BT-Drucksache 18/473

Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus der Evaluation der Projekte zum Thema Linksextremismus

Vom 10. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/473
18. Wahlperiode 10.02.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Martina Renner, Petra Pau, Inge Höger, Andrej Hunko,
Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland),
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus der Evaluation der Projekte zum
Thema Linksextremismus

Seit dem Jahr 2010 fördert die Bundesregierung über das Programm „Initiative
Demokratie stärken“ Präventionsprojekte in den Bereichen Islamismus und
„Linksextremismus“. Insbesondere der Programmteil zum Thema „Linksextre-
mismus“ ist in der Öffentlichkeit bis heute umstritten, weil hier eine unzulässige
Parallelisierung mit den Projekten gegen Rechtsextremismus und zudem eine
Problembeschreibung vorgenommen werden, die in der Realität keine Entspre-
chung finden.
Vonseiten der Bundesregierung wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass
das Themenfeld „Linksextremismus“ – anders als etwa der Rechtsextremismus –
wissenschaftlich nicht klar definiert sei, weshalb sie sich auf die Definition der
Verfassungsschutzämter stütze. Ein Ziel des Programms sei es, Ansätze der
Arbeit in diesem Themenfeld zu erschließen, denn bisher gäbe „es kaum oder
keine in der Praxis erprobten Ansätze. Es mangelt ebenfalls an wissenschaft-
licher Expertise. Beides – die Entwicklung von Konzepten sowie Erforschung
z. B. der ideologischen, kulturellen und sozialen Aspekte linksextremer oder
islamistischer Ideologien und ihre Anziehungskraft insbesondere für junge Men-
schen – sind Anliegen des Programms.“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10204,
Antwort zu Frage 18). Von Kritikerinnen und Kritikern des Programms wurde
von Anfang an der mit dem Begriff des „Linksextremismus“ verbundene Ansatz
hinterfragt, dessen Tauglichkeit für die angestrebte pädagogische Arbeit bezwei-
felt wurde. Die Bundesregierung selbst verwies auf den auch forschenden
Charakter des Programms, womit u. a. die geringe Kofinanzierungsforderung im
Vergleich zu den Projekten gegen Rechtsextremismus begründet wurde (vgl.
ebd.). In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. zu den Fragen 10, 11 und 14 auf Bundestagsdrucksache 17/10204
heißt es: „Das Programm IDS verfolgt den Zweck, vorhandene Lücken bei päda-
gogischen Grundlagen, Konzepten und Erfahrungen – auch im Hinblick auf die
Zielgruppenerreichung – zu schließen. Daher hat das Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Programm bewusst als lernendes Pro-
gramm konzipiert“.
Inzwischen liegen eine Reihe von Evaluationen zum gesamten Bundespro-
gramm und zu einzelnen Teilen bzw. von einzelnen Förderempfängern vor. Die
Mehrzahl stellt den von der Bundesregierung gewählten Ansatz der „Links-
extremismus“-Prävention infrage und kommt zu dem Ergebnis, dass die vom
Mittelgeber vorgenommene Problembeschreibung so nicht haltbar ist.

