BT-Drucksache 18/4178

Kriterien und Standards für die Partizipation von Menschen mit Behinderungen und ihren Selbstvertretungsorganisationen

Vom 27. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4178
18. Wahlperiode 27.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie
Hein, Ulla Jelpke, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam),
Harald Petzold (Havelland), Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Kriterien und Standards für die Partizipation von Menschen mit Behinderungen
und ihren Selbstvertretungsorganisationen

In Artikel 4 Absatz 3 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die
rechtsverbindlich für die Bundesrepublik Deutschland ist, heißt es:
„Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen
Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Ent-
scheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen,
führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich
Kindern mit Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge
Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“
Die UN-BRK führt in Artikel 33 Absatz 3 – Innerstaatliche Durchführung und
Überwachung – weiter aus: „Die Zivilgesellschaft, insbesondere Menschen mit
Behinderungen und die sie vertretenden Organisationen, wird in den Über-
wachungsprozess einbezogen und nimmt in vollem Umfang daran teil.“
Zu den Berichten der Vertragsstaaten wurde in dieser UN-Konvention in Arti-
kel 35 Absatz 4 vereinbart: ein „Vertragsstaat, der dem Ausschuss einen ersten
umfassenden Bericht vorgelegt hat, braucht in seinen Folgeberichten die früher
mitgeteilten Angaben nicht zu wiederholen. Die Vertragsstaaten sind gebeten,
ihre Berichte an den Ausschuss in einem offenen und transparenten Verfahren
zu erstellen und dabei Artikel 4 Absatz 3 gebührend zu berücksichtigen.“
Der Deutsche Behindertenrat (DBR) hat bereits am 22. Februar 2010 gefordert:
„Gemäß dem Prinzip ,Nichts über uns ohne uns‘ sind die Menschen mit Be-
hinderungen und ihre Verbände bei behinderungspolitischen Projekten – über
den Nationalen Aktionsplan hinaus – umfassend einzubeziehen und zu betei-
ligen; entsprechende verbindliche Beteiligungsstandards sind zu erarbeiten.“
(www.deutscher-behindertenrat.de/mime/00060491D1274941874.pdf. S. 50/51).
Im Schattenbericht der BRK-Allianz kritisiert diese die mangelhafte Beteiligung
der Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen durch die Bundes-
regierung und fordert: „Gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen hat die
Bundesregierung verbindliche Beteiligungsstandards für alle Bereiche des poli-
tischen Planens und Handelns zu erarbeiten, um die durchgängige Partizipation
sicherzustellen.“ (Allianz der deutschen Nichtregierungsorganisationen zur UN-
Behindertenrechtskonvention (2013): Für Selbstbestimmung, gleiche Rechte,
Barrierefreiheit, Inklusion! Erster Bericht der Zivilgesellschaft zur Umsetzung
der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. www.brk-allianz.de/
index.php/parallel-bericht.html, S. 8).

Drucksache 18/4178 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Das NETZWERK ARTIKEL 3 e. V. hat zu diesem Thema am 23. Juni 2014 eine
Broschüre veröffentlicht: „Nichts über uns ohne uns! – Von der Alibi-Beteili-
gung zur Mitentscheidung! Eine Handreichung zur Umsetzung des Gebotes der
,Partizipation‘ der UN-Behindertenrechtskonvention.“
Darin wird der Begriff der Partizipation der UN-BRK, der oft unzureichend mit
Teilhabe oder Mitwirkung übersetzt wird, definiert und gestärkt. Die Partizipa-
tion solle als eigenständiger Begriff im politischen Diskurs eingebunden werden
und entsprechende Maßnahmen und Standards für Partizipation auf individuel-
ler Ebene sowie Organisationsebene partizipativ bestimmt werden.
Die Beteiligungsprozesse bei der Erarbeitung des ersten Nationalen Aktions-
plans (NAP) zur Umsetzung der UN-BRK der Bundesregierung und das Verfah-
ren bei der Überarbeitung des NAP sowie bei der Erarbeitung des angekündigten
Bundesteilhabegesetzes waren und werden bislang sehr unterschiedlich ausge-
staltet. Es gibt keine transparenten und nachvollziehbaren sowie verbindlichen
Kriterien und Standards.
Kritikpunkte der beteiligten Menschen mit Behinderungen und ihrer Organisa-
tionen sind oft die zu geringe Vorbereitungszeit bei zu wenig Personal in den ei-
genen Organisationen. Auch werden Kernforderungen zwar notiert, aber später
in den Gesetzen oder Programmen nicht verpflichtend berücksichtigt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie definiert die Bundesregierung den an 17 Stellen des englischen Original-

