BT-Drucksache 18/4507

Nachrichtendienstliche V-Leute bei als terroristisch eingestuften Vereinigungen

Vom 27. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4507
18. Wahlperiode 27.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Annette Groth,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland), Kersten Steinke,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Nachrichtendienstliche V-Leute bei als terroristisch eingestuften Vereinigungen

Derzeit befindet sich ein Gesetzentwurf zur Neuregelung der Amtsrechte von
V-Leuten des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Länderabstimmung.
Laut diesem Gesetzentwurf soll zukünftig eine Beteiligung von V-Leuten an
strafbaren Vereinigungen zu deren Aufklärung zulässig sein. Bei zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat von erheblicher Bedeutung durch
V-Leute soll der Einsatz abgebrochen werden. Es handelt sich dabei allerdings
nur um eine Sollvorschrift, die Entscheidung liegt bei der Behördenleitung (Ant-
wort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern
Dr. Ole Schröder in der Fragestunde zu Fragen des Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Plenarprotokoll 18/87).
Die Problematik von geheimdienstlichen V-Leuten innerhalb von als terroris-
tisch eingestuften Organisationen war bereits deutlich geworden durch den Fall
einer Quelle des Bundesnachrichtendienstes (BND), die in den Jahren 2002 bis
2009 zum Führungskader innerhalb der verbotenen und auf der EU-Terrorliste
(EU – Europäische Union) geführten Revolutionären Volksbefreiungspartei-
Front (DHKP-C) aus der Türkei aufstieg. Zuletzt war der V-Mann A. A.
Deutschlandverantwortlicher der in der Türkei für Anschläge gegen staatliche
Einrichtungen, Banken und die Regierungspartei verantwortlichen DHKP-C
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/2599). A., der in der Türkei wegen einer angeb-
lich im Auftrag der DHKP-C begangenen Tötung eines Taxifahrers vier Jahre in
Untersuchungshaft saß, hatte sich vor seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft
nach Deutschland abgesetzt und Asyl beantragt. Der BND, mit dessen Agenten
sich A. 134-mal traf, sagte A. nach Ablehnung seines Asylantrags Schutz vor
Abschiebung zu und zahlte ihm Honorare von zuletzt 3 200 Euro im Monat.
Zudem warnte der BND A. vor Überwachungsmaßnahmen durch das Bundes-
kriminalamt (BKA). Im Jahr 2010 wurde A. gemeinsam mit weiteren mutmaß-
lichen DHKP-C-Mitgliedern verhaftet und wegen Mitgliedschaft in einer aus-
ländischen terroristischen Vereinigung angeklagt. Bei seiner Verurteilung zu
zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung am 6. September 2011 wurde ihm
vom Oberlandesgericht Düsseldorf seine Agententätigkeit für den BND straf-
mildern ausgelegt, während seine Mitangeklagten zu hohen Haftstrafen ver-
urteilt wurden.
Der Generalbundesanwalt hatte gegen einen der BND-Verantwortlichen wegen
des Umgangs mit dem V-Mann A. ein Ermittlungsverfahren wegen des Ver-
dachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung eingelei-
tet. Das Verfahren wurde nach § 153d der Strafprozessordnung („Absehen von
Strafverfolgung bei politischen Straftaten“ eingestellt – „eine juristisch-politi-

Drucksache 18/4507 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
sche Lösung“, Süddeutsche Zeitung www.sueddeutsche.de/politik/terrorismus-
bnd-besonders-netter-dienst-1.2375984). Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. zur Aufklärungsarbeit des BND bezüglich der DHKP-C erklärte
die Bundesregierung, eine Beantwortung wäre ihr aus „verfassungsrechtlichen
Gründen“ nicht möglich (Bundestagsdrucksache 18/2599).
Als Konsequenz aus dem Fall A. A. lässt der Verfassungsschutz nach Informa-
tionen der Süddeutschen Zeitung sogenannte Hilfskonvois für Syrien nicht mehr
von seinen V-Leuten begleiten. Solche V-Leute konnten zuvor möglicherweise
Auskunft darüber geben, welche Deutschen sich in Lagern des „Islamischen
Staates“ (IS/ISIS) aufhielten. Weil die Begleitung solcher Transporte als Unter-
stützung einer terroristischen Vereinigung ausgelegt werden könnte, gelten diese
jetzt als zu risikoreich (www.sueddeutsche.de/politik/terrorismus-bnd-besonders-
netter-dienst-1.2375984).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit und unter welchen konkreten Umständen ist es für V-Leute deut-

