlungsvorrangs im SGB II?
Wird dieser Vermittlungsvorrang angesichts der häufig nur kurzfristigen
Vermittlungen im SGB II abgeschafft oder zumindest begrenzt, um mittel-
fristig wirksamere Maßnahmen zu stärken?
Wenn nein, warum nicht?

29. Plant die Bundesregierung, die Rechtsposition der Betroffenen zu stärken?
Wenn nein, warum nicht, und wenn ja, welche Maßnahmen sieht sie vor?

30. Wie steht die Bundesregierung zu Vorschlägen, Rechtsansprüche einzufüh-
ren, etwa auf nachhaltige Qualifizierungsmaßnahmen oder sozialintegrative
Unterstützungsangebote, um damit den Anspruch des Förderns einzulösen?

31. Wie ist der aktuelle Diskussionsstand zu dem „Konzept zur Weiterentwick-
lung des Sanktionenrechts in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“?
Welche Aspekte des Konzepts sind bereits Konsens zwischen Bund und
Ländern?
Welche Aspekte werden ggf. aktuell von wem strittig gestellt?
Wann wird nach derzeitiger Planung ein Gesetzentwurf zur „Weiterentwick-
lung“ des Sanktionsrechts im SGB II vorgelegt?

32. Plant die Bundesregierung, im Rahmen der kommenden Haushaltsberatun-
gen die Kürzungen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückzunehmen und
den Eingliederungstitel im SGB II zu erhöhen?
Wenn ja, in welchem Ausmaß?
Wenn nein, warum nicht?

33. Plant die Bundesregierung, im Rahmen der kommenden Haushaltsberatun-
gen den Titel der Verwaltungskosten im SGB II zu erhöhen?
Wenn ja, in welchem Ausmaß?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 23. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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