BT-Drucksache 18/3719

Die politische Souveränität der Mitgliedstaaten und die Einflussnahme anderer Mitgliedstaaten und der EU-Organe auf Wahlen und politische Ämter

Vom 7. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3719
18. Wahlperiode 07.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Dr. Diether Dehm, Heike Hänsel, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Axel Troost,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Die politische Souveränität der Mitgliedstaaten und die Einflussnahme anderer
Mitgliedstaaten und der EU-Organe auf Wahlen und politische Ämter

Die Bankenkrise des Jahres 2009 führte zu einer ökonomischen und politischen
Krise der Europäischen Union, die bis heute anhält. Die deutsche Bundesregie-
rung trägt maßgeblich die Verantwortung für die falsche Ausrichtung der euro-
päischen Politik auf einen Austeritätskurs, der mit der Einschränkung von par-
lamentarischen Kontrollen und einer zunehmend autoritären Politik in der Euro-
päischen Union einherging, und nach Auffassung der Fragesteller zu katastro-
phalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in einer Vielzahl von
Mitgliedstaaten führte.
Mit den Neuwahlen in Griechenland kann diese Politik prinzipiell infrage ge-
stellt werden. Diese mögliche Perspektive hat in Deutschland eine Debatte in
Gang gebracht, die mit Drohungen und Zurechtweisungen gegen die potentiel-
len politischen Wahlentscheidungen der Griechinnen und Griechen einhergehen.
Die Fragesteller unterstützen den Anspruch der Menschen in Griechenland,
selbst über ihre Zukunft zu entscheiden – ohne Beeinflussung und Drohungen
durch andere Staaten und die Europäische Union. Dieser Anspruch ist allerdings
durch Interventionen seitens der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union
bedroht, die eine gefährliche Tendenz zur Postdemokratie (Colin Crouch) und
ein defizitäres Demokratieverständnis mit einer nur instrumentellen Bedeutung
demokratischer Verfahren ausdrücken.
So wurde im Jahr 2011 ein vom griechischen Ministerpräsident Giorgos Andrea
Papandreou angekündigtes Referendum auf Druck von außen abgesagt. Dem-
entsprechend hat sich auch die politische öffentliche Diskussion gewandelt. In-
terventionen in Wahlkämpfe und in die Politik einzelner Länder werden nicht
nur in Einzelfällen akzeptiert, sondern das Gebot der Nichteinmischung in ein
anderes Landes teilweise als „völlig überholt“ angesehen (Süddeutsche Zeitung
vom 19. Februar 2013 „Wahlen gehen ganz Europa etwas an“).
Darum sollte die Bundesregierung offenlegen, inwiefern sie die Intervention in
Wahlkämpfe und die politische Entscheidungsfindung eines Landes für ihr eige-
nes Handeln, für das anderer Mitgliedstaaten und für das Handeln der EU-Or-
gane für legitim hält. Darüber hinaus soll die Position der Bundesregierung im
Zusammenhang mit der kommenden griechischen Parlamentswahl und den me-
dial kolportierten Drohungen über einen erzwungenen Euroaustritt Griechen-
lands deutlich gemacht werden.

Drucksache 18/3719 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern sieht die Bundesregierung grundsätzlich ein Problem in der Inter-

vention exekutiver staatlicher Stellen der Mitgliedstaaten und der Europä-
ischen Union in Wahlkämpfe eines Landes im Unterschied zu parteipoliti-
scher und zivilgesellschaftlicher Unterstützung, und welche Kriterien legt
sie für die Einschätzung ihrer Handlungen in Bezug auf Wahlkämpfe in an-
deren Mitgliedstaaten an?

2. Welche Regelungen hat sich die Bundesregierung in Bezug auf die Teil-
nahme der Bundeskanzlerin bzw. von Ministerinnen und Ministern in Wahl-
kämpfen anderer Länder gegeben?

3. Inwiefern hat sich die Bundesregierung über die gemeinsamen Auftritte der
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit dem Kandidaten der französischen
Präsidentschaftswahlen, Nicolas Sarkozy, verständigt sowie über die Ent-
scheidung Dr. Angela Merkels, den Herausforderer François Hollande trotz
seiner Anfrage kein Treffen zu gewähren (The European vom 9. Februar
2012 „Berliner Schützenhilfe“)?

4. Nach welchen politischen Kriterien entscheidet die Bundeskanzlerin über
gemeinsame Termine mit im Wahlkampf befindlichen exekutiven Amts-
trägern und anderen Kandidaten?

5. Warum hat sich die Bundeskanzlerin nicht mit Alexis Tsipras getroffen, der
bereits im Wahlkampf 2012 ein Treffen vorgeschlagen hatte (www.tages-
spiegel.de vom 22. Mai 2012 „Alexis Tsipras fordert Merkel heraus“)?