scher Nachrichtendienste (Bundesamt für Verfassungsschutz, BND, Militäri-
scher Abschirmdienst – MAD), die als Quelle zur Aufklärung terroristischer
Vereinigungen eingesetzt werden, nach der geltenden gesetzlichen Regelung
ihrer Amtsrechte erlaubt, Straftaten zu begehen?
a) Welche grundsätzlichen Probleme sieht die Bundesregierung in dieser gel-

tenden Regelung?
b) Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung eine gesetzliche

Neuregelung des V-Leute-Einsatzes für geboten?
c) Inwieweit waren seit Inkrafttreten des § 129b des Strafgesetzbuchs nach

Kenntnis der Bundesregierung V-Leute deutscher Geheimdienste, die zur
Aufklärung von ausländischen terroristischen Vereinigungen eingesetzt
wurden, an Straftaten beteiligt (bitte zuständigen Geheimdienst, aufzuklä-
rende Gruppierung, Ort und Art der Straftat benennen)?

d) Inwieweit wurden V-Leute deutscher Geheimdienste, die zur Aufklärung
von ausländischen terroristischen Vereinigungen entsprechend § 129b des
Strafgesetzbuchs eingesetzt wurden, aufgrund ihrer Beteiligung an Straf-
taten als Quelle abgeschaltet (bitte zuständigen Geheimdienst, aufzuklä-
rende Gruppierung, Ort und Art der Straftat und Grund der Abschaltung
benennen)?

e) Inwieweit wurden V-Leute deutscher Geheimdienste, die zur Aufklärung
von ausländischen terroristischen Vereinigungen entsprechend § 129b des
Strafgesetzbuchs eingesetzt wurden, trotz ihrer Beteiligung an Straftaten
von erheblicher Bedeutung weiter als Quelle genutzt (bitte zuständigen
Geheimdienst, aufzuklärende Gruppierung, Ort und Art der Straftat und
Grund der Weiterführung als Quelle benennen)?

f) Inwieweit und mit welchem Ergebnis wurden nach Kenntnis der Bundes-
regierung gegen V-Leute deutscher Geheimdienste, die zur Aufklärung
von ausländischen terroristischen Vereinigungen entsprechend § 129b des
Strafgesetzbuchs eingesetzt wurden, aufgrund ihrer Beteiligung an Straf-
taten strafrechtliche Verfahren eingeleitet (bitte zuständigen Geheim-
dienst, Ort und Art der Straftat und Grund der Weiterführung als Quelle
benennen)?

2. Inwieweit treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Informationen der
„SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG“ zu, wonach der BND seinen V-Mann A. A.
vor Überwachungsmaßnahmen des BKA gewarnt haben soll (www.
sueddeutsche.de/politik/terrorismus-bnd-besonders-netter-dienst-1.2375984)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4507
a) Hat sich die Bundesregierung bislang bemüht, Aufklärung über den be-
haupteten Sachverhalt zu erlangen?
Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht, und inwieweit gedenkt die Bundesregierung,
dies noch zu tun?

b) Inwieweit hält die Bundesregierung das behauptete Vorgehen des BND
zum Quellenschutz für grundsätzlich zulässig?

c) Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung strafrechtliche oder interne
disziplinarische Ermittlungen aufgrund des behaupteten Vorgehens gegen
die zuständigen BND-Beamten, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