textes der UN-BRK aufgeführten Begriff der „participation“ (Partizipation),
und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

2. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, den Begriff der „participa-
tion“ im Rahmen deutschsprachiger Debatten zur UN-BRK nicht mit „Teil-
habe“, sondern mit „Partizipation“ – wie es laut der Handreichung „Nichts
über uns ohne uns! – Von der Alibi-Beteiligung zur Mitentscheidung!“ auch
in Österreich vorgesehen ist – zu übersetzen?
Wenn ja, wie will sie dies umsetzen?
Wenn nein, warum nicht?

3. Kennt die Bundesregierung die Definition von Selbstvertretungsorganisatio-
nen (Disabled Persons Organizations – DPOs) des UN-Fachausschusses (vgl.
Annex II CRPD/C/11/2), und schließt sie sich dieser Definition an?
Welche Konsequenzen zieht sie für ihr eigenes Handeln aus der Unterschei-
dung des UN-Fachausschusses zwischen Selbstvertretungsorganisationen
behinderter Menschen und sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft?

4. Welche verbindlichen Kriterien und Standards der Partizipation von Selbst-
vertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen gibt es auf der
Ebene der Bundesregierung, für alle Bundesbehörden und -körperschaften,
und erachtet die Bundesregierung diese als ausreichend?

5. Wie bewertet die Bundesregierung § 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien (GGO) angesichts der UN-BRK, und welche Schluss-
folgerungen zieht sie daraus?
Sollen die entsprechenden Unterlagen in barrierefreien Formaten zur Verfü-
gung gestellt werden sowie die Tagungsorte und die Verfahren barrierefrei
ausgestaltet werden?

6. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Verbände aller drei Säulen
des DBR in Partizipationsprozesse nach § 47 GGO einbezogen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4178
7. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung nach
verbindlichen Kriterien und Vorgaben für die Partizipation sowie zur Wei-
terentwicklung dieser hin zur Mitentscheidung von Selbstvertretungsorga-
nisationen von Menschen mit Behinderungen, wie es beispielsweise vom
NETZWERK ARTIKEL 3 e. V. in seiner Handreichung „Nichts über uns
ohne uns! – Von der Alibi-Beteiligung zur Mitentscheidung!“ aufgeführt
wurde?

8. Welche Position nimmt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ge-
genüber dem Vorschlag für eine Partizipationsverordnung ein?

9. Wie bewertet die Bundesregierung insbesondere § 47 Absatz 3 GGO, wo-
nach es dem Ermessen des federführenden Bundesministeriums obliegt,
über Zeitpunkt, Umfang und Auswahl zu entscheiden?
Wären hier nicht transparente und nachvollziehbare Kriterien und Vorgaben
zeitgemäß und angebracht?
Wenn nein, warum nicht?

10. Erachtet die Bundesregierung die Ressourcen (z. B. finanzielle und perso-
nelle), die vielen Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behin-
derungen zur Verfügung stehen, als ausreichend, um ihr Menschenrecht auf
Partizipation gemäß der UN-BRK vollständig und umfassend ausüben zu
können, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
ihrer Auffassung?

Berlin, den 26. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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