Drucksache 18/473 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
In einer Auswertung des von der Stiftung Europäische Jugendbildungs- und Ju-
gendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) durchgeführten Projekts im Rahmen des
Programms „Initiative Demokratie stärken“ kommen die Projektverantwort-
lichen zu der Einschätzung, dass der mit dem Extremismusansatz zugrunde ge-
legte theoretische Rahmen aufgrund der „Eindimensionalität des Theorie-
modells“ (Zeitschrift für die Jugendarbeit, Nr. 6, 2013, S. 269) zu eng ist. „Die
Bedrohungslage, wie sie in den Verfassungsschutzberichten zu einer politisch
motivierten linksextremistischen Gewalt nachgezeichnet wird, lässt sich aus un-
serer Sicht nicht bestätigen.“ (ebd.). Bezogen auf Perspektiven der Arbeit mit
Jugendlichen im Rahmen von Präventionsprogrammen, wie sie von der Bundes-
regierung gefördert werden, heißt es, „dass sich das Vorhandensein linksextre-
mer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlossene
linksextreme Welt- und Menschenbilder nicht konstatieren lässt. Die EJBW
sieht dieses Projektergebnis als eines der zentralsten an.“ (ebd., S. 271). Nach
Ansicht der EJBW sollten sich Präventionsprogramme „nicht auf einen Aspekt
von Extremismus verengen, sondern sich mit den unter Konzepten wie Gruppen-
bezogener Menschenfeindlichkeit, Hate Crime, den Erkenntnissen der Bewe-
gungsforschung und antidemokratischen Radikalisierungsprozessen subsumier-
baren Einstellungsmustern, Einstellungen und Verhaltensweisen befassen (…).“
(ebd.).
Im Auftrag des BMFSFJ wurde vom Institut für Soziale Praxis (ISP) der Evan-
gelischen Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg eine Studie
durchgeführt, in der es um die Lebenslage junger Menschen in „linksautonomen
Szenen“, die Rolle von Jugendlichen in „linksautonomen Szenen“ und dem
damit verbundenen Bedarf von Angeboten der Jugendhilfe ging (vgl. Unsere
Jugend, 3/2012, S. 133). Die skizzierten Ergebnisse der Experteninterviews
deuten darauf hin, dass der Ansatz des Bundesministeriums als nicht zielführend
bewertet wurde. Die Problembeschreibung unter dem Begriff „Linksextremis-
mus“ sei unklar und die Konstruktion einer „linksautonomen Jugendszene“ ent-
spreche nicht den Erfahrungen und Positionen der Expertinnen und Experten.
Vonseiten der befragten Expertinnen und Experten der Jugendarbeit wurde kein
Bedarf an so ausgerichteten Jugendhilfeangeboten gesehen: „Die ExpertInnen
sehen Jugendhilfe mehrheitlich nicht in der Pflicht, sich mithilfe von neuen An-
geboten an linksautonome Jugendszenen oder auch an einzelne Jugendliche aus
der linksautonomen Szene zu wenden.“ (ebd.).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Projekte wurden im Jahr 2013 im Bereich des Themenfeldes „Links-

extremismus“ über das Bundesprogramm „Initiative Demokratie stärken“ in
welcher Höhe, mit welchem Inhalt, und mit welcher Laufzeit gefördert?

2. Welche Projekte im Bereich des Themenfeldes „Linksextremismus“, die über
das Bundesprogramm „Initiative Demokratie stärken“ gefördert wurden,
wurden mit Beginn oder im Laufe des Jahres 2013 abgeschlossen?

3. Plant die Bundesregierung eine Fortführung des Programms „Initiative De-
mokratie stärken“, wie bewertet sie den Programmteil zum Themenfeld
„Linksextremismus“, und will sie auch diesen Programmteil fortführen?

4. Haben sich aus Sicht der Bundesregierung die Erwartungen, die mit dem Pro-
grammteil zum Bereich „Linksextremismus“ verbunden waren, erfüllt, und
wenn ja, welche Erwartungen haben sich in welcher Weise erfüllt, und
welche Erwartungen haben sich aus welchen Gründen nicht erfüllt?

5. Welche Ansätze pädagogischer Arbeit mit Jugendlichen haben sich aus Sicht
der Bundesregierung unter dem Stichwort „Linksextremismus“ durch die bis-
herigen Projekte ergeben, und sieht die Bundesregierung die im Bundespro-
gramm vorgenommene Problembeschreibung mit der Bezeichnung „Links-
extremismus“ nach wie vor als richtig an (bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/473
6. Wie bewertet die Bundesregierung die vom Deutschen Jugendinstitut e. V.
(DJI) durchgeführte Evaluation des Programms „Initiative Demokratie stär-
ken“ und hier insbesondere des Programmteils zum Thema „Linksextremis-
mus“, und welcher Veränderungsbedarf ergibt sich aus Sicht der Bundes-
regierung für diesen Programmteil durch die Evaluation?

7. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der Fragesteller zu, dass die
Evaluation des DJI und auch die Projektevaluationen einzelner Zuwen-
dungsempfänger ergeben haben, dass die im Bundesprogramm vorgenom-
mene Problembeschreibung unter dem Begriff „Linksextremismus“ untaug-
lich ist, und welche Schlussfolgerung zieht sie aus der Kritik der Evaluato-
ren an dieser Begrifflichkeit?

8. Ist der in der Evaluation des DJI erwähnte Ergebnisbericht für das Jahr 2012
(Leistner, Alexander/Schau, Katja, Johansson, Susanne (2013): Ergebnis-
bericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogramms „INITIA-
TIVE DEMOKRATIE STÄRKEN“, Berichtszeitraum 1. Januar 2012 bis
31. Dezember 2012, Herausgegeben von: DJI. Halle/Saale) durch das
BMFSFJ veröffentlicht worden?
Wenn ja, wann und wo?
Wenn nein, warum nicht?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die vonseiten des Mittelempfängers
EJBW vorgetragene Kritik am Programmansatz „Linksextremismus“, in
der die „Eindimensionalität des Theoriemodells“ beklagt wird und die
EJBW zu dem Ergebnis kommt, „dass sich das Vorhandensein linksextre-
mer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlos-
sene linksextreme Welt- und Menschenbilder nicht konstatieren lässt. Die
EJBW sieht dieses Projektergebnis als eines der zentralsten an“, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die vom ISP der Evangelischen Hoch-
schule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg und im Rahmen des Bun-
desprogramms „Initiative Demokratie stärken“ durchgeführte Studie zum
Bedarf von Angeboten der Jugendhilfe in „linksautonomen Szenen“, die
u. a. zu dem Ergebnis kommt, dass die Konstruktion einer „linksautonomen
Jugendszene“ nicht den Erfahrungen und Positionen der befragten Expertin-
nen und Experten der Jugendarbeit entspreche und von diesen kein Bedarf
an so ausgerichteten Jugendhilfeangeboten gesehen wurde, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Evaluation des DJI angeführ-
ten unterschiedlichen Ansätze der Modelprojekte zur „Aneignung“ des
Themas „Linksextremismus“, welche Ansätze haben sich aus Sicht der
Bundesregierung bewährt, und wie begründet sie ihre Bewertung?

12. Teilt die Bundesregierung die in der Evaluation des DJI vorgenommene
Kritik an den „aufklärungspädagogischen Projekten“, deren Ansatz aus
Sicht des DJI eine Überforderungs-, Überfrachtungs- und Überwältigungs-
gefahr der jugendlichen Teilnehmer enthält, und welche Schlussfolgerung
zieht die Bundesregierung aus dieser Kritik?

13. Wie bewertet die Bundesregierung den in der Evaluation des DJI enthal-
tenen Vorwurf, dass einzelne Projekte die jugendlichen Teilnehmerinnen
und Teilnehmer politisch und moralisch überwältigen, und wie lässt sich ein
solcher Ansatz von Modellprojekten mit den Standards pädagogischer
Arbeit vereinbaren?

14. Welche über das Teilprogramm „Linksextremismus“ im Programm „Initia-
tive Demokratie stärken“ finanzierten Projekte arbeiten nach Kenntnis der

Drucksache 18/473 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bundesregierung mit dem vom DJI so genannten aufklärungspädagogi-
schen Ansatz (bitte einzeln auflisten), und will die Bundesregierung diese
Projekte in ihrer jetzigen Form weiterführen, bzw. welche Veränderungen
sind geplant?

15. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem abschlie-
ßenden Resümee der Evaluation des DJI zum Programmbereich „Links-
extremismus“, in dem es heißt: „Diese Beobachtungen unterstreichen die
Einschätzung der Wissenschaftlichen Begleitung, dass sich derzeit (…) kein
Bedarf für einen das gesamte Bundesgebiet abdeckenden Programmbereich
zum Thema ‚pädagogische Prävention von ‚Linksextremismus‘ im Jugend-
alter‘ feststellen lässt“?

Berlin, den 7. Februar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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