3. Inwieweit trifft eine Meldung der „SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG“ zu, wo-
nach Hilfskonvois für Syrien in der Vergangenheit von V-Leuten des Verfas-
sungsschutzes begleitet wurden (www.sueddeutsche.de/politik/terrorismus-
bnd-besonders-netter-dienst-1.2375984)?
a) Um welche und wie viele Hilfstransporte handelte es sich, und wann fan-

den diese statt?
b) Was für Hilfsgüter wurden dabei transportiert?
c) Inwieweit wurden auch Waffen, Munition, militärische Ausrüstungsgüter

oder Dual-Use-Produkte (welche?) mit diesen Hilfskonvois transportiert?
d) Wer waren die Organisatoren dieser Hilfstransporte?
e) Wer waren die Empfänger dieser Hilfstransporte?
f) Von wo (Land, Stadt, Region) gingen diese Hilfstransporte aus, und was

war jeweils das Ziel (Land, Stadt, Region) dieser Konvois?
g) Wo überquerten diese Konvois die Grenze nach Syrien?
h) Wie viele Fahrzeuge gehörten jeweils diesen Hilfskonvois an?
i) Wie viele Personen beteiligten sich jeweils an diesen Hilfstransporten?
j) Wer, das heißt welche Gruppierungen, Organisationen, Flüchtlingslager,

Städte etc., waren jeweils Empfänger der Hilfsgüter?
4. Welche Rolle spielten V-Leute des BND, Bundesamtes für Verfassungs-

schutz – oder nach Kenntnis der Bundesregierung eines Landesamtes für Ver-
fassungsschutz – bei der Begleitung von Hilfskonvois nach Syrien?
a) Wie viele V-Leute welcher deutschen Nachrichtendienste waren wann an

welchen Hilfskonvois nach Syrien beteiligt?
b) Was war jeweils der Auftrag dieser V-Leute, bzw. welches Aufklärungs-

ziel wurde mit ihrem Einsatz verfolgt, und inwieweit wurde dies erreicht?
c) Inwieweit und auf welcher gesetzlichen Grundlage ist es nach Auffassung

der Bundesregierung Aufgabe des Inlandsgeheimdienstes, Aufklärung
über die Aktivitäten des IS in Syrien zu betreiben, und an welcher Stelle
erfolgt hier eine Abgrenzung zum Auslandsgeheimdienst?

5. Inwieweit trifft die Meldung der „SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG“ zu, dass
die Begleitung von Hilfskonvois für Syrien durch V-Leute des Verfassungs-
schutzes eingestellt wurde, weil eine solche Begleitung als Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung ausgelegt werden könnte?
Wenn ja,
a) zu welchem Zeitpunkt wurde die Begleitung durch V-Leute eingestellt,

Drucksache 18/4507 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) was waren die genauen Gründe, Überlegungen und Befürchtungen, die
zum Abbruch dieser Begleitung durch V-Leute geführt hatten,

c) inwieweit könnte nach Ansicht der Bundesregierung eine Begleitung von
Hilfskonvois für Syrien durch V-Leute des Verfassungsschutzes als Unter-
stützung einer terroristischen Vereinigung ausgelegt werden,

d) inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Ermittlungsverfah-
ren gegen Angehörige des Verfassungsschutzes oder seine V-Leute bezüg-
lich der Hilfskonvois für Syrien wegen Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung,

e) inwieweit hat die Bundesregierung auf den Beschluss, keine V-Leute des
Verfassungsschutzes mehr nach Syrien zu schicken, Einfluss genommen,

f) wer traf wann den Beschluss, keine V-Leute mehr mit Hilfskonvois für Sy-
rien zu schicken,

g) inwieweit beteiligen sich Personen weiterhin an Hilfskonvois für Syrien,
die zuvor als V-Leute abgeschaltet wurden

(falls an den Hilfskonvois auch V-Leute des BND beteiligt waren, bitte die
Fragen 5a bis 5g auch bezüglich des BND beantworten, und falls an den
Hilfskonvois nach Kenntnis der Bundesregierung auch V-Leute von Landes-
ämtern für Verfassungsschutz beteiligt waren, bitte die Fragen 5a bis 5g auch
bezüglich der entsprechenden Landesämter beantworten)?

Berlin, den 26. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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