6. Inwiefern bedauert die Bundesregierung die Berichte über ihren Kurswech-
sel in Bezug auf die zuvor ausgeschlossene Möglichkeit eines Euro-Aus-
tritts Griechenlands und die damit verbundene, kolportierte Drohung Grie-
chenland aus dem Euro auszuschließen, wenn eine neue Regierung die
Troika-Vereinbarungen nicht akzeptiert (www.welt.de vom 5. Januar 2015
„Deutsche Drohungen lassen die Griechen kalt“)?

7. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung der Fragesteller, dass es
nach den EU-Verträgen unmöglich ist, Griechenland gegen seinen Willen
aus der Währungsgemeinschaft auszuschließen?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Partei Syriza, wie auch ihr Spit-
zenkandidat Alexis Tsipras, einen Austritt Griechenlands aus dem Euro ein-
deutig ablehnen (www.stern.de vom 11. Januar 2015 „Syriza schließt Euro-
Austritt Griechenlands aus“)?

9. Glaubt die Bundesregierung, dass die Stellungnahme des Pressesprechers
Steffen Seibert, die auch in der Presse nicht als Dementi bewertet wurde, die
Wirkung ihrer kolportierten Drohung auf die griechischen Wählerinnen und
Wähler vermindert oder bestärkt hat?

10. Inwiefern wird sich die Bundesregierung für die Anerkennung einer frei und
fair gewählten Regierung in Griechenland einsetzen, auch wenn diese von
Syriza gestellt wird, und inwiefern ist die Bundesregierung bereit, eine nicht
demokratisch legitimierte Regierung in Griechenland anzuerkennen?

11. Welche Auswirkungen der Medienberichte über ihren Kurswechsel in der
Frage des Zusammenhalts der Währungsunion erwartet die Bundesregie-
rung für die italienische Politik, in der Giuseppe Grillo gerade ein Referen-
dum über einen Euroaustritt betreibt, und inwiefern sieht sie mögliche Kon-
sequenzen für die politische Lage in anderen Mitgliedstaaten?

12. Mit welcher demokratischen Legitimation hat die Bundesregierung sich im
Jahr 2011 mit finanziellem und politischem Druck dafür eingesetzt, das
vom griechischen Ministerpräsidenten als „Akt der Demokratie“ angekün-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3719
digte Referendum über die Vereinbarungen des Brüsseler Krisengipfels
abzusagen (www.spiegel.de vom 2. November 2011 „Krisentreffen in
Cannes: Euro-Retter setzen Papandreou unter Druck“)?

13. Inwiefern hat sich die Bundesregierung aus demokratiepolitischen Gründen
dafür eingesetzt, dass die in der griechischen Verfassung vorgesehene Mög-
lichkeit der Wahlteilnahme für Griechinnen und Griechen außerhalb des
Landes gewährleistet wird, damit die zahlreichen Menschen, die im Zuge
der Austeritätspolitik und der ökonomischen Krise das Land verlassen ha-
ben, an der demokratischen Entscheidung über die Zukunft ihres Landes
teilnehmen können, und warum hat sie dazu gegebenenfalls keine Stellung
genommen?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des französischen Präsidenten,
dass die Griechen allein über ihre Währung entscheiden und kein Druck auf
sie ausgeübt werden solle (www.tagesschau.de/ausland/hollande-euro-
101.html)?

15. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass
die EU-Kommissare zu strikter parteipolitischer Neutralität verpflichtet
sind?

16. Welche Artikel der EU-Verträge geben der Europäischen Kommission nach
Ansicht der Bundesregierung gegebenenfalls das Recht, in die politische Si-
tuation eines Mitgliedstaats zu intervenieren, wie zum Beispiel die Warnung
des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, „keine extremistischen
Kräften“ zu wählen, die in Griechenland wie auch in der europäischen
Presse als Positionierung gegen Syriza verstanden wurde (www.reuters.com
vom 12. Dezember 2014 „Juncker warnt Griechen vor Abkehr vom Re-
formkurs“)?

17. Inwiefern befürwortet die Bundesregierung Wahlempfehlungen der Euro-
päischen Kommission oder einzelner EU-Kommissare für deutsche Parteien
bzw. Kandidaten, wie im Fall des Wahlaufrufs der Kommissarin Neelie
Kroes für Dr. Angela Merkel im Jahr 2005 (www.spiegel.de vom 22. Sep-
tember 2005 „EU-Kommission: SPE-Beschwerde über Kroes Wahlempfeh-
lung für Merkel“)?

18. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass das
Gebot der Nichteinmischung in Wahlkämpfe anderer Länder überholt
sei (Süddeutsche Zeitung, www.eurotopics.net/de/home/medienindex/
media_articles/archiv_article/ARTICLE118909-Wahlen-gehen-heute-ganz-
Europa-etwas-an)?

Berlin, den 7. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.